retuschierte Klinge, welche Funktion?

Begonnen von cragar, 21. November 2005, 23:20:30

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

cragar

Hallo Freunde der Artefakte ...eine 45 mm lange retuschierte Klinge läßt mich fragen....wofür hat man sie benutzt?? Kleine Klinge mit Mittelgrat...eine Seite scharf, retuschiert und eine Seite stumpf retuschiert...wie ein Kratzer/Schaber....Habe das Stück diesmal kurz unter den Wasserstrahl gehalten...aber auf der stumpf retuschierten Seite blieben Anhaftungen....die ich mit den Fingern nicht so leicht abreiben kann... Sind das jetzt Pechreste??? Wie kann ich solch ein Werkzeug benennen...... Über Eure Antworten freut sich cragar

cragar


cragar

...das schmalere Ende im Detail...an dieser Stelle etwas feiner retuschiert.... hier kaum Anhaftungen...

Der Wikinger

Hallo Cragar  :-)

Da gibt es, wie ich das sehe, nur zwei Möglichkeiten:

Klingen-Messer
....oder
Klingen-Sichel, wie diese:

http://www.biopix.dk/Photo.asp?Language=da&PhotoId=9978

Ich glaube, dein Stück könnte länger gewesen sein, oder ??
Die Sichel erkennt man oft am Gloss, eine markante Blank-Schleifung der Schneide.

Diese Messer / Sichel wurden besonders in der Neolithischen Fase verwendet, bei uns wurde die Sichel auch in der jüngeren Bronzezeit !!! produziert. Dann oft sehr grosse, breite Klingen.


cragar

...agersoe, vielen Dank für Deine schnelle Bestimmungshilfe!!! Die Schlagseite mit leichtem Bulbus ist die schmalere Seite...die Klinge verbreitert sich dann......, möglich, das die Klinge ursprünglich länger war....aber der Mittelgrad endet hier!!! Scheint ehemals in eine 2-gratige flache Spitze übergegangen zu sein....?? JEDOCH: Auf der einstigen "Bruchfläche" findet sich genauso eine zähe dunkle Schicht, wie auch auf der gestumpften Schneidenseite...... spricht das nicht für eine alternative/neue Verwendung? ....die dunklen Anhaftungen sind nicht einfach mit Wasser abzuwischen, hab es noch einmal probiert...wie sonst die üblichen Erdreste.....Kann das Pech sein, von dem Du schon einmal, bei anderer Gelegenheit gesprochen hast??? Warum überhaupt hier solche Pechreste??? Ganz schön viel Fragen stellen sich mir hier....Freundliche Grüße von cragar :winke:

Der Wikinger

Cragar  :-)

Jetzt wird es natürlich ein bisschen Theoretisch:

Ich kann nicht beurteilen ob es nun Pech ist, das könnte man wohl unter einer Stereoluppe feststellen.

Man hat viele Theorien, wie diese Sicheln geschäftet waren.
Wenn es so eine Sichel ist, ist die Vermutung, dass es Pech sein könnte logisch.
Hier ist der Vorschlag:



cragar

....Klinge rückseitig eingesetzt! Das leuchtet mir ein..... denn so ein grob gestumpfter/retuschierter Klingenrücken, wie bei meinem Stück, macht ja sonst keinen Sinn... Du hast gleich ein passendes Bild dazu parat, wunderbar! Dem unermüdlichen Berater agersoe... dankt cragar von der Weser... :winke:

Ich hoffe, das ich dieses Forum nicht langweile mit meinen Kleinfunden .... :zwinker: aber, wenn ich mal Zeit finde, suche ich aus meinen unzähligen Kartons auch mal was richtig Feines heraus... habe schließlich unendlich viele Jahre gesucht....und nie etwas gezeigt....!

rolfpeter

Moin cragar,
ich stimme agersoe zu, ich glaube auch an einen Erntemessereinsatz. Es gibt auch andere Modelle, bei denen mehrere kürzere Klingen in das Halterholz eingeklebt sind. Wie agersoe schon schreibt, ist bei einer Verwendung als Erntemesser häufig ein sog. Sichelglanz zu erkennen. Sichelglanz entsteht, oft schon nach relativ kurzzeitigem Gebrauch, wenn mit Silexwerkzeigen kieselsäurelaltiges Getreide oder Schilf geschnitten wird.

Gruß
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

cragar

Hallo rolfpeter :winke:! Wie erkenne ich Sichelglanz, als Laie....wenn ich keine Vergleichsstücke gesehen habe.... ?? Es grüßt dich freundlich cragar

Der Wikinger

Hallo Cragar  :-)

Wenn Sichel-glanz (gloss) da ist, erkennst du es einfach, wenn du dass Gerät schräg ins Licht hältst, wie auf der Sichel auf diesem Foto.


Der Wikinger


rolfpeter

Klar, es ist einfach glänzend, wenn man es im Licht spiegelt. Außerdem ist die Schneide nicht mehr so scharf wie an einer frisch geschlagenen Klinge. Es fühlt sich ein wenig "verrundet" an.

Gruß
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

cragar

...agersoe, Sichelglanz, so wie auf deinem Bild, kann ich nicht entdecken, auf meinem Stück....aber für die Zunkunft weiß ich Bescheid, thanks a lot!! Allerdings ist bezgl. der Oberfläche schon ein Unterschied zu erkennen.... ALSO: Die grob retusch. Seite ist total matt. Dagegen ist ein leichter (!) Glanz zur fein retusch., scharfen Schneide schon zu beobachten, auf VS und RS gleichermaßen.... ich möchte sogar behaupten...nur dort wo die feine Zähnung sitzt...befindet sich feiner Glanz. Ist aber schwierig zu erkennen.... Auf Mineralienbörsen, die ich gerne besuche, finden sich ja immer noch Mengen von Artefakten aus Morokko und der lybischen Wüste.....hier ist der schönste Glanz zu finden...allerdings nat. Ursprungs: Wind und Sand haben auf den Wetterseiten manchmal fast glasartige Oberflächen geschaffen........ Gibts hier im Forum Sammler, die sich mit nordafrikanischen Artefakten beschäftigen??? Ist das hier auch ein Thema? Ich hab schon von einigen Leuten gehört, die dort hinreisen...der Artefakte wegen.....Abendliche Grüße von cragar :winke:

Der Wikinger

Hallo Cragar

Ich möcht mal nur kurz sagen, dass ein Stück sehr wohl eine Sichel sein kann, obwohl es keinen Glanz hat.

Ich habe viele Funde von Sicheln gemacht, nur einige wenige haben Sichelglanz.



cragar

Ach so, ....gut zu wissen.. Danke, agersoe!

Khamsin

Moin!
Hier einige Bemerkungen zur Terminologie, so, wie sie bei den Archäologen - zumindest einigen der einsichtigeren Sorte, und die gibt es glücklicherweise auch - mittlerweile akzeptiert sind.
Klingenabschnitte mit sog. Sichelglanz werden traditionell als "Sichelklingen" bezeichnet. Freilich, eine Sichel ist ein Erntegerät, das in einer Hand geführt und mit einem Schwung, wie eine Sense, bewegt wird. Wegen der grossen Schärfe der (gedengelten) Metallsicheln ist das auch machbar.

Bei den steinzeitlichen Erntemessern ist das jedoch anders, egal, ob die Klingenabschnitte eine durchlaufende oder eine winkelig abgesetzte "gezahnte" Schneide bilden. Und selbst bei solchen Stücken, bei denen nur eine grosse gerade Klinge in den Holzgriff eingesetzt ist, kann man das Gerät nicht erfolgreich mit einem Schwung führen; dazu ist es einfach nicht scharf genug.

Deshalb werden die steinzeitlichen Geräte korrekt als "Erntemesser" bezeichnet, so, wie dies RP getan hat und tut - was mich natürlich mittlerweile nicht mehr wundern kann! Konsequent werden die steinernen Einsätze als Einsätze von Erntemessern oder Elemente von Erntemessern bezeichnet.
Zum fraglichen Stück: Es ist bezeichnend, dass es sich um ein mittleres (mediales) Klingenbruchstück handelt. Gleichermassen bezeichnend ist die steile Stumpfung einer Längsseite. Und - um das Mass voll zu machen - ja, ich möchte fast wetten, dass die anhaftenden Spuren letzte Reste des universellen Steinzeitklebstoffes "Birkenpech" sind.
Nichts gegen den Einsatz einer Stereolupe, aber eine verbindliche Bestimmung kann nur durch eine naturwissenschafltiche Analyse, und zwar nach neuester Erkenntnis durch GC/MS-Analyse, vorgenommen werden (Gas-Chromatographie/Massen-Spektrometrie)! In Deutschland haben sich da zwei Laboratiorien als ausgesprochen erfolgreich erwiesen, 1. Doerner Institut München (Baumer & Koller) und 2. Fachhochschule Coburg (Ruthenberg), wobei die Reihenfolge nicht qualitativ gemeint ist!!! Last but not leat darf man den Dean der Pech-Forschung nicht vergessen, Prof. Sauter, Techn. Univ. Wien (Ötzi lässt grüssen).
Kurz und gut, das hier gezeigte Stück scheint mir mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit eine Erntemessereinsatz zu sein. Dabei würde es mich nicht wundern, wenn es eines der Erntemesser mit winkelig eingestzten Elementen gewesen wäre, was eine Datierung tendenziell in das frühere Neolithikum favorisieren würde. Um das besser beurteilen zu können, müsste man sich das Stück auf die flächige Verteilung des Klebemittels genauer betrachten, was am Bildschirm nicht möglich ist. Ist die Verteilung symmetrisch zur Längskante, dann war es kein gezahntes Erntemesser, ist sie asymmetrisch zur Kante, d.h. diagonal zur Fläche, dann war es ein gezahntes Exemplar.
Beste Grüsse

 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger

Hallo Khamsin  :-)


Naja, dieses Thema kann sich ja schnell zu einer Sprachdiskussion entwickeln, möchte aber dennoch folgendes Bemerken:

@Khamsin:  Klingenabschnitte mit sog. Sichelglanz werden traditionell als "Sichelklingen" bezeichnet. Freilich, eine Sichel ist ein Erntegerät, das in einer Hand geführt und mit einem Schwung, wie eine Sense, bewegt wird. Wegen der grossen Schärfe der (gedengelten) Metallsicheln ist das auch machbar.

In meiner Sprache bezeichnet das Wort Sichel (segl) eher die Funktion, eine kurze Klinge mit der man erntet, und ist so nicht nur mit einem bestimmten Gerät mit einer bestimmten Funktionalität verknüpft. Deshalb wird das Gerät wohl auch immernoch (segl) Sichel genannt.

Die Aussage, dass eine Flintklinge dafür nicht scharf genug wäre, kann nur von Theoretikern ausgedacht sein, die nie die Schärfe des neugeschlagenen Flintes gefühlt und ausprobiert haben.

In allen anderen Aspekte erkläre ich mich einig.




cragar

#17
Hallo Khamsin, hallo agersoe! Interessante Thematik...! Der vermutl. Pechrest befindet sich NUR auf der grob gezahnten Seite...parallel zum Mittelgrat...und auch nicht über den Mittelgrat hinaus..... ABER: im ersten Drittel fehlt der Pechrest..... dort wo sich die Klinge verjüngt. Habe ich deshalb kein gezahntes Erntemesser... sondern einen (normalen) Erntemessereinsatz vorliegen?? Vielen Dank für die freundliche Bestimmung meines Fundes...... :winke: cragar

Khamsin

Moin!
@agersoe: Selbstverständlich ist mir die unglaubliche Schärfe frisch geschlagener Flintartefakte, genauer deren Kanten, seit Jahrzehnten bekannt. Hab selbst Tausende hergestellt und mich oft genug geschnitten, um das zu wissen.
Aber hier geht es um Handhabung einer Sichel gegenüber einem mit steinernen Elementen ausgestatteten Ertemesser. Dazu gibt es genug praktische Experimente. Und die zeigen eindeutig, dass man mit einer Sichel in klassischer Einhandführung mit einem Schwung z.B. Gras schneiden kann. Mit einem Erntemesser der hier gemeinten Form ist ein vergleichbares Ergebnis nicht zu erzielen. Vielmehr muss man mit einer Hand das Schnittgut bündeln und dann die Halme unterhalb der Greifhand und in Körperrichtung, also auf sich zu durchtrennen. Auf dieser Basis ist die terminologische Trennung zwischen Sichel und Erntemesser zu verstehen.
Beste Grüsse
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger

Alles klar, Khamsin !!

Wir sind uns einig  :-D