Zur Variabilität gestielter Pfeilspitzen des späten Neolithikums am Niederrhein

Begonnen von thovalo, 16. Dezember 2011, 16:03:39

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

thovalo

  :-)

Die beiden Neufunde der letzten Woche ermöglichen nun auch ein Projektil aus dem Fundaufkommen der direkt benachbarten Feldflur in die Gruppe der spätneolithisch datierenden gestielten Projektile zu stellen.

Dieser Geschosstyp ist, wie zurzeit der "Stielspitzengruppe", zwar auch in einer recht breiten Variabilität opportunistisch gestaltet.
Bei den jüngeren Geschoßspitzen erscheint die Formgestaltung nach der Vorstellung des Typus doch recht konsequent durchgearbeitet.
Dazu gehören neben einer partiell steilen lateralen Retuschierung auch retuschierte Partien in einem deutlich flacheren Winkel.
Die Retuschen sind an solchen Stücken vielmehr "begleitende "Modifikationen der vor allem durch die Grundform vorgegebene Umrißbildung.

Insbesondere in der freien Gestaltungsweise und der Verarbeitung von offenbar meist hart geschlagenen Abschlägen und stärker gebogenen Klingen stehen sich die spätpaläolithisch und spätneolithisch datierenden Geschoßspitzen grundsätzlich recht nahe.

Vom Fundplatz stammen zwei weitere gestielte spätneolithischen Pfeilspitzen, die hier nicht mit abgebildet sind.


glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

StoneMan

Zitat von: thovalo in 16. Dezember 2011, 16:03:39
...
... zwar auch in einer recht breiten Variabilität opportunistisch gestaltet.
Bei den jüngeren Geschoßspitzen erscheint die Formgestaltung nach der Vorstellung des Typus doch recht konsequent durchgearbeitet.
Dazu gehören neben einer partiell steilen lateralen Retuschierung auch retuschierte Partien in einem deutlich flacheren Winkel.
Die Retuschen sind an solchen Stücken vielmehr "begleitende "Modifikationen der vor allem durch die Grundform vorgegebene Umrißbildung.
...

Moin Thomas,

hiermit beschreibst Du einerseits den pragmatischen Aspekt, den ich stets zugrunde lege (..."begleitende" Modifikation ...durch die Grundform).
und andererseits auch eine weiterführende Entwicklung (Formgestaltung ... Vorstellung ... konsequent durchgearbeitet).

Und das ist der Bogen der sich spannt - streben nach Vollendung.

Ob es damals schon "Burn Out" gab...?  :kopfkratz:


Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Steinkopf

Hallo!

Dieser Beitrag von Thomas hat mich veranlasst, meinen 'übersichtlichen'
Bestand an neolithischen Spitzen noch einmal zu sichten. Ein Exemplar
(Es wurde hier schon einmal vorgestellt) passt in dies Schema der
'pragmatischen Herstellung'.

Ob die Zeitstellung in Norddeutschland mit der im Rheinland übereinstimmt,
kann ich jedoch bei diesem singulären Einzelfund nicht sagen.

Dabei fällt mir jetzt auf, dass der Stiel dieser Spitze aus dem Weser-Ems-Gebiet
durchaus Merkmale hat, die auch die Spitzen des Aterien in der Westsahara auszeichnen.

Schöne Grüße

Jan

thovalo

Dein Fundgebiet liegt ja direkt im Verbreitungsgebiet der Trichterbecherkultur(en)!
Gibt es da nicht bereits eine klare zeitliche Zuordnung dieses Projektiltyps ?

Die Silexvarietät ist wunderschön .....


glG thomas  :winke:


Solch ein Projektil hat auch den "Ötzi" hingerafft!

http://www.archaeologie-online.de/magazin/nachrichten/view/der-kriminalfall-oetzi-18468/


" Die Pfeilspitze, die mit größter Wahrscheinlichkeit zum Tode des Eismannes geführt hat, wurde im Süden hergestellt. Ein aktueller Materialvergleich zeigt allerdings, das solche Pfeilspitzen vereinzelt auch im nördlichen Alpengebiet auftauchen.

Die Silexpfeilspitze aus Ainring, Oberbayern ist 2,8 cm lang. Die Spitze gleicht in Größe und Form, der Spitze im Rücken des Eismannes

Bei der tödliche Pfeilspitze, deren Entnahme der Südtiroler Landeshauptmann untersagt, gibt es sehr genaue Röntgen und Computertomographie-Aufnahmen.Es handelt es sich um eine 2,8 Zentimeter große, flächenretuschierte Spitze, die an der Basis einen Schäftungsdorn aufweist. Diese Art von Pfeilspitzen ist in der kupferzeitlichen Remedello-Kultur in Oberitalien verbreitet. Das Rohmaterial ist mit größter Wahrscheinlichkeit der bekannte Feuerstein der Monti Lessini in der Prov. Verona, aus dem auch die sechs Feuersteingeräte des Eismannes gefertigt wurden.

Die von Alexander Binsteiner kürzlich abgeschlossene Materialaufnahme mehrerer tausend Pfeilspitzen aus kupferzeitlichen Fundstätten und Siedlungen (3400-3300 v. Chr.) im nördlichen Alpenraum zeigt recht deutlich, dass sämtliche Spitzen eine gerade bzw. konkav eingezogene Basis haben, ohne »Schäftungsdorn«. Bis auf momentan zwei Ausnahmen: eine gestielte Pfeilspitze in der Pfahlbausiedlung von Seewalchen am Attersee, die eindeutig der oberitalischen Remedello-Kultur entstammt und eine gestielte Spitze aus der Höhensiedlung am Auhögl bei Ainring im Berchtesgadener Land, die in die zeitgleiche Altheimer- und Mondsee-Kultur datiert. Beide Pfeilspitzen sind aus dem oben genannten Lessinischem Feuerstein hergestellt und somit eindeutig Importe aus dem Süden.

Offenbar waren in den Siedlungen des nördlichen Alpenvorlandes vereinzelt also auch aus dem Süden importierte Pfeilspitzen im Gebrauch. Wenn der »Täter« einen dieser Pfeile verwendet hat, kann er also auch aus dem Norden stammen. Das erweitert jetzt neuerdings den Täterkreis im Fall Ötzi.
"
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Servus,
@ Thomas, danke für deinen interessanten Beitrag und den archäo-kriminalistischen Forschungen die zu Özis ableben bedingt durch Pfeilschuss führten.  :super:

hier noch zum direkten Vergleich,
zwei späte gestilte Spitzen aus dem Süden der Republik bzw. dem nördlichen Alpenvorland.

Grüße
Peter

Steinkopf

Nach Thomas hat jetzt auch Peter seine Asservatenkammer geöffnet.

Schöne Stücke - schöne Bilder!

In der Nordwest-Ecke wurden in den Megalitgräbern der Trichterbecherkultur
vor allem querschneidige Spitzen gefunden. Die sind auch bei meinen
Oberflächenfunden gut vertreten.

Die Stielspitzen dürften der darauf folgenden Einzelgrabkultur zuzurechnen sein,
wie Grabungsfunde auch aus den benachbarten niederländischen Provinzen belegen.

Soviel von Tatort.

Jan

Furchenhäschen

Zitat von: Steinkopf in 16. Dezember 2011, 19:48:37
Nach Thomas hat jetzt auch Peter seine Asservatenkammer geöffnet.

Schöne Stücke - schöne Bilder!

In der Nordwest-Ecke wurden in den Megalitgräbern der Trichterbecherkultur
vor allem querschneidige Spitzen gefunden. Die sind auch bei meinen
Oberflächenfunden gut vertreten.

Die Stielspitzen dürften der darauf folgenden Einzelgrabkultur zuzurechnen sein,
wie Grabungsfunde auch aus den benachbarten niederländischen Provinzen belegen.

Soviel von Tatort.

Jan

Servus Jan,
bei dem querschneidigen Mörderzeugs kann ich persönlich leider nicht mehr mithalten!
Es gibt aber zwei Südstaatler die auch da mit Vergleichsfunden aus Bayern dienen könnten.

Grüße
Peter

Ajo II

Klasse Story und im direkten Vergleich sind sie ja besonders schön anzusehen! Hier noch eine flächenretuschierte Wiederholung:

thovalo

Zitat von: Ajo II in 16. Dezember 2011, 23:39:28
Klasse Story und im direkten Vergleich sind sie ja besonders schön anzusehen! Hier noch eine flächenretuschierte Wiederholung:

Ja,
die ist auch ein Prachtstück, doch auch einige Jahrhunderte jünger !


glG thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.