Exkursion ins Feuersteinland

Begonnen von rolfpeter, 17. September 2009, 23:09:41

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

rolfpeter

Servus Freunde,

endlich hat's geklappt. Jürgen Weiner, einer der besten, wenn nicht gar der beste Kenner des Neolithikums im Rheinland und darüber hinaus, hatte mich eingeladen, eine Exkursion ins südlimburgische, das ist der schmale Zipfel im Süden der Niederlande, "Vuursteenland" zu unternehmen. Dort und im angrenzenden belgischen Limburg, sowie am Aachener Lousberg, liegen ja die Vorkommen der hier bei uns im Westen bedeutendsten Flinte, z.B. Rijckholt, Valkenburg, Simpelveld, Lousberg, Orsbach/Vetschau usw...

Morgens gegen 9:00 Uhr haben wir uns also auf den Weg gemacht, zuerst Richtung Aachen. Vorbei am Lousberg, dort hatte mich der Jürgen schon mal anläßlich eines Tages des offenen Denkmals rundgeführt, haben wir bei Vaals die niederländische Grenze überschritten. Erstes Ziel war der Polissior von Slenaken. Das ist ein großer Sandstein-Findling, auf dem in neolithischer Zeit Feuerstein-Beilklingen geschliffen wurden. Der Polissoir liegt am Hang eines dort fließenden kleinen Bächleins, mitten in einem kleinen Pappelwald. Es führt kein Weg dorthin, es gibt keine Hinweisschilder, ohne ortskundigen Führer ist das Ding unauffindbar. Also über etliche Stacheldrahtzäune, gottseidank kein Kontakt zu Elektrozäunen und Rindviechern, noch einige Meter durchs Unterholz...und da liegt das gute Stück vor uns.

Links, das ist Jürgen Weiner, rechts der Polissoir von Slenaken.


in diesen scharf ausgeprägten Rinnen wurden die Schmalseiten der Beile geschliffen.


In den flachen Mulden, leider etwas schwer zu erkennen, wurden die Breitseiten der Klingen geschliffen.


Von Slenaken ging es über Maastricht, vorbei an St. Gertuid, dort wo die ergrabene Feuersteinmine von Rijckholt liegt, an die nahe belgische Grenze. Hier, am Albertkanal, ist die gesamte Maastricher Oberkreide mit allen vorkommenden Flintvarietäten aufgeschlossen. Der Kanal wurde seinerzeit zwischen 1930 und 1939 in den Fels gesprengt und in den steilen Ufern kann man die zahlreichen Feuersteinschichten im umgebenden Mergelgestein deutlich sehen.

Links bin ich, hinter mir die Steilwand, hell: Mergel, dunkel: Flint.


So sehen die Flintknollen aus, manche sind über einen halben Meter lang, erinnert stark an Rijckholt-Feuerstein. Weiter nach oben sähe man auch Valkenburg-Flint, Lousberg-ähnliches Material, usw.


In der Gegend um Eben-Emael, unserer nächsten Station, gab es den wohl letzten aktiven Feuersteinbergbau in Mitteleuropa. Aus den Anstehenden wurden selektiv die Schichten 21und 22 der niederländischen Kreidestratigraphie eingewonnen. Nur dieser Feuerstein eignet sich zu dem gewünschten Zweck: Auskleidung von Porzellanmühlen. Wenn die Pozellanmasse beim Mahlen mit Metall in Berührung kommt, dann verfärbt sich beim Brand der Scherben, und man hat ja gerne rein-weißes Porzellan. Die Mühlen,lange Röhren, wurden mit dem sehr verschleißfesten Feuerstein ausgemauert, so kam es zu keinem Kontakt zwischen Porzellanmasse und Metall. Heutzutage werden an der Stelle hochfeste synthetische Keramiken eingesetzt.
Zu Anfang und zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Schächte in den Berg getrieben um diese Feuersteine zu gewinnen. Später bediente man sich am Abraum des nahegelegenen Kalksteinbruchs ENCI, der die Kreide zur Zementherstellung fördert und für den die Feuersteine nur Abfall sind.

Die Firste eines aufgegebenen Feuersteinbergwerks, nach Auflassung wurden in den Stollen Champignons gezüchtet, heute liegt die Grube brach.


Von hier aus fuhren wir zu einem wirklich "bizarren" Ort. In Eben Emael hat sich ein ehemaliger "Steinschmied", also ein Mann, der diese Auskleidungssteine für die Porzellanmühlen schlug, ein - oder besser gesagt - zwei Denkmale gesetzt. Robert Garcet, leider verstorben, hat sich sein Wohnhaus ganz aus Flint gebaut.

Der Torbogen des Hauses besteht aus Paramoudras, im Feuerstein ausgebildeten Grabgängen urzeitlicher Tiere. Die tauchen auch ab und an hier im Forum auf.


Auch sonst ist Flint in Eben Emael ein durchaus gebräuchlicher Baustoff, hier eine Mauer im Ort:


Im Detail erkennt man die Schlagspuren der Zurichtung.


Mit der Erbauung seines Feuerstein-Hauses war Robert Garcet aber noch nicht am Ziel seiner Bestimmung angekommen. Beeinflußt von den Schrecken des 2. Weltkrieges, hat er der Nachwelt etwas wirklich Eindrückliches hinterlassen: ein von ihm "Friedensturm" genanntes, 33m hohes, skurriles Bauwerk aus Flint. Angelehnt an die Konstruktion eines mittelalterlichen Wehrturms, hat das Bauwerk eine Grundfläche von 12 * 12 m, ist 7 Stockwerke hoch, gekrönt von Symbolen der vier Reiter der Apokalypse.

Eben-Ezer, der Turm von Eben Emael.


Nicht weit von Turm entfernt befindet sich ein echtes Industriedenkmal, wie es in Deutschland undenkbar wäre! Es ist der verlassene Schlagplatz, an dem die Mühlensteine hergestellt wurden. Wäre der Platz nicht durch neuzeitlichen Zivilisationsmüll versaut, hätte er etwas verträumt-Beschauliches - nein, trotz Müll ist er dennoch beschaulich geblieben.
Als hätten die Handwerker vor einigen Jahren die Firma von heute auf morgen verlassen, alles zurücklassend, was wichtig für die Produktion ihres bisherigen "Lebensinhalts" war, liegt die Stelle wie im Dornröschenschlaf. Ruinen der Wellblechbuden, die einmal die Schlagplätze waren, Berge von Abschlägen, Reststücken, Abraumhalden. Und mit ein wenig Glück kann man auch noch ein zurückgelassenes Fertigprodukt finden.

Ein verlassener Schlagplatz in einer Wellblechbude:


Jürgen Weiner inmitten der Halden mit den großen Abschlägen.


Ein zurückgelassener bearbeiteter Auskleidungsstein, das Zielprodukt, fast wie ein Pflasterstein:


Wenn man besonderes Finderglück hat, entdeckt man sogar noch den Kopf eines Zuschlaghammers. Die Steine wurden hart - sogar sehr hart - zugerichtet. An der Kante des Hammerkopfes ist ein Stück WIDIA eingelötet, ähnlich wie bei einem Drehmeißel bei der spanabhebenden Metallverarbeitung. Daß feste mit dem Hammer gearbeitet wurde, läßt sich auf dem Detailbild erkennen, gegen Feuerstein verliert auch Widia.





Von der Halde stammt auch noch diese große Valkenburg-Knolle, vielleicht 2 Zentner schwer. Es war wohl ein Irrläufer, der nicht zur Mühlenauskleidung geeignet war.


Apropos Valkenburg, das hatten wir uns auch noch vorgenommen, aber zwei ältere Herrschaften haben eben nicht genug Kondition, um das ganze Vuursteenland an einem Tag abzureisen! Irgendwann fahren wir nochmal hin.


Ist zwar ein langes Riesenposting, aber vielleicht regt es euch auch zum Reisen an!

HG
RP



Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

arriba

#1
Hallo RP,

sehr interessant!  :super: Ist zwar eine superkurze Antwort auf so was tolles, mir fällt aber nix mehr ein dazu... bin überwältigt...
:winke: Rikke

PS. Weiss man seit wann dort abgebaut wird? - ungefähr natürlich  :engel:

LITHOS


osman.herberger

Servus RP,

vielen Dank für den anschaulichen und höchst interessanten Bericht ! Auf dieser Fahrt wäre wohl jeder und jede von uns gerne dabei gewesen.
Dieser Polissior ist ja absolut faszinierend, wusste nicht, dass es sowas gab bzw. gibt.

Ganz liebe Grüße aus der südlichen Oberpfalz !

Ich geh jetzt raus, der Acker ruft...

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

queque

Wie Stefan schon schrieb: Da wäre wohl jeder von uns gern dabei gewesen. Eine schöne und dankenswerte Anregung für eines der kommenden Wochenenden, RP. Von St. Gertruid habe ich schon einmal ein paar Flintbrocken mitgenommen (nicht direkt von den Minen!!! Das Zeug liegt da so ziemlich überall im Wald und an den Wegen!) zwecks eigener Schlagversuche. Bin leider immer noch nicht dazu gekommen  :nono:
Viele Grüße
Bastl

rolfpeter

Zitat von: arriba in 18. September 2009, 06:25:19
Weiss man seit wann dort abgebaut wird? - ungefähr natürlich  :engel:

Ich kann es nicht genau sagen. In "Weisgerber, Slotta, Weiner (Hrsg.) 5000 Jahre Feuersteinbergbau, Bochum 1980", steht ein umfangreicher Artikel zu dieser Feuersteinindustrie. Danach ist die letzte Grube im Jahre 1970 stillgelegt worden. Es gibt dort auch Tabellen mit Förderzahlen, die laufen ab 1895.
Die weiterverarbeitende Feuerstein-Industrie besteht in Resten aber bis heute. Es gibt belgische Firmen, die das Material immer noch anbieten.

http://www.novalstones.be/nl/min_silex.php

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

steinsucher

Hallo RP,

ich weiß nicht, wer mich hier verantwortungslos wieder freigeschaltet hat  :zwinker:. Vorläufig bleibt dieser Beitrag auch eine Ausnahme. Bei dem Artikel kann man sich dann nicht zurückhalten und nur freuen, dass der Kamerad und Fachmann so eine Tour mit Dir durchzieht. Tolle Infos, tolle Bilder. Und eine Message an Alle: "Profis und Sammler - das passt" - wenn sich alle an die Regeln halten. Die Tour merke ich mir mal vor.

Gruß, Fritz.

Der Wikinger

Ich kann mich nur meinen Vorrednern anschliessen !  :-)

Ein sehr schöner und lehrreicher Bericht , danke !

Toll dich und den Jürgen Weiner mal live zu sehen !  :super:

:winke:

Khamsin

Moin!

Mensch, RP, samma für nächsssema rechtzaitig Beschaittt, vielleich kommich dabai!
Sowwatt kannze nur mit richtige Führung von ain intim Känna geniessen, odda?
Gipt ehm nichnur Flint anne See, auch im Inlant, oppet glaups odda nich!

Wie imma härtzlich KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"