Ein Artefakt in zweifacher Hinsicht

Begonnen von Steinkopf, 24. März 2013, 17:26:47

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Steinkopf

In diesem Winter konnte ich an einer bekannten Fundstelle noch ein kleines Stückchen
aufheben, welches als Kratzer aus einem Abspliss mit Beilschliff gefertigt wurde.

Es war nicht das erste Artefakt, welches eine gewisse Datierungshilfe 'auf dem Buckel' hat.

Das guter Flint von aufgebrauchten Beilen gerne weiter verwendet wurde, ist bekannt.

Mir ist aufgefallen, dass viele dünnackige TBK-Beile - auch ohne große Beschädigungen -
dünne gleichmäßige 'Abplatzer' tragen, die wie Klingen lang und gleichmäßig abgesprungen sind.

Ich meine hier nicht die tiefen Partien eines Rohlings, die keinen Schliff mehr abbekommen haben.

Bei den dicknackigen Beilen habe ich diese Art der Beschädigung nicht so oft gesehen.

Von solchen 'Abplatzern' stelle ich drei Fotos mit ein, die meine Beobachtung veranschaulichen.

Wird meine Beobachtung geteilt?
Wenn (noch) nicht, schaut in Museen und Sammlungen mal genau hin. Es gibt eine hohe Trefferquote!
Oder liegen experimentelle Erfahrungen hierüber vor?
Ich fürchte jedoch, dass wohl kaum jemand mit dünnackigen Beilen des TBK-Typs experimentiert?

LG

Jan

thovalo

#1
 :-)

Die sekundäre Verwendung von Beilabschlägen ist breit dokumentiert.

An der Beilklinge hier sind zum Vergleich gleich mehrere Negative ausgeschlagen und danach wieder überschliffen worden.
Daher sind die Negative als Gebrauchsspuren anzusprechen.
Aus den ausgesprungenen Klingen hätte man durchaus auch kleinformatige Werkzeuge anfertigen können.

An Deinen Stücken kann der Ausschlag jeweils ein Arbeitsunfall gewesen sein nach dem der Besitzer die Beilklinge aufgegeben hat
oder die Beschädigungen sind zu einem späteren Zeitpunkt aufgetreten.

lG thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

CF

Hallo zusammen,

bei den Beilklingen von Jan handelt es sich wohl um "Arbeitsunfälle". Wenn die Klinge kleine Macken an der Schneide bekommt und nicht nicht nachgeschliffen wird, sind das Schwachpunkte, die zu solchen ungewollten "Abschlägen" führen. Dadurch kann auch mal ein größerer Teil der Schneide verloren gehen. Das ist vermutlich auch bei der Beilklinge von Thomas passiert, sodass sie erneut zugerichtet werden musste.
"Toleranz ist die Fähigkeit, jeden in seiner Umgebung zu dulden."

Steinkopf

@ Thomas und Christian:

Danke Euch für das genaue Hinschauen.
Wir sind uns völlig einig, dass es sich um Gebrauchsspuren handelt.
Von einem Arbeitsunfall würde ich sprechen, wenn die Schneide Schaden nimmt.
Bei dem vom Thomas eingestellten Stück muss man schon genau hinschauen, um zu unterscheiden,
ob die Abschlagbahnen als Schaden oder als Reparatur zu einer neuen Schneide zu sehen ist.

Was ich bei den nur sehr schwach gewölbten dünnackigen Beilen der Trichterbecherkultur
sehe, sind 'Abplatzer', die auf der intakten Wölbung entstehen.
Also nicht an einer schadhaften Stelle der Schneide.

Ich hab auf die Schnelle noch zwei Beispiele gefunden, wo sichtbar ist, das auf der intakten Wölbung
ein Stück abplatzt.

Diese Absplisse haben keine Schlagfläche, keinen Bulbus aber deutlich ausgeprägte Wallnerlinien
und sind typischerweise sehr flach.

LG

Jan


Marienbad

moin in die Runde,
das zuletzt eingestellte Foto von Jan zeigt mir folgendes:

Beim groben Zurichten der Beilplanke werden starke Schläge mit den Schlagsteinen ausgeführt, dabei können oberflächige Risse
(Sollbruch) entstehen. Es kommt auf die Flintsteinsorte und sicher auch an die Lagerungsbedingungen an.
Diese feinen Risse fallen dem Bearbeiter nicht weiter auf und sie werden überschliffen.
Beim Einsatz von dem fertigen Werkstück werden dann durch die wuchtigen Schläge diese überschliffenen Stellen abgelöst.
Selbst große und deutliche Wallnerlinien können dadurch entstehen.
Eigene Erfahrungen haben mich vom Entstehen dieser gezeigten Beispiele (letztes Foto) überzeugt.

:winke:  Manfred

Steinkopf

#5
@ Marienbad:

Danke für Deinen Beitrag - aus der Sicht eines versierten Flintknappers - der ich nicht bin.
Wenn diese 'Vorschädigung' den Riss auslösen würde, müsste er eigentlich auch bei dickeren Beiltypen auftauchen.

@ alle:

Meine Beobachtung fasse ich noch einmal zusammen:

           Bei benutzten, polierten Beilen

           -  mit extrem geringer Krümmung (dünnackige TBK, dünnblattige) gibt es     
           -  auf der intakten, glatten Oberfläche
           -  in wenigen cm Abstand von der Schneide
           -  charakteristische, flach beginnende, breite unterschiedlich lange 'Abplatzer',
           -  die entweder flach auslaufen oder abrupt t.T. mit Bruch enden;
           -  die sehr deutliche (wellig ausgeformte) Wallnerlinien tragen.

           Diese Absprungnegative stehen in keinem Zusammenhang mit Beschädigungen an der Schneide
           und sind auch keine in der Rohform angelegte, nicht überschliffene Vertiefungen.

           Bei anderen, dicknackigen Beilen mit stärkerer Krümmung ist mir diese Gebrauchcharakteristik nicht aufgefallen.

           Ich halte es für denkbar, dass der Druck (beim Gebrauch) in einem bestimmten flachen Winkel,
           der nur bei diesem flachen Beiltyp vorkommen kann, solche Gebrauchsspuren auslöst.
           

Ein Beispiel hänge ich noch an, um den Text zu illustrieren.

Da man 'findet, was man kennt', bin ich mal gespannt,
ob dieser Beitrag weitere Beobachtungen nach sich zieht.

Schöne Grüße

Jan

CF

#6
Zitat von: Steinkopf in 24. März 2013, 22:54:44
Was ich bei den nur sehr schwach gewölbten dünnackigen Beilen der Trichterbecherkultur
sehe, sind 'Abplatzer', die auf der intakten Wölbung entstehen.
Also nicht an einer schadhaften Stelle der Schneide.
Ich hab auf die Schnelle noch zwei Beispiele gefunden, wo sichtbar ist, das auf der intakten Wölbung
ein Stück abplatzt.
Diese Absplisse haben keine Schlagfläche, keinen Bulbus aber deutlich ausgeprägte Wallnerlinien
und sind typischerweise sehr flach.

Hallo Jan,

bei den zuletzt gezeigten Beilklingen handelt es sich um die gleichen Beschädigungen wie bei den zuerst gezeigten Beilklingen. Allerdings wurden die Klingen wieder gebrauchsfertig gemacht. Die abgeplatzten Stellen wurden im Bereich der Schneide weggeschliffen. Die Reste dieser Negative sind nicht glattgeschliffen worden. Deshalb hat es den Anschein, als hätte sich mitten auf der Klinge ein Stück gelöst.

Was Manfred beschreibt, ist ein anderes Phänomen. Hier ist der Bruch schon beim Zuschlagen der Klinge angelegt, aber nicht komplett abgelöst, das geschieht erst durch die Belastung beim Arbeiten. Prinzipiell aber ähnlich, auch hier wurde der proximale Abschnitt des Negatives weggeschliffen.

Zitat von: Steinkopf in 25. März 2013, 10:00:01
Bei anderen, dicknackigen Beilen mit stärkerer Krümmung ist mir diese Gebrauchcharakteristik nicht aufgefallen.

Möglicherweise wurden die Beilklingen zu dieser Zeit sorgfältiger repariert und solche Schadstellen komplett weggeschliffen. Das klingt zwar nach überflüssiger Arbeit, ist aber sinnvoll. Durch den vollflächigen Schliff wird die Bruchgefahr minimiert. Jedes Restnegativ ist eine potentielle Sollbruchstelle.

Es handelt sich also immer um eine Beschädigung, die an dem Schneidensaum beginnt. Diese wurde teilweise glattgeschliffen, um die Funktionsfähigkeit wieder herzustellen. Bei nicht vollständig Glattgeschliffenen Negativen entsteht der Eindruck, sie würden auf der Fläche beginnen, tatsächlich gingen sie vom Schneidensaum ab.

PS: Hänge noch ein GIF an.
"Toleranz ist die Fähigkeit, jeden in seiner Umgebung zu dulden."

Steinkopf

Vielen Dank an alle für die interessanten Beiträge!

Ich hoffe, im Laufe des Sommers bei Sucher-Freunden die Gelegenheit zu bekommen, weitere
TBK und EGK Flintbeile mit ihren Macken unter den hier geposteten Thesen betrachten zu können.

Schöne Grüße

Jan