Lydit, Kieselschiefer oder einfach Radiolarit...

Begonnen von Schollentreter, 26. Februar 2009, 22:07:01

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Schollentreter

Hallo, liebe Steinartefaktesucher- & SammlergenossInnen   :winke:

ich bin ja zufällig von einem anderen Forum hier hereingestolpert und noch neu hier und weil ich gerade Ferien habe, schaue ich momentan häufig herein statt auf den wieder schnee- und frostfreien Äckern suchen zu gehen. Meine Begeisterung drüber, dass es im Netz sowas gibt, ist sehr groß. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es zwischen Alpen und Nordsee doch einige (zumal junge) Leute gibt, die sich mit dieser etwas anderen Art von Freizeitbeschäftigung befassen und dass ich nicht der einzige Verrückte bin, der mit gesenktem Blick über die Äcker tappt.
Glücklicherweise habe ich vor Ort einen Archäologischen Arbeitskreis mit erfahrenen und z.T. professionellen Leuten, die mich inzwischen schon fast 10 Jahre in der Sache anleiten. D.h. im Forum komme ich zwar als Neuling daher, habe aber schon einige Jahre Sucherfahrung nicht nur in Franken, sondern auch in Schwaben, aber auch in Namibia und Australien. Man glaubt nicht, wo das Zeug überall herumliegt 

So, und weil ich bei meiner flüchtigen Recherche hier gemerkt habe, dass für die meisten von euch unser heimischer "Kieselschiefer", der nicht autochthon ansteht, sondern als Flussgeröll vom Main herantransportiert wurde, ein eher ungewöhnliches Material ist, wollte ich hierzu mal ein paar Zeilen schreiben, um die Sache etwas differenzierter zu beleuchten.

Ich beziehe mich dabei auf einen Aufsatz von Werner Schönweiß aus den Bayerischen Vorgeschichtsblättern 60/1995 (Mainfränkisches Mittelpaläolithikum) sowie auf einen Artikel von Hans Krumm über die Petrographie schwarzer Steinartefakte aus Franken und Hessen.  (hab dazu keine Quellenangabe, vermutlich aber ebenfalls Bay. VB).

Während Krumm betont, dass Lydit ein metamorpher Kieselschiefer sei, der als kieselsäure reiches ehemaliges Sedimentgestein nach seiner Ablagerung regional durch Erhöhung von Druck und Temperatur verändert und überprägt worden ist, setzt Schönweiß die Lydite den Kieselschiefern gleich und erläutert, dass deren Farbenspektrum Übergänge zeigt "von Schwarz, Blauschwarz, bis hin zu vielen Grautönen. Selten weisen die Stücke einen grünlichen Schimmer auf." Im gleichen Atemzug schränkt er aber das Farbspektrum der Lydite als "dunkel" ein und weist darauf hin, dass man von diesen scharzen, quarzgeäderten Kieselschiefern (= Lyditen) solche unterscheiden muss, die als "homogene, schwarze Silices" eher vulkanischen, d.h. kontaktmetamorph überprägten Ursprungs sind und aus der Region der Hassberge (Nassachgebiet, Maroldsweisach etc.) sowie der Heldburger Gangschar stammen. Krumm nennt diese "fleckige Hornfelse", "Fleckenschiefer" bzw. "Knotenschiefer". Sie zeigen keinerlei Risse oder Bänderung und sind bei nur flüchtiger Betrachtung leicht mit den Lyditen zu verwechseln. Beide liegen im Maingeröll. Beide weisen eine ähnliche Härte auf. "'Unter der Lupe ist bei den kontaktmetamorphen Gesteinen im Gegensatz zu den Lyditen i.a. eine fleckenhafte Ausbildung erkennbar" (z.T. auch mit dem bloßen Auge zu sehen), manchmal sind diese Kontaktmetamorphite aber auch dermaßen feinkörnig, dass dies eben nicht der Fall ist. Lydit, also quarzhaltiger schwarzer Kieselschiefer, besitzt nach Krumm tendenziell eine geringere Dichte (um 2,65 g/cm³) als die kontaktmetamorphen Hornfelse (über 3 g/cm³).

In der Praxis unterscheidet unser Archäologenkreis eigentlich dreierlei Materialien:

1. grünlichgraue (manchmal ockerfarben geäderte/gefleckte) Kieselschiefer

2. schwarze, quarzgeäderte Lydite

3. (fleckige) schwarze, nicht quarzgeäderte Hornfelse

Ich selbst bin nach der Sichtung diverser Internetquellen dazu übergegangen, sowohl Kieselschiefer (der eigentlich gar kein Schiefer ist) und Lydit nur noch als "Radiolarit" zu führen, weil das seiner Entstehung Rechnung trägt. Der eine ist schwarz, der andere ist graugrün, je nachdem wie die Patina ausfällt, kann das Erscheinungsbild noch einmal stark variieren. Unser Radiolarit patiniert manchmal mattschwarz, manchmal matthellgrün, manchmal mattgrau, mitunter aber liegen direkt neben matten Stücken hochglänzende und man fragt sich, ob das die gleiche Zeitstellung sein kann. Verrückt.
Kommt halt jeweils auf das Ausgangsmaterial und die Bodenchemie an und sicher spielen die Temperatur und die Feuchtigkeit dabei eine Rolle. Nur um das mal zu dokumentieren: Das nachfolgende Bild zeigt einen Überblick über diverse paläolithische Radiolarit-Artefakte, die in ihrer Patinierung sehr unterschiedlich ausgefallen sind. So, damit hoffe ich, mal einen konstruktiven Beitrag geleistet zu haben.

Hoffe, ihr nehmt mir meine machmal etwas forsch wirkende Einmischung nicht allzu übel.  :belehr: Mit Schulbeginn kommende Woche wird das auch schnell wieder weniger werden.  :zwinker:

Mich würde jetzt mal interessieren, wo hierzulande überall Radiolarite (also Lydit und Kieselschiefer) gefunden werden.

Schöne Grüße allseits,

Thomas

P.S.: Achja, anbei noch ein Neufund vom heutigen Tage. Ebenfalls Radiolarit. Spätpäläolithisch. Zusammen mit viel Geröllkerngedöns, Trümmerchen und dem einen oder anderen Klingenabschlag. Guter Tag heute.  :super:





Silex

Das schürft tief, Thomas!
Als lokaler Sucher in der Oberpfalz (der leider nur kurz mit W. Schönweiß Austausch treiben durfte) kann ich nur von heimischen Eigenfunden an der Naab berichten, die angeblich dieses Material auch im Flussgeröll bis hierherwalzte. Eine  besondere "Eigenschaft" dieses Rohstoffes im hiesigen Fundgut ist die fast 100% ig determinierende bezüglich der Zeitstellung. Nämlich immer Endpaläolithikum.
Deine beiden , letzten Fotos zeigen ein fast zu ideales Material . Bei uns  glimmts einem so seltsam blaugrünanthraziten entgegen - mit oft vielen Bruchlinien....quarzgeädert- die Hauptverwendung waren hier kurze Klingen..... nie Kratzer, Stichel.
Ein seltsames Material...da wo die Schneiden scharf auslaufen denkt man immer an GLAS.
Schön dass Du den Weg hierhergefunden hast


Gute Nacht
vom
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Hallo Thomas !  :-)

Willkommen bei uns, und danke für den interessanten Beitrag !  :super:

rolfpeter

Servus Thomas,

herzlich willkommen im Forum bei den Steinfreunden!

Danke für Deinen ausführlichen Beitrag. Bei uns im Rheinland sind Artefakte aus Kieselschiefer eher eine Seltenheit. Das Material kommt im Schotter zwar reichlich vor,  wurde aber nicht zu Grundformen und daraus resultierenden Produkten verarbeitet.
Eine Ausnahme gibt es bei den altneolithischen Dechselklingen. In der Gegend von Mons, südlich von Brüssel gibt es ein Vorkommen von schwarzem Kieselschiefer, dem Phtanit d'Ottignies. Vereinzelt kann man Dechsel aus diesem Material im Rheinland finden. Es hat natürlich kulturelle Verbindungen oder Handelsbeziehungen zu den westlichen Nachbarn gegeben. Auf den südlimburgischen LBK-Stellen im Maastal ist der Anteil an Dechseln aus Phtanit auch wesentlich höher als hier bei uns.
Ich habe Fotos von Dechselklingen aus Phtanit und ein Kieselschieferstück, wie es bei uns im Geröll vorkommt, angehängt.





HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Schollentreter

Hallo und danke für den bebilderten Beitrag!

Altneolithische Dechselklingen, mitunter von minderer Qualität, tauchen hier in Mainfranken auch gelegentlich auf. Sind aber eher aus Tonschiefer.
Unser Maingeröll aus Radiolarit ist absolut identisch. Im Grunde kein besonders hervorragender Werkstoff, dennoch im Paläolithikum als lokale Rohstoffquelle zur Werkzeugherstellung recht beliebt. Allerdings musste sich das Werkzeuginventar von seiner Form her an die vergleichsweise (etwa zu Flint oder Hornstein) geringere Qualität anpassen. Das schlägt sich dann z.B. in Größe und Formgebung nieder; z.B. hat man bei den mittelpaläolithischen Bogenschabern und Keilmessern häufig einseitig einen Cortexrest als Rand gelassen. Aber auch in den verhauenen Stücken. An den Niederterrassen, aber auch abseits findet man immer wieder auch probeweise angeschlagenes und wieder verworfenes Geröll aus dem Material. Im Spätpaläolithikum dringt Feuerstein als Rohstoff ein, der bei uns im Mesolithikum von (oft getemperten) Jurahorstein abgelöst wird (gilt hier als absolut verlässliches Zuordnungskriterium), Radiolarit läuft aber durch, auch als Mikrolith. Im Neolithikum wieder verstärkt diverse Arten von Feuerstein (auch mal der Plattige von Abensberg), zum Ende hin aber auch wunderschön beidseitig flächenretuschierte Pfeilspitzen.

Grüße,

Thomas

Silex

Das freut mich, Thomas, zu erfahren dass  Lydit auch bei euch als "absolut verlässliches Zuordnungskriterium" für die Unterscheidung von Spätpaläolithikum  zu Mesolithikum  gültig ist.
So kleine , scheinbare Randinformationen mit "Belegtendenz" helfen  bei der Suche immens weiter.
Bis bald

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Schollentreter

@ Silex: Obacht, nicht "Lydit" ist ein verlässliches Zuordnungskriterium fürs Mesolithikum, sondern getemperter Jurahornstein. Wennde den bei uns findest, weißte, dassde es  hier mit Mesolithikern zu tun hattest. Kieselschiefer läuft durch, auch als Mikrolith oder, das hatte ich oben vergessen rüberzubringen, als flächenretuschierte endneolithische Pfeilspitze. Im letzten Sommer fanden sich in einer merowingischen Ausgrabung sogar Kieselschiefer-Abschläge.

Grüße,

Thomas