Ein sehr kleiner Stichel, heute im wild wehenden Wind aufgelesen

Begonnen von thovalo, 06. Februar 2024, 19:12:21

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thovalo



Moin!

Das Fundeelände liegt auf einem leicht erhöhten Plateau an einem Altarm des wilden Rheinlaufs. Dort fand ich seit 20 JAhren bereits viele Artefakte des späten Paläolithikums aus dem Zeitabschnitt der FEdermesserkulturen, darunter weit überdurchnitelich häufig auch Stichel. Heute habe ich mir Bewuchslücken auf der Feldflur angesehen und dabei überraschend noch einen "einfachen Stichel an gebogen verlaufender Endretusche" auflesen können. Das Stück ist für den Platz charakteristisch weiß patiniert.

Daneben fand sich noch die abgebrochene Distalpartie einer kleinen Klinge, ein rezent beschädigter  Abschlag und eine Flintenkugel aus Blei. Für drei Stunden Lauferei ein wirklich kleines Fundaufkommen. Aber es war auch die Xte Begehung in diesem Bereich nach der letzten Bodenbearbeitung.

Die Stichel haben hier mit den Kratzern einen etwa gleich hohen Anteil im Fundaufkommen. Das ist ser ungewöhnlich. Stichel werden zumeist als Arbeitsgeräte zur Bearbeitung von Mammutelfenbein, Geweih und Knochen angesehen und beschrieben, wobei am Fundort zeitbedingt Elfenbein nicht in Frage kommt. Vielleicht wurden hier Knochennadeln mit Ösen hergestellt oder Flächen auf Knochen oder Geweih graviert und dekoriert. Das würde sich wohl erst durch eine Grabung näher erschließen lassen.

Der Fundbeleg ist eingemessen und wurde noch nachgemeldet, denn das Geamtfundinventar wird aktuell facharchäologisch aufgenommen und ausgewertet.

lG Thomas  :winke:

lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Danske

Hallo Thomas,

die in situ Fotos sind sehr schön, ein feiner Fund, der einen von der Ackeroberfläche regelrecht anstrahlt. Tolle Patina!

Ist mitten in der Stichelbahn eine Störung im Materialgefüge? Die durch den Schlag erzeugte Lamelle dürfte nicht so recht gelungen sein, oder?

Der Boden scheint für eine Begehung hervorragend geeignet. Bei mir muss ich derzeit Gummistiefel tragen und habe gefühlt 5 Kg Lösslehm an jeder Sohle.

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

thovalo


Guten Tag!

Die dunklere Partie in der Mitte der Stichelbahn ist eine durch seitlichen Druck erzeugte flächige  Abplatzung der Patina, die dadurch dunkler erscheint. Das Material ist dadurch gut als sehr homogener  "nordischer" Feuerstein zu erkennen.

Das war jetzt die sechste Nachbegehung. Die Fläche ist dicht bewachsen und weist zwischen dne Pflanzen und entlang der Traktorspuren aber auch inzwischen vollkommen abgeregnete gut einsehbae Stellen auf. Die bin ich dann abgegangen. Das innerhalb ovndrei Stunden bei starken Wind und nieselden Regen insgesamt nur drei lithische Artefakte (noch eine abgebrochene Distalpartie einer kleinen Klinge und ein rezent beschädigter Abschlag) zusammenkamen  macht deutlich wie gründlich der Platz nun abgesammelt worden ist.


Die näcste Begehung mach erst wieder Sinn, wenn die Feldflur abgeerntet wordne ist und es danach auch wieder geregnet hat. Die weißliche Patinierung erleichtertganz auf dem Platz das Erkennnen erheblich.

Jeder Fundbeleg wird per GPS (UTM) eingemessen. Ich habe durch die zuständige städtische Bodendenkmaplpflege Fundtüten zur Verfügung gestellt bekommen, die sich gut und bleibend beschriften lassen, sodaß die Daten dann auch direkt mit dme jeweiligen Fundstück zusammen aufbewahrt und weiter bearbeitet werden kkönnen. Beim Amt für Bodendenkmalpflege werden die Artefakte dann in die Fundverteilungsübericht des Platzes eingetragen und danach dem facharchäologischen Bearbeiter übergeben, der sie dann in die Liste der Funde und die Listung der metrischen Daten aufnimmt. Die Berbeitung dauert sicher och lange an und die  bereits genommenen Bodenproben werden noch in Bezug auf die Pollenanalyse und ihre Bildungsgeschichte ausgewertet, damit auch die direkte Umwelt des Platzes in der Zeit des ausgehenden Eiszeitalters näher bechrieben werden kann.

Das geschieht hier erstmalig für einen Fundplatz dieser Zeitstellung und stellt dann einen wichtigen Referenzpunkt dar.

Weil das Aufkommen der Stichel weit überproportional hoch ist, scheint auf diesem Platz insbesondere die Bearbeitung der Knochen vor allem kleinerer gejagter Tiere (Hasen, Vögel, Biber usw.) im Fokus gestanden zu haben. Mit den größeren und kräftigeren Sticheln des Fundplatzes war dann auch die Bearbeitung von Geweihen und Geweihobjekten möglich. Das ist zumindest für das Rheinland ein außergewöhnlicher Befund. Vielleicht bereitete man sich hier auf die Jagd vor, für die man Harpunenspitzen aus Geweih herstellte und kleinerere Knochengeräte, wie Nähnadeln mit Ösen anfertigte, um Kleidung zu nähen oder Gebrauchsgegenstände wie Köcher, Taschen usw. anzufertigen.

Ich bin gespannt, wie der facharchäologische Bearbeiter des Fundinventars die Zusammensetzung des Gesamtfundinventars und dei gewonnenen Umweltdaten dann zusammenfassend interpretieren wird.


Was aber jetzt schon unerwartet gut gelungen ist, ist die Festigung und Vorbereitung des Platzes für die Aufnahme einer komplexen  wissenschaftlichen Auswertung. Denn unter den bislang 80  bekannten Fundplätzen der Zeit (vor allem Einzelfunde und kleinste Fundaufkommen) aus dem nordrheinischen Teil von NRW, gibt es bislang nur wenige gut untersuchte und vor allem umfassender ausgewertete Fundplätze aus der Zeit der Federmesserkulturen.

Von den 80 bekannten Fundstellen aus dem nördlichen Rheinland, das sich entlang des Rheinlaufs bis zur Grenze mit den Niederlanden erstreckt, ist das Fundgelände von dem u.a. dieser Stichel stammt, der jüngste in das Fundregister aufgenommene Fundplatz der Federmesserkulturen.

Es ist zudem der erste Fundplatz rechts des Rheinlaufs der ein umfangreicheres Fundinventar überliefert. Eine kleine Gemeinschaft von Jäger- und Sammlern lagerte hier vielleicht nur ein paar Tage, Wochen oder doch einige Monate lang. Das wird sich wohl erst in der Gesamtauswertung zeigen können.


lG Thomas :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Hallo Thomas,
danke fürs zeigen und die detaillierten Fotos. :super:
Ein zweifelsfreier, wunderbarer Stichel.
Bei solch einer ausführlichen Erklärung gibts keine weiteren Fragen.
Grüße Peter :winke:

Danske

Hallo Thomas,

ich habe die Stichelbahn falsch gedeutet, nach genauerer Betrachtung der Fotos und nach deinen Erläuterungen ist es klar. Darüber hinaus kann ich mich den Worten von Peter nur anschließen.

LG
Holger :winke:
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

thovalo

#6

Die sehr kleinformatigen Stichel sind in dem Fundinventar offenbar gar nicht so selten vertreten wie ich dachte. Die sind schon eine ganze Weile zur weiteren Bearbeitung ausgelagert.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo


Dieser hier ist gleichfalls gleich lang und ein Doppelstichel. Er wurde sehr ähnlich ausgeführt und ist gerade erst gezeichnet worden.



lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Kelten111


thovalo



Dankeschön, um die einzusammeln musste ich lange auf die Piste!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Servus Thomas,
eine wunderschöner Doppelstichel, zeitl. würde er in Bayern wohl ins Magdalenien datiert.

Grüße Peter

thovalo

Zitat von: Furchenhäschen in 04. März 2024, 17:02:02Servus Thomas,
eine wunderschöner Doppelstichel, zeitl. würde er in Bayern wohl ins Magdalenien datiert.

Grüße Peter


Auch so klein wie der ist?


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Es gibt von diesem Fundplatz auch einen eine "bec du perroquet" der als charakteristisch für das späte Magdalenién gilt. Der hat Erstaunen ausgelöst und diese Feststellung wurd bislang erstmal so stehen gelassen. Je mehr ich mich gemeindsam mit den beteiligten Instituationen und Wissenschaflern mit dem Fundareal aber auch mit den Fundsituationen im Umland auseinandersetze, erscheint zumindest auf diesem Platz auch ein Vorlauf zur Entstehung des Federmesserfundplatzes als möglich.

Es könnte sich aber auch um eine späte Reflexion auf solche "Papageischnabelstichel" handeln.


Was aktuell sehr spannend ist: der Platz lag erstmalig seit seiner Entdeckung monatealng offen und konnte gleichfalls erstmalig optimal abregnen und so weitgehend abgesammelt werden wie noch nie.


Ich kann es kaum erwarten, das der Platz in diesem Jahre erneut landwirtschaftlich bearbeitet wird. Wenn sich dann wieder einige Artefakte zeigen sollten dann dürften diese dann vergleichseise aktuell an die Oberfläche befördert worden sein. Das ürde dann etwas darüber aussagen ob und in welchem Umfang noch mögliche Befunde im Boden erhalten geblieben sind. Fabei spielen die erstmalig durchgeführte Einnmesseung eines jeden Flintfitzels auf dem Fundplatz eine wichtige Rolle, um zumindest ungefähr die Stellen der aktuellen Fundkonzentrationen festlegen zu können.

Im Bereich der möglichen Konzentration sollen dann eine oder nauch mehrere Grabungssondagen durchgeführt werden. Dabei wird sich dann hoffentlich auch zeigen, ob es sich ausschließlich um Hinterlassenschaften aus der Zeit der Federmeserkutur handelt oder ob es tatsächlich auch noch Artefakte aus der Zeit des Übergangs zur Federmesserkultur mit vorliegen.


Es gibt aus dem Rheinland bislang nur eine handvoll vergleichbarer Fundplätze und nur der Fundplatz bei Wesseling zwischen Köln und Bonn ist systematisch und weitflächig ergraben worden mit einer anschließenden intensiveren Auswertungen des Fundmaterials. Die Publikation zum Materialgebrauch und der vermuteten Wanderbewegung konnte ich mir heute aus dem www. herunterladen.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Kelten111

Zitat von: thovalo in 05. März 2024, 10:53:48Auch so klein wie der ist?


lG Thomas
Ja wir haben eine große Magdalene Fundstelle mit sehr vielen Sticheln.
Aber nur weil es ein Doppel Stichel ist würde ich ihn nicht gleich ins Magdalene stecken.
Mfg

thovalo

Zitat von: Kelten111 in 05. März 2024, 16:23:40Ja wir haben eine große Magdalene Fundstelle mit sehr vielen Sticheln.
Aber nur weil es ein Doppel Stichel ist würde ich ihn nicht gleich ins Magdalene stecken.
Mfg


Ja, das denke ich auch. Man muss einfach GEduld haben und sehen was die HZusammenhänge mit den Jahren ergeben werden.


Danke für Deine Rückmeldung!

Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Zitat von: Kelten111 in 05. März 2024, 16:23:40Ja wir haben eine große Magdalene Fundstelle mit sehr vielen Sticheln.
Aber nur weil es ein Doppel Stichel ist würde ich ihn nicht gleich ins Magdalene stecken.
Mfg
Servus Fredi,
ich habe einen Teil der Artefakte aus der Klausenhöhle gesehen, darunter einige Stichel die dem Fundstück von Thomas frappierend ähnlich sahen und typologisch so passen.
Klar bei einem Lesefund ist es immer ein kann möglich sein, muss aber nicht.

Grüße Peter

Kelten111

Zitat von: Furchenhäschen in 05. März 2024, 17:46:03Servus Fredi,
ich habe einen Teil der Artefakte aus der Klausenhöhle gesehen, darunter einige Stichel die dem Fundstück von Thomas frappierend ähnlich sahen und typologisch so passen.
Klar bei einem Lesefund ist es immer ein kann möglich sein, muss aber nicht.

Grüße Peter

Ist klar Peter .
Bin da voll deiner Meinung.
Mfg

thovalo

Zitat von: Kelten111 in 05. März 2024, 19:49:34Ist klar Peter .
Bin da voll deiner Meinung.
Mfg


Hallo Peter und Fredi!

Das Fundinventar ist in Bearbeitung. Der bearbeitende Archäologie ist sher sorgfältig und arbeitet außerordentlich wissenschaftlich und führt seit Jahren eine Höhlengrabung durch die immermehr wichtige Fundbelege zutage fördert, daunter auch menschliche Überreste. Dort sind alle Funde stratifiziert und es gibt in dieser Stratigrafie einen zeitgleichen Fundhorizont, sodaß eine direkte Vergleichbarkeit besteht. Diese Höhle liegt 65 km von dem Oberflächenfundplatz entfernt und die Leitlinie, die die Distanz überbrückt, ist die sogenannte "Hellwegzone" also eine Landverbindung, die seit der Urgeschichte von der Region des Oberflächenfundplatzes ausgeht und nach Osten führt. Es handelt sich um zwei Fundplätze aus einer kulturellen Epoche unterschiedlichen Typs. Was sie verbindet ist der einheitliche Materialbezug, denn an beiden Plätzen wurde nur der nordische Feuerstein verwendet.

Der dritte Fundplatz ist Wesseling, der wiederum 66 km vom Oberflächenfundplatz entfernt liegt um den es hier im Beitrag geht. Wesseling überliefert ein vielfältigeres Materialspektrum, das aus der Region zwischen Bonn, Aachen und Krefeld stammt.

Zu Wesseling liegt wiederum Oberkassel, der bislang einzige Fundort menschlicher Überreste dieser Zeit im Rheinland, nur 19 km entfernt.


Oberkassel gehört in die Frühzeit der Federmesserkultur, Wesseling in die Kernzeit, für den Höhlenfundplatz laufen die datierenden Analysen und der von mir entdeckte Fundplatz ist in diesem Zeitspektrum chronologisch auch noch nicht festgemacht. Die geologischen Beprobungen sind ja abgeschlossen und da die Schicht des Platzes mit erfaßt werden konnte, laufen aktuell auch diese Ansätze zu einer Datierung, die hoffentlich eine zumindest ungefähre Einschätzung ermöglichen werden.

Die Existenz der Federmesser-Gruppen umspannt einen Zeitraum von etwa 1.200 Jahren. Erst in den späten 1980er Jahren hat deren systematische Erforschung im Rheinland begonnen. Bis heute sind dort insgesamt 80 Fundplätze bestätigt, darunter allerdings viele Einzelfundbebachtungen von einzelnen Spitzen und sehr kleine Aufsammlungen. Damit repräsentiert ein Fundplatz einen Zeitraum von 15 Jahren. Da ist noch deutlich Luft nach Oben.

Das wird alles noch Zeit brauchen.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.