Kernbeil - mit speziell gearbeiteter Schneide

Begonnen von Steinkopf, 25. April 2023, 01:43:25

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Steinkopf

Hallo,

dieses Fundstück von der dänischen Ostseeküste trägt noch die fast schwarze Patina, die unter Wasser entstehen kann.

Es entspricht bei Peter Vang Petersen der Nummer 146 und zeichnet sich durch eine spezielle Zurichtung der Schneide aus (specialiseret aeg).

Die Schneide ist durch Retuschen die parallel vom Ende ausgehen, verfeinert.
Diese Form der Schneide ist typisch für die letzte Phase der Erteböllekultur. 
Zwar sind Beile dieses Typs noch ohne Schliff aber es ist schon eine zarte Entwicklung in Richtung der später folgenden neolithischen Beile,
die  durch das Überschleifen natürlich sehr viel feiner gearbeitet sind.

Schöne Grüße

Jan



RockandRole

Hallo Jan,

ein wirklich sehr ansprechendes Stück, was du uns da servierst. Sowas gibt es bei uns ja bekanntlich nicht. Aber das ist ja auch nicht schlimm, wenn man das hier so toll beschrieben gezeigt bekommt.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Danske

Moin Jan,

wow, das ist ja ein ganz feines Stück, was du uns da zeigst. Vor allem die Färbung ist eine Augenweide :super:

Sind die Kernbeile mit spezialisierter Schneide zweiseitig oder vierseitig oder gibt es beide Typen? Text und Abbildungen bei PVP sind nicht eindeutig.
Dein Stück scheint im Querschnitt spitzoval, also zweiseitig zu sein.

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

thovalo



Ein toller Fundbeleg und nordisch by nature!  :winke:


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

ZitatSind die Kernbeile mit spezialisierter Schneide zweiseitig oder vierseitig oder gibt es beide Typen? Text und Abbildungen bei PVP sind nicht eindeutig.

Ich vermute nur zweiseitig. In einem anderen dänischen Bestimmungsbuch ist das 'Kernökse med särlig ägbehandling (specialiseret)' auch in Seitenansicht abgebildet und ist dort klar als zweiseitig erkennbar.

Ausserdem schreibt Lutz Klassen in einem Buch über die Entwicklung der nordischen geschliffenen Fintbeile:

ZitatVon besonderer Bedeutung ist die Feststellung, dass das vierseitige Beil technologisch im Norden völlig fremd ist und keinerlei Vorläufer weder im mesolithischen Beilbestand noch in den spitznackigen geschliffenen Beilen des Typs 1 hat.

Viele Grüße
Michael

Danske

Guten Abend Michael,

danke für die Informationen.

Die Zweiseitigkeit ergibt sich andeutungsweise auch aus der Textpassage im PVP, Nr. 146: "Der Querschnitt der Beilklinge ist normalerweise symmetrisch und gewölbt".

Damit wäre das spitznackige zweiseitige Beil Typ 1 wohl die Entwicklung aus dem Kernbeil mit spezialisierter Schneide.

Liebe Grüße
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Wiedehopf

Hallo Holger,

ZitatDamit wäre das spitznackige zweiseitige Beil Typ 1 wohl die Entwicklung aus dem Kernbeil mit spezialisierter Schneide.

Das ist ein interessantes und hochkomplexes Thema zu dem es etliche Theorien gibt, die man in zwei Hauptkategorien unterteilen kann: eigenständige Entwicklung der spitznackigen Flintbeile im Norden aus den Kernbeilen der Erteböllekultur oder externer Ursprung der spitznackigen Beile durch Anregung bzw. Vorbilder aus dem Süden. Einen sehr guten Überblick gibt das schon zitierte Buch von Lutz Klassen vom Moesgärd Museum (ich hatte das hier schon mal in den Literaturempfehlungen kurz beschrieben).

Das geht es dann um Fragen wie:
- warum vollständiger Schliff des sehr schwer zu bearbeitenden Flints wo doch für einen technischen Vorteil das Schleifen der Schneidenpartie ausgereicht hätte ?
- wie kann denn eine Weiterentwicklung vorliegen, wenn die Kernbeile quer geschäftet wurden, die spitznackigen aber parallel ?       

Um es kurz zu machen: Klassen sieht bei den ersten spitznackigen nordischen Beilen eine Entstehung durch die Nachahmung importierter Prestige- oder Luxusgüter, nämlich der spitznackigen Beile aus alpinem Jadeit, bzw. von Kopien solcher Beile durch die Michelsberger in Amphibolith.

Die frühen dünnackigen Flintbeile interpretiert er ebenso als Kopien von Luxusimporten, nämlich rechteckigen Kupferflachbeilen, die somit die Vorlage oder Anregung für die dann im Norden so meisterhaft hergestellten vierseitigen Flintbeile gewesen sind.

Aber, wie gesagt das ist nur eine von mehreren Theorien.

Viele Grüße
Michael         
   

Danske

Wirklich sehr interessant, Michael, vielen Dank für deine Ausführungen.

Ich glaube, ich werde mir das erwähnte Buch von Lutz Klassen besorgen. Ist der Titel: "Jade und Kupfer" ?

LG Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Steinkopf

Moin Daniel, Holger und Michael,

dieses Kernbeil ist durchaus vierseitig. Auf dem letzten Bild ist eine 'Flanke' zu sehen.
Die gegenüberliegende
Flanke ist etwas ungleichmäßiger geraten.

Für Kernbeile wurden augenscheinlich (und nach PVP) passende Roh(flint)Stücke genommen,
die mit wenigen Abschlägen geformt werden konnten. Je nach Drehung ergab sich dann ein eher
'rhombischer' oder oder 'symmetrischer' Querschnitt. In diesem Fall symmetrisch.

LG
Jan

Wiedehopf

Moin Holger,

ja, das ist das Buch.

Viele Grüße



Danske

Hallo Jan,

auch dir danke für die Information zu deinem Fundstück. Also scheint es doch beide Formen gegeben zu haben, je nach Gegebenheit des Rohstücks. Wesentlicher Unterschied zu den anderen Typen von Kernbeilen war die Zurichtung und Nachschärfung der Schneide.

LG Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.