Mesolithisches zur Sauregurkenzeit

Begonnen von rolfpeter, 14. Mai 2008, 23:21:35

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rolfpeter

Servus Freunde,

zur Zeit herrscht bei uns Sauregurkenzeit, die freien Äcker werden rar und rarer.
Das wirklich allerletzte noch nicht bestellte Feld liegt an einem Bachlauf, wo sich jenseits des Bächleins eine bekannte mesolithische Stelle befindet. Der Boden dort ist von einer grauslich schlechten Bonität, ein toniger Staunässeboden mit einer Senke, die sich über das halbe Jahr als Tümpel darstellt. Wenn der Bauer pflügt, versäuft er mit seinem Gerät, schafft er es doch mal, ist die Erde nach 3 Tagen Sonnenschein hart wie Beton. Kurz und gut, der Acker ist teilweise gepflügt, da sind auch Steine sichtbar. Die Umgebung der Senke ist unbearbeitet, die Oberfläche schaut aus wie wir es aus der Sahelzone kennen: schorfig, aufgeplatzt, mit einem eingetrockneten Schleiber überzogen....darunter werden wohl auch Steine sein. Etwa 500m entfernt gibt es eine Terassenkante, an der auch Schotterflint zu Tage tritt, ich vermute, von dort stammt der Großteil des Rohmaterials dieses Lager- und Werkplatzes.
Ich besitze leider kaum Literatur zum hiesigen Mesolithikum, eigentlich nur eine Veröffentlichung von Arora, ein Auszug seiner Dissertation von 1974, also schon etwas angegraut. Kennt jemand etwas aktuelleres? Auf jeden Fall ist dort die Fundstelle, die seit den 30er Jahren bekannt ist, auch aufgeführt. Er zählt sie zu den größeren Plätzen mit einer Fläche von 5000 bis 10000m². Meine Aufsammlungen dort ergeben eine wesentlich größere Fläche, über 40000 m².

Kartenausschnitt



Im sehr lesenswerten, weil umfassenden Jahrbuch des Rheinischen Vereines für Denkmalpflege von 2005 "Urgeschichte im Rheinland" ist der Platz auch erwähnt und dort wird auf die Verteilung der Gerätetypen an der Stelle eingegangen. "Es gibt 350 meist kurze Kratzer und nur etwa 100 Mikrolithen, sodass hier besonders die Bearbeitung von Fell und Leder vermutet wird." Ein dementsprechendes Bild hat sich auch bei meiner Sammeltätigkeit dort ergeben. An den Pfingsttagen habe ich die Fläche östlich des Baches penibel abgesucht. Wo der Kreis ist, befindet sich die oben erwähnte Senke. Das Ergebnis der Aufsammlung ist folgendermaßen:
98 Abschläge
25 Absplisse
22 Klingen oder klingenähnliche Abschläge
5 Lamellen
6 Kerne oder Kernreste
1 fragwürdiger Stichel
1 Gerät mit randlicher Retusche
8 Kratzer
0 Mikrolithen.

Bei meinen Begehungen auf der westlichen Seite des Baches, der veröffentlichen Fundstelle, hat sich ein ähnliches Fundbild ergeben: nur 4 Mikrolithen aber viele Kratzer und Kernsteine. Ich vermute also, daß es sich um eine Anhäufung von Lagerplätzen handelt, die vielleicht zu einer bestimmten Jahreszeit von den damals lebenden Jägersippen aufgesucht wurde.
Arora stellt den Fundplatz anhand des ausgewerteten Fundmaterials in die Stufe IIa des Mesolithikums, das ist der Übergang vom Präboreal zum Boreal, bei ihm ca. 7200 BC. Bosinski nennt in "Urgeschichte im Rheinland" als Beginn des Boreals 8600 BC. Wie auch immer, zu dieser Zeit verdichtete sich der im Präboreal noch offene nacheiszeitliche Birken-Kiefern-Wald, die Ausbreitung der Eiche begann. Tiere dieser Zeit waren Ur, Hirsch, Elch, Wildschwein, mit abnehmenden Grasflächen verschwand das Pferd von der Bildfläche. Wenn die Burschen also fleißig gejagt haben, gab es auch ordentlich Felle zum abkratzen.

Hier sind  die Fotos der über Pfingsten aufgelesenen Artefakte. Das Material ist grundsätzlich durch das feuchte Auenumfeld braun patiniert, das macht die Rohmaterialbestimmung nicht einfach. Alle Fundstücke mit Rindenanteil sind dort jedoch stark abgerollt, es wird sich also größtenteils um Schotterflint handeln.

Die Kratzer:



Die Kernsteine:



Die Klingen:



Die Lamellen:



Die Abschläge:



Die Absplisse:



Es kann nicht immer Riesenbeile geben, ich hoffe, euch nicht gelangweilt zu haben!

Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

arriba

Gelangweilt!? Überhaupt nicht, ganz im gegenteil sehr interessant  :super: Für mich ist es auch sehr interessant die ganzen Flinttypen zu sehen die es anderswo  gibt. Vielleicht wird diese "langweilige" Jahreszeit zu einer sehr lehrreichen -  für mich zumindest :zwinker:  Ich muss unbedingt mehr Zeit zum lesen finden   :kopfkratz:  :-) was ihr alle so wisst....ich brauche unbedingt mehr input und vor allendingen die richtigen Bücher, die sind echt nicht einfach zu finden...
:winke: Rikke

steinsucher

Hallo RP, hallo Forum,

ja, die Stelle ist mir auch bekannt. Ist schon erstaunlich, dass immer noch diese Menge an Material bei einem Besuch herauskommt. Vor allem nachdem seit den 1930ern ja immer mehrere Sammler gleichzeitig dort aktiv waren. Ich habe die Stelle allerdings seit über 15 Jahren nicht mehr gesehen. Damals war der Beutel schon immer gut voll. Der eingegrenzte Bereich passt so. Das mit den Kratzern auch. Mikrolithen habe ich, in den paar Jahren in denen ich dort gesucht habe (etwa 1986 - 1991), 22 gefunden. Einer davon aus Wommersom-Quarzit. Vielleicht kann man ja mal die schönsten oder wichtigsten Teile zusammenstellen und so die Stelle dokumentieren. Wir hier im Forum werden allerdings nur einen Bruchteil der abgesammelten Gesamtmenge zusammenbekommen.

Gruß, Fritz.

PS: An diesen Funden kann man wunderbar die immer wieder erwähnte Feuchtbodenpatina sehen. Normal ist nämlich alles grau.

rolfpeter

Zitat von: steinsucher in 18. Mai 2008, 01:33:33
Vielleicht kann man ja mal die schönsten oder wichtigsten Teile zusammenstellen und so die Stelle dokumentieren. Wir hier im Forum werden allerdings nur einen Bruchteil der abgesammelten Gesamtmenge zusammenbekommen.

PS: An diesen Funden kann man wunderbar die immer wieder erwähnte Feuchtbodenpatina sehen. Normal ist nämlich alles grau.

Habe diese Woche mit J.W. telefoniert und ihm von der wahren Größe des eigentlich bekannten Platzes erzählt. Wenn demnächst Sammelpause ist, werde ich den Platz und einige andere noch unbekannte Stellen zusammenfassen und vorlegen.
Am 15. Juni ist in Nideggen übrigens Tag der offenen Tür. Vielleicht können wir und dort nochmal treffen?
http://www.bodendenkmalpflege.lvr.de/veranstaltungen/default.htm
Du hast Recht, die Feuchtbodenpatina ist dort besonders ausgeprägt. Das ist einerseits schön, andererseits auch interessant. Man erkennt nämlich sehr gut die modernen Beschädigungen an den Artefakten. Durch das Ackern im Betonboden werden selbst kleinste Stücke, die sonst der Egge ausweichen, noch zerlegt. Das habe ich an anderen Stellen noch nicht beobachtet.

HG
RP

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Jetzt erst entdeckt...Superbericht...RP. Direkt nachahmenswert.... vieles kommt mir  (außergewöhnlicherweise)  auch in unserem Mesolithikum bekannt vor.
Wie erst kürzlich erst von mir (durch eure Hilfe) realisiert,  ist die Lagerung  im moorigen Millieu  wirklich sooo ausschlaggebend für die Färbung...und zwar nicht nur oberflächlichst.
Ein Wunder.... wenn man Funde aus anderen Regionen sehen kann die aus derselben Zeit stammen wie man sie selbst findet und hinterfragt.
Schade dass es so wenige Steinzeitsucher gibt- in meiner Nähe....
Aber auch mit fernen Fotos kann man schön  und beharrlich lernen.
Danke Leute!
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

arriba

....ich hatte heute zum ersten mal ein stück Lousberg Flint in den Händen......und grüner und roter Jaspis aus Nord-Amerika......und Roter Helgoländer..... :irre: In Gifhorn war einer der seine eigenen Artefakte hergestellt hat - und das nicht nur aus baltischem Flint :zwinker:
:winke: Rikke

rolfpeter

Zitat von: arriba in 18. Mai 2008, 21:42:01
....ich hatte heute zum ersten mal ein stück Lousberg Flint in den Händen.....

Der Steinschmied war dann aber ein echter Freak! Da der Lousberg im Neolithikum komplett abgebaut wurde, gibt es als Rohmaterial nur noch Lesestücke. Wenn er das Zeugs da verarbeitet hat, ist es ein Öcher Jong (Aachener Junge)...oder er hat es als Belegstück zum vorzeigen. Da Du aus Deiner Heimat ja nur baltischen Flint kennst, der ja irgendwie glasig ist, wird Dir der oft rauhe Lousberg-Feuerstein seltsam vorgekommen sein. Noch seltsamer ist der Valkenburger Feuerstein, der sieht fast aus wie feiner Sandstein.
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert