Neolithischer Stichel?

Begonnen von rolfpeter, 28. Februar 2010, 17:17:02

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rolfpeter

Servus,

draußen brettert der Orkan übers Land, da bleibt Zeit für die Sammlung. Bin gerade dabei, meine letzten Funde einzukisten.

Ich hätte da mal eine Frage:
handelt es sich bei dem gezeigten Sück um einen Stichel?
Grundform ist eine Klinge aus transluzidem Flint, distal mit 'nem glatten Angelbruch gekappt. Und dann ist da noch eine Facette an der Längsseite. Die scheint vom distalen Ende her geschlagen, ein Bulbusnegativ ist allerdings nicht zu erkennen. Dafür aber Gebrauchsglanz an den Längskanten der Facette, evtl. köönt ihr das auf dem kleinen Bild sehen.

An der Fundstelle gibt es überwiegend LBK und etwas Spätneolithikum.

Nun sind im rheinischen Neolithikum Stichel relativ selten, wenn überhaupt vorhanden.
Erwähnenswert ist, daß ich etwa 30m vom Fundort eine linksflüglige Pfeilspitze gefunden habe. Die ist von berufener Stelle (in diesem Fall I. Koch, die hat mit H. Löhr zu tun gehabt, der sich wiederum intensiv mit den Schiefflüglern befaßt hat) ins Endmesolithikum datiert worden.

Also: Stichel oder nicht? Neolithikum?

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

(Bei uns herrscht noch die Ruhe vor dem Sturm   aber der Sonnenuntergang   verhieß spektakulöse Wetterkapriolen)
Obwohl Stichel hier schon  interessantkontrovers behandelt wurden und ich  bei meinen örtlichen "Fachmännern" und "Fachfrauen" schon die verschiedensten Alleindeutungsfantasien erlebt habe- selbst nur diffuse Vorstellungen  über Verwendungszwecke  derselben im endeiszeitlichen Werkzeugfundus erahne-  möchte ich mutmaßen ,  verehrter RP, dass hier kein Stichel vorliegt.
Obwohl  auch "Rechteckstichel" vorkommen scheint mir der Winkel zu "recht" und vor allem wurde m.E. meistens versucht ein konkaves
Stichelabschlagsnegativ zu erreichen.
Mir scheint das distale Angelbruchende rezenter  und natürlicher zu sein als die  humanoid geschlagenen Längsgrate obwohl die Kantenverrundungen ähnliche Alterserscheinungen aufweisen.
Warum noch dieser kleine Restfortsatz dies  scheinbar  relativ unbeeinträchtigt überstanden hat ist mir noch als ein zusätzliches Rätsel aufgebürdet.
Bei einem Stichel in "Anwendung" hätte man den wohl weggepresst.
(Heuer noch kein Steinartefakt-Edi)
Bis bald
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

chmoellmann

Soweit mein Kenntnisstand ist, wurde nicht die Spitze zum werkeln genutzt, sondern die angeschlagene Kante. Demnach wäre das kein Stichel und die Kante nicht mutwillig abgeschlagen.
Aber auf jeden Fall ist die Grundform ein Klingenabschlag.

Ajo

Hallo,

und wirklich schwierig!!!

Wenn auch die Vorredner gute Gründe gegen einen Stichel Angeführt haben (Angelbruchrest, die Stärke der Klinge als Stichellamelle abgetrennt usw.), werde ich einige Pro-Argumente anführen... :platt:

(Anhand der Abb. kann ich mich nur schwer orientieren, aber) mit deiner Beschreibung würde ich einen Einschlag - Eck-Stichel an Bruch-Kante vermuten, da:

-   Abbaufläche vorhanden (Plattform!, hier der glatte Angelbruch)
-   Durch Stichelschlag/Technik retuschiert (Abfallstück von der Grundform produziert!)
-   Abbauwinkel zur Ventralfläche ? (normalerweise um 90 Grad)
-   Das Negativ des Bulbus auf der Stichelbahn ? (evtl. Druck statt Schlag)

+ die Gebrauchspur ... ist ein Stichel doch wahrscheinlich.  :kopfkratz:

Gruß!

queque

Zitat von: Ajo in 01. März 2010, 23:11:37
(Anhand der Abb. kann ich mich nur schwer orientieren, aber) mit deiner Beschreibung würde ich einen Einschlag - Eck-Stichel an Bruch-Kante vermuten, da:

-   Abbaufläche vorhanden (Plattform!, hier der glatte Angelbruch)
-   Durch Stichelschlag/Technik retuschiert (Abfallstück von der Grundform produziert!)
-   Abbauwinkel zur Ventralfläche ? (normalerweise um 90 Grad)
-   Das Negativ des Bulbus auf der Stichelbahn ? (evtl. Druck statt Schlag)

+ die Gebrauchspur ... ist ein Stichel doch wahrscheinlich.  :kopfkratz:


Tach Ajo,

siehst Du das auch alles, was Du da beschreibst?
Mit Blindheit geschlagen :besorgt:
Bastl

rolfpeter

Danke für die Meinungen!

Ich habe mir noch mal kritisch meine Bildchen angeschaut. Stimmt, wenn man das Stück nicht in der Hand hält, kann man sich schon verirren.

Das obere Bild ist klar: Ansicht von dorsal, Proximalende rechts, Angelbruch links, vermeintliche Stichelkante oben.
Mittleres Bild: Sicht auf die Stichelbahn, links Angelbruch, oben Ventralfläche, unten Stichelbahn.
Das untere Bild ist ein Detail aus dem obersten, soll die Gebrauchsspuren verdeutlichen.

Es wäre schön, wenn es auf der "Stichelbahn" ein Bulbusnegativ gäbe, dann wäre ja alles klar. Ist aber nicht. Also könnte der Angelbruch später sein. Ich weiß auch nicht, ob man das so drücken kann und wenn ja, ob dann überhaupt kein erkennbares Bulbusnegativ vorhanden wäre.

Jetzt hab ich noch mal 2 weitere Fotos gemacht, ich hoffe, man erkennt jetzt die Zusammenhänge.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Ajo

Nach den neuen Bildern meine ich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dass es ein Stichel ist.

Die wichtigsten Merkmale sind erfüllt (Plattform, Stichelbahn, Abbauwinkel).


@  Bastl, was erkennst du denn von meinen Aufzählungen nicht? :nono: (Ich habe schon Blinde sehend gemacht, siehe Abb.)

queque

... wie Schuppen von den Augen. Danke!
:winke:
Bastl

Khamsin

#8
Moin!

Mesolithische Stichel kennt man, neolithische Stichel gibt es - jedenfalls im Rheinland - nicht! Was da von durchaus berufener Seite an im übrigen extrem wenigen vermeintlichen Sticheln publiziert wurde, ist nichts anderes als präparationsbedingte Klingen(!!!)formen, die in aller Regel von der Kernfusspräparation an Klingenkernen stammen. Basta! Weiter werde ich das technisch nicht ausführen.

Ich liebe Ajo, im Essen, klar! Wenn Ajo aber im Brustton der Überzeugung hier auftritt, dann sollte er auch wissen, wovon er redet. Und da hapert´s!

Konkret heisst das:

- Abbaufläche und Plattform haben nichts miteinander gemein, und das wird auch klar, wenn man weiss, dass auf die Plattform die kinetische Energie einwirkt, die von der naturgemäss immer angrenzenden Abbaufläche ein Zielprodukt abtrennt!
Mit anderen Worten, Ajo versteht unter Abbaufläche jene Fläche, aus deren Richtung die Abtrennung erfolgte.
Tatsächlich ist die Abbaufläche jene Fläche, von der Grundformen, d.h. Abschläge, Klingen und Absplisse abgetrennt worden sind.

- im vorliegenden Fall könnte man im übrigen - nach meinem technologischen Verständnis - gar nicht von Abbaufläche sprechen, sondern höchstens von Abbaukante. Oder man wäre bereit, zwei Abbauflächen zu akzeptieren, nämlich einen kantennahen und zugleich -parallelen Abschnitt der Dorsal-, aber auch und in vergleichbaren Dimensionen, der Ventralfläche.

- Schliesslich befindet sich der Abbauwinkel ganz gewiss nicht zwischen einem Negativ und der angrenzenden Ventral-??? oder Dorsal???fläche! Nach dem Ajo-Prinzip muss man sich auch fragen, warum nicht auch auf der gegenüberliegenden Seite der Abbauwinkel-Markierung ein weiterer Abbauwinkel markiert ist, oder. Und beide Winkel müssten nicht übereinstimmen, capisce!? Das ist natürlich bizarr und hat mir der archäologischen Definition von Abbauwinkel eben nichts zu tun!
Der Abbauwinkel - lies doch mal nach, junger Freund - ist jener Winkel, der sich am Übergang zwischen Schlagfläche und Abbaufläche befindet. Joachim "Kim" Hahn und einige andere lassen grüssen.

Last but not least: Gibt es Euch nicht zu denken - worauf RP schon deutlich hingewiesen hat - dass am proximalen Ende des "Stichel"negativs absolut jeglicher Hinweis auf ein vollständiges Negativ fehlt. Selbst bei der weichsten aller weichen Abtrennungen müssten Spuren einer Lippe am Proximalende vorhanden sein. Dies bedeutet, dass das Negativ auf jeden Fall gekappt ist, d.h. dessen Proximalende mit dem Bruch der Klinge verschwunden ist.

Schiefflügler sind, wie alle Pfeilspitzen, keine Siedlungsanzeiger, Stichel dagegen schon. Deshalb würde ich das Ding keinesfalls mesolithisch datieren! Denn Pfeilspitzen flogen zu allen Zeiten munter durch die Gegend, so dass sie unweit entfernt geborgene andere Oberflächenfunde nicht zwangsläufig datieren müssen.

Was immerhin diskutabel wäre: Da brauchte jemand eine feste, geradlinige und scharfe Kante zum Schaben/Kratzen, wie sie z.B. aus der LBK in Form der "frites" bzw. "quartiers d´orange" nicht nur bestens bekannt sind, sondern sogar nach festgelegten Regeln im NW Verbreitungsgebiet der LBK hergestellt worden sind. Wie, das ist eine andere Baustelle.

Fazit: Neolithische Klinge mit natürlich entstandener Bruchfazette und Gebspur.

HG KIS    

"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Ajo

Immer gern, Bastl und freut mich das die Abb. geholfen hat!

BG!
:winke:

@ Wüstenwind: Was ist den mit dir wieder los?  :staun:

rolfpeter

Schön kontroverse Diskussion, freut mich!

Ich hatte aus gutem Grunde den neolithische Stichel im Betreff mit 'nem Fragezeichen versehen.

Bin der gleichen Meinung wie der verehrte Khamsin...es gab sie im Rheinland einfach nicht.

Auch wenn mal ab und an ein vermeintliches Exemplar gefunden (und publiziert) wurde, bleibt für mich als wichtigstes Gegenargument folgendes:
Im Rheinland sind hunderttausende von neolithischen Feuersteinartefakten gesammelt und von mehr und manchmal leider auch weniger kompetenter Seite begutachtet worden. Darunter mag es einige Hände voll von "Sticheln" geben (ich kenne genau drei publizierte Exemplare).
ABER! Würde es sich dabei um Artefakte handeln, die intuitiv als Stichel hergestellt und als solche genutzt wurden, dann sollte ihr Anteil an der Gesamtmenge weitaus höher sein. So sind es nach meinem Dafürhalten Zufallsprodukte, die niemals in Serie gegangen sind.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Das denk ich auch, RP.
Ajos , darstellerisch gelungenen Deutungsversuch , in allen Ehren, aber:
"Abbauplattform": Die ist einfach nicht ersichtlich....ich denke es ist ein BRUCH (nach Herstellung der Klinge)
"Konkave Abschlagsbahn": Fast jede Abschlagsbahn ist konkav. Ich meinte  oben damit  dass die Abschlagsbahn quer zur Laufrichtung konkav sein sollte.
"Abbauwinkel": Es gibt immer einen Abbauwinkel
"Stichelbahn": Das kann nur zutreffen wenn genügend , hinreichend, genügsame Vorbedingungen schon erfüllt wären den Stichelverdacht zu nähren.

Der Winkel am Stichelabschlag sollte übrigens meist deutlich im spitzen Bereich liegen....sonst würde es  vielleicht eher Stochel heißen .

Auch wenn ich dem Begriff "Stichel" ungefähr so anhänge wie dem des "Schuhleistenkeils",
jeder von mir  bisher gesehene , "sichere" datierte  Stichel hatte die Eigenschaft vorne am Abschlag immer noch sehr spitz zu sein, meistens an einer Endretusche geschlagen worden zu sein und am Gegenende eiigermaßen massiv ausgebildet zu sein.
Gegenüber des Stichelabschlages (an der anderen Laterale findet man nicht selten  Druckabplatzungen)  an der oftmaligen Basis gebärdet sich fast jeder relativ massiv. Damit hänge ich Wikingers These an dass diese Werkzeugart hauptsächlich in (Knochen und) Geweih arbeitete....und diese Form der Silexspezialisierung eher in das Jungpaläolithikum datieren sollte.
Aber ich bin durch ein paar, hier vor etlichen tausend Jahren, durchmarodierenden Endpaläolithikern vielleicht auch etwas jagdblind.......
aber immer heiß auf solchen Austausch von Meinungen (auch Gefühlsäußerungen)
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Ajo

Hallo!

:belehr: Die Argumentation gegen den ,,neolithischen Stichel" wurde nie von mir Angezweifelt, sondern als besonders aussagekräftig eingeordnet. Es ist halt bei solchen Beiträgen immer ein HIN und HER mit der eigenen Meinung. Die Gegenargumentation habe ich aber trotzdem Übernommen, da sie berechtigt ist und bleibt. Die Ansprachen sollte man vor einer Beurteilung schon abklopfen, auch wenn mir persönlich das Ergebnis egal ist.


                                                                                              :ironie:
:reiter: "Aber ich werde hier den Eckstichel an Bruchkante auf Teufel komm raus verteidigen und wenn es sein muss einen Stichelkrieg heraufbeschwören." :reiter:

                                                                                                ---

Das angerichtete Definitionsdurcheinander trägt nicht wirklich zur Aufklärung bei. Khamsin hat anhand der, von mir falsch dargestellten, Definitionen einige Anfängerfragen abgearbeitet und, was meinen Beitrag angeht, dazu stark spekuliert. Das kann hier wirklich nicht Thema sein!

Richtigstellung, Eckstichel an Bruchkante:

Es gibt natürlich verschiedene, durch den Abbau entstandene, Winkel und nur einen der die Terminologie Abbauwinkel im archäologischen Fachgebrauch verdient! Einfach ,,Winkel oder rechter Winkel" od. so, wären hier die besseren Definitionen gewesen, ich hatte aber oben vom ,,Abbauwinkel" zur Ventralfläche gesprochen.

Die Merkmalsansprache müsste oben lauten;
-   Plattform vorhanden (hier der Angelbruch).
-   Abbaufläche vorhanden (von Plattform aus geschlagen, besser; auf Bruchkante aufgesetzt).
-   Durch Stichelschlag/Technik retuschiert (Abfallstück von der Grundform, hier gegen das Proximalende produziert!?).
-   Rechter Winkel zur Ventralfläche ? (regelhaft um 90 Grad).
-   Das Negativ des Bulbus auf der Stichelbahn ? (evtl. Druck statt Schlag).
-   + viele weitere Merkmale, die ich hier aber nicht sehe.
(Findet man alles u. a. auch bei Hahn.)

Und mit der neuen Abb. würde das auch wieder Sinn machen, wenn es ein Stichel wäre!

In diesem Sinne fasse ich hier zusammen.

Pro: Plattform (kann man in Frage stellen da Angelbruchrest und evtl. rezent), Abschlagbahn (ist wie entstanden?), 90 Grad Ventral-Winkel zur Stichelbahn.

Contra: Unterschiedlich starke Patinierung! Keine mesolithischen/neolithischen Stichel im Rheinland bekannt, fehlende Negativ auf der Stichelbahn, der am distalen Ende befindliche ,,natürliche" Angelbruch-Rest.)

Fazit: das Contra wiegt doch von der Argumentation viel schwerer, ehr kein Stichel. Sorry Bastl!!! :engel:


Zitat von: Silex in 02. März 2010, 21:57:33
aber immer heiß auf solchen Austausch von Meinungen (auch Gefühlsäußerungen)
Starke Ansagen verehrter Silex, ich hätte schon noch weitere Argumente für den Stichel... :narr:


Gruß!