112 Beilklingenfragmente von einem Platz

Begonnen von thovalo, 19. Mai 2010, 19:51:03

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

thovalo

Hallo liebes Forum  :winke:

Ich habe Heute alle Beilklingenbelege von einem der Hauptfundplätze auf dem rechtsrheinischen Großfundareal zusammengefasst und ausgewertet.

Der Fundplatz befindet sich in Handlage und hat einen Umfang von 620 Metern. Die Funde stammen innerhalb dieser Fläche von einem offenbar zentralen Fundpunkt und werden aus einem oder wenigen Befunden heraus erodiert und mehrmals im Jahr weiter in die Fläche hinein die Pflugbahnen entlang gezogen und verteilt.


Es fanden sich bis Heute

(letzter "Treffer" Gestern: http://www.sucherforum.de/index.php/topic,42766.0.html Bild 5)

auf diesem einen Fundplatz insgesamt 112 Beilklingenbelege allein aus Feuerstein, davon 99 mit Schliffpartien und 13 Stücke aus den Feuersteinvarietäten "Valkenburg", "Lousberg" und "taubengrauer" Silex, die ausschließlich zur Beilklingenproduktion verwendet worden sind.

Ein weiteres geschliffenes Fragment (Stück 113) ist als Schneidenpartie eines Silexmeißels zu identifizieren.

Zwei Beilklingenfragmente sind sekundär zu einem Kratzer und einem kleinformatiger Bohrer umgearbeitet worden.

Nicht zu ermitteln ist die Anzahl der nicht überschliffenen Beilklingenfragmente unter den am Ort massenhaft auftretenden Artefakten und Werkbelegen aus Rijkholtfeuerstein.

Bemerkenswerter weise liegt bislang keine einzige vollständige Silexbeilklinge vor. Dies kann auf eine hoch effiziente Rohmaterialverwertung hindeuten, eine Vermutung, die durch das Vorhandensein von abgebauten Kernsteinen aus Beilklingenfragmenten unterstützt wird. Ggf. muss damit gerechnet werden, dass Beilfragmente und aus ihnen zugerichtete Artefakte über mehrere Fundplätze auf dem Gesamtfundareal oder auch an Siedlungen im weiteren Umland verteilt worden sind.


Aktuell liegen vor:

13 Beilklingenbelege aus Silex der Varietät "Rijkholt" (1 Klopfstein, 2 Kerne, 1 Schneide, 4 Abschläge, 3 Absplisse, 3 Trümmer)

2 Beilklingenbelege wahrscheinlich der Varietät "Spiennes" (1 Schneide, 1 Abschlag)

10 Beilklingenbelege der Varietät "Valkenburg" (1 Klopfstein, 2 Nackenpartien, 2 Trümmer, 5 unbeschliffene Abschläge)

5 Beilklingenbelege der Varietät "Lousberg" (1 Klopfstein, 4 Abschläge)

1 Beilklingenbeleg wahrscheinlich der Varietät "Simpelveld" (1 Nackenpartie)

27 Beilklingenbelege der Varietät "taubengrauer" Silex (1 Klopfstein, 3 Kerne, 1 Kratzer, 8 Abschläge, 1 Abspliss, 6 Trümmer, 7 Abschläge ohne Schliffpartie)

4 Beilklingenbelege "hellgrauer Belgischer" Feuerstein (2 Abschläge, 1 Abspliss, 1 Trümmer)

43 Beilklingenbelege aus nicht zuzuordnenden Silexvarietäten (1 Kern, 2 Beilnacken, 1 Bohrer, 12 Abschläge, 7 Absplisse, 19 Trümmer, 1 Beleg ohne Schliffpartie)

6 verbrannte Beilklingenbelege aus Silex (6 Trümmer)


Der bislang im Rheinland wenig beachtete taubengraue Feuerstein ist von hoher Materialqualität und unbekannter Herkunft. Er bildet vollkommen überraschend die größte der homogen zusammengesetzten Gruppen mit Fundnachweisen von Beilklingenbelegen mit Schliffresten (20 von insgesamt 27 Stücken).

Die Silexvarietäten sehr unterschiedlicher Ausprägung, die keiner Varietät sicher zugeordnet werden können, belaufen sich auf 43 Stücke (davon eines ohne Schliffpartie) und bilden eine Fundgruppe in heterogener Materialzusammensetzung.

Quantitativ absteigend geordnet folgen auf den dominant vertretenen "taubengrauen" Feuerstein (27)  Beilklingenbelege der Varietäten Rijkholt (13), Valkenburg (10), Lousberg (5), "hellgrau Belgischer Feuerstein" (4), Spiennes (2) und Simpelveld (1).


Mit 13 verbrannten Belegen sind an diesem Platz bislang knapp mehr als 10% der Beilklingenbelge verbrannt.


Soweit erkennbar, waren die Schmalseiten der Beilklingen aus Feuersteinvarietäten von diesem Fundplatz regelhaft schmal angeschliffen. Anpassungen waren bislang nicht möglich.


Allein schon aufgrund der Besonderheiten der Materialzusammensetzung und des regelhaften seitlichen Anschliffs der Silexbeilklingenbelege ist das vorliegende Fundinventar von allen bisher bekannten Fundinventaren der Michelsberger Kultur in ihrem Europäische Gesamtverbreitungsgebiet abzugrenzen.


Der hier vorliegende Fundkomplex, zu dem viele hundert weitere Artefakte gehören, steht wahrscheinlich in einem anderen kulturellen und/oder chronologischen Kontext.


Abbildungen:

Bild 1: Beilklingenbelege aus Feuerstein der Varietät "Rijkholt"

Bild 2: Beilklingenbelege aus Feuerstein der Varietät "Spiennes"

Bild 3: Beilklingenbelege aus Feuerstein der Varietät "Valkenburg"

Bild 4: Beilklingenbelege aus Feuerstein der Varietät "Lousberg"

Bild 5: Beilklingenbeleg aus Feuerstein der Varietät "Simpelveld" (?)

Bild 6: Beilklingenbelege aus Feuerstein der Varietät "taubengrau"

Bild 7: Beilklingenbelege aus Feuerstein der Varietät "hellgrau Belgisch"

Bild 8: Beilklingenbelege aus nicht näher zuzuordnende Feuersteinvarietäten

Bild 9: Beilklingenbelege aus verbrannten Feuerstein
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

#1
Zu guter Letzt!

Bild 1: Sekundär aus einem Beilklingenabschlag aus "taubengrauen" Silex gearbeiteter Kratzer mit erhaltenen Schliffpartien

Bild 2: Sekundär aus einem Beilklingenabschlag aus "unbekannten" Silex gearbeiteter kleiner Bohrer mit erhaltener Schliffpartie

Bilder 3-4: Schneidenpartie einer facettiert geschliffenen und alt gebrochenen Meißelklinge aus unbekanntem Silex


LG  thomas   :-)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Ja, das ist schon beeindruckend, lieber Thomas!

Erstaunlich ist der hohe Anteil am Taubenblauen. Der kommt bei mir zwar auch mehr oder weniger regelmäßig vor, aber lange nicht in einer solchen Menge.

Interessieren würde mich, wie Du den Rijckholt-Flint vom Spiennes-Flint unterscheidest.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

#3
@ rolfpeter

nach J.W. sind Artefakte sicher als Rijkholt anzusprechen, wenn sie dunkle punktuelle Einschlüsse/Einfärbungen aufweisen.

(auf dem Bild zu Rijkholtbeilklingenfragmenten recht gut zu erkennen).


Am Beispiel der hier Spiennes zugeordneten Beilschneide hat er mir erklärt, dass dieses Stück exemplarisch dem Material von Spiennes entspricht. Zwar dem Rijkholtfeuerstein sehr ähnlicher Struktur mit dunkler grauen Einlagerungen. Die dunkeln Punktierungen fehlen aber, die bei der heller grauen Varietät von Rijkholt bei einem so großformatigen Stück vorhanden sein "müssten".

Aber ich weiss wie schwierig und heikel diese Zuordnungen sind. In ein paar Jahren kann man bei der Entdeckung neuer Lagerstätten vielleicht wieder neue Perspektiven einnehmen.


Sag mal, ich bin da nicht so sicher: nennt Jürgen das "taubenblau" oder "taubengrau"?


Ich werde die Tage die Silexbeilklingenbelege der einzelnen Fundstellen auf dem Großfundareal weiter auszählen. Ich schätze, dass insgesamt bereits über 300 Belegstücke vorliegen. Keine einzige Klinge ist vollständig/unbeschädigt erhalten oder weist keine Spuren einer sekundären Verwendung auf.

Aufgefallen ist mir noch: Die Medialfragmente scheinen bevorzugt als Kernsteine weiter verwertet worden zu sein, während die direkten Schneiden- und Nackenpartien sekundär zum Schlagen und anderen Tätigkeiten verwendet worden sind.


:winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Ich meine taubenblau - wie mein mentaler Dauerzustand. Könnte aber auch grau sein - wie meine Haare - so what!
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert