Retusche an konkaver Arbeitskante - Kratzer?

Begonnen von StoneMan, 30. Juli 2011, 22:23:29

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

StoneMan

Moin,

ich hoffe ich kann euch mit so einem simplen Teil erfreuen.

Fundort: Møn/DK
Beifunde: Kornsichel, Beilfragmente (geschliffene), Bohrer, Klingen

Kratzer

Ich habe das "Ding" einfach mal "Kratzer" bezeichnet.

Eindeutig ist für mich die Retusche an der leicht konkaven Kante (Bild SF1, grüne Linie).

Diese Retusche ist mit einem Winkel von ca. 75 ° angelegt (Bild SF2, blauer Kreis)
Ebenfalls auf Bild SF2 - die Kante im orangefarbenen Rahmen - sie weist einige Aussplitterungen auf,
eine mögliche Schutzretusche (?).

Bild SF3 zeigt die retuschierte Arbeitskante aus verschiedenen Blickwinkeln.

Bild SF4 verdeutlicht mittels des roten Punktes die Lage der (vergrößerten) Arbeitskante.

Es ist kein Schlagflächenrest vorhanden.
So etwas wie ein Bulbus ist im pinkfarbenen Kreis auf Bild SF4.
Es befindet sich keine Kortex an dem Artefakt.

Die Grundform scheint ein Geröllbruchstück gewesen zu sein, wobei ich den Eindruck habe,
dass es sich bei der im Bild SF1 mit "D" gekennzeichneten Ansicht um eine Oberfläche handelt,
die eine Bruchfläche ist, diese aber bereits sehr lange vor der Bearbeitung auf natürliche Weise entstanden war.
Wenn dies zuträfe, so könnte das von der mit "L1" gekennzeichneten Ansicht ebenfalls angenommen werden.

Unterstützt wird meine Annahme ("D" = natürliche Bruchfläche) durch eine Art ~ Inkluse, bzw. einem Rest davon
im Bereich wo die Flächen der Ansichten "L1" und "D" zusammentreffen.
Dieser (ehemalige) Einschluss ist rauer als das übrige Material und wirkt irgendwie "aufgeblüht" und poröser,
zudem ist er vom übrigen Gestein mit einer andersfarbigen Schicht abgesetzt.

Vermutlich sind zwei zeitlich unterschiedliche Brüche an dem Artefakt, die nach der Bearbeitung
entstanden sind und mir ungewollt erscheinen.

Im Bild SF5 habe ich die mutmaßlichen Brüche angedeutet.
a = alt = gestrichelte Linie;  r = rezent = gepunktete Linie
Die Bruchflächen (a/r) sind zur Veranschaulichung herausgestellt.

Lasst euren Gedanken freien Lauf.


Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Silex

Manoman,  so eine perfekte Präsentation und Durchdringung eines Fundstückes!
Da traut sich kaum einer ran. Ich auch nich.
Aber die "Kante des Kratzens" die scheint mir unüblich....und ich kann es nicht mal untermauern.
Schwankend
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

sauhund

Hi Jürgen,
also für mich hat das alles nix intentionelles.
Ist zwar sehr schön photographiert und gephotoshoped usw., aber ich empfehle jedem, einmal selbst zu "flintknappen" oder zu schlagen. Nicht nur die unterschiedliche Farbe des Materials lässt mich hier an eine rezente Beschädigung denken.
Man nehme einen Abschlag, und fahre mit ein bischen Druck mit einem "Retuscheurstein" eine Kante entlang. E voilà -  Retusche! Das schafft auch jedes agrikulturelles Arbeitsgerät.
Sorry, is nix in meinen Ethanol-getrübten Augen.
:prost:

StoneMan

Moin ihr zwei,

danke euch für die "Traute" der Kommentare  :-D

Ich weiß schon, dass das kein "einfach Ding" ist - sonst hätte ich es ja einfach mit der
richtigen Bestimmung inventarisiert - oder entsorgt.

Alles ist ja auch nicht intentionell, deutlich jedoch die Retusche (konkave Arbeitskante).

Allein auch ich bin mitunter nicht in der Lage die wesentlichen Merkmale weder mit Fotografie,
und dann auch erst recht nicht mit PhotoShop darzustellen.

Liegt mitunter einerseits am Material. Selbst mit größter Bemühung bekomme ich nicht
das richtige Licht, um die wichtigsten Feinheiten kontrastreich darzustellen und zum anderen auch
an meiner Unzulänglichkeit, aus meiner (lediglich) Kompaktkamera mehr heraus zu holen.
Soll jetzt kein Gejammere sein, ist einfach so.  :-D

Ich hätte erwähnen sollen, dass ein Teil der retuschierten Arbeitskante einen Gebrauchsglanz aufweist,
der auch bis in die Oberfläche ("D") übergeht, den ich mittels einfacher 8-fach-Lupe erkennen kann,
aber auch dafür bedarf es entsprechendes Licht und den richtigen Blickwinkel - wer kennt das denn nicht(?).

Das einzige was "rezent" erscheint, ist die von mir bereits genannte Bruchstelle "r", im Bild SF5.
Alle anderen Flächen weisen eine Seidenglanzpatina auf.

Aber ich will das Ding ja auch nicht schön reden, vielleicht gehört es ja doch nicht ins Inventar.
Und um es auszusortieren bedarf es bei mir keine Verrenkung.

Wär prima, wenn sich noch jemand für mich/mit mir abmüht.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Ajo II

#4
Hallo Jürgen,

Tolle Präsentation und ja, ein interessanter Fund. Die habe ich am liebsten :zwinker:.

Zitat von: StoneMan in 31. Juli 2011, 12:31:41
Wär prima, wenn sich noch jemand für mich/mit mir abmüht.

Gruß

Jürgen

Hier meine Fern-Sicht zu dem Stück: (Auch wenn ich das geschriebene der Vorredner gut nachvollziehen kann.)

1) Durch den Bulbus kann die Ventralseite zugeordnet werden, die u. a. mit der Reflexion das Stück zum Artefakt machen würde (vgl. Abb. unten).
2) Die ,,Retuschen" (mit ca. 6 Absplissen) wirken mir nicht wirklich intentionell.

Mein Fazit wäre ein einfacher Abschlag, da die ,,Retuschen" zu unregelmäßig sind. Eine partiell retuschierte und genutzte Arbeitskante würde ich aber auch nicht ausschließen (Bsp. Gebrauchsspuren).

LG und :Danke2: fürs zeigen,
Ralf

StoneMan

Moin,

@Ralf, danke für Deine Bemühungen  :Danke2:

Klar, dass "Ferndiagnosen" immer schwierig sind.

Deiner Ausführung kann ich im Wesentlichlichen zustimmen.
Ich gehe mal auf Deine einzelnen Text-Ergänzungen im Bild ein (von rechts nach links).

Ventralfläche (?), möchte ich bejahen.
Bulbus ?, ebenfalls "Ja".

Zu Deinen Fragezeichen auf der Ventralfläche.
Das innenliegende unter dem "e" von "Reflexion", ist eine Störung im Material,
die anderen Fragezeichen zu den Absplitterungen bzw. deren Ursache, bleiben bestehen.

Angelbruch?, würde ich eher "nein" sagen, das was Du da rot markiert hast, ist nicht
der typische "Kinken", nur eine ganz leichte Welle und eine irreführende Schattierung.
Aber was ist schon "typisch" (?), ausschließen kann ich es nicht.

Altfläche/Cortex, Altfläche "ja", aber ob man hier von Cortex sprechen kann, weiß ich nicht,
es sieht eher wie eine Patina aus.

Altfläche ?, (die helle Seitenansicht) "Ja".

Zu Abschläge? (unten im großen grünen Rahmen), hier haben m. E. Gebrauchsretuschen, die zum Teil
aus sehr kleinen Absplitterungen bestehen, die intentionellen Retuschen überlagert, sodass sie
sehr schlecht darzustellen sind und somit schwierig zu bestimmen sind.

Mein Fazit - zu viel Aufsehens für so ein Teil (?), ich finde nicht  :-D

Danke für die Mitarbeit.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Ajo II

Hallo Jürgen,

Nur kurz noch; vergebens finde ich das definitiv nicht. :prost:

Also, außer bei der Retusche, die Du mit Sicherheit besser beurteilen kannst, gehen wir somit konform :super:. (Die meisten Fragezeichen stammen noch von meiner ,,Abarbeitung" und führten zu meinem ,,Fazit". Die Abb. hatte ich unverändert gelassen, damit es nachvollziehbar bleibt.)

Die Altflächen werden bei uns als Cortex aufgenommen. Da musste ich mich auch erst dran gewöhnen, da alle Kollegen immer an den Stücken Cortex sahen und ich nicht :glotz: :schaem: :-D. (Kann also sein das es bei der Merkmalsaufnahme eine gesonderte Ansprachen der Altflächen gibt.)

LG
:-)

StoneMan

Moin mal wieder,

:-D
Zitat von: Ajo II in 01. August 2011, 20:59:46
Hallo Jürgen,

Nur kurz noch; vergebens finde ich das definitiv nicht. :prost:
Nein auf keinen Fall vergebens - sagte ich doch auch oben bereits. Ich muss kein Premium-Teil haben,
um Spaß an einer Diskussion zu haben.

Zitat von: Ajo II in 01. August 2011, 20:59:46
...
Die Altflächen werden bei uns als Cortex aufgenommen. Da musste ich mich auch erst dran gewöhnen, da alle Kollegen immer an den Stücken Cortex sahen und ich nicht :glotz: :schaem: :-D. (Kann also sein das es bei der Merkmalsaufnahme eine gesonderte Ansprachen der Altflächen gibt.)
Arrrgh  :nono: Das ist mir auch neu.

Nun, dann habe ich ja nix falsch gemacht.
Zitat StoneMan: "...eine Bruchfläche ist, diese aber bereits sehr lange vor der Bearbeitung auf natürliche Weise entstanden war." = "Altfläche" = "Cortex" ...da werde ich mich dran gewöhnen müssen?

Ist das denn Usus?

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Ajo II

 :-)

Ja, es macht keinen Unterschied, der Zeitpunkt der primären Bearbeitung kann ja so festgestellt werden. Für dich als Bsp.: 1x VF und der Rest Alt- oder Cortexfläche = „100% Cortexabschlag“. Dieses Stück stellt dann einen sogenannten Technotyp dar.  Bei gesonderter Fragestellung macht die Unterscheidung von Altflächen und Cortex aber wieder Sinn (bsp. Rohmaterialvorkommen usw.), da könnte uns vielleicht der Mark77 was zu sagen.

LG

PS: Beim Zeichnen werden die Flächen immer unterschieden.

StoneMan

Zitat von: Ajo II in 01. August 2011, 22:16:18
...

PS: Beim Zeichnen werden die Flächen immer unterschieden.
Das wäre einer meiner nächsten Fragen gewesen.

So aus dem Gedächtnis...  :kopfkratz:

...sowohl S. Veil, als auch L. Fiedler geben zum Zeichnen lediglich zur Darstellung von Cortex Hinweise,
nicht aber von Altflächen - oder habe ich das übersehen?

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Ajo II

Das sind alles verschiedene Bereiche:  Technologisch, Typologisch und das Zeichnen:
solche Flächen werden ,,schraffiert" (oder so :kopfkratz:) und unterschieden, ähnlich wie auch Frostsprünge. Bei  S. Veil ist es glaube ich eine Einführung ins technische Zeichnen, sehr, sehr gut übrigens trotz des Alters. Ich meine in der Niederländischen Literatur gibt es gute und aktuelle Beispiele solcher Stücke.

Technologisch: Dein Stück ist z.B. durch die verschiedenen Zeitstellungen der Altflächen kein Technotyp.

LG
Ralf

StoneMan

Was so einem "unspektakulären" Fundstück" alles zu entlocken ist.

War sehr interessant  :super: danke Ralf.


Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry