Klingenbohrer

Begonnen von rolfpeter, 21. Februar 2007, 16:51:27

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rolfpeter

Servus Freunde,

67mm lang, schmal wie ein Hering, dorsal-lateral steil retuschiert, aus hellbraunem transluzidem Flint, Rindenrest, das ist er, mein Klingenbohrer des Tages (ist eigentlich der erste große, den ich überhaupt gefunden habe!  :frech: ).
Zum Funktionsende hin, dorsal links, eine Arbeitretusche, die sich bis in die Ventralfläche hineinzieht. Es scheint also ein rechtsdrehender Bohrer zu sein, benutzt von einem Rechtshänder.

Ist es ein Klingenbohrer?
Die Fundstelle ist eigentlich MK, könnte der Bohrer auch Michelsberg sein?
Gab es früher auch mehr Rechtshänder als Linkshänder?
Kennt jemand dieses Material?
Wie sieht Rullenflint aus?
Ist es Schotterflint, die kreidige Rinde ist ziemlich glatt?







Schonmal Danke für eure Tips

Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Fänomenal, grandios schönes Stück !!!

Ja, ich würde sagen, dass ist ein Klingenbohrer, jedoch sieht man ja nicht auf den Fotos, ob da ein Bulbus ist.
Wenn nicht ist es wohl aus der distalende einer gebrochenen Klinge / Abschlags gemacht worden.

Die Datierung wäre, jedenfalls wenn bei mir gefunden, Spät- bis Endneolithikum.

Übrigens gibt es in meiner Sammlung auch Bohrer, die eindeutig nur für Rechtshändler richtig in der Hand liegen.

Glückwunsch zum schönen Artefakt !!  :super:

rolfpeter

Danke, alter Wikinger!

Ja, es hat einen Bulbus. MK ist ja Spätneolithikum.
Das Material paßt nur nicht 100%ig in das sonstige Fundspektrum. Die haben meistens bei uns Rijckholt-Flint genommen, die ollen Michels.



Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Hallo wieder Rolfpeter  :-)

Ich habe da ein bisschen Schwierigkeiten den Schlagpunkt zu sehen beim Foto ??

Liegt der Schlagpunkt an der Spitze rechts unten im Bild ??

rolfpeter

Moin agersoe,

der Schlagpunkt liegt an der rechten Seite in der Mitte. Da sieht man auch einen kleinen Ausbruch an der Lippe.
Aber ich kann mir denken, worauf Du hinauswillst. Es ist gar kein Klingenbohrer, sondern ein Bohrer, der aus einem Abschlag hergestellt wurde aber lang und schmal wie ein Klingenbohrer aussieht!
Kann natürlich so sein, kann ich auch gut mit leben, ist nämlich, wie Du weiter oben festgestellt hast, ein Fänomenal, grandios schönes Stück !!!

Beste Grüße
RP
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steinadler

 :prost: :super:ja das teil gefällt mir auch !!!

mfg
petersen
ich glaube an gott , aber keine bestimmte religion !

schaut mal rein : http://yggdrasil-online.de/cms/

Der Wikinger

Zitat von: rolfpeter in 22. Februar 2007, 08:02:18
Aber ich kann mir denken, worauf Du hinauswillst. Es ist gar kein Klingenbohrer, sondern ein Bohrer, der aus einem Abschlag hergestellt wurde aber lang und schmal wie ein Klingenbohrer aussieht!

Genau so ist es !!!  :super:

...und eine Klinge ist ja auch "nur" ein Abschlag !!  :smoke:

Macht wie du sagst, den Bohrer nicht weniger schön, im Gegenteil !!!  :winke:

Khamsin

Salaam!

Ja, man greift gerne die Wertung von unserem Wikinger auf; welch ein wunderschönes Stück! Selbst für unsern "MK-Spürhund", der wahrlich Etliches gewöhnt ist, ein "first", wer hätte das gedacht.

Nun, nach meiner praktischen Erfahrung ist es aufgrund von Aussplitterungen an händisch geführten Bohrern nicht einfach, auf die Händigkeit des Benutzers zu schliessen. Bedenkt man, dass solche Bohrer nicht immer in einer Richtung gedreht worden sein müssen.
Aber abgesehen davon, steht seitens der Naturwissenschaften fest, dass bei 80% der menschlichen Population Rechtshändigkeit vorliegt, und es gibt gute Gründe, dass dies auch schon in der Urgeschichte der Fall war (bestimmte Merkmale an der Ausführung von Höhlenmalereien aus dem Jungpaläolithikum!).

Ein recht frühes und unzweifelhaftes Beispiel für Rechtshändigkeit wurde von dem berühmten französischen Prähistoriker Francois Bordes, Inst. UFG Univ. Bordeaux, im Jahre 1974 publiziert. Es handelt sich um einen Schlegel aus der Basis eines Rengeweihs zur Feuersteinbearbeitung, Fundort Laugerie Haute, Datierung Solutréen (mittleres Jungpaläolithikum). Als Funktionsende des Schlegels diente der sog. Petschaft der Abwurfstange, als Griff ein Teil des Aufgehenden der Stange, die mittels einer Ringkerbe durchtrennt worden ist.

Dass das Stück tatsächlich zur Retuschierung von Feuersteinartefakten, mit grosser Wahrscheinlichkeit sog. Blattspitzen, benutzt worden ist, wird durch winzige, in der Oberfläche des Funktionsendes eingebettete Feuersteinabsplisse belegt. Der Beweis (!) für eine Rechtshändigkeit des/der ehemaligen Steinschmiede(s) besteht in der sehr deutlichen asymmetrischen Abnutzung des Petschaftes/Funktionsendes. Und zwar ist die linke Seite des Stückes - gesehen in Schlagrichtung und wenn man das Stück am Stangen"griff" in der rechten Hand hält - vollständig abgenutzt und bildet eine schräg stehende Facette zur ansonsten horizontal orientierten restlichen und rechten Petschaftfläche! Zahlreiche contemporary flint knappers - darunter auch yours truely - haben diese Beobachtung von F. Bordes durch praktische Experimente verifizieren können. Es würde mich nicht wundern, wenn agersoe dem aufgrund eigener praktischer Erfahrungen zustimmte.
Die wenigen "lefties" in der Szene der heutigen flint knappers produzieren übrigens konsistent völlig vergleichbare Gebrauchsspuren, aber eben auf der rechten Seite des Petschaftes, immer gesehen in Schlagrichtung!

Ach ja, sicher werden jetzt einige von Euch erinnert an schrägstehende Facetten an den Enden klassischer (lang-)ovaler Schlagsteine aus Sandstein o.ä. Richtig assoziiert, das sind den vorstehend beschriebenen Abnutzungsfacetten an dem Geweihschlegel völlig vergleichbare Spuren identischer Entstehung! Leider ist es aber in nahezu allen Fällen von Schlagsteinen trotzdem nicht möglich, auf die Händigkeit ihrer ehemaligen Benutzer zu schliessen. Das liegt schlicht daran, dass an Schlagsteinen eindeutige Griffe fehlen. Und so können selbst nur einseitig vorhandenen Facetten sowohl von einem Rechtshänder, als auch einem Linkshänder produziert worden sein, man muss nur den Stein in der Längsachse drehen.

Und abschliessend: Mittlerweile liegen etliche jungpaläolithische Geweihschlägel mit entsprechenden Facetten aus französischen und deutschen Fundstellen vor. Es gibt aber auch in allen Merkmalen vergleichbare neolithische Exemplare aus Rothirschgeweih aus neolithischem Bergbauzusammenhang. Sie wurden erstmals in dieser Funktion vorgestellt von J. Weiner in einem Artikel in den Proceedings zum 4. Internationalen Feuersteinsymposium, Bordeaux 1987 (mit weiterführender Literatur).

Zum Feuerstein: Rullen-Flint könnte sein, und dagegen spricht auch nicht die noch kreidige Rinde. Denn dieser Flint ist - im Gegensatz zu Lousberg, Vetschau, Valkenburg, Simpelveld, Rijckholt, Obourg und Spiennes - nicht im anstehenden Kreidekalk gelagert, sondern ein sog. eluvialer Flint. Tatsächlich lagert Rullen-Flint im Verwitterungslehm, denn der ehemalige Kreidekalk ist völlig vergangen als Folge tertiärer grossflächiger und tiefgreifender Verwitterung. Rullen-Flint wurde deshalb in einfachen, untiefen Gruben, der Bergmann spricht von sog. Pingen, abgebaut. Dabei hat sich die Rinde durchaus noch erhalten, kann aber ausgelaugt und verrundet sein. Genau so verhält es sich übrigens mit dem berühmten Flint von Le-Grand-Pressigny in Zentralfrankreich. Die etliche 100 kg wiegenden riesigen Fladen (1,5 x 1 x 0,40 m; im dortigen patois "dalles" genannt) lagern auch in zähem Verwitterungslehm.

Fazit: Wieder mal ein highlight von RP. Danke für die Präsentation.

Beste Grüsse KIS

"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Hui Khamsin,

das ist aber ein interessanter und ausführlicher Beitrag!
Besten Dank, habe wieder was dazugelernt!

Auf den rechtsdrehenden Bohrer, von einem Rechtshänder geführt, komme ich, weil es ventral nur auf der rechtsdrehenden "Leeseite" Ausbrüche gibt, die Gegenseite ist scharf.

Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert