Wiedervorlage: Michelsberger Messer

Begonnen von queque, 29. März 2010, 17:06:55

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queque

Hallo zusammen,

das anhängende Artefakt habe ich schon einmal ganz am Anfang meiner Forumstätigkeit vorgestellt, damals aber noch als Scan in noch schlechterer Qualität. Jedenfalls habe ich das Teil am vergangenen Samstag J. Weiner gezeigt und er war sehr angetan davon. Er meinte, es sei eins der interessantesten Teile, die ich bisher gefunden hätte. Deshalb möchte ich es Euch noch einmal in besserer Qualität zeigen.

Es handelt sich um ein "Messer", also um ein schneidendes Werkzeug, das aus einem michelsbergtypischen Abschlag aus Rijckholtfeuerstein gefertigt ist. Die leicht geschwungende Klinge ist sehr fein und sorgfältig nachretuschiert worden, um ihre Stabilität zu erhöhen. Die ursprüngliche Abschlagskante wäre zwar um einiges schärfer gewesen, wäre aber aber bei Widerständen, z.B. Knochen, direkt ausgebrochen. Wahrscheinlich war das Teil nicht geschäftet, da der Rücken recht breit und 'handlich' ist. Auf Bild 0632 ist der schmale Glanzstreifen teilweise sichtbar, der sich über die gesamte Schneide zieht.

Schöne Grüße
Bastl

thovalo

#1
Zitat von: queque in 29. März 2010, 17:06:55


Zitat: "michelsbergtypischen Abschlag aus Rijckholtfeuerstein"


Hallo queque :winke:

Die Feuersteinvarietät "Rijkholt" wurden auch in der Michelsberger Kultur verwendet..... und noch lange danach. Meistens sind die weiter durch Retuschen bearbeiteten Abschläge aus Michelsberger Kulturzusammenhängen bemerkenswert gleichmäßig ausgeführt. So eine "bucklinge" Grundform tendiert eher in die Richtung der Resteverwertung nicht allzu gut gelungener Abschläge. Und gerade die flach ansteigende Retuschierung und da wäre ich sehr erstaunt wenn J. Weiner das nicht mit diskutieren würde, wird eher mit dem so genannten "Jungneolithikum II", also der Zeit nach der "Michelsberger Kultur" im Rheinland in Verbindung gebracht. "Michelsbergtypisch" sind ausdrücklich kräftige und deutlich steiler angelegte Lateralretuschen. Als Oberflächenfund schwebt das Stück recht heimatlos "zwischen den Welten" (bzw. Kulturen).

Es gibt offenbar sowas wie einen "Michelsberger Reflex"  :zwinker:


Wenn Du mal hier...............

http://aimebocquet.perso.sfr.fr/chaouvima9.htm  :glotz:

........die Artefakte mit schneidend angelegten Kantenverläufen ansiehst, befindest Du Dich schon im Endneolithikum und manches sieht immer noch nach "Michelsberg" aus!

Noch heute sichtbare Glanzspuren, die diesen Fundbeleg tatsächlich weit aus dem Alltäglichen hervorheben, werden auf die Bearbeitung von Pflanzen und die in ihnen vorhandene Kieselsäure zurück geführt, die sich nach intensiven Gebrauch im Gestein festgesetzt hat. In Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Glanzspuren die etwa auch durch das Schneiden von Fleisch entstehen können, ebenso schnell wieder vergehen. Sie lassen sich schlicht und einfach abwaschen. Es spricht nichts gegen die Überlegung, sondern manches dafür, dass mit der flach retuschierten Schneidenpartie über längere Zeit hinweg Rohr, Gräser oder Getreide geschnitten worden ist. Und "Erntemesser" zeichnen sich insbesondere durch die an ihnen erhaltenen Glanzspuren aus. (s. auch bei Lutz Fiedler).


PS: da fällt mir ein, dass rolfpeter in seinem Material einen sehr ähnlichen Abschlag hat, ohne Glanzspuren, aber gleichfalls mit flach ausgeführter Retusche. Sammelt ihr in der gleichen Gegend???

Sogar 3-D animiert!   :cool1:

(Was für ein Künstler! Hut ab vor solch einer gekonnten Dokumentation! So ein Niveau würde ich auf der Website des Landesmuseums auch gern mal sehen!)

http://steine-scherben.de/images/3D/messer1/messer1.html


LG :winke:
thovalo
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Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

queque

Hallo thovalo,

tatsächlich gibt es den 'Michelsberg-Reflex', im Rheinland wahrscheinlich sowieso und erst recht bei mir, einem 'Dilettanten'. Ich habe nur das wiedergegeben, was J. Weiner dazu sagte. RPs Pfahlbaumesser schwirrte mir auch im Kopf herum, nur das die Teile, soweit ich das richtig verstanden habe, auch eine Schäftungsretusche besitzen, welche meinem Teilchen fehlt.
Können wir uns auf "Michelsberg oder später" einigen? In der Umgebung des Fundes gibt es von den Bandkeramikern bis zu den Römern und auch danach mehr oder weniger alles: Mittelterrasse in der Rommerskirchener Ecke. Aber Du hast Recht: Es ist ein freischwebender Einzelfund auf dem Acker. Auf dem benachbarten Feld hat ein Kumpel von mir einige tropfen- bis blattförmige Pfeilspitzen auflesen können (die ich bisher auch als michelsbergisch eingeordnet habe  :kopfkratz:). Außerdem gabs noch ein Fragment von einem geschliffenen Feuersteinbeil.
Das mit dem wegwischbaren "Fleischglanz" wusste ich noch nicht - Danke dafür!
Zumindest scheint ja einigermaßen belegbar zu sein, dass mit dem Stück Getreide oder ähnliches geschnitten worden ist.
Gruß und Dank  :winke:
vom Bastl

thovalo

#3
Danke für den offenen Austausch und die Offenheit im Austausch!  :jump:

Es ist aktuell ganz viel Bewegung im fachlichen Bereich, wie bei jedem anstehenden Generationswechsel in der professionellen Archäologie. Und wie so oft: viele überalterte Thesen verschwinden und sterben mit ihren Schöpfern.  :engel:  

So gab es z.B. vom 19. Jh. an bis in die 60er/70er Jahre des 20. Jhs. hinein das Schlagwort von der "fundleeren" und später dann abgeschwächt von der "fundarmen" Region des rechten Niederrheins! Und weil das Viele geglaubt haben und kaum einer nachgeforscht hat, ist lange Zeit auch nur wenig gefunden worden. Da hatten und haben die "Römer" im Rheinland immer noch die Vorherrschaft!  :zwinker:

Inzwischen gibt es das fundreiche "Atelier" des Neandertalers bei Ratingen-Volkardey, der wieder aufgefundenen Auswurf aus der Höhle in der das Skelett des Neandertalers bei Erkrath gefunden worden ist, mit reichlichen Werkzeugen des dem Neandertaler nachgefolgten "homo sapiens", das exemplarische eisenzeitliche Siedlungsareal mit kultischem Verbrennungsplatz bei Düsseldorf-Rath, eisenzeitliche Großgrabungen im Stadtgebiet Duisburg usw. usw. usw.

Und um fair zu sein: die technologischen Möglichkeiten und neuen Erkenntnisse sind in den letzten Jahren enorm gewachsen. Und zu bedauern ist insbesondere, dass es beim LVR aktuell überhaupt nur noch zwei aktive Urgeschichtler gibt (hoch engagiert J. Weiner und Frau Tutlies), die Alles abdecken sollen! Xanten ist z.B. ganz ohne einen solchen!

Das ist wirklich mehr als traurig  :heul:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Danke für das Lob! Freut mich riesig!
Ist natürlich 'ne Menge Arbeit mit der Internetseite, wenn es von fachkundiger Seite anerkannt wird, hat es sich gelohnt.  :prost:

Viellleicht sind wir im Rheinland ja wirlich ein wenig "Michelsberg-lastig". Wie ich ja an anderer Stelle schon mehrfach ausgedrückt habe ist die Befundlage sowohl für MK, als auch für die anschließenden Zeiträume mehr als bescheiden. Koslar10, Inden9, das wars's im Prinzip auch schon.
Wie Du, lieber thovalo schon geschrieben hast, wird hier in meinem Dunstkreis urgeschichtliche Grabungsforschung in 1. Linie im Vorfeld der Braunkohlen-Tagebaue betrieben. Beim Tgb. Garzweiler ist und bleibt das Lößbörde, da wird vermutlich auch weiterhin Frühneolithikum im Fokus stehen. Beim Tagebau Inden sieht die Sache schon anders aus. Zumindest haben Schol, Dittmann, Forster (alles verdiente Sammler der Region) in der Gegend, die jetzt vor der Baggerschaufel steht, 'ne Menge Jung- oder Spätneolithikum aufgesammelt. Tgb. Hambach ist wegen des Hambacher Forstes ja teilweise terra incognita, da könnte auch allerlei verborgen sein. Naja, zur Zeit läuft wohl wieder 'ne LBK-Grabung dort. Gruben und Pfostenlöcher sind ja auch einfach zu orten.
Gottseidank werden von engagierten Archies seit einigen Jahren Privatsammlungen aufgenommen. Der Simon Matzerath hat sich mit der gut dokumentierten Sammlung Schol befaßt, der Herr Dittmann ist vor einigen Wochen verstorben, ob der dokumentiert hat - keine Ahnung - ob sich jemand dafür interessiert - dito. Mit dem Herrn Forster aus Jülich steht S. Matzerath auch in Kontakt.
Da sollten die Herrschaften mal die Stellen, wo Lousberg-Fundkonzentrationen sind, näher beäugen, würde sich bestimmt lohnen! In Ermangelung großer Steine werden sich Galeriegräber oder ähnliche Befunde nur schwierig ausmachen lassen, ich bin aber sicher, das es nur eine Frage der Zeit ist, bis das erste große "Holzkistengrab" gefunden wird.

HG
RP

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert