Nachlese auf einem mesolithischen Fundplatz

Begonnen von thovalo, 07. Juni 2015, 13:23:36

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thovalo



Zwischen dem Norden des "Bergischen Landes" (Die Bezeichnung für den Herrschaftsbezirk der Herzöge von Berg) und dem Ruhrmündungs- gebiet gab es bis in die 90er Jahre hinein eine markante Lücke in Bezug auf die Nachweis spätpaläolithischer und mesolithischer Fundplätze. Seitdem sind drei Fundstellen entdeckt worden. Diese liegen gestaffelt auf glazialen Dünen, einmal auf der Mittelterassenkante (mehrphasig: Federmesserkultur - mehrphasiges Mesolithikum), einmal direkt im Auenbereich des Rheinlaufs (vermutlich auch spätpaläolithische Aufenthalte - stark ausgeprägt das Endmesolithikum mit Trapezmikrolithen) - und einmal im Bereich der Niederterasse von dem die hier angehangenen Beispiele von Gestern aufgelesenen Fundbelegen stammen (ggf. spätes Paläolithikum - frühes Mesolithikum).


Gestern habe ich die Fundfläche in sieben Stunden in parallelen Bahnen von ca. 30 cm Abstand voneinander im langsamen Schritttempo zum 6. Mal begehen können. Der Boden ist immer noch nicht abgeregnet und in faust- bis haselnussgroße Erdbrocken aufgebrochen. Das ist eine hoch ungünstige Begehungssituation für Funde deren diagnostische mikrolithische Artefakte hier kaum einmal 3. cm Länge erreichen.

Bei abgeregneter Oberfläche wäre hier wohl mit dem Hundertfachen an Fundbelegen und mehr zu rechnen.

Bislang fanden sich drei Belege von Rückenmessern, die eine frühere Zeitstellung mit offen lassen, denn dieser Artefakttyp ist bereits für das Jungpaläolithikum von diagnostischer Bedeutung. Zudem gibt es eine weitere Auffälligkeit die möglicherweise für eine Zwei-oder Mehrphasigkeit des Fundinventars spricht. Das ist die Aufteilung der Funde in einen Anteil intensiv weiß patinierter und nicht patinierter Artefakte. Die Patinierung bildet an den Fundbelegen eine deutlich ausgeprägte opak-weiße "Schicht" der Außenflächen. Diese fühlt sich seidig glatt an und glänzt gleichzeitig seidig matt. Diese Art der Patinierung entspricht nach heutiger Vorstellung einer glazialen Überprägung. Die ist immer auch von den jeweiligen spezifischen regionalen Umständen abhängig. Jedenfalls ist dies ein markantes Unterscheidungsmerkmal im Fundinventar.

Es kann auch sein, dass ein Teil der Artefakte lange Zeit noch offen an der Oberfläche gelegen hat und patinierte und ein anderer Teil bereits früh in das Erreich gelangt und dort unpatiniert geblieben ist.

Verbrannte Silices fanden sich im Fundaufkommen bislang nur vereinzelt. So war es erfreulich, dass Gestern erstmalig auch ein verbrannter Kernstein mit aufgelesen werden konnte. Möglich Konzentrationen verbrannter Silices werden als mögliche Indikatoren für Feuerstellen in der Fundverteilung angesehen.

Im Wesentlichen wurde "nordischer" Geschiebefeuerstein verwendet der im Bereich des "Düsseldorfer Lobus" bei Ratingen-Breitscheid in ausreichender Größe und guter Bearbeitungsqualität vorkommt. Die "nordischen " Ablagerungen von Silices im linksrheinischen Raum Krefeld sind dem gegenüber stärker zerrüttet und vergleichsweise wenig qualitätsvoll. Daneben wurde ein geringer Anteil von Maaseisilex verarbeitet, der in geeigneter Bearbeitungsqualität in den Schottern des Rheinlaufs regional aufgelesen werden konnte. Die gut gelaufenen Abschläge bestehen oft aus Bryozoenfeuerstein der von allen Geschiebesilices aus dem Norden die homogen am besten strukturierte Silexvarietät bildet.


In Anbetracht des extrem weit zurück liegenden Zeitraumes ist die Anzahl der unter ungünstigsten Begehungsbedingungen aufgelesenen Artefakte doch erfreulich.


Eine bemerkenswerte Zufallsbeobachtung ist der Beleg einer kleinformatigen, natürliche entstandenen "Steinperle".
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo




Die 5 neu aufgelesenen Kernsteine, darunter ein verbrannter (Unten links), ein sehr kleiner (Oben rechts) und ein sehr feiner (Oben links)!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Exemplarisch drei Belege von patinierten Abschlägen.



Links: ein primärer Abschlag aus Bryozoenfeuerstein

Mitte: ein Abschlag aus einer weitergehenden Abbauserie ebenfalls aus patinierten Bryozoenfeuerstein (die Distalpartie ist rezent abgebrochen)

Rechts: die Medialpartie eines vollkommen, also auch im Bereich der Bruchflächen, alt patinierten Abschlags, dessen Silexvarietät nicht identifiziert werden kann.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Bedenke ich, wie extrem selten ich selber solche Gesteinstücke in rundlicher Form, die tatsächlich als Anhänger oder Perle dienen könnten selber bemerke, ist dieser Fundbeleg auf diesem speziellen Fundplatz zumindest im wörtlichen Sinne: "des Bemerkens wert"!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.