Baltischer Feuerstein?

Begonnen von rolfpeter, 12. August 2005, 23:11:08

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rolfpeter

Hallo Freunde!

Diesen schönen Kratzer (65*32*15 mm), hergestellt aus dem proximalen Ende einer dicken Feuersteinklinge, habe ich heute gefunden. Wie man sieht, ist ihm Laufe seines langen Lebens mal ein wenig zu warm geworden. Die Farbe hat sich zu weiß gewandelt und auf der Oberfläche sieht man deutlich eine Craquelierung.
Genau hier liegt mein Problem. In der Literatur (Hahn, Artefaktmorphologie, 1991, 50) kann man lesen, daß nur baltischer Feuerstein, im Gegensatz zu westischem, nach Erwärmung craqueliert. Nach Rottländer (1982, 562; 1989, 49) kann dieses Verhalten als Unterscheidungskriterium verwendet werden.

Neben dem Kratzer habe ich an der Fundstelle einige Bruchstücke von relativ großen Klingen aus dunkelgrauem (Rijkholt?) Flint aufgelesen.

Frage an die Experten:
Ist es baltischer Flint?
Kommt baltischer Flint im Rheinland vor?
Wurde das Zeugs bis hierhin verhandelt?

Schon mal besteen Dank für die Antworten

RP

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

servus rp, Experte bin ich nicht!
das Teil da unten (Ein nicht exzellent schöner Kratzer mit seltsamen Schlagpocken)wurde mir vom LfD als baltischer Flint eingeordnet.
Und wenn das Material bis zu mir kam dann gibts auch Wege bis zu Dir.
Der Literaturhinweis (Hahn- hab ich natüalich auch) bezüglich der Craquelierung kann aber nach meinen artefakten nicht stimmig sein.
Arnhofener krakelieren und etliche andere auch (ob es in jedem Fall das Feuer war kann ich allerdings nicht einschätzen). Auf jeden Fall hab ich viele Stücke die Craquelee aufweisen und nachweislich nicht "BALTISCH" sind (Endpaläolithikum- Mesolithikum). Und " meine Ansprechpartnerin vom LfD" ist eine Kapazität was Material anbelangt.  Schöner Klingenkratzer-- wo würdest Du ihn zeitlich einordnen?
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

#2
Moin RP et al!

Vielleicht nur kurz zu einem Aspekt der Hahn´schen "Artefaktmorphologie": Die 1991er Auflage ist zwar schon die zweite, aber auch sie ist noch immer derart fehlergespickt, dass man auch die Bände dieser Auflage dem zuständigen Redaktor G.A. - er steht ja im Impressum drin - nur zu gerne um die Ohren hauen möchte! Ich stelle das so dezidiert fest, weil ich das Buch und die dahinterstehende Idee für grundsätzlich sehr gut halte. Aus bestimmten Gründen kenne und besitze ich nicht nur beide Ausgaben, sondern auch die sozusagen Ur-Ausgabe in Form der zusammengefassten, grün eingebundenen Vorlesungs-/Übungs-Skripte, aus denen ja die Idee zu einem solchen Werk in den späten 1980er Jahren entstanden ist. Wohlgemerkt: meine obige Kritik richtet sich nur gegen die von Anfang an mehr als schlampige Redation durch G.A., nicht aber gegen den Inhalt! Dass beide Auflagen in dieser Form überhaupt gedruckt worden sind, kann ich mir nur durch die seinerzeit fortgeschrittene Krankheit von Kim Hahn erklären...

Und nun zum Sachlichen: Ich bin der allerletzte, der bestimmte Verdienste von Dr. Dr. R.G.A. Rottländer in Abrede stellen will; dies vor allem vor dem Hintergrund der Zeit seines Wirkens (Stichwort z.B. Bernstein). Geht es aber um die Unterscheidung von Flintarten, wie dem baltischen bzw. dem westischen etc. aufgrund der genannten Merkmale, dann "hätt dä jute Rolf" (ein Urkölner reinsten Wassers) "rischtich deef in de Dress jepack", um es volkstümlich auszudrücken. Hier nähert er sich im übrigen deutlich bestimmten Feststellungen von Prof. Dr. R. Blume, z.Zt. Uni Bielefeld (googeln!!!), zum Aufbau - und daraus resultierender Bearbeitungsspezifika - von Feuerstein (hier baltischem Flint), die dieser in dem Monumentalwerk von W. Adrian in der FUNDAMENTA Köln/Graz - m.W. in den 1980ern - abgesondert hat!

Aber zurück zum calzinierten Flint: Jeder Feuerstein, Hornstein (u.ä. Kieselgesteine) enthält molekular gebundenes Wasser, egal ob "bergfrisch" oder sekundär gelagert. Änd nau kamms it: Setzt man solche Gesteine Hitze aus, dann dehnt sich das Wasser, einem physikalischen Gesetzt folgend, unausweichlich aus, und es kommt zur Rissbildung. Das gilt für alle genannten Gesteinsarten! Die Verfärbung des Gesteins ist eine andere Sache und abhängig 1. von der Höhe der Temperatur sowie 2. im Gestein eingeschlossener Spuren von Mineralien und Erzen.

Überall, wo ich in Europa und auf der halben rstlichen Welt verbrannten Flint etc. gesehen habe, tritt immer ein vergleichbares Erscheinungsbild auf. Bis heute wäre es - nicht nur mir - neu, dass man Flintprovenienzen anhand unterschiedlicher Craquelierung/Verfärbung an erhitzten Artefakten unterscheiden könnte. Mittlerweile gibt es eine kaum noch zu überschauende Literatur auch und gerade zu Flint und seinem physikalischen Verhalten, aber nach meiner Kenntnis hat sich niemand im fraglichen Zusammenhang in solch luftige Höhen begeben wie Rottländer.

Wie in jeder - noch so intensiv recherchierten - Publikation, gibts auch in der "Artefaktmorphologie" ´ne ganze Menge Fehler, teilweise auch wieder vor dem Hintergrund der Zeit (z.B. die von Hahn nach wie vor referierte, freilich bis heute niemals nachgewiesene sog. Punchtechnik zur Herstellung jungpaläolithischer Klingen!).
Wie dem auch sei: Der Tübinger Prähistoriker PD Dr. H. Floss hat es sich zur dankenswerten Aufgabe gemacht, ein Nachfolgewerk zur "Artefaktmorphologie" unter Mitwirkung zahlreicher Fachmenschen herauszugeben. Die Idee entstand 1999, Redaktionsschluss war Juli 2000, und das Werk mit dem Titel "Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis zur Neuzeit" wird 2006 erscheinen. Nach allem, was ich darüber erfahren habe, dürfte spätestens dann "das rote Hahn-Buch" ad acta gelegt werden.

Ach ja:

1. In aller Regel ist es bei verbranntem - vor allem weiss verfärbtem Flint - nicht mehr möglich, etwas zur Art und damit der Herkunft zu sagen.
2. Natürlich gibts baltischen Flint im Rheinland. Der steht - sekundär gelagert - in den südlichsten Stauchendmoränen der vorletzten (!) Kaltzeit etwa am Hülser Berg bei Krefeld an.
Das kann aber nicht weiter wundern, denn es gab nicht nur im Neolithikum, sondern schon lange, lange vorher intensive Kontakte zwischen lokalen, regionalen und überregonalen Menschengruppen, wodurch eben auch Artefakte migrierten und heute weit von ihrem Herkunftsgebiet gefunden werden (z.B. die aus baltischem Bernstein bestehende Perle aus dem altneolithischen Brunnen von Erkelenz-Kückhoven!). Aber im Hinblaick auf überbrückte Entfernungen ist das ist noch gar nichts, denkt man einmal an die LBK Spondylusfunde und weiss, dass Spondylus (der Art Gaederopus) im östlichen (!) Mittelmeer vorkommt und auf LBK-Fundplätzen in Mitteleuropa auftritt! Nach meiner Kenntnis flogen El Al oder Türk Hava Yollari damals noch nicht; die buchten ihre Sitze somit bei Per Pedes International Land Line...

Beste Grüsse
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Ja Junges, was soll ich sagen?

Erstmal besten Dank für die ausführlichen Erläuterungen!
Dann warte auch ich geduldig auf "Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis zur Neuzeit" und hoffe, mit Hilfe dieses Werkes, der Erleuchtung etwas näher zu kommen.

Schönes Wochenende noch!

RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

servus RP hab mich an Deinen lädierten Kratzer erinnert als ich am Samstag dieses Teil auflesen konnte- fast identisch der Malträtierungsgrad und die Oberflächencraquelierung .  War mal wohl ein schöner Rundkratzer . Die Enpaläolithiker dieser Fundstelle saßen mitten im Sumpf auf einigen sandigen Erhebungen- heute teilweise nur noch 1,5m hoch und ziemlich eng gings da zu- da blieb nicht viel mehr Platz als für ein paar Zelte und einige Feuerstellen. Heute sieht man: wenig Humus Sand und sehr viel Holzkohle- nebst diesen steinernen Zeugen.
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Silex

und die verheerende Wirkung von Hitze auf Silexwerkzeuge nochmals....
war auch mal ein schöner Kratzer- 2 fragile Kratzerbahnen sind noch erahnbar aber ein kleines Fingernagelstipsen löst auch die mit Leichtigkeit vom aufgelösten Korpus...
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

rolfpeter

Hallo Silex!
Da zeigst Du ja ein ganz bezauberndes Kerlchen! Irgendwie haben die weißen, ceaquelierten Steine doch ihren ganz besonderen Reiz.

Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Ciao @ Silex!
Also, mich würds ja schon interessieren, wer das graubraune Kerlchen als "BALTISCH" beim (welchem?) LfD eingeordnet hat. Grillo´ts da? Mir sehen die "seltsamen Schlagpocken" verdächtig nach Resten einer typischen Gerölloberfläche aus. So oder so: Entweder wäre jener Kratzer aus einem Abschlag von einem Schlagstein, präzise einem Klopfer oder aus einem Bruchstück/Abschlag von einem Flintgeröll hergestellt worden. Vielleicht gibt es da noch Rindenreste drauf? Wenn ja, wäre die Frage jedenfalls schon mal beantwortet.
Beste Grüsse
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Silex

Ja Khamsin, der ROTE hat keinerlei Rindenreste aber die Narbenfelder sind nachträglich von Abschlagsbahnen "gestört". Die Pocken sehen aber "humanoid verursacht" aus- soweit man das beurteilen kann ( wg. Kutschen und so)
Dies dürfte aber wohl eine seltene- ungewöhnliche Vorgehensweise in der Operationskette Rohstoff....Werkzeug darstellen...
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger

Zitat von: rolfpeter in 12. August 2005, 23:11:08
Hallo Freunde!

Diesen schönen Kratzer (65*32*15 mm), hergestellt aus dem proximalen Ende einer dicken Feuersteinklinge, habe ich heute gefunden. Wie man sieht, ist ihm Laufe seines langen Lebens mal ein wenig zu warm geworden. Die Farbe hat sich zu weiß gewandelt und auf der Oberfläche sieht man deutlich eine Craquelierung.
Genau hier liegt mein Problem. In der Literatur (Hahn, Artefaktmorphologie, 1991, 50) kann man lesen, daß nur baltischer Feuerstein, im Gegensatz zu westischem, nach Erwärmung craqueliert. Nach Rottländer (1982, 562; 1989, 49) kann dieses Verhalten als Unterscheidungskriterium verwendet werden.

Neben dem Kratzer habe ich an der Fundstelle einige Bruchstücke von relativ großen Klingen aus dunkelgrauem (Rijkholt?) Flint aufgelesen.

Frage an die Experten:
Ist es baltischer Flint?
Kommt baltischer Flint im Rheinland vor?
Wurde das Zeugs bis hierhin verhandelt?

Schon mal besteen Dank für die Antworten

RP



Hallo rolfpeter

Ein Kommentar aus Dänemark.

Ich sammle seit 15 Jahren Flint, und hier bei uns gibt es reichlich Fundorte !!

Dein Stück sieht genau so aus wie die Funde, die wir hier machen, tatsächlich habe ich einen fast ähnlichen Scharber der genauso Craqueliert ist, und der Flint ist mit sicherheit lokal.

Ich würde sogar wagen das Stück zur spätneolithicum zu datieren, da wir hier mehrere Fundorte haben, wo genau solche Scharber in mengen sind.

MfG agersoe

rolfpeter

Hallo Agersoe,

Danke für Deinen Kommentar. Ich glaube auch, daß das Stück spätneolithisch ist. Auf der gleichen Fundstelle habe ich einige große Klingen gefunden, die typisch für das hiesige Spätneolithikum sind.

Gruß
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Hallo wieder !!

Schöne Artefakte

Das obere Stück ist wohl ein grosses Messer oder vielleicht ein Sichel (sie sind bei uns merkwürdigerweise auch auf Bronzealterfundstellen sehr gewöhnlich,
neuere Forschung schlägt vor sie wurden dafür verwendet Schilfrohr in den Mooren zu schneiden)

Das untere hat wie ich das sehe eine deutliche Bohrspitze, die auf beiden Seiten retouschiert ist, oder ???