Ein schöner Klingenkratzer

Begonnen von rolfpeter, 02. Februar 2007, 17:53:15

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rolfpeter

Servus Freunde,

diesen schönen Klingenkratzer aus Rijckholt-Feuerstein darf ich euch heute präsentieren. 87mm lang ist das Stück und rundherum sauber retuschiert...und unbeschädigt! Die linke, konvexe Seite ist fein retuschiert, zeigt keinerle Benutzungsspuren. Die rechte, konkave Seite hat Ventral und Dorsal Ausbrüche, die auf schabende Benutzung hindeuten. . Am Proximalende rechts ist noch eine kleine Kratzerretusche ausgeführt.
Der Fundort befindet sich inmitten eines evtl. Michelsberger Erdwerkes. Kommt ja von der Morphologie recht gut hin.
Oder was meint ihr?

Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

rolfpeter

Und weil's so schön ist, noch ein Foto  :winke:
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Wirklich eine schöne Skulptur, RP, 
(Kann man immer noch lediglich 2 Fotos senden?)

(Ich wär froh wenn ich eines schicken könnte)
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Hallo rolfpeter !!  :-)

Ich fühle mich ganz sicher, dass diese Stück kein Kratzer ist, sondern ein Gerät mit Messer- / Hebelfunktion !!!

Die Retusche ist eine Fingerschutzretusche, daher auch keine Benutzungsspuren. Die ventralen und dorsalen Ausbrüche rechts im Bild sind typisch für ein Messer / Hebel, der kräftig benutzt wurde.

Stell dir mal vor, man hat ein Stück Holz oder vielleicht Knochen, das man sitzend zwischen den Beinen festhält, und dann mit diesem Hebel mit beiden Händen von aussen gegen sich selbst zieht. Wenn man so in beiden Enden des Stücks mit Daumen und Zeigefingern festhält und zu sich selbst zieht, dann kommt genau dort wos ist das Arbeitsgebiet dieses Gerätes.  :winke:

rolfpeter

Ja agersoe, ich kann mir denken, was Du meinst. Man nennt ein solches Werkzeug hier bei uns "Ziehmesser". Hier ein Link zu moderner Stahlware:
http://feinewerkzeuge.de/zug
Es wäre möglich, sogar wahrscheinlich daß das Gerät an der konkaven Kante so benutzt worden ist. Allerdings ist die Retusche auf der konvexen Seite keine Handschutzretusche, sie ist sehr scharf! Und die Kratzerkante ist auch messerscharf. Ich denke mir, daß es ein vielseitig verwendbares Gerät (ein Schweizer Taschenmesser  :zwinker: ) war.
Lieber Edi! Es kommen auch wieder bessere Finderzeiten für Dich, mein Bester! Es ist Wochenende! Bei euch liegt doch auch kein Schnee - oder? Dann nix wie morgen auf den Acker!

Euch beiden vieeeel Sucherglück!

Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Hallo wieder Rolfpeter !

Ja, genau !! ...so eins meine ich, habe nur nicht den Namen dafür auf Deutsch !  :super:

Diese Zugmesser sind übrigens auch hier ganz gewöhnlich besonders auf neolithischen Fundstellen.

Es ist sehr gut möglich, dass das Gerät mehr Fungktionen gehabt hat, jedoch lassen sich Handschutzretuschen und Kratzerkanten fast unmöglich unterscheiden (wenn unbenutzt), da sie völlig identisch sind.

@ RP
"Und die Kratzerkante ist auch messerscharf"

Also meine Erfahrung mit Flint ist, wenn man retuschiert verschwindet die MESSERscharfe, und stattdessen entsteht eine kratzende Steilkante.

Die Schutz-Retusche musste nur dafür sorgen, dass die anzufassende Kante nicht MESSERscharf war.


Khamsin

Salaam!

Zuerst eine herzliche Gratulation an den Finder! Aber das kennt er ja schon; der Mann könnte auch "Michelsberg" heissen, oder?
Schaut man sich das Stück genauer an, dann fällt folgendes auf:
1. bei Blick in Abtrennrichtung eine echte Funktionsretuschierung an der linken Längskante,
2. bei dto. an der rechten Längskante unregelmässig Ausbrüche (nach Beschreibung auch auf Ventralfläche), m.E. rezent.
Beleg: bei Untergrenze 4 cm Marke (gezählt von Oberende "Kratzerkappe") links auf der Fläche ein steckengebliebener Abspliss, der - wäre dies eine intentionelle Retuschierung oder eine Gebrauchsretuschierung - durch termische Einwirkung (insbesondere Frost) nach rd. 6000 Jahren abgesprengt wäre,   
3. bei Aufsicht auf Distalende ("Kratzerkappe") auf der rechten Seite eine intentionelle Retuschierung, auf der linken Seite rezente Beschädigung. Michelsberger Kratzerkappen sind eigentlich immer deutlich halbrund durchlaufend und steiler retuschiert.

Fazit: Auf den ersten Blick ein MK-Klingenkratzer. Auf den zweiten Blick schliesst man sich - wieder einmal und gerne - der Funktionsinterpretation von agersoe an: Das ist kaum ein Kratzer, sondern wesentlich eher ein Artefakt mit schneidender Funktion. Eher als Messer, weniger als Ziehmesser, es sei denn, das zu bearbeitende Material war recht weich. Knochen etc. schliesse ich da aus. In diese Richtung weist m.E. auch die deutlich flache und nicht steile Stellung des Retuschiersaumes.
Tatsächlich kennen wir aus der MK-Kultur immer wieder von den Archäologen als "Schaber" oder "Lateralreruschen" bezeichnete Artefakte mit retuschierten Längskanten, die aufgrund ihrer teilweise sehr flachen und nicht selten auch weiter auf die Dorsalflächen reichenden Retuschiernegativen die Funktion als Messer nahelegen. Allem Anschein nach können sich viele Archäologen sowas nicht vorstellen.

Danke für ein wiedermal spannendes Stück und beste Grüsse KIS 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Tach Khamsin,
die Kratzerkappe ist ziemlich steil retuschiert. Das konnte man auf den gelieferten Bildchen allerdings nicht erkennen. Deshalb ist hier nochmal ein anderes Foto.
Na, doch Klingenkratzer-Universalgerät

Grüße
RP

BTW was bedeutet KIS?
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger


Khamsin

Salaam!

@RP: War doch klar, dass ich gewartet habe, bis agersoe das vermeintliche Rätsel auflösen konnte.
@agersoe: Ich habe´s gewusst mein Winkinger, auf Dich ist Verlass. Danke!

Also gut, steile Kratzerkappe! Aber sie ist nicht so perfekt halbrund retuschiert, wie ich das jedenfalls von vergleichbaren Stücken kenne! RP, wirf bitte noch einmal einen Blick auf die Frontalansicht. Da ist rechts (aus unserer Blickrichtung) ein grösserer Abschnitt überhaupt nicht retuschiert. Ökonomie? Glaub ich nicht! Das Ding ist einfach ein wenig verstumpft worden, aber m.E. eher als Kratzer nicht vorgesehen. Wir werden es nie sicher wissen, aber mir scheint agersoes initiale Interpretation sehr einleuchtend; war auch mein erster Gedanke, glaubt es oder nicht.

Cok memnun oldum KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

wühlmaus

... und jetzt, wo der Krümel aufmerksam gelauscht hat, was die Kuchen sagen, möchte er auch endlich was zum Besten geben.  :narr:

Bei manchen Stücken spührt man instinktiv, dass sie was besonderes haben ...
Hier war es die sorgfältige Bearbeitung des gesamten Werkzeuges, die für mich in einem kompletten Gegensatz zu der eigentlich recht "schiefen" Gesamtform stand...

Das Problem ist bloß, das man mit Instinkt alleine nicht all zu weit kommt. Ich lese, versuche zu begreifen und eines Tages werde ich verstehen.  :engel:

ciao
euer staunendes Wühlmäusle

Khamsin

Salaam!

"Hier war es die sorgfältige Bearbeitung des gesamten Werkzeuges, die für mich in einem kompletten Gegensatz zu der eigentlich recht "schiefen" Gesamtform stand..." Maus, Du sprichst mir aus dem Herzen! Ich bin mir sicher, dass es agersoe ebenso erging, weshalb er umgehend auf "Messer" und nicht - obwohl auf den 1. Blick doch so naheliegend - auf Schaber/Kratzer rekurrierte.

Natürlich kommt man mit Instinkt alleine nicht weiter. Freilich, ohne Instinkt - was immer das auch im einzelnen sein mag - bleibt man auch auf der Strecke. Das sollten sich manche Archäologen übrigens ins Aufgagenheft schreiben! Es verhält sich analog zu Theorie und Praxis; nur beides zusammen führt uns weiter.

Beste Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"