Bohrer - Ostsee

Begonnen von Steinkopf, 07. Oktober 2023, 07:47:26

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Steinkopf

Hallo,

aus einer Bucht, die früher teilweise von der Ostsee (Kattegat) überflutet war,
stammt dieser Bohrer. Tektonik und Meeresspiegel veränderungen haben die Küstenregion
mehrfach verändert.

Die hellgraue Patina entsteht durch Lagerung im Salzwasser bei Sonnenlicht

Der 'Dorn' ist dreikantig und recht fein herausgearbeitet.
Das Griffstück wurde scharfkantig gelassen.

Länge 11,5 cm  Breite 6,7 cm, Stärke 2,6 cm  -  Gewicht: 18 g

thovalo


Moin auch!

Diese Art der Grobgeräte, also einfach das Funktionsende bearbeitet, der Rest blieb wie er war, finde ich echt beeindruckend. Du hattest schon geschrieben und gezeigt, dass gerade die Bohrer oft so gestaltet worden sind.

Das ist ein markanter Unterschied zwischen dem an Flint reichen Norden und dem hier gelegenen rechten Niederrheingebiet zu dem alles Feuerstein ausgetauscht werden musste. Da war man dazu gezwungen solches Material auszunutzen und Geräte intensiv zurecht zu formen damit man wa übrig blieb auch wieder ntuzen und ausgestalten konnte.

Das gilt für die Zeiten bis zum Ende der Michelsberger Kultur um ca. 3.700 v. Chr. Danch gibt es hier einen Übergang einer Zeit in der z.B. noch Großklingen hergestellt und ausgetauscht wurden. Im Endneolithikum und der beginnenden Bronzezeit entehten dann auch recht gobklotzige Gerätschaften nach dem nordischen Prinzip, das alerdings in deutlich kleinen Formaten.

Weisst Du welchen Tätitgkeitn diese massiven Bohrer zugeordnet werden und warum es ie doch recht häufig zu gen scheint?


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinkopf

Hallo Thomas,

die Frage nach dem Zweck dieser groben Werkzeuge bleibt wohl offen. Sie stammen wohl zumeist
aus dem Mesolithikum aber finden sich auch noch im Neolithikum (nach P.V.Petersen).

Meine Funde könnten zumeist wohl der Erteböllekultur zugeordnet werden. Eine Zeit mit Fjorden die tief
ins Land reichten und Inseln. Die Siedlungen hatten vor allem mit Bezug zum Wasser und zur Fischerei.
Es muss zahllose Einbaumboote (Stammboote, Kanus) gegeben haben, die Meerengen, Inseln und Flussufer miteinander verbanden.
Fischfallen, Reusen etc. sind unter Wasser konserviert. Für diese Holzarbeiten sind zahllose
Steinbeile, zumeist wohl Scheibenbeile verbraucht worden. Im Forum werden eher die überzeugenden,
gut erhaltenen Exemplare gezeigt.

Auch zur Herstellung von durchlochten Geweihäxten waren sicherlich kräftige Geräte erforderlich.
Das sind meine Gedanken dazu. Gesicherte Fundzusammenhänge kenne ich nicht.

LG
Jan

thovalo


Moin Jan!

Danke für Deine Ideen und Vorstellungen! Ich kann gut folgen, dass man in der Beziehung auf diese Artefakte die Nähe zum Meer und den damit verbundenen Ansprüche und Tätigkeiten im Blick behalten muss!

Das ist ebene eine ganz andere "Welt", die vor allem die Nähe zum Meer und dessen Ressourcen widerspiegelt! 


lG Thomas :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Wiedehopf

Hallo Jan,

ZitatAuch zur Herstellung von durchlochten Geweihäxten waren sicherlich kräftige Geräte erforderlich.
Das sind meine Gedanken dazu. Gesicherte Fundzusammenhänge kenne ich nicht.

Es gibt einen Bericht über einen Fundplatz in dem solche Bohrer bzw. bohrerartigen Geräte zusammen mit einer Vielzahl von durchlochten Artefakten gefunden wurden und es handelt sich dabei nicht nur um durchlochte Geweihäxte sondern des weiteren um durchlochte Rindenstücke, Axtköpfe aus Wurzelholz mit Loch für die Schaftaufnahme, durchlochte Schäfte aus Knochen, Lochhacken aus Stein bis hin zu einer Schädelmaske aus einem Rothirschschädel mit Befestigungslöchern.

'Hohen Viecheln - Ein mittelsteinzeitlicher Wohnplatz in Mecklenburg - von Ewald Schuldt  Akademie-Verlag Berlin 1961'.

Zwecke für Geräte wie deinen Bohrer waren vielfältig vorhanden.   

Viele Grüße
Michael
   

         

Steinkopf

Moin Michael,

danke für diesen Hinweis!

Mit freundlichem Gruß
Jan

thovalo



Min Michael!

vielen Dank für den Hinweis!


Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Hallo Jan,

sehr interessant, danke fürs zeigen,
solch ein Stück würdest Du im Süden der Republik nicht finden können, die Unterschiede der Artefakte ist doch bei bestimmten Werkzeugtypen sehr gravierend.

Grüße
Peter

Fischkopp

Hallo Jan,
ein toller klassiker hier im Norden. Auf den schönen Bildern wirkt er wie neu.
Dein Beitrag hilft mir sehr meine Sinne zu schärfen!

Danke für den Verweis nach Hohen  Viecheln Wiedehopf!

LG Fischkopp

Danske

Hallo Jan,

ein eindrucksvolles Werkzeug, welches es nur im Norden gibt. Die Bohrerspitze ist fein herausgearbeitet.

Was mich irritiert ist das scharfkantige Griffstück. Peter Vang Petersen schreibt zu den Kernbohrern, dass "sie gut in den Händen liegen". Das kann man anhand der Fotos von deinem Fundstück jetzt nicht direkt sagen. Schließlich musste beim Bohren ein gewisser Druck auf das Werkstück ausgeübt werden. Oder liege ich falsch und dein Bohrer lässt sich gut handhaben?

LG
Holger

Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Wiedehopf

Hallo Holger,

da konnte sicher auch ein Stück Leder, welches den Griff umfasst hat, die Hand vor Verletzungen geschützt haben.   

Viele Grüße
Michael

Neos

Zitat von: Danske in 09. Oktober 2023, 19:23:23Was mich irritiert ist das scharfkantige Griffstück. Peter Vang Petersen schreibt zu den Kernbohrern, dass "sie gut in den Händen liegen". Das kann man anhand der Fotos von deinem Fundstück jetzt nicht direkt sagen. Schließlich musste beim Bohren ein gewisser Druck auf das Werkstück ausgeübt werden. Oder liege ich falsch und dein Bohrer lässt sich gut handhaben?
Moin, Holger,

<Schlaumeiermodus an>
Tatsächlich würde ich dieses Artefakt eher nicht als Kernbohrer ansprechen, sondern "lediglich" als Bohrer.
<Schlaumeiermodus aus>

Ich vermute stark, dass es sich bei diesem Bohrer um ein einfaches ad hoc-Gerät handelt, das kurz benutzt und dann in die steinzeitliche Tonne gesteckt wurde. Das könnte zumindest die fehlende Retusche erklären, die man bei einem Bohrer dieser Art üblicherweise hat und die du zu Recht vermisst.

Viele Grüße

Frank

PS: Und, machst du eventuell dieses Jahr "zufällig" um den 11.11. herum mit deiner Familie Urlaub im Norden? Es könnte sich - wie schon in den Jahren zuvor - der Besuch einer gewissen Veranstaltung eventuell lohnen... :zwinker:

Steinkopf

Moin Peter,

dass Du während der Wiesn noch Zeit fürs Forum hattest ist tapfer!

Diese dicken, schweren Geräte mit Bohrspitze sind nach meiner Beobachtung
nicht allgemein verbreitet. Etwa 10 solcher Stücke stammen alle aus einer
Region mit sehr guter Flint-Versorgung.
Nur dann ist ein einfaches, schweres Gerät naheliegend.

LG
Jan

Steinkopf

Moin Holger, Moin Frank,

Peter Vang Petersen zeigt in 'FLINT...' zwei große Bohrer in dieser Gewichtsklasse ( Nr. 58 Scheibenbohrer )
und Nr. 60 (schwerer Kernbohrer).
Der abgebildete Kernbohrer hat ein natürlich belassenes Griffteil - Cortex - das liegt geschmeidig in der Hand.
Das ebenfalls abgebildete große Gerät Nr 58 (aus einem großen Abschlag gefertigt) hat keine handschonende
Griffbearbeitung. Die Formulierung 'liegt gut in der Hand' bedeutet nicht zwingend Griffbearbeitung.

Ich hab etwa 12 Geräte diese Gewichtsklasse gefunden.
Bis auf eines mit Cortexrücken waren alle scharfkantig belassen.

Schöne Grüße

Jan



Danske

Moin Jan, moin Frank, moin Michael,

danke für die Hinweise.

Klar, man sollte sich bei jedem Fundstück nicht unbedingt an den Begrifflichkeiten, wie in den Lehrbüchern beschrieben, orientieren. Mit "Bohrer oder auch schwerer Bohrer" ist das Stück gut angesprochen.

Und tatsächlich hat der schwere Bohrer aus einem Abschlag, wie bei PVP abgebildet, auch keine hautschonende Handhabe. Vielleicht wurde die Basis solcher Werkzeuge tatsächlich mit Leder umwickelt.

Nur, wenn ich mir die Arbeit mit der schön herausgearbeiteten Spitze gemacht hätte, dann hätte ich zumindest noch die spitze Kante an der Basis weggenommen und letztere beiretuschiert, um die Handhabung zu verbessern. Aber, als Unwissender kenne ich die Intention des Steinschlägers nicht. Und vielleicht macht die Ausformung mit der spitzen Basis vielleicht auch Sinn.

Liebe Grüße
Holger

PS: Lieber Frank, ich würde im November auch Urlaub an der Nordsee machen und bei der Gelegenheit mal Schleswig besuchen. Allerdings hätte ich Probleme, meine Frau dazu zu überreden. Sie zieht es zu dieser Jahreszeit eher in den Süden. Aber vielleicht kannst du den Ausrichter überzeugen, die Veranstaltung zukünftig im Sommer durchzuführen :zwinker:
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Steinkopf

Hallo in die Runde,

es kann auch sein, dass diese großen noch handlichen Geräte keine Bohrer sind,
sondern zum Töten von Seehunden und Robben diente.
Aikaterini Glykou:

"Observations on the fragmentation of skulls led to the conclusion that different hunting
methods were used for different seal species. In fact the skulls of grey seals were
extensively fragmented, unlike the postcranial skeleton and the skulls of harp seals."

aus" Late Mesolithic-Early Neolithic Sealers:
a case study on the exploitation of marine resources during the Mesolithic␂Neolithic
transition in the south-western Baltic Sea"

LG
Jan



Wiedehopf

Zitates kann auch sein, dass diese großen noch handlichen Geräte keine Bohrer sind,
sondern zum Töten von Seehunden und Robben diente.

... oder um mal eben eine Auster aus ihrer Bank zu brechen und aufzuhebeln.

Viele Grüße
Michael

Fischkopp

Hallo Jan,

toller Beitrag!

Persönlich finde ich solche Gräte in unmittelarer Nähe zu Ostsee sowie von dort ca. 30km Luflinie im Inland in einer Flussniederung.
Dein Gerät sieht aus wie neu. Gibt es bei dir Funde die die Evolution dieses Stückes erahnen lassen wenn es abgenutzt od. umbenutzt wurde?

Eine pickende Tätigkeit kommt hier wohl auch in Frage.

LG
Fischkopp

Steinkopf

Ich kann mich ja outen.
In der Nachkriegszeit aufgewachsen war ich bei Hausschlachtungen dabei.
Das Töten geschah mit einem Hammerschlag auf den präzise aufgesetzten Bolzenapparat.

In Ermangelung solcher Technik würde ein Steingerät mit diesem auffallend präzise
gearbeiteten Dorn den Zweck erfüllen und das sicherlich begehrte Fell kaum beeinträchtigen.

Zum Thema hänge ich drei Bilder von einem Strandfund an.

LG
Jan


Wiedehopf

ZitatDas Töten geschah mit einem Hammerschlag auf den präzise aufgesetzten Bolzenapparat.

In Ermangelung solcher Technik würde ein Steingerät mit diesem auffallend präzise
gearbeiteten Dorn den Zweck erfüllen und das sicherlich begehrte Fell kaum beeinträchtigen.

Bei Trelleborg (Schweden) wurde ein Pferdeschädel gefunden, in dessen Stirn noch ein abgebrochener Feuersteindolch steckte (leider finde ich das Bild dieses Fundstückes nicht mehr). Dieses Pferd wurde wohl auf die von Jan beschriebene Art geopfert bzw. umgebracht.

Ich denke, viele der aufgefundenen Steingeräte, wie Hämmer, Beile, Keile etc. dienten auch der Schlachtung von Tieren. Früher ein ganz normaler Vorgang. Heutzutage hat man das wohl etwas verdrängt, das Fleisch kommt halt aus der Kühltheke.

Viele Grüße

Michael