Steine und (hoffentlich) eine Tulpenbecherscherbe

Begonnen von rolfpeter, 29. Juli 2008, 22:27:51

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rolfpeter

Servus Freunde,

habe zwar wenig Zeit zum Sammeln zur Zeit, aber wenn das Korn geerntet ist und die ersten Gewitter runtergekommen sind, dann hält mich nix mehr.  :irre:
Das hier stammt von einer stark MK-verdächtigen Stelle. Ich laufe schon seit nunmehr 5 Jahren drüber, habe auch die typischen MK-Steinartefakte wie große Feuersteinklingen oder Beile aus Rijckholt-Flint gefunden, aber mit datierbarer Karamik war bis dato nichts. Heute nun vielleicht der erste Fund: eine unverzierte Randscherbe, keine Drehscheibenware, doch von guter, fester Qualität. Das Material ist mit Quarzkörnern gemagert, die Oberfläche hat einen seidigen Glanz. Die Innenseite ist schwärzlich, die Außenseite tendiert ins bräunliche. Der Rand ist leicht nach außen geschwungen. Die Scherbe stammt von einem großen Gefäß, der Randdurchmesser ist ca. 36 cm. Könnte es sich um ein Bruchstück eines Tulpenbechers handeln?







Damit sich alle etwas unter einem Tulpenbecher vorstellen können, ist hier ein Exponat aus dem Hessischen Landesmuseum in Kassel:



Die Michelsberger Leute haben eine qualitativ hochwertige Keramik hergestellt, die Oberfläche wurde mittels einer Politur verfestigt. Die meisten Michelsberger Keramiken sind unverziert.

Von der gleichen Stelle stammen die folgenden Steinartefakte:
Ein Klopfstein als Weiterverwendung einer geschliffenen Beilklinge aus Rijckholt-Feuerstein.





Und eine dorsal flächig retuschierte Spitze. Mit 7,5g ist sie für eine Pfeilspitze übergewichtig. Hat jemand eine Idee zu was sie gedient haben könnte?





Vielleicht habt ihr sachdienliche Hinweise, die mich bei der Wahrheitsfindung weiterbringen können?

Herzliche Grüße
RP


Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

steinsucher

Hallo Forum, hallo RP,

jetzt hast du mich mit deinem Gewichtsproblem bei deiner Spitze tatsächlich wieder in Bewegung gebracht. Die Hitze macht nicht nur Hunde träge. Irgendwo habe ich auch mal über den Einfluss des Verhältnisses von Pfeillänge und Pfeilspitzengewicht zur ballistischen Flugbahn des Pfeils gelesen. Ist schon etwas her. Ich bin mir aber sicher, daß auch die Kraft des Bogens eine Rolle spielt. Ich habe deshalb sofort eine alte Briefwaage reaktiviert und einmal die "Michelsberger" unter http://www.sucherforum.de/index.php/topic,28389.0.html gewogen. Sie bringt stolze 9 bis 9,5 Gramm auf die Waage (wohlgemerkt: keine Apothekerwaage). Die ist dann ja wohl richtig fett, verglichen mit deiner Übergewichtigen. Ich glaube schon, das hat noch gepasst. Wissen tun es aber andere besser.

Gruß aus Heinsberg,

Fritz.

Khamsin

Salaam!

Mag es auch an dieser Stelle merkwürdig anmuten, aber es ist eine rechte Freude, einmal eine besondere Keramik zu sehen! Nach der gesamten Beschreibung sollte es sich in der Tat um eine MK-Scherbe handeln. Gratulation zu diesem seltenen Stück, RP!

Nun, wenn man im "Rijckholt-Land" - und auch noch äusserst erfolgreich - sucht, dann wird verständlich, dass sich ein "default" beim Schauen einstellt. Aber das Material des Klopfers ist doch partikulär, und ich tippe man auf Simpelveld (-oid).

Und schauen wir uns das ideomorphe Stück von Fritz an und vergleichen es mit dem aktuellen, dann fragt man sich, ob Letzteres tatsächlich eine funktionsfähige Pfeilspitze war/ist. Im Hinblick auf das Gewicht sei an ein Ampf-Papier erinnert, in dem die magische Grenze bei 7-8 g angegeben ist (AiR 2005, 41f.). Von daher liegt diese Spitze noch in der Bandbreite. Imübrigen stimme ich Fritz Ansicht gerne zu, nach der auch bei aller Geltung solch empirischer Werte doch eine gewisse Toleranzspanne zu berücksichtigen sein dürfte.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Servus Jungs!
Die Feuersteine aus der Maastricher Kreide sind ja manchmal nicht einfach zu bestimmen und wenn ich was Graues sehe, bin ich schnell bei Rijckholt. Hab's mir nochmal angesehen, es fehlen tatsächlich die Rijckholt-Tüpfelchen, aber eine glasige, kompakte Struktur hat das Stück schon. Vielleicht fehlt mir auch der letzte Durchblick - ich hätte es immer wieder als Rijckholt angesprochen.
Über die Scherbe habe ich mich gefreut wie ein Schneekönig, wenn's dann von einem Tulpenbecher wäre, dann würde ich für die Fundstelle auf eine Siedlung schließen. Die MK-verdächtigen Funde streuen über eine Fläche von ca einem Quadratkilometer. An der Scherben - Fundstelle gibt es aber auch Klopfer, Bruchstücke von Schleifsteinen uns eben jetzt auch Keramik. Wenn es dort mal richtig abgeregnet ist und der Bauer keinen Unsinn macht, dann werde ich der Sache genauer nachgehen.
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Greif I

Hallo ihr Steinis,

als stiller Teilhaber lese ich schon geraume Zeit mit großem Interesse und Vergnügen eure Seiten. Ich verfüge leider zur Zeit weder über einen privaten PC mit Internetanschluss, noch über eine entsprechend nutzbare Kamera. Vor drei Jahren habe ich zufällig bei einem Spaziergang mit meinem Jagdhund eine neolitische Steinaxt gefunden und darob sozusagen Feuer gefangen. Vor ca. zwei Jahren habe ich dann zwei Scherben auf einem Acker aufgelesen die von einem Hobbyarchäologen als vorchristlich idendifiziert wurden. Als ich ungefähr zwölf Kilogramm davon aufgesammelt hatte, habe ich eine Fundmeldung an´s Hessische archäologische Landesamt gemacht, was mir den Fund als der Michelsberger Kultur angehörig zuordnete. Heute bin ich bei ca. 35-40 Kilogramm Keramik plus mehreren Steinbeilen, Klingen, Kratzern und Mahlsteinen (Oberlieger + Unterlieger) und hoffe, eventuell über ein Sponsering das sehr wahrscheinliche Erdwerk (Lage: Terassensporn) zu finden. Da ich mich aufgrund meiner Fundzusammensetzung wohl etwas mehr als "Kerami" statt als "Steini" bezeichen kann, schalte ich mich bei der o.a. Scherbe halt mal mit in´s Gepräch ein und würde in derselben eindeutig meinen Kram erkennen. Die Michelmännchen lassen grüßen.

Silex

Gut zu wissen dass es hier bei uns anziehend und interessant wirkt, Greif!
Wir sind aber durchwegs auch Keramis und Metallis und Allis  wenn es um Geschichtsverständnis geht.
Bin schon mal  vorgreifend gespannt was da noch kommen wird von Dir

Bis bald

Edi

Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

rolfpeter

Herzlich willkommen Greif  :winke:

Schön, noch einen Michelsberger hier begrüßen zu dürfen. Mit MK-Keramik ist das hier so eine Sache, ich würde mich schon über ein halbes Pfund von dem Stöffchen freuen. Wenn ich fragen darf: bist Du aus Nordhessen? Da gibt es ja einiges an MK-Stellen.
Terassensporn klingt gut für die Lage eines Erdwerkes. Ich begehe seit einigen Jahren ein Erdwerk, das ist auch noch nicht gegraben, liegt am abfallenden Hang von der Hochfläche zur Bachaue. Naja, bei uns ist alles ziemlich flach, keine Hügel.
Vielleicht klappt es ja doch irgendwann mit 'nem Internetanschluß und einer Digiknipse. Wäre schön, Deine Funde zu sehen!

Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Greif I

Hallo RP

vielen Dank for welcome. Ich befinde mich ganz im Westen Hessen´s und könnte mit dem Kanu in ca. zwei Tagen den Rhein erreichen. Vielleicht sind meine Michelmännchen seinerzeit den umgekehrten Weg gekommen. In Urmitz am Rhein hat es ja ein sehr frühes uns sehr großes Erdwerk gegeben.

Ich hätte da aber auch noch ein paar Fragen bezüglich eurer Erfahrungen mit den sog. Offiziellen.
Ich habe da nämlich das Gefühl mich auf recht sumpfigem Gelände zu bewegen. Die Stadtväter zeigten sich, mit meinem Fund konfrontiert zwar höflich interessiert, reagierten aber eher rigide und vermeidungsorientiert. Sie sahen den Ball sofort beim Amt, das umgehend alle Hände hob, von fehlenden Finanzen, Zeit und personellen Recourcen sprach und überhaupt der Meinung war, der Befund schlummere ja friedlich unter der Scholle und nachfolgende Archäologengenerationen müssten doch auch noch was zum buddeln haben.
Ich kann mir da nicht helfen, aber mein Eindruck angesichts von fast 40 Kilo Keramik plus div. Steingeräten ist eher der, dass bei höherer Errosionsrate auf dem Terassensporn verbunden mit tiefpflügendem Ackergerät ein Befundhorizont angeschnitten ist, offen zu Tage liegt und sukzessive kleingehäckselt wird, was mir zwar regelmäßige Finderwonnen beschert, der Sache aber in keinster Weise dient.
Doch in typisch deutschem Bürokratengehorsam bewegt sich die untere Behörde nicht, wenn es die obere nicht tut und so schließt sich der Kreis.
Ich versuche in aller Vorsicht, weder den Mandatsträgern noch dem Amtsschimmel auf das Befindlichkeitsschlips`chen tretend, etwas Bewegung zu intitiieren, sehe mich aber nicht unbedingt auf der Erfolgsstrasse.

Kennt Ihr vielleicht irgend einen Zauber, der die Dornröschen aus ihrem Schlafe wecken könnte ?


In stiller Hoffnung

Dirk

rolfpeter

Servus Dirk,

ich kann über meine Erfahrungen mit den Denkmalschützern wirklich nicht klagen. Über jahrelange Zusammenarbeit hat sich ein Vertrauensverhältnis zwischen dem für mich zuständigen Archäologen und mir aufgebaut, besser geht's nicht. Sowas kommt natürlich nicht von heute auf morgen.
Denkmal- und auch Bodendenkmalschutz ist ja Ländersache und so sind die Bestimmungen in den einzelnen Bundesländern auch unterschiedlich. Die zuständige FACH-Behörde bei uns im Rheinland ist das Rheinische Amt für Bodendenkmalpflege. Dort ist auch der archäologische Sachverstand zu Hause. Die Denkmalämter als Untere Denkmalbehörden sind bei uns in den Kommunen angesiedelt. Das sind aber keine Archäologen, sondern Verwaltungsfachleute.
Meine Frau ist Gemeinderätin in unserem Wohnort und daher darf ich mal aus dem Nähkästchen plaudern: Es gibt hier eine Fundstelle, die von Jungpaläolithikum bis MK alles beinhaltet. Gleich daneben liegt eine Kiesgrube, die Erweiterungsbedarf hat. Wie üblich, durchläuft das Genehmigungsverfahen alle Instanzen, auch den Denkmalschutz. Denen ist die Stelle nicht unbekannt und der Grubenbetreiber wird angewiesen, vor Arbeitsbeginn die archäologischen Untersuchungen abzuwarten. Als die Archäologen dann eintreffen, hat der gute Kiesbaron schon die Hälfte der Fläche mit der Planierraupe abgeschoben. Baustop, Antrag an die Untere Denkmalbehörde zur Eintragung ins Bodendenkmalschutzregister, bei der nächsten Gemeinderatssitzung wird's abgenickt, fertig. Was will ich damit sagen? Außer den Fachleuten beim Amt für Bodendenkmalpflege hat sich niemand aktiv mit dem Problem beschäftigt.
Ich bin kein Archäologe und weiß auch nicht, ob es notwendig ist, ein Erdwerk das nicht akut durch Bebauung gefährdet ist, auszugraben. Die Steuergelder werden halt offensichtlich an anderer Stelle verbraucht. Aber wenn es wirklich ein schützenswertes Kulturgut darstellt, dann sollte ein Bodendenkmal daraus gemacht werden. Da wäre sicher das  Landesamt für Denkmalpflege Hessen in Wiesbaden der richtige Ansprechpartner. Die Leute dort gilt es zu überzeugen, der Rest wäre dann nur noch Formsache, s.o.
Wenn Du es gut mit den Stadtvätern kannst, bestünde natürlich auch die Möglichkeit, das Ding mit einem Schutzwald zu deckeln.
Das hilft Dir alles natürlich nicht richtig weiter, aber mehr kann ich nicht beitragen.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Ja Dirk, da kommen einem manchmal die Tränen wenn man die Bruchstücke einer sehr unerforschten Kultur  von  der Ackerkrume bückt und das Echo der Behörden und Ämter ist so zwielichtig  von Stolz und Abwehr durchbrämt dass man sich kaum auskennt. Deswegen sitzen diese Menschen ja auch in diesem Gemenge von Filz und Abhängigkeit.
Meistens warten sie - zwischen all den Sachzwängen- ab und hoffen dass dein Eifer ermüdet oder Du ein Wahnsinnssonderteil herausziehst.
Dir bleibt eigentlich  nur das Amt weiter mit  Funden zu beglücken.....um deren Antritt etwas zu befeuern.
Oft hilft jedoch auch eine gute Verbindung zur Presse und  mit einigen Highlights  aus Deinen Aufsammlungen mit entsprechend gut geschriebenem Text kann man die Maschinerie manchmal ölen!
Wir hoffen noch mehr von dieser Stelle zu hören!

Und die Spitze ist traumschön,  RP
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

Salaam!

Dirk, zuerst einmal auch von mir ein herzliches Willkommen hier im Forum! Auch wenn es eine eigene Rubrik für Keramik gibt, heisst das nicht, dass man auf diese Fundkategorie festgelegt ist. So wie bei dem "Steini"  RP, der endlich - und alles andere als unerwartet - seine MK-Scherbe fand, wirst Du als selbsternannter "Kerami" über kurz oder lang auch Steinartefakte finden, keine Frage! Ich bin schon jetzt äusserst gespannt, Deine MK-Keramik hier irgendwann einmal sehen zu dürfen. Denn wo hat man schon die Gelegenheit, ein allem Anschein nach grösseres Konvolut dieser Zeit im Original anschauen zu können?

Hinsichtlich des Umgangs mit den Behörden vielleicht noch Folgendes: Untere Denkmalbehörden bei den Kommunen sind etwas völlig Anderes als Fachämter. Und dies hat natürlich Auswirkungen auf die dortigen jeweiligen Reaktionen gegenüber Sammlern (mit und ohne Sonde). Da die Verwaltungsbeamten der Kommunen keine Fachleute sind, mangelt es neben Fachkenntnis nicht selten auch an Interesse. Und so empfehlen die Beamten verständlicherweise den Kontakt zum Fachamt. Ich rate in solchen Fällen immer zum direkten Weg zu den Ämtern.

Was nun die Wiesbadener Archäologen angeht, kann ich für die nach meiner Kenntnis nur eine Lanze brechen! Sagen wir es einmal so: Die wollen unbedingt, haben aber in der Tat nur sehr begrenzte  Möglichkeiten/Mittel. Im übrigen ist die Bemerkung der Archäologen "...der Befund schlummere ja friedlich unter der Scholle und nachfolgende Archäologengenerationen müssten doch auch noch was zum buddeln haben" kein hessisches Spezifikum. Sie entspricht in folgender modifizierter Form der Meinung zahlreicher europäischer Bodendenkmalpfleger:

"Archäologische Befunde/Funde, die nicht (durch das sattsam bekannte Gefährdunspotential wie Baumassnahmen und Rohstoffgewinnung) gefährdet werden, sind im Boden am besten aufgehoben".

Wertet man diese Feststellung sachlich, dann ist ihr durchaus etwas abzugewinnen! U.a. z.B. vor dem Hintergrund einer riesigen Bugwelle an unpublizierten Grabungen, die die Ämter - mangels Zeit der Archäologen - vor sich herschieben.

Freilich, und das sei natürlich nicht verschwiegen, gibt es das m.E. grossflächigste und stillschweigend geduldete dritte Gefährdungspotenial, und das ist die Landwirtschaft, hier besonders das Tiefpflügen! Unter diesem Aspekt und unter Berücksichtigung der grossen Fundmenge ist Dein MK-Platz ohne Frage hochgefärdet. Man darf den hessischen Amtsarchis durchaus unterstellen, dass sie das ähnlich sehen werden. Im übertragenen Sinne kann man freilich niemandem in die Tasche fassen, der keine Hose trägt.
Da sieht sich die hessische Bodendenkmalpflege bedauerlicherweise einmal mehr "between a rock and a hard stone".

Der beste Weg scheint mir für Dich, diese Fundstelle weiterhin zu beobachten und alle Funde - soweit möglich - zu bergen und möglichst viele Einzelinformation zu den Fundumständen zu dokumentieren. Und - wie unser Edi bereits bemerkt hat - immer wieder den Amtsarchis - höflich und bestimmt - auf die Pelle zu rücken. Bitte glaub mir, aber im Laufe der Jahre höhlt der Tropfen den Stein, und es entwickelt sich - vielleicht zu Dr. Sabine Schade-Lindig, einer hervorragenden Steinzeitlerin des Wiesbadener Hauses - ein für beide Seiten fruchtbares und angenehmes Verhältnis.

Herzlcihe Grüsse KIS 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"