Bipolarer Klingenkern/ zylindrischer Klingernkern

Begonnen von Saxaloquuntur, 19. November 2011, 14:42:48

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Saxaloquuntur

Hier ein für meine Funde einmaliger Beleg eines zylindrischen Klingenkernes. Alternierend wurden von zwei gegenüber liegenden Schlagflächen Klingen/ Lamellen abgebaut. Die bei Klingenkernen sonst übliche konische Endform blieb aus, da die Bruchausdehnung jeweils in der Mitte des Kernes endete. Sollte das das Ergebnis gezielten Abbaus gewesen sein, kann man das sicher als perfekt bezeichnen. Der Kern ist 55mm lang. Saxaloquuntur

StoneMan

Moin,

:hilfe3:

das ist ja wohl der Prototyp des "Bipolaren Klingenkerns" schlechthin  :super:

Is a Woahnsinn.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Marienbad

ein einmaliges und sicher sehr seltenes Beweisstück.

Klasse und sehr interessant.  :super: :super:

            :winke:

Steinkopf

Hi Sax!

Wie ist es denn im Süden - Stehen zylindrische Klingenkerne in einem
besonderen vorgeschichtlichen Kontext?
Wir sehen hier ja die Endstufe einer Abbaustufe, die einmal größer begann.
Sinn und Zweck des zylindrischen Abbaus ist die Gewinnung von geraden
Klingen - zumeist für Projektile.

Im Norden wäre die Grübchenkeramische Kultur im Ostseeraum die
Entsprechung. Eine Jägerkultur die j. T. mit dreikantigen Pfeilspitzen
in Erscheinung tritt.

mfg

Jan

thovalo

Alles ist bereits dazu gesagt, ein sagenhafter Fundbeleg!

glG thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

#5
Wie schon gesagt....Es ist ein einmalig auftretendes Stück, zumindest bis jetzt. Weitere Belege sind mir weder in anderen Sammlungen, noch aus den einschlägigen Fundberichten bekannt. Sinn und Zweck aller regelmäßigen Kerne ist es möglichst viele, lange, gleichmäßige Klingen zu erzeugen. Die letzten von diesem Kern geschlagenen Klingen dürften auf keinen Fall für die Herstellung von Pfeilspitzen geeignet gewesen sein. Da keine Kluft im Rohmaterial den Abbau stoppte, wurde bis auf diesen Zustand weiter ab gebaut... da hätte ich mich auch nicht bremsen lassen, wenn ein Material so willig ist. Auf eine dazu gehörige Kultur kann man sich hier wohl bei einem nicht stratifizierten Fund kaum fest legen. Eine Sondage erbrachte hier eindeutig Bandkeramik. Zu Bandkeramik fällt mir Klingenindustrie ein, was doch absolut passt.

Noch ein Bild von einer Fundstelle, die zwei verschieden große Kerne zeigt. Ich gehe nicht davon aus, dass es sich zwingend um zwei verschiedene Zeithorizonte handeln muss, weil die Kerne so unterschiedlich groß sind. Sie zeigen vielleicht auch nur zwei verschiedene Abbaustadien von Kernen, deren Ziel möglichst viele gleich große Klingen gewesen waren. Die einen größer, die anderen klein und fein. Nicht jedes Messer eignet sich für den gleichen Gebrauch.
Saxaloquuntur.

Steinkopf

Hi Sax!

Hier ist ein von der Flinttechnik her vergleichbares Gegenstück aus dem Norden.
Wie schon oben beschrieben, Grubenkeramische Kultur des Ostseeraumes.

Vielen Dank für das Einstellen der schönen Fotos!

Jan




Saxaloquuntur

Genial! Das werd ich mir abspeichern. Grubenkeramik allerdings muss ich erst nach lesen. Saxaloquuntur.

Spürnase

Hallo zusammen

Obwohl ich noch keine sicher identifiezierten Artefakte gefunden hab und deshalb in dieser Sparte "nur"interessierter Mitleser bin,kann ich hier nachvollziehen,das solch ein Fund und die Erkennung seiner Bedeutung, zu den Höhepunkten eines "Steinsammlers" gehört.

Bitte korrigiert mich, aber ihr klingt sehr begeistert.

Gruß Rainer

Steinkopf

Hallo Rainer!

Einerseits ist jeder Fund ein 'Bigo' - aber dann kommt die Frage nach seiner Datierung, Bedeutung
evtl. nach dem Material, die Technik usw. - Es tun sich neue Aspekte und Fragen auf.
Vielleicht auch der Wunsch beim Weitersuchen die zu der Stufe gehörenden Artefakte
am Fundplatz oder an neuen Plätzen zu finden.

C'est la vie

Jan

Saxaloquuntur


Ajo II

Hi!

Zitat von: Saxaloquuntur in 20. November 2011, 18:19:03
Genial! Das werd ich mir abspeichern. Grubenkeramik allerdings muss ich erst nach lesen. Saxaloquuntur.

Nur kurz: Die Bezeichnung als grübchenkeramische Kultur (grübchen- und kammverzierte Keramik) stammt aus Schweden, Funde sind in Norddeutschland an den Küsten nachgewiesen. Die Kultur ist z.T. zeitgleich mit der Trichterbecherkultur und Schnurkeramik und hat Inventare der Streitaxtkultur inne. Das Besondere an dieser Kulturgruppe ist das sie „noch“ als Jäger und Sammler lebte.

M.E. sind eure Kernformen auch in älteren Epochen belegt.

LG, Ralf

Saxaloquuntur

Ja, Ajo, hab mir da über Wiki hinaus schon was an gelesen. Ich gebe Dir außerdem recht, dass das keine Erscheinung einer bestimmten Kultur, Gruppe oder eines Zeithorizontes ist. Kommt über viele Zeiträume an verschiedenen Orten vor. Der bipolare Kern gilt aber (auch) als eine typisch mesolithische Erscheinung und da sind die Jäger und Sammler der Grübchenkeramik ja nicht weit entfernt. Alles eine Frage des wo und wie in der Zeit. Warum immer nach einer bestimmten Kultur fragen, an der man alles festmachen will. macht keinen Sinn. Saxaloquuntur.

Steinkopf

Der Sinn des bipolaren Abbaus liegt in der Gewinnung von Klingen möglichst ohne Krümmung.

Bipolarer Abbau (ohne zylindrische Kerne zu hinterlassen ist bei den Rentierjägern der Hamburger Kultur

und der Ahrensburger Stufe schon anzutreffen.

Bei den Grubenkeramikern muss man einfach die fantastischen (bis 18 cm langen) dreikantigen

z. T. an allen drei Seiten fein retuschierten Spitzen 'im Auge' haben um die Notwendigkeit der

langen ungekrümmten 'Späne' zu verstehen. Das Ergebnis dieser Präzisionsarbeit sind die

schlanken zylindrischen Kerne, die im Ostseeraum als Indikatoren für diese Kulturstufe

gesehen werde. Die Pfeilspitzen selbst waren wohl auch bei den Trichterbecherleuten beliebt,

wir Grabungsfunde belegen.

Leider kann ich diesen Pfeiltyp nicht durch einen Fund belegen.

Ausführlich behandelt bei Peter Vang Petersen: Flint fra Danmarks oldtid S.79 bis 81.

mfg

Jan



Saxaloquuntur

#15
Ja gut, das Kernchen ist aber gerade mal noch 55mm lang.(Andere Zeit, andere Gegend)  Die letzten Klingchen reichen bis zur Mitte ( Endstadium) Es gibt aber auch Klingenkerne mit einer Schlagfläche hier ( auch neolithisch), die "keinen Kernfuß haben."- Heißt, dass der Fuß nur einen geraden Abschluß hat ( durch einen entsprechenden Präparationsabschlag entstanden. Leider fehlen bei meinen Beispielen alle Bulben, sodass dies zu einem frühen Zeitpunkt des Abbaus geschehen sein muss. Folglich hatten die Klingen keine Spitze!- Normalerweise laufen die Klingenkerne stumpf bis spitz aus, aber eben nicht alle. Das bedeutet in Folge wiederum, dass nicht jede Klinge ohne Spitze auch einen Bruch am Distalende haben muss. Saxaloquuntur.

erstes Bild: eine Schlagfläche, Klingen durch geschlagen
zweies Bild: dito
drittes Bild, noch ein bipolarer, nicht ganz so reduziert wie das Eingangsexemplar

mifomex


Das ist ja Superinteressant :super:
Vielen Dank fuers Zeigen und Erklaeren
VG Sash
"Wer Vergessenes ans Licht bringt, Bereichert das Wissen!"

fuchs


Saxaloquuntur

Ist ja der Hammer! Hab nach 30 Jahren Spiegelreflexerfahrung mit der Digitalfotografie ein geliebtes Hobby beiseite gelegt. Das macht Appetit, sich auf die neue Technik vielleicht doch noch ein zu lassen. Ja, denke so ist es richtig. War ne gute Entscheidung, dir ein paar pics zu schicken. Danke für diese Bearbeitung! Muss das erst mal genießen - Davon muss ein Foto in die "Inventarisation" beim Amt. Saxaloquuntur.

steinwanderer

Moin Sax,
ein schöner Kern! Bei der Größe und der Abbauweise kommt dann ja nur noch die jüngere Magelmose in Frage.
Gruß Klaus
Lewer duad üs Slav

Steinkopf

Die gewiss bemerkenswerten Kerne werden hier diskutiert. Was ist mit den Abschlägen zur
Kernpräparation, Kernkappen und anderen aussagefähigen Abbau-Abfällen)
Lässt sich das Ausgangsformat rekonstruieren?

Dem Fundensemble  müssen doch mehr Informationen zu entlocken sein!

mfg Jan

Saxaloquuntur

Zitat von: steinwanderer in 24. November 2011, 06:08:48
Moin Sax,
ein schöner Kern! Bei der Größe und der Abbauweise kommt dann ja nur noch die jüngere Magelmose in Frage.
Gruß Klaus
Maglemose kommt nicht in Frage. Die Mittelsteinzeitlichen Kulturstufen haben ihren Namen meist von den Fundorten mit ihren typischen Inventaren. In dieser Zeit handelt es sich aber hauptsächlich um Technokomplexe und nicht um umfassend bekannte Kulturen.  Dieser Kern stammt von einer Siedlungsfläche, die in der mittleren Bandkeramik beginnt und mittelneolithische Komponenten aufweist. Dazu passen unregelmäßige Gruben (Geomagnetik) die sich keiner regelhaften Siedlungsstruktur zu weisen lassen. Die Kerne der mittleren Bandkeramik sind meist amorph und stark abgebaut. Die regelmäßigen Klingenkerne mit deutlicher Restgröße und erkennbarer Regelhaftigkeit sind eher selten hier. Da ist dieser bipolare ein echter Ausreißer. Vermutungen wären dann schon gewagt, ihn jetzt zu datieren. Meiner Meinung nach gehört er eher in die mittelneolithischen Zusammenhänge. Davon ist hier die Stichbandkeramik ansatzweise durch wenig Keramik belegt (Oberflächenfunde) Als nicht stratifizierte Funde könnten die aber auch etwas intrusives gewesen sein, da hier Erdfälle in der Vergangenheit immer wieder nachweislich aufgefüllt wurden. Nach diesem Zeitraum kommt die Schussenrieder Kultur in Frage, die aber hier in der Gegend, schaut man sich das Verbreitungsgebiet an, auch Michelsberger Einflüsse gehabt haben muss. Dies ist auf einer Siedlung unweit von hier durch eine Grabung belegt. Mesolithikum ist in Tallagen belegt,(um auf die Frage nach der "Maglemose Kultur "zurück zu kommen. Hier wäre das äquivalent: Frühmesolithikum oder Beuronien. ..) hier auf der Hochfläche noch nicht, jedenfalls keine diagnostischen Geräte, aber es gibt getemperte Kerne, die das Frühmesolithikum anzeigen. Genauer geht es im Moment nicht. Ob dieser Kern nun auch in diese Zeit datiert...wer will das entscheiden?
@ Steinkopf. Klar gibt es alles was das Herz begehrt an Abbaustufen, an Kernpappen-scheiben-etc. Der bislang größte, aufgegebene Kern wiegt über ein Kilogramm. Vom kleinsten weiß ich es gar nicht. Müsste ich mal wiegen.

Steinkopf

Hallo Sax!

Das kam ja prompt. Zu Deiner Feststellung:

"Dazu passen unregelmäßige Gruben (Geomagnetik) die sich keiner regelhaften Siedlungsstruktur zu weisen lassen."

kann ich berichten, dass in den letzten Jahren auf der Geest in Nordwest-Deutschland (Altmoräne, Sandboden)
Flächen mit vielen Feuerstellen    in   Gruben gefunden wurden, die (Holzkohle) sich mesolithisch datieren lassen.
Auffällig war, dass diese Plätze (fast) ohne Flintfunde waren.

mfg

Jan

Saxaloquuntur

#23
Ahhh jaaa...interessanter Aspekt. Hier noch ein paar Kernscheiben. Der ganz außen rechts ist von der selben Fundstelle wie der vorgestellte bipolare Kern.
Grüße Sax.

Steinkopf

Danke fürs Einstellen der vielen schönen Bilder!

Jan

Tapir

Zitat von: Steinkopf in 24. November 2011, 14:20:55
Danke fürs Einstellen der vielen schönen Bilder!

Jan

Auch von mir als einem stillen (und bewundernden) Mitleser....

Kelten111

Ebenfalls !!
Und ja ich bewundere deinen Einsatz!!
Mfg Fredi :winke:

Saxaloquuntur

Danke für die Blumen. Freut mich, wenn Euch das gefällt. Einsatz ja, aber die Geschichte merkt sich nur die Originale, nicht die Sammler. Saxaloquuntur.

Silex

Original  sind hier beide!
Danke für´s ansehen lassen!
Bis bald
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.