Kielkratzer

Begonnen von StoneMan, 05. Oktober 2012, 00:18:40

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StoneMan

Moin,

manchmal wird man mit einem einzigen Fundbeleg überaus großzügig belohnt.
Dieses Artefakt war für mich so eine Belohnung.

Fundort:
Norddeutschland, ca. 1,7 km bis zur Ostsee.
Suchgebiet etwa 200 ha, umgeben von über 100.000 ha Ackerland.

Auf diesem Fundareal habe ich bereits einige Kratzer gefunden. Einen davon möchte ich euch gerne zeigen.
Der Kratzer wurde aus einer dunklen Varietät des "Gebänderten Falsterflintes" hergestellt.

Diesen mächtigen Kratzer aus der Grundform eines dicken Abschlages würde ich mit "Kielkratzer" ansprechen
(siehe J. Hahn ´...Artefaktmorphologie´ , Seite 177 ff).

Sehr kennzeichnend, und hier beispielhaft für einen Kielkratzer, die breite durchgehend gebogene dorsale Stirnretusche.
Ebenso charakteristisch, die in der Seitenansicht gebogene (konvex) spitzwinklige Stirn.

Bemerkenswert die Lage der Schlagfläche (!) und des Schlagkegels; beides zeigt uns die Richtung des 1. Schlages
und damit die zu vermutende Größe des Abschlages (hellblaue Strichlinie). Der Bulbus wird von einem weiteren Abschlag
überlagert, wurde er reduziert?
Das letzte Bild soll hierzu Unterstützung bieten... na, ja...^^
Einige routinierte Schläge brachten den stattlichen Abschlag in die gewünschte Form, danach noch etwas Feinarbeit
und fertig war das Werkzeug.

Beifunde.
Neben Keramik, Pfeilspitzen, Klingen, geschliffenen Beilfragmenten  und anderen Werkzeugen, finden sich immer
wieder Kratzer diverser Ausführungen auf diesem Siedlungsareal.

Das besondere an der Fundsituation - die Fundbelege der Kratzer finden sich auf einem recht begrenzten Teil von
nur etwa 5 ha des Gesamtareals (200 ha); hingegen sind andere Werkzeugtypen überall verteilt.

Selten habe ich eine so klare Anhäufung eines Werkzeugtypen inmitten eines doch recht komplexen Fundbestandes
vorgefunden wie auf diesem Acker.

Ob man von einer Ausnahmestellung sprechen kann?
Oder ist diese auffällige Konzentration von ´Kratzern mit runder Kappe´ reiner Zufall?
Ist es dem Pflug zuzuschreiben, dass er mir diese Vielzahl vor die Füße legt? Oder deutet es auf
regionalen Überfluss bestimmter Lebensmittel/Tiere und deren Restverwertung hin?

Was meint ihr dazu?

Auch über Ergänzungen oder Korrekturen eurerseits würde ich mich freuen.


Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Steinkopf

Hallo Jürgen!

Das ist mal ein Fund, den ich auch ohne Brille gut erkenne!

Zu der Frage:
"Oder ist diese auffällige Konzentration von ´Kratzern mit runder Kappe´ reiner Zufall?"

wäre auch in Betracht zu ziehen, dass an dieser Stelle diese Werkzeuge hergestellt wurden.
Bei dem Rohstoffreichtum in Ostseenähe gab es sicherlich die Möglichkeit, durch Übung
die Fähigkeiten zu perfektionieren.

LG
Jan

fuchs

Hallo miteinander,

schöner Kratzer aber im Leben kein Kielkratzer.  :belehr:

Saxaloquuntur

#3
Sind Kratzerkappen im Gegensatz zu Endretuschen nicht immer rund? In z.B. bandkeramischen Inventaren machen Kratzer meist den größten Anteil an modifizierten Artefakten aus. Mehr als die sorgfältige Retuschierung beeindruckt mich allerdings die Größe. Kielkratzer sehe ich auch nicht. Auffallende Häufigkeit deutet wohl schon auf eine bestimmte Aktivitätszone (Einmessen deshalb wichtig) S.

Furchenhäschen

Servus Jürgen,
Kielkratzer gehören lt. Hahn ins:
1. Kiel- und Nasenkratzer
Diese finden sich zu mehr als 90 % im Aurignacien Europas (MOVIUS u. BROOKS
1971); im Vorderen Orient kommen sie jedoch bis in das Epipaläolithikum vor. Auch
im Badegaulien gibt es Kielkratzer. Nasenkratzer mit eindeutig nicht durch Gebrauch
entstandener Verengung der Stirn sind eher auf das Aurignacien beschränkt.
Zitat Ende:

dies ist in deinem geschilderten Fundkontext nicht möglich und wäre an der See nahezu eine Sensation.
Es handelt sich bei deinem Fundstück um einen neolithischen Kratzer mit etwas aussergewöhnlicher Größe.

Die Rundung bzw. weitere saubere Ausarbeitung der Kratzerkappe wurde m.E. durch ein Ereignis gestört, denn sie endet jäh.

Grüße
Peter :winke:


StoneMan

Moin,

vielen Dank für eurer Interesse und Engagement.

Wo fange ich an?

@ Jan, danke,

an eine "Werkstätte" habe ich natürlich auch gedacht, weitere Anhaltspunkte dazu habe ich leider nicht.
................

@ Saxaloquuntur,

welche Aktivität hättest Du da im Sinn? 
Und ja, Kratzerkappen sind immer rund - was ist der Hintergrund Deiner Frage?

Zitat von: Saxaloquuntur in 05. Oktober 2012, 11:26:01
Sind Kratzerkappen im Gegensatz zu Endretuschen nicht immer rund? ...
Mehr als die sorgfältige Retuschierung beeindruckt mich allerdings die Größe. Kielkratzer sehe ich auch nicht.
Auffallende Häufigkeit deutet wohl schon auf eine bestimmte Aktivitätszone (Einmessen deshalb wichtig) S.
Die Retusche ist tatsächlich partiell recht ordentlich; feine Lamellennegative mit einer Breite von 3 - 6 mm, bei
einer Länge von 15 - 20 mm laufen fast parallel nach oben hin zusammen.

Die Größe beeindruckt mich ebenfalls.
Obwohl, und damit will ich keinen Vergleich ziehen, die "wirklichen" Kielkratzer, z. B. dieser hier,
ist knapp 15 cm lang, meiner keine 9 cm.

Der Fundbericht geht mit Fundortangabe an die zuständige Stelle.
................

@ Peter,

mit Deiner Ausführung hast Du natürlich recht.

Mir ist bewusst, dass die Leitformen "Klingen, Hoch- und Kielkratzer" dem Aurignacien zugeordnet sind. Das ist
natürlich nicht der Zeithorizont für mein Suchgebiet.

Ich habe die zeitliche Einordnung (Hahn 1988; Foni Le Brun Ricalens1990 et all.) nicht überlesen.
Den Begriff "Kielkratzer" habe ich wissend um den zeitlichen Horizont meines Artefaktes gewählt (Neolithikum).

Ich wollte damit keine neue Terminologie-Diskussion, wie Kratzer vs Schaber, die auch mitunter
als zeitliche Trennung gesehen wurden.

Ich gebe zu, es war unglücklich von mir, auf J. Hahn zu verweisen, ohne zum Ausdruck zu bringen, dass ich damit keinen
zeitlichen Bezug herstellen wollte.
Der von mir angeführte Kielkratzer bei J. Hahn auf Seite 178 ist lediglich vom Aussehen ein Bruder meines Kratzers.
................


@ füxchen  :-D

danke, find ich auch, dass es ein sehr schöner ist.
Ich gehe mal davon aus, dass Du die selbe Argumentation ´Kontra Kielkratzer´ zugrunde legst, wie es Peter schreibt (?).

Fazit
Für mich stellt sich die Frage eigentlich nicht, ob Begriffe von Leitformen diverser Epochen auch anderswo verwendet
werden dürfen. Wie benennen wir Teile die immer noch oder wieder aussehen wie vor 30.000 Jahren?
Was meint ihr dazu?


Bleiben wir in meinem Falle einfach bei Kratzer, auch wenn er wie ein Hobel aussieht.  :zwinker:


Gruß

Jürgen

PS
ich danke euch noch einmal herzlich, vor allem denen die sich bis hierher durchgelesen haben - is ma widda Schietwedder bi uns.  :winke:
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Saxaloquuntur

#6
@Stonemann
Ich dachte, dass Du mit Deiner Beschreibung der Kratzerkappe das Artefakt definierst. Die Kappe ist kein Indiz für einen Kielkratzer.
(Edit:Zit."Sehr kennzeichnend, und hier beispielhaft für einen Kielkratzer, die breite durchgehend gebogene dorsale Stirnretusche."und noch mehr:"Oder ist diese auffällige Konzentration von ´Kratzern mit runder Kappe´ reiner Zufall?" )

Ich habe keine bestimmte Aktivität im Sinn. Eine Konzentration an einer Stelle spricht aber für eine Zone, in der sie besonders häufig gebraucht wurden, mehr meinte ich nicht. Wenn sie einst auf den Oberflächen zurück gelassen wurden und nicht aus Gruben oder einer Grube kommen ist die Verteilung in der Fläche das letzte Indiz für eine, wie auch immer geartete Aktivitätszone. Wenn die Kratzer dann nicht eingemessen wurden, können sie überall auf dem Acker gelegen haben und dieser letzte Hinweis ist futsch. S.

fuchs

Zitat von: StoneMan in 05. Oktober 2012, 17:01:35
@ füxchen  :-D
danke, find ich auch, dass es ein sehr schöner ist.
Ich gehe mal davon aus, dass Du die selbe Argumentation ´Kontra Kielkratzer´ zugrunde legst, wie es Peter schreibt (?).
Fazit
Für mich stellt sich die Frage eigentlich nicht, ob Begriffe von Leitformen diverser Epochen auch anderswo verwendet
werden dürfen. Wie benennen wir Teile die immer noch oder wieder aussehen wie vor 30.000 Jahren?

Hallo Jürgen,
es ist nicht richtig, Dinge falsch zu benennen. Ein Stuhl ist kein Tisch ... Du setzt dich hier über die Grundsätze der Artefaktbestimmung hinweg, warum?

StoneMan

Moin,

Zitat von: Saxaloquuntur in 05. Oktober 2012, 18:27:14
@Stonemann
Ich dachte, dass Du mit Deiner Beschreibung der Kratzerkappe das Artefakt definierst...
...
Wenn die Kratzer dann nicht eingemessen wurden...
@ Saxaloquuntur,

ich habe doch bereits oben geschrieben, dass es nicht korrekt von mir war ihn als Kielkratzer zu benennen. Er gleicht lediglich
einem Kielkratzer, wie ihn J. Hahn beschreibt.
Und Hahn definiert "Kratzer/Kielkratzer" genau so, als wenn er meinen Kratzer beschreibt.

Ich denke Du hast den Hahn (?), sodass ich nicht zitieren muss, mache ich aber gerne wenn gewünscht.

Da Kratzer vom Jungpaläolithikum bis ins Neolithikum vorkommen, hatte ich in Ermangelung einer speziellen Bezeichnung
(lediglich ´Kratzer´ war mir zu wenig) den so ähnlichen ´Kielkratzer´ als Bezeichnung verwendet.
Das war nicht richtig.  :friede:

Zur Fundortangabe.
In dem Fundmeldeformular eines unserer Bundesländer sind in der Rubrik zur Koordinatengenauigkeit fünf Punkte zum Ankreuzen.
1 - Genauigkeit: 5 m (amtliche Einmessung) ...das schaffen GPS-Geräte kaum
2 - Genauigkeit: 20 m (Ermittlung aus DGK 5)
3 - Genauigkeit: 50 m (Ermittlung aus TK 25)
4 - Genauigkeit:200 m (ungefähre Lage ca.)
5 - nicht lokalisierbar
  ...Das passiert selbst mir nicht.

Diskussionen über die Genauigkeit des Fundortes bei Lesefunden, die über eine lange Zeit durch die Landwirtschaft verlagert wurden,
gab es schon etliche.

Diese Region wurde bereits beackert als es noch kein technisches Equipment gab.
Jahr für Jahr wird der Boden umgepflügt.
Absammeln - oder liegen lassen bis ein Archäologe kommt? Das wird aus zeitlichen und personellen Gründen nicht möglich sein.
.......................

@ Christian,

:boh: ...bist Du harsch mit mir. Ich schrieb "eigentlich".

Zu Deiner Frage ´warum´, weil ich noch nicht genügend Kenntnisse habe. Ein Grund, warum ich hier in diesem Forum bin.
Ich hatte die Hoffnung, hier Unterstützung in diesen Dingen zu bekommen. 


Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

fuchs

Hallo Jürgen,

das ist nichts gegen Dich persönlich.  :winke:

StoneMan

Ach Christian,

ich hatte nur einen Zwinker-Smiley vergessen...

:boh: ...bist Du harsch mit mir  :zwinker:  ...besser so?

Wenn ich hier was persönlich nehmen würde, wäre ich doch längst nicht mehr hier.  :-D  :winke:

Alles im grünen Bereich.

Gruß

Jürgen
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Antoine de Saint-Exupéry

Saxaloquuntur

@stonemann
Ich habe mit meinem letzten Beitrag nur versucht eine Nachfrage zu beantworten. Jetzt wird es noch komplizierter.

Ich dachte, es geht um Ideen zur Konzentration/hoher Frequenz einer bestimmten Fundgruppe, die Ansprache ist geklärt, da muss ich bei "Hahn" nicht mehr nach lesen.  Vielleicht ist die Vielfalt der Fragen und Spekulationen die Du aufmachst nicht so günstig gewesen. Ich habe lediglich auf Deine Nachfragen geantwortet und davon ist der Kuddelmuddel nicht besser geworden. Ich wollte den thread nicht in Richtung Einmessung lenken, aber da Du in Interpretationen schwelgst, warum sie so häufig vorkommen, wollte ich wissen: eingemessen ja oder nein, mehr nicht. Deine Ausführungen hierzu sind an dieser Stelle nicht nötig.
Eine Beschreibung zu übertragen und dann die Bezeichnung zu übernehmen kann doch nur Verwirrung auslösen. Nicht alles was einen Stiel und ein dickes Ende hat ist ein Hammer. Du wirst ja nicht nicht versucht haben den cracks hier einen Apfel für eine Birne zu verkaufen, aber wenn ich Kielkratzer google, bin ich enttäuscht, wenn ich dann was anderes sehe. Aber schön, wenn wieder alles im grünen Bereich ist. Saxaloquuntur.

StoneMan

Moin,

@ Saxaloquuntur,

komplizierte wollte ich es wirklich nicht machen - sorry.
Du antwortest ja auch immer höflich und ausführlich, da wollte ich es mit einem lapidaren ja oder nein nicht abtun.

Der Hinweis zum Fundort ist gegeben und vor allem, der Fundbeleg ist gesichert. Auf diesen intensiv maschinell bearbeiteten
Feldern würde er sonst bald völlig zertrümmert sein.

Mal sehen, was der Archäologe dazu sagt.

Ja, ist alles im grünen Bereich  :winke:

Gruß

Jürgen

PS immer noch Schietwedder hier...^^
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Antoine de Saint-Exupéry