Ist das ein Bohrer oder Stichel, oder was sonst?

Begonnen von Hadubrand, 23. Juni 2013, 18:01:32

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Hadubrand

Geschätzte Forenteilnehmer,
ich bin neu hier, habe mich aber schon ein wenig umgesehen und bin erstaunt über die Vielfalt und Sachkenntnis, die hier herrscht. Ich hoffe, ihr habt das Interesse und die Geduld, euch auch mit meinen wenigen Funden aus dem Süden von Österreich zu befassen.

Vor vielen Jahren fand ich auf einem Acker im südlichen Burgenland vier Silexartefakte. Jedes Stück aus einem ganz anderen Material. Da es meines Wissens im Umkreis von vielleicht 100 km kein natürliches Flintvorkommen gibt, könnten die Stücke von weit her gebracht worden sein. Vielleicht stammt das Material aber auch aus dem hier im ebenen Tiefland abgelagerten Flussgeröll. Es ist jedenfalls sehr selten.
Die Artefakte scheinen auch ziemlich seltene Typen darzustellen, da ich sie anhand meiner bescheidenen Literatur nirgends einordnen kann. Ich habe daher die Hoffnung, dass hier jemand mehr Erfahrung hat und eventuell zuordenbares Vergleichsmaterial kennt.
Ich beginne also mit dem ersten Stück, das kürzlich in der Ortschronik meines früheren Wohnortes dokumentiert wurde und das offenbar ein Arbeitsgerät war und vom Landesarchäologen für neolithisch gehalten wurde:

Der Form nach wird so etwas Ähnliches anscheinend immer wieder einmal Kratzer, Schaber (Nasenschaber?), Stichel, Bohrer und Zinken genannt. Was ist es denn wirklich? Welche Inventare (zeitlich gesehen) kennt man mit solchen Typen und welche kann man ausschließen?

 
Die Arbeitskante ist offenbar die "Nasenspitze", die eine sehr kurze (8 bis 9 mm) wellig geschwungene Schneide hat, wobei der gegenüberliegende Rücken des Gerätes abgestumpft ist und wahrscheinlich dem Druck gebenden Zeigefinger als Auflage diente. Könnt Ihr dazu etwas sagen?

Gruß
Hadubrand

Steinkopf

#1
Hallo Hadubrand,

Es ist manchmal nicht einfach, aus Fotos die Arbeitsschritte herauszulesen, die ein Stück gestaltet haben.

Auf dem ersten Foto scheint mir links oben die (Ab-)Schlagbahn eines Abschlags beginnen, der auf den
beiden letzten Fotos noch einmal gezeigt wird.
Dann ist wahrscheinlich  auf Bild 3 links oben, auf Bild 4 rechts oben die Schlagfläche für den Abschlag auch präpariert.
Dies kann ich aber auf den Fotos nicht wirklich sehen.

Das zweite Bild zeigt die Rinde (Cortex) des Rohstücks.

Ob die anderen Spaltflächen Menschenwerk sind, kann ich nach den Bildern nicht erkennen.
Die braunen Stellen würde ich als Rostflecken ansehen, die typischerweise durch Pflugberührung entstehen.
Zwei kleine Absplisse sind auf dem letzten Bild zu erkennen, die keine Patina tragen (Museumsretuschen?).

Nach meiner Einschätzung ist es keines der vorgeschlagenen Werkzeuge sondern eher ein (Rest) Kern.

Dies sage ich mit allem Vorbehalt aus meiner Norddeutschen Perspektive.
Vielleicht ist ein Forenmitglied aus Deiner Region (südlich vom Main?) mit Material und regionalen
Besonderheiten besser vertraut und kann hier weiterhelfen.

LG

Jan

Silex

Da gebe ich Jan recht. Ein Werkzeug kann ich auch nicht sehen aber durchaus ein menschlich bearbeitetes Stück.
Das Material ähnelt getempertem Jurahornstein und könnte ein Restkern sein. Die hierfür signifikanten Abbauflächen und Negative ,  müssten aber besser "ausgeleuchtet" sein, Hadubrand.
Ich hoffe noch auf meine österreichischen Freunde im Forum  um hier mehr Klarhei zu erreichen.
Servus vom
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Hadubrand

Danke für die Antworten!
Ich werde versuchen, für die fraglichen Bereiche bessere Fotos zu machen. Das Steinefotographieren ist wirklich nicht so leicht wie man denkt. Vielleicht kommt ja inzwischen noch eine weitere Antwort.
LG Hadubrand

Hadubrand

Hallo,

hier einmal ein Übersichtsbild aus einer andren Perspektive. Dann der "Schnabel" etwas näher von oben und unten und von vorne.

LG Hadubrand

Hadubrand

Hallo,

hier sind dann noch andere Bereiche. Unddie letzten beiden Bilder zeigen stumpfen Rückenteil.

LG Hadubrand

Hadubrand

Noch ein schlechts Bild.
Die vermeintlichen Retuschen von der Kante her gesehen. Der Scnabel ist jetzt rechts.

neolithi

Ich sehe hier nur ein Geofakt. 

HG

neolithi

Saxaloquuntur

Ich habe ebenfalls große Mühe, dem Stück bei allem Wohlwollen etwas Artifizielles ab zu ringen. Ob das eine Erwähnung in der Ortschronik verdient? Da müsste schon Eindeutigeres auftauchen. SaX

Hadubrand

Also das mit dem Geofakt wäre natürlich eine patente Lösung des Problems. Aber diese Annahme muss doch genau so unwahrscheinlich sein. Wie sollte ein völlig ortsfremdes Material, das derart zerschlagen erscheint, in eine ebene, auenartige Flusslandschaft kommen, wo es außerhalb dieser Fundstelle gar keine anderen Steine gibt. Tiefer unter der Oberfläche liegen allerdings Tertiärablagerungen, die alle aus völlig rund geschliffenen Kieselsteinen bestehen und deren "Pebbels" von Natur aus so gut wie nie irgendwelche Bruchstellen zeigen.

Dazu kommt noch, dass es an dieser Fundstelle (ich kenne ja nur diese einzige), neben kleineren unbedeutenden Absplitterungen noch drei weitere auffälligere Silexstücke gab, die ich dann später wegen ihrer sonderbaren Form ebenfalls hier zu einer Diskussion vorstellen möchte. Vier Geofakte von diesem ortsfremden Material an einer Stelle, das wäre doch ein mehr als unwahrscheinlicher Zufall.

Diese genannten Umstände haben mich natürlich auch veranlasst, die wenigen dort vorhandenen Kieselbruchstücke zu beachten. Ich hab sie damals alle aufgesammelt. Aber bei den allenfalls möglichen oder unmöglichen "Geröllartefakten" ist eine Beurteilung von Oberflächenfunden eine fast aussichtslos verwickelte Sache. Vielleicht darf ich ja hier später noch einmal darauf zurückkommen.

LG Hadubrand

Saxaloquuntur

#10
Jetzt werden Umstände nachgereicht, die aber keinen "Typus" untermauern. Es ist kein Gerätetyp. Ich sehe keine (sinnstiftende) Modifikation. Es sind silices  ( gerne die anderen noch) , deren Umlagerungsprozess auch zu klären ist.  Naturstücke haben immer eine "besondere" / unikate Form. Geräte unterliegen einer gewissen "Normierung" im Habitus, obwohl sie immer ein Unikat bleiben.  SaX.

Marienbad

Moin in die Runde,
bei dem vorgestellten Fundstück kann ich, wie schon die Vorredner, auch kein Artefakt erkennen.
Es sollten schon eindeutige Spuren von einem bekannten Gerätetyp oder zumindest Bearbeitungsspuren ersichtlich sein.
Alles andere ist Augenwischerei und führt ins Endlose. :zwinker:

   :winke:  Manfred

Saxaloquuntur

Ich meine das Folgende wirklich nicht abwertend und warte die nächsten Stücke ab, aber

Die Frage der Ablagerung an dieser Stelle ist freilich nicht die Frage von Zufall, die Frage ist, was war das für ein Ereignis und wann? ergo, wie und wann  ist es denn da hin gekommen? Das frage ich mich oft bei Lesefunden. Die geologischen Prozesse lassen sich meist nach voll ziehen, alles was der Mensch bis heute dort veranstaltet und verunstaltet hat schon weniger. Es kommt doch wohl von der Oberfläche und nicht aus einer Stratigrafie? Da ist doch einfach alles möglich, bzw. nichts unmöglich. Die mühselige Klärung der Frage lohnt sich aber doch nur, wenn ein eindeutiges Artefakt vorliegt und nicht von woher der Bauer vielleicht nur "den Müll gekarrt hat" , mit dem auch das da hin kam...vielleicht.  SaX

thovalo

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Hadubrand

Hallo allerseits,

es ist mir völlig bewusst, dass dieses Stück keinem bekannten Typus entspricht, jedenfalls soweit man dem Augenschein trauen darf. In dem weiten, noch wenig erforschten Gebiet des südöstlichen Österreich kennt man, soweit mir bekannt ist, an Silexfunden bisher anscheinend nur die Mikrolithe der Lengyelkultur. Man könnte deshalb die ganz verwegene Frage stellen: "Sind das schon alle Typen, die in diesem Raum vorkommen?" oder auch: "Kennen wir hier schon alle Typen von sog. Geofakten, um sie ganz sicher als solche ansprechen und abgrenzen zu können?" Das sind Fragen, die vermutlich niemand schlicht mit "ja" beantworten kann.
Ich schätze und respektiere eure Meinungen, die sich zweifellos auf langjährige Erfahrung und fachliches Studium gründen. Jede Meinungsäußerung hat ja zugleich einen hohen Informationswert. Die wenigen Facharchäologen, die ich kennen lernte, hielten sich lieber an das frustrierende Motto: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."
Ich stelle lieber Fragen und hoffe, dass man darüber sprechen kann und nicht schweigen muss. Also, wenn es sie gibt, bitte noch weitere Meinungen!

LG
Hadubrand

Silex

Weitere Funde sind die richtige Antwort auf die Zweifelnden, Hadubrand. Für Deine Gegend bist Du der Fachmann- mit der "Pflicht" und sicherlich dem Ansporn  ein wenig Helligkeit ins Ungewisse zu bringen.
So weit zurückzuforschen ist wahrlich ein "letztes Abenteuer der  Menschheit"- wie mir mein Ansporner immer entgegengeraunt.....
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

CF

Hallo Hadubrand,

wenn es sich nicht um klar erkennbare Formen handelt, ist die Beurteilung generll schwierig. Erleichtert würde die Bestimmung, wenn das Stück auf den Fotos immer in der gleichen Weise orientiert ist, mit der vermuteten Arbeitskante nach oben und dann dementspechend rundum gedreht. Die Aufnahmen müssen direkte Draufsichten sein; zusätzlich können dann meinetwegen Schrägansichten folgen.
Generell ist ortsfremdes Material verdächtig, kann aber auch durchaus modern eingetragen worden sein, wie schon geschrieben wurde. Das Stück ist mit Sicherheit kein Gerät, unabhängig vom Fundgebiet. Die verschiedenen Kulturen waren nicht an heutige Grenzen gebunden. Daher gibt es auch keine unerforschten österreichische Typen.
Zitat von: Hadubrand in 25. Juni 2013, 21:29:43
"Kennen wir hier schon alle Typen von sog. Geofakten, um sie ganz sicher als solche ansprechen und abgrenzen zu können?"
... ist natürlich von der Fragestellung falsch angesetzt, hier geht es um die Frage, ob es ein Artefakt ist. Wenn die Artefaktmerkmale nicht erfüllt sind, ist es ein Geo-, Pseudo-, Thermoartefakt.

Mach mal bitte entsprechende Bilder, dann kann man evtl einen Kernrest oder Trümmer erkennen.
"Toleranz ist die Fähigkeit, jeden in seiner Umgebung zu dulden."

Hadubrand

Nochmals vielen Dank für eure Geduld!
Das Basteln der Steinefotos muss ich gewiss noch lernen. Aber auch die Begrenzung auf max. 110 KB ist für mich ein Hemmschuh.
Vielleicht kann uns das nächste Stück etwas weiterbringen.
Ich werde dafür einen eigenen "thread" beginnen und hoffe wieder auf rege Diskussion.

LG
Hadubrand