Nur mit viel gutem Willen

Begonnen von bernolef, 08. August 2008, 10:56:59

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bernolef

ist an der linken Kante der Beginn einer Retuschenbahn zu erkennen, dann ist die Spitze abgebrochen. Immerhin ist der Abschlag dorsal ganzflächig bearbeitet. Wollen wir ihn als Bohrer durchgehen lassen?

Silex

Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

queque


rolfpeter

Nur mal 'ne Frage vom zaghaften Zweifler:
Stichel könnte das keiner sein?
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger


Eine Detailaufnahme der Spitze würde vieles klären !!  :belehr:

Silex

Stichel glaub ich nicht, RP,  aber es wäre doch interessant von vorne noch Details zu bekommen.
Die Schneide  auf der den Retuschen gegenüberliegenden Seite scheint arg verletzlich und dennoch unbeschädigt...obwohl das Ding abgebrochen zu sein scheint...
bin zunehmend unsicher.....und Zweifel sind meist  Wahrheitsbringer
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

bernolef

#6
Die Fläche der fraglichen Stichelbahn ist matt, wie mit einem Anflug von Patina überzogen. Alle anderen Flächen auf Vorder- und Rückseite glänzen frisch, wie eben geschlagen. Das sehe ich erst jetzt, auf RPs Zweifel hin. Fotografieren läßt sich sowas leider nicht.

Ich vermute nun, daß unser Flintschmied schon einen Rohling mit dieser schönen konkaven Rundung vorgefunden hat. Er hat den Abschlag so gesetzt, daß ein Kantenwinkel von ungefähr 45 Grad entstand. Er mußte dann nur die gegenüberliegende Seite noch bearbeiten.

Mich würde interessieren, wie häufig es vorkommt, daß die Hersteller von Feuersteingeräten sich die Vorarbeit von Mutter Natur zunutze machten und vorgefundene Formen 'eingebaut' haben. (Ganz abgesehen von den schon von Natur aus fertig geformten Werkzeugen, die wir nie als solche erkennen werden.)

Vielen Dank für Eure Beiträge. Die 'humpeligen' Teile kommen mir oft lehrreicher vor als die vorschriftsmäßigen.

Der Wikinger


Tja, da wird man tatsächlich nicht viel klüger.  :kopfkratz:

Nach den neuen Fotos plädiere ich aber für abgebrochenen Bohrer !  :super:

:winke:

Khamsin

Salaam!

Selbst mit viel gutem Willen habe ich ein gerüttelt Maß an Zweifeln an einer Bohrerfunktion.

Bei dem patinierten Stufenbruch, Bernolef sei Dank!, könnte es sich um den Rest einer natürlichen Sprungfläche handeln. Und es ist keinesfalls sicher, dass das unzweifelhafte Artefakt auch intentionell retuschiert worden ist. Betrachtet man die geringe Grösse und die Wallnerlinien am äussersten Distalende der Ventralfläche, dann dürfte da nicht mehr sehr viel gewesen sein.

Schliesslich steht - ob man es glauben will oder nicht - gar nicht fest, ob das Distalende auch wirklich erst nach Abtrennung des Abschlages gebrochen ist! Denn bei der senkrecht stehenden Fläche am äussersten Ende könnte es sich auch um den distalsten Rest eines stufig umgelaufenen Negatives auf einem Kernstein aus der der Arbtrennrichtung des Abschlages gegenüberliegenden Richtung handeln. Sowas tritt bei Kernsteinen jeder Grösse immer wieder im Laufe einer Präpartion auf und bildet unterschiedlich starke Stufen. Die werden dann aus der Gegenrichtung, wie möglicherweise mit dem hier vorliegenden Abschlag geschehen, entfernt. 

Am meisten spricht m.E. gegen eine abgebrochene Bohrerspitze der Vergleich der Richtung der Retuschierung und der gegenüberliegenden geschwungenen Kante. Wenn die Retuschierung wirklich intentionell wäre und das Abschlägelchen zu einem Minibohrer gearbeitet werden sollte, dann wäre m.E. zu erwarten, dass die geschwungene Kante zumindest an ihrem äussersten oberen Ende, wo sie deutlich weiter nach rechts biegt (Bild 1), auch ein wenig durch Retuschierung begradigt und am Verlauf der "Retuschierung" der linken Kante orientiert worden wäre. So oder so erstaunlich ist, dass am Oberende der geschwungenen Kante keinerlei Ausbrüche zu erkennen sind, die bei einer angenommenen Bohrerfunktion dort eigentlich zu erwarten wären. Oder nur das vermeintlich abgebrochene Ende, das nicht sehr lang gewesen sein kann, um sinnvoll als Bohrerspitze bei diesem glasigen (baltischer Flint?) und deshalb brüchigen Material eingesetzt zu werden, war feinst retuschiert, was nicht zu beurteilen ist.
   
Fasst man alles zusammen, dann sehe ich hier einen eindeutigen kleinen Abschlag, vielleicht ein Präparationsabfall, an dessen linkem Distalende zweifelhafte "Retuschiernegative" erkennbar sind. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Alles andere ist m.E. - auch mit nur viel gutem Willen - nicht zu belegen.

Schliesslich: Funktionskanten von Sticheln sind nicht etwa - jedenfalls nicht primär - die wenige Millimeter langen und keinesfalls immer völlig gerade verlaufenden sog. Stichelschneiden am Schlagpunkt des/der Stichelschläge, wie die Archäologen vor einigen Jahrzehnten noch glaubten. Wie Gebrauchsspurenanalysen gezeigt haben, sind es die durch ein Stichelnegativ entstandenen beiden langen, geraden und steilen Seitenkanten des/der Stichelnegative. Und da mit Sticheln harte Materialien, vor allem Knochen und Geweih bearbeitet worden sind, müssen die Werkzeuge 1. aus Gründen der Handhabung und 2., um an ihnen überhaupt  nennenswert lange Arbeitskanten anlegen zu können, eine "gewisse" Grösse gehabt haben. Allein die geringe Grösse des Abschlages, wie auch die ausgesprochen fragile Stelle am sich verjüngenden Distalende spricht bereits gegen eine Stichelnatur des Stückes.
RP, wirf bitte einmal einen Blick auf Edis massives Kombigerät aus Arnhofener Plattenhornstein...

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

bernolef

Vielen Dank, Khamsin, für die gründliche Expertise. Ich halte es jetzt mit Klein Fritzchen im Klapperstorch-Witz: ... den Bohrer find ich auch noch!