Würfelförmiger Reibstein

Begonnen von rolfpeter, 06. April 2010, 10:10:56

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rolfpeter

Servus,

Diese würfelförmigen Sandsteine mit stark abgerundeten Kanten tauchen immer mal wieder auf. Die Oberfläche ist grundsätzlich relativ glatt, ausgeprägte Schlagmarken sind eigentlich nie vorhanden. An manchen Stücken sind auf einer oder mehreren der konvexen Flächen angefangene Pickgruben zu erahnen.
Die Artefakte scheinen aus jung- bzw. spätneolithischem Kontext zu stammen.

Kennt jemand näheres zu den Steinen, gibt es eine seriöse Quelle, wo man nachlesen könnte?

Auf den Bildern ist der selbe Stein einmal auf die Fläche, das andere mal auf eine Ecke fotografiert.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

#1
 :winke:

Lieber rolfpeter,

mir ist keine Publikation bekannt, die sich explizit mit diesem Typus vermeintlicher "Reibsteine" auseinander setzt. (Das ist ein besonders schönes Beispiel für eine irgendwann publizierte und nie wieder ernsthaft überprüfte und faktisch unzutreffend geprägte Bezeichnung für einen "Artefaktyp")

In der Literatur wird gelegentlich angenommen, dass die "würfelförmig überprägten Steine" ein spätes Stadium von rundlichen Ausgangsprodukten nach längerem Gebrauch wären: also als rundliches Geröll aufgefunden und durch intensive Nutzung "würfelförmig" abgearbeitet.

Bei D. Hoof: Die Steinbeile und Steinäxte im Gebiet des Niederrheins und der Maas (1970) S. 126 zu Reibsteinen "......... Einzelne Exemplare sind wie ein abgerundeter Würfel geformt."

Mir liegen bisher insgesamt drei vollständige Belegstücke vor die, wie alle mir bislang bekannten Fundbelege aus dem Rheinland, bemerkenswerter weise aus "quarzitisch gebundenem Sandstein" bestehen!

Einer der Fundbelege weist auf zwei Flächen Schliffpartien auf. Ob diese ein Ergebnis des Gebrauchs oder die letzten Spuren einer intentionellen Erstzurichtung sind, kann kaum sicher erschlossen werden. Und wie an Deinem Fundbeleg, sind an keinem der Fundnachweise kräftige "Schlagmarken" vorhanden!

Es finden sich aber auch keine eingekratzten Streifungen und Kratzer, die durch die "reibende" Bearbeitung von hartem körnigem Material oder durch das "Zerreiben" von Korn auf einem grobkörnigem harten Mahlstein entstanden sein müssten! Denn wenn die Würfelform durch intensiven Gebrauch entstanden wäre, dann müsste die Abraision der Oberflächen durch entsprechende Merkmale und Gebrauchsspurenbilder erkennbar sein.  :glotz:

Zwei der hier vorhandenen "würfelförmig überprägten" Steine stammen von einem Fundplatz auf dem hoch konzentriert Klingengerätschaften verwendet worden sind. Die Vergesellschaftung mit Klingengerätschaften, die ja in der Regel zur Bearbeitung weicherer und flexibler Materialien eingesetzt worden sind, deutet vielleicht eher auf den Zusammenhang mit der Bearbeitung weicherer Materialien hin. Es gibt z.B. völkerundlich dokumentierte Arbeitschritte, in denen Rohr, Stroh, Rinde und Bast flächig beklopft wird (Rindenbast z.B. als Bestandteil der Bekleidung und für Behälter). Dazu wäre ein Stein mit planer Arbeitsfläche ohne scharf/hart ausgebildete Kanten auch durch sein Gewicht gut geeignet.

Wenn Mulden vorhanden sind, wird oft davon ausgegangen, dass es sich um Mulden kleiner "Ambosse" handelt, auf den z.B. Nüsse gelegt und geknackt worden sein sollen. Dazu ist das Erzeugen einer Würfelform jedoch vollkommen überflüssig!

Denkt man vielmehr daran, dass der würfelförmige Stein mit den Fingern in zwei gegenständigen Dellen deutlich sicherer geführt werden konnte, dann machen die Entiefungen eher Sinn!

Und noch ein "Nebenaspekt". Nicht nur die gleichförmigen stabilen "Arbeitsflächen" und das Gewicht sind ganz pragmatische Vorteile der Steinwürfeln gegenüber Objekten z.B. aus Holz. Die Steine konnten, auch ohne Spuren zu hinterlassen, "erwärmt" werden um weiche und flexible Materialien zu glätten. (Dabei gehe ich nicht davon aus dass die Neolithiker ihre Klamotten regelmäßg für den gehobenen gesellschaftlichen Anlaß gebügelt haben  :zwinker:, sondern von einem rein pragmatischen handwerklich orientieren Gebrauch. Solche praktischen Aspekte gehen im wissenschaftlichen Betrieb immer wieder verloren oder werden erst gar nicht mit ins Auge gefasst).

Noch konkreter: für das Glätten von Leingeweben wurden seit dem frühen Mittelalter sogenannte "Glättsteine" (auch wieder eine unkritisch hingenommene und unzutreffende fachliche Falschformulierung, weil diese "Glättsteine" aus gegossenem GLAS bestehen) eingesetzt, um die Fasern der textilen Gewebe zu glätten.

Im neolithischen Kontext wäre die Bezeichnung eines Steinobjekts mit derselben Funktion als "Glättstein" allerdings fachlich, sachlich und überprüfbar zutreffend!

Dem Gebrauchsspurenbild zufolge, ist das eindrucksvolle und nicht häufige Fundstück wohl
KAUM ein im langfristigen Gebrauch würfelförmig abgeriebener

"REIBSTEIN"!  :-)

sondern gehört einer immer noch recht kleinen Gruppe bislang in ihrer Entstehungsweise und Funktion nicht näher facharchäologisch untersuchter Artefakte an.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Danke für die ausführliche Besprechung, lieber thovalo!

Auf "Reibstein" bin ich gekommen, weil man dem Kind ja einen Namen geben muß. Es tauchen ja auch Bezeichnungen wie "Quetschstein, Kornquetscher, Stück mit unbestimmbarem Schliff" und was weiß ich noch nicht alles auf.

Das Material des hier gezeigte Neufundes ist ein relativ feinkörniger und fester Sandstein, feinkörniger als EKS, grobkörniger als Kinzweiler Sandstein.

Die Theorie, es handele sich um "würfelförmig überprägten Steine, ein spätes Stadium von rundlichen Ausgangsprodukten", kann ich nicht nachvollziehen. Dann hätte ich bestimmt auch die Ausgangsformen gefunden. Auf den Flächen, die ich absammele, sind Sandsteine grundsätzlich Fremdeinträge, und so bücke ich mich nach jedem Sandstein. Klopfkugeln aus dem Material - Fehlanzeige! Mahlsteinbruchstücke, die Klopfspuren oder Schleifspuren aufweisen sind nicht selten. Aber es fehlt der "missing link"

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

#3
 :winke:

Sehe ich auch so: ganz nachvollziehbar oder gar nicht!  :zwinker:

Wir können ja mal unsere "Würfel" zusammenwürfeln und vergleichen!
Ich mach noch einige Fotos und stell sie zu diesem Thema mit ein!

thovalo  :winke:

1. "Steinwürfel" I  (Bilder 1 und 2); Durchmesser 4.5 cm
2. "Steinwürfel" II (Bilder 3 und 4); Durchmesser 5.7 cm

Die Stücke nach längerer Zeit mal wieder in der Hand wirken die Oberflächen im Gesamteindruck eher fein und regelmäßig  "abgekopft"!

Bei "Steinwürfel" II ist noch ein Teilstück der originalen Oberfläche des verwendeten Gerölls erhalten und in Bild 3 in der linken Ecke erkennbar. Auf Bild 4 ist das eingebuchtete Teilstück Merkmal einer Beschädigung.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

sven

Ich würfel mit!  :winke: Habe leider nur noch dieses Foto und kann zur Größe auch keine genauen Angaben mehr machen.

Viele Grüße

Sven

rolfpeter

Und das ist meine Würfelhorde:

:winke:

RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

Was lernen wir daraus?

Dass das Würfelspiel keine Erfindung der Neuzeit ist?
Wie sahen dann erst die Würfelbecher aus!

:zwinker:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

steinsucher

Zitat von: rolfpeter in 06. April 2010, 10:10:56
Servus,
Diese würfelförmigen Sandsteine mit stark abgerundeten Kanten tauchen immer mal wieder auf. Die Oberfläche ist grundsätzlich relativ glatt, ausgeprägte Schlagmarken sind eigentlich nie vorhanden. An manchen Stücken sind auf einer oder mehreren der konvexen Flächen angefangene Pickgruben zu erahnen.
Die Artefakte scheinen aus jung- bzw. spätneolithischem Kontext zu stammen.

Hallo Allerseits,

Ich habe jetzt mein Fotostudio nicht mehr in Betrieb. Aber grundsätzlich kann ich RP's Beschreibung da folgen. Das Material ist mir nicht bekannt. Härter als EKS und schwer.  Ein "Würfel" ist das Endprodukt auch nicht, aber es hat Fassetten und es dürfte auf Grund der Größe in die Reihe passen. Morgen stelle ich hier das Bild zum Vergleich mit ein. Einzig die Glätte fehlt ihm, es sieht alles stark nach Pickspuren aus. Der Zusammenhang stimmt, Valkenburger Beilfragmente, Rijckholter Beil, etwas entfernt eine geflügelte Pfeilspitze (wobei die nicht unbedingt dazu gehören muss).

Bis morgen, Fritz.

steinsucher

Hallo nochmal,

jetzt ist mir noch etwas dazu eingefallen. Mir wollte mal jemand einreden, es handele sich um frühe Kanonenkugeln. Das ist wohl Blödsinn. Aber, ich erinnere mich an die Beschreibung einer Schleuderwaffe. Bei der war es ja unerheblich, ob das Geschoss absolut rund war, oder nur annähernd rund. Eine grobe Formgebung reichte da ja. Codename ist "Bola".

Nur mal so eine Idee.

Auch die Besatzer des Rheinlandes kannten diese. Die Traianssäule zeigt ein schönes Bild. Größe würde passen (so eine Faust).

Jetzt aber "gute Nacht".

Fritz.

Larry Flint

#9
@thovalo:

Glättstein für Textilien? Ich wage aufrichtig zu bezweifeln, dass diese Dinger dafür taugen. Ob die Neolithiker gebügelt haben oder nich' ist dabei wohl unerheblich. Vielmehr denke ich, dass Textilien damals so kostbar waren, dass wohl niemand auf die Idee gekommen wäre, diese mit derartigen Steinchen zu ruinieren...

@Steinsucher:

... nö.

"Bola" ist ja nu' wat föllich anderet.

Was man auf dem römischen Relief sieht, ist eine Schleuder. Und die war nördlich der Alpen auch schon lange vor den Römern bekannt. Für gewöhnlich sind die dazugehörigen Projektile aber bedeutend kleiner. Und wenn man keine Kiesel verschleudert hat, sondern die Dinger eigens dazu herstellte (... und dann wohl oft aus Ton und zuweilen auch aus Blei...), um sie seinen Mitmenschen mit ordentlich Kawumm vor die Stirn zu klatschen, war die Form alles andere als beliebig ...

Ich mach's kurz: Dat sind mit Sicherheit keine Schleudergeschosse.

Man darf also munter weiterorakeln....

:winke:

Larry

thovalo

Zitat von: Larry Flint in 07. April 2010, 03:12:41
@thovalo:

Glättstein für Textilien? Ich wage aufrichtig zu bezweifeln, dass diese Dinger dafür taugen. Ob die Neolithiker gebügelt haben oder nich' ist dabei wohl unerheblich. Vielmehr denke ich, dass Textilien damals so kostbar waren, dass wohl Niemand auf die Idee gekommen wäre, diese mit derartigen Steinchen zu ruinieren...

:winke:

Du hast recht, es bleibt derzeit vollkommen unklar wozu die Steinwürfel wirklich verwendet worden sind!
Aufgrund der offenbar recht einheitlichen Materialwahl und der markanten und wiederholt angetroffenen Formgebung scheint es ein eigener Typus von   ....... -steinen gewesen zu sein!   :kopfkratz:


Dabei ist nicht auszuschließen, dass die Kombination von Steinvarietät und Form an eine ganz bestimmte Tätigkeit gebunden war, denn der Stein an sich war wohl nicht das eigentliche Zielprodukt, sondern sein handwerklicher Einsatz.   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Grenzton

Hallo.

Eure Würfel erinnern mich an einen meiner nahezu würfelförmigen "Reibstein".
Er besteht aus hellem Quarzstein der feinen Art. Zwei gegenüberliegende Flächen sehen fast wie poliert aus, hingegen sind die übrigen 4 Flächen scheinbar vorgepickt worden und noch weitesgehend unbenutzt.
Die Verkrustungen scheinen Anhaftungen aus kalkhaltigen Bodenverhältnissen zu sein.

Gruß, der Kalle
Ich möchte schlafend sterben wie mei Opa, und nicht schreiend wie sein Beifahrer!

steinsucher

Hallo Allerseits,

hier die versprochenen Bilder, wie immer mit etwas Verspätung.

Dieses Exemplar besitzt nicht diese deutliche Würfelform. Es sind aber ein paar flächige Stellen vorhanden. Deshalb gehe ich davon aus, das es in die gleiche Kategorie gehört.

Gruß vom Steinsucher.

thovalo

Das charakteristische Material ist in den Bildern hervorragend getroffen und es passt!   :glotz:

Das ist ggf. ein "Zwischenstadium" auf dem Weg zum Würfel oder vom Würfel zur Kugel!   

:winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.