33.2.45 Schaber

Begonnen von fuchs, 28. Mai 2010, 08:05:53

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fuchs

Hallo Forum,
gestern hatte ich richtig Massel. Nur der Dorsalgrat schaute ein wenig aus dem Acker. Fundort ist die Fortsetzung des Trockentals 33.1. Gefunden am leicht erhöhten Hang auf kiesigem Löß. Vorläufige Bestimmung durch den Direktor des Ärchäologischen Museums Rheindahlen:
Mittelpaläolithischer Schaber mit jüngerer Kratzerkappe.
:smoke: :smoke: :smoke: :smoke: :smoke: :smoke: :smoke:

Moonk

Hallo Fuchs.
Glückwunsch, nur ich bin ein wenig verwirrt (wie immer), nach welchen Kriterien hat der Direktor das Stück den als "Mittelpaläolithischer Schaber mit jüngerer Kratzerkappe" erkannt. :idee:
Bitte gib uns die Maße des schönen Stückes noch. :friede:
Was muss ich mir unter "jüngerer Kratzerkappe" vorstellen, ist die dann im Mesolithikum (Neolithikum) erst angebracht worden oder von einem Pflug in der Neuzeit. :kopfkratz:
HG Moonk :smoke:
Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

Silex

Schaut aus wie ein "Abschlag" mit neuesten (Pflug)Retuschen, Fuchs.
Hat der Experte das Ding in der Hand gehalten?

HG
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger


Ja, Fuchs ... die "Retuschen" sind wirklich sehr zweifelhaft !  :kopfkratz:

thovalo

#4
Du wirst mich "erschlagen"!  :engel:

:glotz: Die "Retuschen" erscheinen technologisch eher als "Ausbrüche" und liegen offensichtlich auch im Bereich der vermeintlichen "Kratzerkappe" zugleich entlang des VENTRALEN Kantenverlaufs!

So sehen in der Regel Punkte aus, die irgendwie einen Schlag oder Druck abbekommen haben und der partiellen Verrundung zufolge kann das bereits auch im Gletschergeschiebe passiert sein. Das sind bei genauen Hinsehen "Bestoßungen" und keine intentionell angelegten oder durch Gebrauch entstandene "Retuschen"!

Als Schaber wir in der Regel ein längs des Kantenverlaufs weit durchlaufend und in der Regel zur Dorsalfläche hin lateral retuschiertes Artefakt definiert.

Auch der "Bulbus" wirkt diffus und weniger nach einem klar ausgeprägt intentionellen Abschlag!


Doch hast Du zur Einschätzung ja auch klar "vorläufig" geschrieben!


Würde da bei dem insgesamt über mehrere Phasen hinweg stark ausgefransten Randumlauf auch lieber auf Nummer sicher gehen!

LG   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

fuchs

#5
Hallo miteinander,
1.) Hier die Maße: L 65mm; B 41 mm; D 15 mm. Asche auf mein Haupt.
2.) Das ganze Stück ist mit einer weißlich-gelblichen Glanzpatina überzogen. Diese ist mit der ausschlaggebende Punkt für die zeitliche Einordnung. (Im Rhein-Maas-Gebiet besteht diese Möglichkeit neben der Formenkunde, so kann sogar Abschlagmaterial zeitlich bestimmt werden.)
Die Patina ist auf der Dorsalseite stärker ausgeprägt, dort ist auch der Glanz stärker. Erkennbar ist das auch durch die dunklen Einschlüsse, die ventral zu erkennen sind, dorsal jedoch nur als Grauschleier wahrnehmbar sind. Auf die "Kratzerkappe" gehe ich später ein.
3.) Wie schon in einem vorherigen Beitrag geschrieben, waren hier keine Gletscher. Natürlich kann irgendein Witzbold vor Zig-Tausend Jahren einen Stein aus irgendeiner Moräne meilenweit durch die Gegend geschleppt haben, dann an einer günstigen Stelle abgelegt haben und sich tierisch gefreut haben, irgendwann, in Tausenden von Jahren den Fuchs zu verarschen. Kann sein, halte ich aber für unwahrscheinlich.
4.) Die "Retuschen" sind bis auf rezente Beschädigungen genauso patiniert, wie die restliche Oberfläche. Ob es sich um Retuschen oder Gebrauchsspuren handelt, will ich nicht entscheiden. (Es kommen unretuschierte, dorsal retuschierte und beidseitig flächig retuschierte Schaber vor.)
5.) Im Bereich der "Kratzerkappe" sind ventral drei rezente Ausbrüche, die sich deutlich von der restlichen Fläche absetzen. Allerdings befinden sich an einer Lateralkante auch ventral  drei altpatinierte Ausbrüche. Zwei davon liegen im Bulbusbereich. Diese beiden würden Sinn machen, denn dadurch würde die Arbeitskante verlängert und dabei gerade bleiben. Das ist aber nur eine Vermutung meinerseits.
Der dritte, nicht ganz mittig liegende, ventrale Ausbruch kann alle möglichen Ursachen haben.
Die andere Lateralkante weist keinerlei Ausbrüche oder Retuschen ventral auf.
6.) Jetzt endlich zur "Kratzerkappe". Diese ist mit einer deutlich helleren, weißen, dünnen Patina überzogen. Auch hier (dorsal) ist eine rezente Beschädigung vorhanden. Sie ist nicht patiniert und stört den ursprünglichen Kantenverlauf.
Da dieser Bereich nicht die dicke Patina aufweist, dennoch patiniert ist, muß er jünger sein. Die in diesem Bereich vorhandene Patina weist jedoch auf ein gewisses Alter hin. Artefakte mit einer solchen Patina werden als Jungpaläolithisch eingestuft.
7.) Es könnte sich um eine "Kratzerkappe" handeln, da es wie eine Kratzerkappe aussieht! Bin jedoch für weitere Vorschläge bzw Einschätzungen völlig offen.
8.) Die hier dargestellte Argumentation ist meine persönliche Einschätzung.
Viele Grüße und schreibt mal zurück, Christian.






Moonk

Hallo Fuchs, da hast du ja einen halben Roman geschrieben. :super: :super: :super:
Die von Thovalo beschriebenen "Bestoßungen" können auch in einem Fluss, (Bach, Strom) entstehen, dazu braucht es kein "eiszeitliches Geschiebe". :zwinker:
Aber das man nach der Patina das Alter bestimmen kann ist mir neu. :kopfkratz:
HG und einen schönen Sonntag noch, Moonk. :smoke:
Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

a.k.a. rentner

Ich kann Deinen Ausführungen (unter Moonks Vorbehalten) irgendwie folgen, verstehe aber nicht: "Schaber mit jüngerer Kratzerkappe?"
Wenn ich wüsste was eine Kratzerkappe ist, könnte ich mich auch persönlich entscheiden ob es wie eine aussieht.......
m.

a.k.a. rentner

Ah, jetzt verstehe ich, ein mittelp. Schaber, der dann später in einen Kratzer umfunktioniert wurde.....

Mark77

Hallo,

m.E. ist das Stück ein Levallois-Abschlag. Eine Kratzerkappe ala Jungpal. und jünger kann ich nicht entdekcen, geschweige denn eine weikliche intentionelle Retusche. Ergo ein einfacher Abschlag, also auch kein Schaber.
Trotzdem ein schöner Fund. :super:

Schöne Grüße,
Markus

thovalo

Habe mich Heute bei dem schaurigen Wetter mit Literaturrecherche befasst.

Rheindahlen ist ja einer der bedeutenden paläolithischen Plätze in der Rhein-Maasregion. Doch Rheindahlen ist nicht der Fundplatz!?

Da er nicht so weit weg arbeitet wäre Jürgen Thissen, der in Rheindahlen gegraben und die Funde bearbeitet und publiziert hat, ein weiterer geeigneter Ansprechpartner, denn keiner kennt das Material aus dieser Zeit und Region besser als er.


zur Patinierung:
Die Patinierung und ihre Ausprägung wird nachhaltig vom Bodenmillieu beeinflusst. Je nach Region und näheren  Kenntnissen zu diesen örtlichen Verhältnisse kann daraus ggf. auch näher auf das Alter von Artefakten geschlossen werden. Das ist schon möglich. Es kann aber auch passieren dass alle Artefake unabhängig von ihrem Alter auf bestimmten Böden gleich durchpatiniert sind, oder ältere Stücke schwächer und jüngere stärker, oder auch anpassende Teile eines einzelnen Artefakts unterschiedliche Erhaltungszustände haben können... usw.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

a.k.a. rentner

Lieber Fuchs,

hier mal von meiner Seite eine kleine Geschichte zur Problematik der Datierung von vermeintlich "älteren" Lesefunden.
Das Stück ruht gerade in Sachsen-Anhalt, wo es auch gefunden wurde.
Deswegen müssen wir uns mit den hundsmiserablen Abbildungen und einer Zeichung aus der Ära in der ich dachte, die Geduld und Zeit aufbringen zu können Steinartefakte zeichnen zu lernen, begnügen.
Wie bei deinem Stück hat es drei verschiedene Patinierungen der Oberflächen aufzuweisen.
Alte verollte + Kortex, denn beschlagenen und stärker patiniert, und die Kratzerkappe.
Die Kratzerretusche ist in der Zeichnung sehr vereinfacht wiedergegeben, vermittel aber hoffenlich Intention und ihr geradezu klassisches Auftreten.
In Beisein von Hansi wurde das gute Stück von zwei kritischen und auch in prä-mesolithischen Gefilden bewanderten Profis(!) vom LDA Sachsen-A. (einer von beiden hat 2 Bilderbuchfaustkeile von dieser Uferkante auf seiner Rechnung, die immerwieder eindeutige Belege für alle möglichen Phasen unserer Geschichte liefert) kommentiert.
Der Kratzerretusche wurde von einem der beiden aufgrund der ersichtlich jüngeren Patinierung der Artefaktcharakter komplett abgesprochen, während die andere Person meinte es handle sich um ein Arfefakt-welches aber weder neolithisch noch mesolithisch datiere.
Werfe ich das Stück nun zurück auf den Acker? Nein.
Kann ich es für ein prä-mesolithisches Artefakt halten? Können: ja, Wollen: ja, aber -wenn ich es TUN würde, könnte ich mich selbst auch nicht ernst nehmen können.

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,34962.0.html

Es sei jedem selbst überlassen, wie er mit Datierungen der Archäologen seines Vertrauens umgeht, aber ich finde das in diesem Fall eines Lesefundes -inklusive der Bezeichnung- für sehr fragwürdig.

Mit besten Grüßen und Petri Heil bei der Mammutjägerjagd
Michi

PS.: Um die übliche Frage nach den Namen der Mitarbeiter zu umgehen: wenn jemand es unbedingt wissen will, versende ich ihn gerne per pm.
Da Hansi den persönlichen Kontakt hält, und aus anderen mehrfach diskutierten Gründen, will ich ihn hier nicht öffentlich nennen.
 
PPS.: die Retusche wirkt auf den Bildern weich......in Natura wie frisch geschlagen


fuchs

Hallo miteinander,
danke für die Kommentare. Mit der "Kratzerkappe" bin ich, wie der aufmerksame Leser feststellen wird, zurückhaltend. Mit dem Schaber jedoch nicht, dennoch werde ich das Stück erstmal einem Experten vorlegen, bevor ich mich hier darauf versteife.
Noch ein Ausschnitt für die Pflugbefürworter als Anhang.
Herzliche Grüße, Christian

PS: Nicht Rheindahlen, aber nicht weit weg.

Kelten111

Hallo Mark77 !
Wo erkennst du einen Levallois-Abschlag? :glotz:
Bzw wie? :winke:

Mark77

Das gute Stück weist in die Fläche gehende Abschlagsnegative auf (wahrlich nicht viele) die einen dorsalen mittigen Grat bilden. :winke:

a.k.a. rentner

"Die Patina ist auf der Dorsalseite stärker ausgeprägt, dort ist auch der Glanz stärker."
Wenn nun die Patina, und "Diese ist mit der ausschlaggebende Punkt für die zeitliche Einordnung.", verschieden stark ausgeprägt ist, was lernen wir (den vorherigen Argumentationen folgend) daraus?
2 Abschlagsnegative des Micoquien, ins Moustérien datieren wir den Schlag der den Abschlag vom Levalloiskern trennt und ihn zum Schaber macht, welchem dann irgendwann im Jungpaläolithikum  seine endgültige Profession als Kratzer klar wird?
Gute Nacht! :winke:
m.

fuchs

Ich sag da jetzt nix zu; am Samstag kommt der Martin, dann weiß ich mehr und werde das Ergebnis mitteilen.

Moonk

Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

a.k.a. rentner

Sorry, war nicht böse gemeint.
Die Form ist auch interessant, aber mehr als ein (evtl. Levallois-,wie mark sagt,)Abschlag, wird dem Stück schwer nachzusagen sein......
Bin trotzdem gespannt!
Viel Glück!
m.

fuchs

Hallo Moonk, nicht der, sondern Dr Martin Heinen.
Hallo Michi, schon OK, ich würde mich auch über einen mittelpaläolithischen Abschlag freuen.

fuchs

Hallo miteinander,
gestern war Martin Heinen bei mir und hat sich das fragliche Stück angesehen. Es handelt sich um einen Abschlag mit Gebrauchsspuren. Diese sind auf eine schneidende, nicht schabende Verwendung zurück zu führen.
Die Patina ist typisch mittelpaläolithisch. Auch der unterschiedliche Patinierungsgrad von Ventral- und Dorsalfläche ist häufig zu beobachten.
Muß ich also weiter suchen.
Liebe Grüße, Christian

Moonk

Hallo Fuchs, ein Abschlag ist ja auch was.  :super:
Und wo du denn her hast wirst du sicher noch mehr finden.
HG Moonk :smoke:
Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

fuchs

Halllo Moonk,
ich freue mich über jeden Abschlag, besonders über einen mittelpaläolithischen! Zumal dieser auch benutzt worden ist. So gesehen handelt es sich um ein Werkzeug, leider nicht formenkundlich einer bestimmten Kultur zuzuordnen.
In dem Gebiet befinden sich drei verschiedene Fundplätze des Mittelpaläolithikums, die allerdings bis jetzt nur modifizierte Abschläge lieferten.
Das lässt hoffen. :winke:

Moonk

Hallo Fuchs, die Faustkeile liegen da noch, du musst sie nur finden. :zwinker:
HG Moonk :smoke:
Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

fuchs

Hallo Moonk,
da es sich um drei Fundplätze handelt, ist die Wahrscheinlichkeit schon recht hoch, falls es sich um faustkeilführende Kulturen handelte. Allerdings können die auch schon längst in irgendeinem Steinebunker eines Roders gelandet sein. Mal sehen.  :glotz: :glotz: :glotz:
Herzliche Grüße, Christian