Gestielte Pfeilspitze

Begonnen von rolfpeter, 19. November 2008, 20:26:22

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rolfpeter

Servus Freunde,

da findet man mal eine gestielte Pfeilspitze....und dann isse verbrannt  :heul:

Das Ding stammt aus dem Dunstkreis Jülichs. Dort gibt es sehr spätes Neolithikum, Lousberg-Beile, Lousberg-Abschläge, aber keine großen Rijckholt-Klingen. Wir befinden uns zeitlich in einem sehr späten Michelsberg oder sogar in einer jüngeren Epoche. Die Niederländische Grenze ist nicht weit entfernt, und so ziehen wir die Literatur der holländischen Freunde zu Rate. Im sehr umfassenden und m.e. ebenso empfehlenswerten Werk "Nederland in de Prehistorie", herausgegeben 2005 von L.P. Louwe Kooijmans, P.W. van den Broeke, H. Fokkens und A. van Gijn gibt es auf Seite 207 eine Grafik der chronologisch-geografischen Verbreitung der neolithischen Kulturen in den Niederlanden und der weiteren Umgebung. Ich habe die Tafel mal abfotografiert, ist zwar holländisch, aber bis ins ferne Bayern ohne Dolmetscher interpretierbar.
(Das Buch kann man sich zu großen Teilen in engl. Übersetzung vom Server der Reichsuniversität Leiden herunterladen. Es behandelt die gesamte Ur- und Frühgeschichte vom Paläolithikum bis zu den Metallzeiten der "Niederen" Lande - sehr empfehlenswert!)



Der Fund stammt, so ist zumindest meine Vermutung, aus der Zeit zwischen 3500 und 3000 v.Chr. Ich lehne mich noch ein wenig weiter aus dem Fenster und behaupte, er gehört zur Vlaardingen-Gruppe. Nun liegt der namengebende Fundplatz zwar in Holland, direkt bei Rotterdam, aber die Analyse des dortigen Stein-Inventars hat ergeben, daß ein Großteil des Rohmaterials aus (von dort) südlichen Gefilden stammt. Auch sind in der Grube 39 aus Hasselsweiler1 (Jülicher Gegend) Funde der Vlaardinger Kultur ausgegraben worden. Es gab also Verbindungen bis in die niederrheinische Tiefebene. Das sollte uns nicht wundern. Was heute die Autobahnen und Schnellverkehrswege sind, waren damals die Flußläufe. Es war sicher einfacher, Güter über die Rur zu transportieren, als die unendlich großen, vielleicht auch gefährlichen Wälder zu durchqueren.

Hier ist ein Bild aus Lauwe Kooijmans Betrachtung "Tussen SOM en TRB, einige Gedachten over het Laat-Neolithicum in Nederland en Belgie" (Zwischen Seine-Oise-Marne und Trichterbecherkultur, einige Gedanken über das Spätneolithikum in den Niederlanden und Belgien). In seinem Schlußsatz bringt er es auf den Punkt: "Ob wir in Zukunft sogar von einem Wartberg-Stein-Vlaardingen-Komplex sprechen sollen, der dann einen großen Teil von Mitteldeutschland umfaßt, werden uns neue Funde zeigen...."



Nicht weit von der Fundstelle kommen diese beiden Spitzen her:

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,31590.0.html
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,25836.0.html

Nach Rücksprache mit dem AmV deuten die auch ganz klar ins Spätneolithikum.

So, und nun der eigentliche Fund von heute:





Die Maße: 24*20*5 mm
Gewicht: 1,6 g
Das Material ist dank Verbrennungen 4.Grades nicht mehr zu bestimmen.

Die Adresse des Dokumenten-Servers der Reichsuniversität Leiden:
https://openaccess.leidenuniv.nl/handle/1887/9731/browse-date

Ich hoffe, es war nicht zu viel Lokalkolorit und Hypothese, aber ich hoffe, ich bin auf dem richtigen Dampfer  :zwinker:

HG
RP




Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Da kann man nicht mehr viel dazusenfen....außer dass es wohl ein außergewöhnlich interessantes Fundstück ist.
Die Feuereinwirkung stuft   eher noch eine Geheimniszutat hinauf....
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

arriba

Hi RP

Schau dir mal die Brüche auf beiden Seiten an  ... die arme Socke die da ihre Zähne reingejagt hat  :zwinker:  Ich weiss noch wie wir früher immer vorsichtig den Fasan kauen mussten um nicht auf Hagelkörner zu beissen   :irre:   ... ich möchte nicht wissen wie die zahnärztliche Versorgung damals war ..... Schöner Pfeil, schöner Bericht   :super:  ... ob verbrannt oder nicht  :smoke:


:winke: Rikke

Khamsin

Moin!

Nach Edi "...kann man nicht mehr viel dazusenfen....". Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Und woran uns RP hier teilnehmen lässt, ist schon beeindruckend!

Vielleicht doch noch eine Anmerkung zum Anspornen:

Wer liest, eignet sich Wissen an. Wer viel liest, weiss im Laufe der Zeit immer mehr. Trivial, ja, aber es trifft eben zu! Und das gilt natürlich nicht nur für Sammler und ist unabhängig vom jeweiligen Sammelgebiet, sondern es trifft gleichermassen zu für Archäologen...

Und wer dann als Sammler dieses Wissen mit den eigenen Funden, den Merkmalen seiner Fundplätze etc., etc., etc. verbindet (bzw. als Archäologe mit den von Sammlern präsentierten Funden) und dabei noch Fragen stellt bzw. Schlüsse zieht, dem eröffnen sich Einblicke in - hier eine ferne - Welt, die sich als zufriedenstellendstes und anstrebenswertestes Ergebnis des Sammelns (oder des Forschens) darstellen.

Aber dazu muss man natürlich nicht nur einen Jibber auf Funde haben, sondern auch eine grosse Portion Neugier auf das, was sich hinter jedem (!!!) dieser Funde, und zwar nicht nur den schönen, vollständigen Stücken, sondern auch kleinsten "Fitzelchen" bzw. den sich im Laufe der Zeit vergrössernden Fundplatzensembles verbirgt. Was daraus folgt? Nun, Sammeln ist nicht gleich Sammeln (und Forschen nicht gleich Forschen)...

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"