heute ein 8.5 cm langes merkwürdiges Artefakt aus Rijckholtfeuerstein

Begonnen von thovalo, 13. März 2015, 22:49:09

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thovalo



Der Abschlag mit langer "Spitze" hat etwas Feuer abbekommen.
2 "potlid-Aussprünge" zur Spitze hin und auch die innere Struktur des Silex ist angegriffen.

Dennoch gibt es nur eine rezent abgeschlagene Ecke!

Die laterale Retuschierung ist fein gegliedert ausgeführt, Ventral gibt es keine Negative die etwa eine Verwendung als Bohrer nahe legen würden.


Ein komischen Ding jedenfalls!


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

  


      :glotz:


Passt prima zum sonstigen dichten Fundaufkommen des Jungneolithikums/Michelsberger Kultur auf dem riesigen Fundgelände
FO: rechter Niederrhein
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Im Vergleich zur Gestern entdeckten feinen Pfeilspitze ist der Neufund von Heute .... riesig!  :glotz:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

dappeler

Eins bist du dem Leben schuldig, kämpfe oder trags mit Ruh -
Bist du Amboss, sei geduldig, bist du  Hammer schlage zu!

neolithi

Hallo Thomas,
ich finde, dein Fund ist ziemlich eindeutig ein Bohrer mit gezielter Retusche zur Spitze hin, wenn auch nur von einer Seite her. Aber die andere passt ja auch so. Hier an der Ostseeküste habe ich eine Fundstelle, an der wir häufiger diese Bohrerform finden. Sie haben bei entsprechender Drehung die Grundform von Südamerika.

HG
neolithi

thovalo



Danke für Deine Einschätzung!  :winke:

Ich denke, nach der längeren Betrachtungzeit auch, dass man den Fundbeleg als "Bohrer" an einem bereits günstig vorgeformten Abschlag ansprechen kann.

Die Besonderheit ist, dass der Fundplatz fern der Rohgesteinlagerstätte liegt und nicht in der seit Jahrzehnten umfangreich erforschten linksrheinischen Lößzone und der dort gelegenen Siedlungskammer, sondern deutlich davon abgesetzt im bisherigen archäologischen "Nirgendwo".

Hier liegt, dem Fundaufkommen zufolge, ein bislang unbekannt gewesener Zentralort der jungneolithischen Michelsberger Kultur.

Das Fundgelände hat inzwischen 14.000 -15.000 Artefakte überliefert, 13.000 plus ein paar hundert Fundbelege sind im vergangenen Jahr erstmals zur Bestimmung ausgelegt worden. Der "Rest" sind Neufunde der letzten Begehungen. Darunter befindet sich ein insgesamt erstaunlich hoher Anteil von großformatigen Grundformen aus Rijckholtfeuerstein aus den Niederlanden. Die Feuersteinvarietäten insgesamt kommen hier aus allen Regionen des Maasgebietes, über die Niederlande hinweg, aus Belgien und Frankreich. Es sind alle Formen, Typen und Formate lithischer Artefakte der "Michelsberger Kultur"vertreten. Weil auf demselben Platz auch die "Rössener " und "Bischheimer Kultur" nachgewiesen werden kann, bestand eine ungebrochene einzigartige Kontinuität des Ortes und es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach der Datierung der Michelsberger Aktivitäten innerhalb der langen Existenzzeit der Michelsberger Kultur und auch die Frage in wieweit hier eine kulturprägende Entwicklung auf die spätere Zeit der MK statt gefunden hat oder haben kann. Am Niederrhein datiert bislang keine Stelle gesichert in die späteren Phasen III - IV der MK.

Alles ballt sich auf ein einziges Fundgelände zusammen, auf das sich dann Hauptfundstellen verteilen, die wiederum durch Streufunde nahtlos miteinander verbunden werden.

In der Dimension der Abmessung des Fundgeländes ist im Rheinland nur noch das Erdwerk von Urmitz bei Koblenz vergleichbar; in Bezug auf das Fundaufkommen von charakteristischen Artefakten aus der Zeit der MK allerdings schon lange nicht mehr!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

neolithi

Hallo Thomas,
in der Theorie bin ich nicht so gut :) und ich kann deine Erläuterungen nur ehrfürchtig lesen. Hier oben ist es wohl eher die Trichterbecherkultur, die auf meinen Fundplätzen vorherrscht.
Ich habe mal ein paar Bohrer à la "Südamerika" angehängt, die ich hier oben häufig finde. Ich finde, sie ähneln deinem Fundstück.

HG
neolithi

thovalo



Wow, wie geil!    :glotz:


Herzlichen Dank für die Bilder Deiner eindrucksvollen Vergleichsstücke!  :super: :super: :super:


Die passen in den Formaten und mit der breiten Griffpartie und dem lang ausgezogenen "Dorn" ja perfekt 1:1!   :staun:


Ich habe hier so etwas in dem Format und mit so einem lang gestreckten "Dorn", gleich welchen Formats, noch nie gefunden, geschweige denn in Sammlungen oder einem Museum mit Funden des Niederrheingebietes gesehen.

Vielleicht bislang mein "blinder Fleck"?

Auf dem Fundgelände kam z.B. auch ein klar definierbarer und dazu noch überdurchschnittlich fein ausgearbeiteter geschulterter Bohrer zutage, der gleichfalls den Aktivitäten der Michelsberger Kultur auf dem Fundgelände zugeordnet werden kann. In der Form und dem Aufwand der Ausarbeitung ist auch der bislang singulär. Er stammt vom direkt angrenzenden Flurstück. Die beiden Fundpunkte liegen ca. 50 Meter voneinander entfernt.


Was Du zeigst macht wieder mal deutlich, wie unterschiedlich die Typologie und die Bevorzugung bestimmter Formen und Formate der verschiedenen Kulturen und ihrer Gebrauchsgewohnheiten in den unterschiedlichen Regionen und Landschaften sein kann!


Gibt es für die Fundbelege der großformatigen Bohrer aus Deiner Region Informationen oder sogar Untersuchungen dazu welche Materialien damit bearbeitet worden sind!?


Bei Dir kein "Wunder" .............  hier wunderbar!


Nochmal vielen Dank für die beeindruckend Vergleichsreihe!



lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

neolithi

"Gibt es für die Fundbelege der großformatigen Bohrer aus Deiner Region Informationen oder sogar Untersuchungen dazu welche Materialien damit bearbeitet worden sind!?"

Lieber Thomas,
ich habe keine Ahnung, ob es Untersuchungen zu dieser Bohrerform gibt. Ich bin halt lieber auf dem Acker als in den Bibliotheken ...
Aber ich nehme an, dass den schleswig-holsteinischen Archäologen diese Form sehr bekannt ist, denn ich habe sie schon auf drei verschiedenen Fundplätzen, welche 20 -30km auseinander liegen und die dem Amt bekannt sind, gefunden. Allerdings gibt es eine Fundstelle, auf der ich diese Bohrer häufiger gefunden habe.
Schön, dass sie dir solche Freude bereiten! Ich finde sie auch immer wieder besonders.
Vielleicht weiß Marienbad mehr über die Verwendung.

HG
neolithi

thovalo



Danke für Deine Rückmeldung!
Die Trichterbecherkultur ist ja lange zeitgleich mit der Michelsberger Kultur.

Vielleicht weiss Manfred was dazu!
Bin mal gespannt!

Dir glG in den Norden!

Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

StoneMan

Moin,

ich denke schon, dass es ein Bohrer ist, aber mit den Kanten könnte man
auch andere Arbeiten ausführen.

@ Thomas,

dass Dir eine Verwendung als Bohrer aufgrund fehlender Merkmale nicht deutlich ist, mag daran liegen,
weil lediglich weiches Medium bearbeitet wurde. Da splittert so schnell nix aus.

Und, dass Du es als "komisches Ding" bezeichnest mag daran liegen, weil es vermutlich
kein artifizieller Abschlag ist, sondern ein Abfall- oder Trümmerstück ist.

Auf meiner alten Übersichtstafel, die nicht speziell zum Vergleich Deines Artefakts zusammengestellt ist,
finden sich auch ähnliche Stücke, die man als "Ad hoc-Geräte" bezeichnen kann.

Nr. 38 >Klick<
Nr. 39 >Klick<

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Marienbad

#11
Moin in die Runde!

Die von Neolithi gezeigten Bohrertypen kenne ich auch von einigen Fundplätzen aus SH.
Sie stammen bei mir fast immer von frühneolithischen Plätzen.
Die unretuschierten und scharfen Seiten bei einigen dieser hier vorgestellten Stücke hatte ich schon oft mal "nachgebaut".
Dünne und schlanke Spitzen dieser Art ließen sich sehr schön beim Durchstechen von Leder und Fell gebrauchen. Um eine
Wildschweindecke oder Elchfell zu durchlochen braucht es schon ein entsprechendes "Gerät". Picksend und bohrend wird das
Material angegangen. Nur stechen reißt große und unförmige Löcher, also als Nahtlöcher kaum zu gebrauchen.
Diese dicken Leder / Fellarten sind äußerst robust, da sticht man nicht mal so auf die Schnelle ein Loch mit einem Knochenpfriem rein.
Ähnlich ist es auch bei Baumrinden, Baumpilzen und Fischhäuten.

Wenn ich so nach dem "Flintschlagen" mir den Abfall so ansehe, finde ich bestimmt 4-5 solche Grundformen von Abschlägen.
Teilweise brauchen sie kaum noch nachgearbeitet zu werden. Warum also sollten diese brauchbaren aber nicht gleichförmigen
Abschläge nicht auch von unseren Ahnen erkannt worden sein.
In den Ausstellungen und Fachbüchern fehlen oftmals diese hier besprochenen Stücke, es werden fast nur die Prachtstücke gezeigt
und vorgestellt.  :dumdidum:

Irgendwo hier auf den Seiten hatte ich mal ein ähnliches Beispiel von nicht üblich und unretuschierten Bohrspitzen geschrieben,
mal sehen ob ich es finde ?

:winke: Marienbad

bin schon fündig geworden  :zwinker:

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,59739.0.html


thovalo


@ stoneman

@ Manfred


Euch Beiden vielen Dank!

Sehr anschaulich und überzeugend!


In Grabungspublikationen zur Michelsberger Kultur werden witziger weise in etlichen Grabungsdokumentationen (z.B. zu Notthuln, Soest usw.) selbst noch die kleinsten retuschierten Fitzel mit gezeichnet und publiziert. Derart großformatige und dazu noch weit gehend lateral retuschierte Exemplare finden sich in diesen Dokumentationen ganz weit Vorne. So einen Fundbeleg gibt es bislang tatsächlich noch in keiner Funddokumentation zur Michelsberger Kultur. Dazu liefern Michelsberger Fundplätze zwar oft beeindruckende großformatige Einzelstücke, jedoch bislang noch nirgendwo Hunderte, wie das hier geschehen ist.

Der Fundplatz liegt geografisch in der Kontaktzone zur Trichterbecherkultur.
Vielleicht gibt es hier Wechselwirkungen.

Auf dem Gelände hier fanden sich bislang bereits mehr als einhundert Pfeilschneiden.
Diese finden sich auch in der "Gruppe von Stein" in den Niederlanden.
Vergleichbare Mengen sind jedoch sonst nicht überliefert.

Auch das könnte ja ein zarter Hinweis auf kulturelle Wechselwirkungen sein.


Wie auch immer, vielen Dank für Eure Unterstützung durch tolle Beispiele und Hinweise!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.