Retuscheur?

Begonnen von rolfpeter, 19. November 2008, 13:45:50

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rolfpeter

Servus Freunde,

helft mir doch bitte bei der Bestimmung dieses Gerölls aus Tonschiefer. Der Fundort ist jung- bis spätneolithisch geprägt.
Das Ende auf der linken Seite der Fotos ist ziemlich zerdeppert, fast so, als hätte man damit intensiv geklopft. So etwas kommt aber auch bei Geofakten vor. Erstaunlich sind die herausgepickten Mulden auf den beiden Breitseiten. Die sind ganz klar intentionell entstanden.
Könnte es sich um einen Retuscheur handeln? Das Material würde sich schon dazu eignen.





HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

A guata!

Materialansprache stimmt, Beschreibung stimmt, was will man noch mehr. Gratuliere, ein interessantes Stück. Zu den Zerrüttungsspuren vielleicht noch dies:

Sie besitzen 1. nicht ein längliches Verteilungsbild, sondern ein rundes, 2. liegen sie nicht am Rand, sondern ziemlich mittig und 3. sind sie nicht relativ flach, sondern markant tief, zumindest fallweise. Das spricht dafür, dass sie nicht beim Druckretuschieren entstanden sind. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass mit dem ganzen Stein in horizontaler Position auf etwas Hartes geschlagen wurde, das dann diese Spuren hinterlassen hat. Aber als Schlagstein beim Retuschieren von z.B. Kratzerkappen, Entretuschen o.ä. ist das Stück auch nicht benutzt worden, denn dann sähen die Gebrauchsspuren anders aus und lägen überdies an den Kanten!

Am ehesten scheint mir, dass man mit den breiten Seiten dieses a priori Schlagsteins auf das obere Ende eines ausgesplitterten Stückes aus Feuerstein geschlagen haben könnte.
Damit handelte es sich nicht um einen Retuscheur im bekannten Sinne, obwohl solche Stücke so genannt werden und auch das Material stimmt. Eine neolithische Datierung ist jederzeit drin.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

CptAhab

Sicher ein Gerät, das gut in der Hand liegt, oder rp!?
The world is full of crashing bores. - Mozer

rolfpeter

Zitat von: Khamsin in 19. November 2008, 15:10:13
Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass mit dem ganzen Stein in horizontaler Position auf etwas Hartes geschlagen wurde, das dann diese Spuren hinterlassen hat.

Genau! Und wenn es wirklich neolithisch sein sollte, gab es da wenig Hartes - außer Feuerstein. Der Argumentation "Schlagstein trifft auf ausgesplittertes Stück" kann ich folgen.

Zitat von: CptAhab in 19. November 2008, 21:18:39
Sicher ein Gerät, das gut in der Hand liegt, oder rp!?

Liegt wirklich gut in der Hand, fast wie ein Kotelett!

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Zitat von: rolfpeter in 20. November 2008, 16:24:35
Zitat von: Khamsin in 19. November 2008, 15:10:13
Vielmehr gewinnt man den Eindruck, dass mit dem ganzen Stein in horizontaler Position auf etwas Hartes geschlagen wurde, das dann diese Spuren hinterlassen hat.

Genau! Und wenn es wirklich neolithisch sein sollte, gab es da wenig Hartes - außer Feuerstein. Der Argumentation "Schlagstein trifft auf ausgesplittertes Stück" kann ich folgen.

Zitat von: CptAhab in 19. November 2008, 21:18:39
Sicher ein Gerät, das gut in der Hand liegt, oder rp!?

Liegt wirklich gut in der Hand, fast wie ein Kotelett!

HG
RP


Wer hält denn ein Kotelett in der Hand ??    :platt: :narr:

Sehr schönes und interessantes Stück, RP !!  :super:

:winke:

Khamsin

Salaam!

Meine Idee mit dem ausgesplitterten Stück beruht u.a. auf den individuellen Ausprägungen der Zerrüttungszonen. Denn die lassen sich m.E. in 1. lineare und 2. punktuelle trennen.
Wenn man sich daraufhin einmal die Enden von "pièces esquillées/splintered pieces" anschaut, dann sind die aus naheliegenden Gründen länglichschmal und bilden somit zwar in der Horizontalen eine zusammenhängende Kante, in der Vertikalen aber gibt es durchaus Verschiebungen dieser Kante, was dann auch zu punktuellen Kantenabschnitten führt. Schliesslich sind da noch die beiden Ecken der Kanten.

Je nachdem, wie das Stück gehalten wird, trifft das Schlaginstrument auf unterschiedlich ausgeprägte Kantenabschnitte, was sich konsequent in unterschiedlichen "Abdrücken" auf dem recht weichen Tonschiefer bemerkbar macht.

Die flächige Streuung der Zerrüttungs-/Gebrauchsspurenzonen ist das typische Ergebnis einer "Arbeit aus freier Hand". So könnte man sagen, dass die Streuung der Einzelspuren um das Zentrum der Zonen die Standardabweichung darstellt.

Ich will nicht verhehlen, dass ich einmal gebeten worden bin, mich zu einem endneolithischen Knochenartefakt zu äussern, das den hiesigen Spuren völlig vergleichbare Zerrüttungszonen aufwies, sowohl was die flächige Streuung als auch die beiden Hauptausprägungen der Einzelspuren betraf. Seinerzeit kam mir die Idee eines ausgesplitterten Stückes. Man sieht, alles wiederholt sich, und je mehr man gesehen und sich den Kopf zermartert hat, desto hilfreicher kann es eines fernen Tages sein.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Marienbad

Hallo in die Runde,
könnte das gute Stück nicht auch als Arbeitsunterlage gedient haben? Habe etliche Schieferplatten bei einer Grabung in der Ostsee gesehen,sind sehr ähnlich.
Gruß Marienbad

rolfpeter

Zitat von: Marienbad in 30. November 2008, 21:09:12

könnte das gute Stück nicht auch als Arbeitsunterlage gedient haben? Habe etliche Schieferplatten bei einer Grabung in der Ostsee gesehen,sind sehr ähnlich.


Könnte natürlich auch der Fall sein. Aber das Stück eignet sich von Form und Gewicht her wohl besser als Schlaginstrument.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Marienbad

Kann sein,dann aber nur sanfte Schläge.Die Schieferplatten und Steine bei uns an der Ostsee eignen sich nicht um daraus ein Schlaggerät herzustellen.Nachgewiesen als Werk-Unterlage sind etliche mit Schnitt,Reib und Druckstellen.
Gruß
Marienbad

Dagda

#9
... kann es nicht auch sein, dass es sich um Präparationswerkzeug zur Erzeugung einer geeigneten Abschlagfläche handelt. Auf dem oberen Bild sieht es zumindest so aus, dass sich die von Marienbad (wunderschöne Webseite, super!) erwähnten sanften Schläge auch gleichzeitig eine immer in die gleiche Richtung zeigende "schleifende" Wirkung aufweisen.

Auf dem untern Bild ist sowohl links als auch rechts eher eine Nutzung als Retuscheur zu erkennen.

Die Sume aller Gebrauchspuren läßt darauf schließen, das dieses Teil nicht allzu lange benutzt wurde und deshalb auch zu einem Lagerplatz eiszeitlicher Jäger gehört haben kann.

Marienbad

...es handelt sich mit 90% Sicherheit um eingedrückte Spuren in der Mulde.Zu den Kanten:Tonschiefer an Flint geschlagen wird glatt,daher müssten dann die Kanten abgerundet und glatt sein.
Gruß Marienbad