Spätneolithikum am Niederrhein

Begonnen von thovalo, 21. März 2010, 23:08:39

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thovalo

#30
Hier Bilder einer Axtschneide und einer facettiert geschliffenen kleinen Beilklinge aus einem geschieferten Geröll vom selben Fundplatz wie bisher.  :winke:

:-) Länge der Axtschneide: 8,1 cm
Die Bohrung ist deutlich seitlich aus der Symmetrieachse heraus versetzt.
Der Durchmesser des Bohrlochs betrug recht genau 1,9 cm.
Es handelt sich wohl um eine erneut durchbohrte, alt abgebrochene Schneide von einem Großgerät.
(Anm.: vom Fundplatz stammt noch ein zweites Fragment von einer anderen Axtklinge)

 :-) Länge der Beilklinge: 5,4 cm
Die Flachseiten sind in Facetten, die Schmalseite plan zugeschliffen.
Es handelt sich um ein Einsatzbeil, das in einem Zwischenfutter geschäftet werden musste.
Zwischenfutter gelten im Rheinland als eine Neuerung ab etwa der Zeit um 3.500 v. Chr.
und datieren damit in die Zeit ab dem späten Neolithikum.  :-D
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Mark77

Zitat von: thovalo in 27. März 2010, 15:35:21
... aus einem geschieferten Geröll ...

jep, Kieselschiefer (wenn bröckelig und heller grau, Tonschiefer)  :winke:

thovalo

#32
 :winke:

zum Thema

Kratzer:

Gebrauchsspuren und Reparatur

Auf demselben Fundareal, von dem die zuvor gezeigten Fundbelege stammen, fanden sich besonders viele Abschlagkratzer mit markant ausgepräten Arbeitsspuren.

Der zuerst abgebildete Kratzer (Bilder 1-3) ist 5,2 cm lang und weist eine im intensiven Gebrauch stark untersteilte "kielförmig" zulaufende Arbeitskante auf. Kratzer mit diesem Gebrauchsspurenbild treten im Fundmaterial besonders häufig auf.

In der experimentellen Archäologie werden vergleichbar ausgeprägte Gebrauchsspurenbilder durch die intensive Bearbeitung von Geweih und Knochen erzeugt. Das Besondere liegt hier im Detail!  :-)

Wurden Kratzer durch solche kräftigen Abnutzungserscheinungen unbrauchbar, wurden sie auf diesem Platz nicht entsorgt oder einfach liegen gelassen! Dafür war das von weit her eingetauschte Silexmaterial zu wertvoll, zumal es sich bei beiden Kratzern um den besonders gut zur Werkzeugherstellung geeigneten Silex der dunkel schwarz-grau bis schwarz-bräunlichen Variante höchster Materialqualität des Feuersteins der Varietät "Rijkholt" handelt. Diese Materialgüte konnte, im Gegensatz zum oft deutlich ungleichmäßiger strukturierten und raueren grauen Rijkholtfeuerstein mit Inklusen und Mustern, erst in einer bestimmten Tiefe im aufwendigen Bergbau "unter Tage" gewonnen werden.

In rationaler Art und Weise wurde auf dem komplexen Siedlungsareal am Niederrhein an stark abgenutzten Kratzern dieser Silexvarietät eine neue Arbeitskante angelegt: durch einen kräftigen
Schlag auf die abgenutzte Arbeitskante wurde ein großes Negativ aus der Ventralfläche gelöst.

An dem zweiten Fundbeleg (Bilder 4-7) weist die auf diese Weise angelegte neue Arbeitskante bereits wieder deutliche Gebrauchsspuren auf.  :glotz:

Anmerkung: Der Kratzer mit neu angelegter Arbeitskante ist 5,9 cm lang.

:winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.