Mesolithischer Retuscheur?

Begonnen von rolfpeter, 06. Juni 2010, 22:38:16

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rolfpeter

Servus,

zur Zeit begehe ich ziemlich intensiv eine mesolithische Fundstelle im Nachbarort. Sozusagen die letzte Aktion vor der Sommerpause.

Dort ist auf einer großen Fläche im frühen Mesolithikum intensiv gewerkelt worden. Viiiele Abschläge und Absplisse!

Nun scheint mir doert der erste Retuscheur vorgekommen zu sein. Es handelt sich um ein flaches Tonschiefergeröll vom Typ "Handschmeichler", glatt wie ein Kinderpopo. Auf einer Schmalseite und auf beiden Breitseiten findet man aber feine Bearbeitungsspuren, ganz sachte, flache Narbenfelder. An Mikrolithen wird man ja nicht mit dem großen Mottek rangegangen sein.

Was meint ihr? Ist es einer?

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Marienbad

Moin Rolfpeter,
ich denke die Spuren sind eindeutig und typisch. Auch die weichere Beschaffenheit vom Gestein
passt. Ich tippe zu 90 % das es ein Retuscheur ist,  :super:

Gruß und  :winke:   Manfred

Larry Flint

'N Abend Rollef-Pitter,

... gut möglich - ich kenne allerdings derartige Gerölle, die keine polaren, sondern Abnutzungserscheinungen auf den Seitenflächen besitzen, eher mit Schrammen- als mit derartigen Narbenfeldern.

Ein Beispiel für sowas findet sich z.B. hier:

Jürgens, A.: Retuscheur oder Probierstein? Ein Zufallsfund aus Bonn-Beuel. In: Archäologie im Rheinland 1988. Köln 1989, S. 25f..

:winke:

Larry

steinsucher

Zitat von: rolfpeter in 06. Juni 2010, 22:38:16
Nun scheint mir doert der erste Retuscheur vorgekommen zu sein. Es handelt sich um ein flaches Tonschiefergeröll vom Typ "Handschmeichler", glatt wie ein Kinderpopo. Auf einer Schmalseite und auf beiden Breitseiten findet man aber feine Bearbeitungsspuren, ganz sachte, flache Narbenfelder. An Mikrolithen wird man ja nicht mit dem großen Mottek rangegangen sein.

Hallo Forum, hallo RP,

So sehe ich das auch. Wenn man alle "modernen" Kratzer weg denkt, bleiben diese kleinen, typischen Zonen. Schönes Teil, RP. Wieder aus dem Schlossgarten? Sollten wir mal zusammentun.

Fritz.

Marienbad

Hallo RP,

ich denke bei einem Retuscheur auch an einem Stein, der als Unterlage ( Amboss ) dient.
Denn ich schlage nicht, sondern drücke den Flint auf dem Retuscheur.
Die feinsten Retuschen kann ich damit herstellen, je nach Winkel werden die Absplisse
flacher oder steiler.
Ich habe eben mal schnell einige Fotos gemacht.

:winke:  Manfred


Der unbearbeitete Abschlag und der "Retuscheur"



Die frischen hellen Kratzer auf dem Stein stammen nur von diesem Beispiel.
Der Abfall ( Absplisse ) stammt vom Zurichten der Spitze.





thovalo

#5
Lieber rolfpeter!

Das Stück erscheint nach den Abbildungen sogar als ein recht beeindruckendes Beispiel für eine Retuscheur, denn die Narbenfelder sind sehr intensiv und weitflächig ausgeprägt. Das Stück ist offenbar bemerkenswert intensiv zum Abdrücken verwendet worden.  :glotz:



PS: Ich hab jetzt nochmal nachgeschaut! Auch zwei der Artefakte (2te und 3te Abbildung) die Du in deiner Homepage unter Tongesteine und Feinsedimente zeigst, darunter eine sekundär verwendete Beilschneidenpartie erscheinen gleichfalls als RETUSCHEURE und nicht als Unterlagen mit Schlagnarben. Auf diesen Stücken sind den Spuren nach gleichfalls Silexartefakte abgedrückt worden. Das ist mir die Tage mal aufgefallen.

LG  thomas :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Moin Jungs!

@Manfred:
Danke für das Experiment! Ergibt ja wirklich die gleichen Benutzungsspuren wie bei meinem Steinchen. Also isses ein Retuscheur!

@ Lärri:
Der Beueler Retuscheur hat ja wirklich nur Kratzspuren. Wurde sicher auch anders gehandhabt als das hier vorgestellte Stück. Wenn Du Dir aber mal den spätpaläolithischen Tonschiefer-Retuscheur aus Windeck ansiehst, der in AIR 2005, S. 31ff veröffentlicht wurde, dann kommen wir der Sache schon näher.

@Fritz:
Ja, stammt von dort. Ja, bitte besuche mich mal! Einladung liegt ja seit geraumer Zeit vor.

@Thomas:
Bei den neolithischen Retuscheuren von denen Du schreibst, sind die Marken deutlicher und tiefer ausgeprägt als bei diesem Stück hier. Ich vermute, daß die tieferen Narben von Schlagretuschen und die flacheren von Druckretuschen herrühren.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

#7
Rolfpeter

ja, das sehe ich auch so, doch sind es dann auch Retuscheure, weil sie zur Ausführung und Anlage von Retuschen gedient haben!

Unter Schlagretusche würde ich verstehen, dass das Artefakt auf die Unterlage aufgesetzt wird und dann einen gezielten Schlag erhält um ein Negativ abzulösen. Dabei gehen die Spuren tiefer in das Gestein als bei Retuscheuren an denen Silexartefakte direkt "abgedrückt" werden (Beispiel von Marienbad).
Durch das "Abdrücken" entstehen die feiner abgesetzten "Kritzer" und "Kratzer".

Als Schlagstein oder Unterlage mit Schlagspuren würde ich ein Artefakt verstehen, dass durch direkte Schläge getroffen wurde, die eine bestimmte Partie zermürbt haben (um z. B. Nüsse zu "knacken", oder Farbsteine zu zerkleinern). Die von Dir gezeigten beiden Beispiele zeigen, der Wahrnehmung nach, Flächen mit konzentriert tief eingeschlagenen eher kantigen Spuren, die durch die Häufung auch Vertiefungen und kleine "Mulden " ausbilden können.


LG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Moonk

Hallo RP, ist die Fundstelle rein "Mesolithisch" oder findest du da auch "Neolithisches".
HG Moonk :smoke:
Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

Marienbad

Hallo Leute,

das vorgestellte Stück wird sicher beim Gebrauch in der li. Hand gehalten worden sein. Das Werkstück wird mit der re. Hand mit der
zu Bearbeiteten Fläche auf den Stein gedrückt. Es wird nicht geschlagen, sondern leicht gedrückt und etwas gezogen.
Diese Arbeit kann sehr feine Absplisse abarbeiten, vorzugsweise sicher nur kleinere Werkstücke.
Wird diese drückende Arbeit immer wieder am gleichen Stein ausgeführt, entstehen natürlich Narben.
Es scheinen viele glatte Steine bevorzugt worden zu sein, die dann auch manchmal extra an der Druckfläche aufgerauht wurden.
Die durchschnittliche Größe von 5 - 8 cm lässt sehr stark an den Handgebrauch denken.
Das die Drucknarben mal mittig oder an den Rändern auftreten hat mit der Form des zu drückenden Stein zu tun.
Rundliche Ausbuchtungen können nur am Rand entstehen, nicht auf der Fläche. Spitzen und Rundungen dagegen werden mittig gearbeitet.

:winke:  Manfred



Larry Flint

Zitat von: thovalo in 07. Juni 2010, 11:45:52
[...] Als Schlagstein oder Unterlage mit Schlagspuren würde ich ein Artefakt verstehen, dass durch direkte Schläge getroffen wurde, die eine bestimmte Partie zermürbt haben (um z. B. Nüsse zu "knacken", oder Farbsteine zu zerkleinern). Die von Dir gezeigten beiden Beispiele zeigen, der Wahrnehmung nach, Flächen mit konzentriert tief eingeschlagenen eher kantigen Spuren, die durch die Häufung auch Vertiefungen und kleine "Mulden " ausbilden können.[...]


... geh' mir ja wech mit Nussknackern - wehe, es geht jetz' hier wieder mit ominösen Muldenkieseln los!

:hilfe3:

Larry

rolfpeter

Zitat von: Moonk in 07. Juni 2010, 13:08:30
Hallo RP, ist die Fundstelle rein "Mesolithisch" oder findest du da auch "Neolithisches".
HG Moonk :smoke:

Bis auf einige Ausrutscher, die es aber immer gibt, scheint alles mittelsteinzeitlich zu sein. An einer Ecke des Feldes gibt es auch weiß patinierte Artefakte. Sowas deutet hier im Rheinland eigentlich aufs Paläolithikum.
Es könnte sogar sein, daß paläolithische Artefakte von Mesolithikern aufgearbeitet und wiederverwendet wurden. Ich bin da aber vorsichtig, da der Bauer den schweren Talauenboden regelmäßig mit der Kreiselegge "veredelt". Man findet viele Artefakte mit rezenten Brüchen.

Ein Beispiel von einer vielleicht jungpaläolithischen Klinge mit nachträglich angebrachter Retusche und rezenten Beschädigungen hab ich mal geknipst.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

fuchs

Hallo RP,
vor zwei Jahren hattest du schon mal was Ähnliches. http://www.sucherforum.de/index.php?topic=33422.0
Allerdings ging es da mehr um Schlagstein kontra Amboss.
Herzliche Grüße, Christian