Die bemerkenswerte Variante eines Klingengerätes der jüngeren Jungsteinzeit (MK)

Begonnen von thovalo, 04. November 2018, 14:02:31

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thovalo



Hallo zusammen!


Auf einem großen Fundareal am rechten Niederrhein finden sich bei Begehungen in erheblichen Umfang Debitage und typologisch gut geklärte zumindest dort häufige Fundbelege wie Pfeilspitzen, Pfeilschneiden, Kratzer usw.

Daneben treten auch immer wieder außergewöhnliche(re) Geräteeinsätze/Gerätschaften auf und zeigen wie breit das Gerätespektrum an diesem offensichtlichen Zentralort gewesen ist (z.B. Belege mehrerer Dechselklingen aus Steingrundformen usw.)

Ein aktueller Neufund hat zwar leider einen kräftigen Ausbruch durch den eifrigen Einsatz landwirtschaftlicher Gerätschaften erlitten, blieb aber in den entscheidenden Partien ohne gravierende Beschädigung.  :glotz:


Der Fundbeleg stammt von einem zentralen Fundbereich der fast ausschließlich Klingengerätschaften aus Lanayefeuerstein vim Rijckholttyp überliefert und das in eienr verblüffend hohen Stückzahl. Es macht den Eindruck als stammten alle diese Stücke aus konzentriert verfüllten Befunden, denn sie streuen nicht über die gesamte Fläche sondern konzentrieren sich an bestimmten Stellen und das in stets erstaunlich guter Erhaltung die häufig nur durch moderne Beschädigungen der landwirtschaftlichen Aktitäten beeinträchtigt wird. So gelingen auch nach vielen Jahren immer wieder Anpassungen zerbrochener Stücke.

Der aktuelle Fundbeleg aus der Grundform einer Klinge weist am Proximalende eine Kratzerkappe auf und wurde zur Distalpartie hin steil zu einer kräftigen Sptize hin zuretschiert. Dies ist nun der zweite derartige Fundbeleg. Die stets reflexhafte Zuordnung des schon längere Zeit vorliegenden Stücks als "Spitzeklinge " trifft im Verlgeich und nun auch mit dem zweiten Fundbeleg an der Seite nicht zu.

Zwar müssen auch die Retsuchen der "klassichen" Spitzklingen bei zunehmender Nachbearbeitung durch den stärker werdenden Durchschnitt der Silexgrundform steiler ausfallen. Doch sind im Verlgeich mit vom selben Platz vorliegenden Spitzklingen die Grade der Steilheit der Lateratretsuchen an den beiden hier besprochenen Stücke deutlich zu unterscheiden.

An beiden Stücken gibt es deutliche Verrundungen im Bereich der Spitzenpartien und am Neufund sogar Reste von Lackglanz der durch die Anlage der Retusche zur Spitze hin bereits wieder weitgehend abgetragen worden ist.

Mit den Spitzen dieser Geräte könnte im weitesten Sinne in einem festen Material "gebohrt'" worden sein oder die Merkmale entstanden dadurch, dass die Klingen mit dem spitz zuretuschierten Ende in einer Schäftung eingelassen waren innerhalb derer sich dann durch etwas Spiel entsprechend verrundender Abrieb gebildet haben könnte.

Die lateralten Retuschierungen sind umlaufend sorgfältig ausgeführt worden.  :glotz:

Es handelt sich aufgrund der bipolar zugereichteten Enden in keinem Fall um klassiche "Spitzklingen", sondern entweder um "Kombinationsgerätschaften" mit zwei Arbeitenden als handwerklich spezialisiertes Kombinationsgerät von "Ahle/Bohrer/Schnitzgerät" und "Klingenkratzer" oder eines der Enden ist eine Schäftungszurichtung, doch welches der beiden Enden das dann gewesen wäre, ist nicht klar zu entscheiden.


Die Diversität der Formen und Gebrauchszustände der im Fundbereich entdeckten Klingengerätschaften ist vergleichsweise hoch, sodass es sich um einen zentralen Werkbereich handeln dürfte an dem verschiedene zu teils wohl sehr spezifischen Werkschritten geeignete Gerätschaften hinterlassen woden sind.


Es wäre klasse wenn noch irgendwo Vergleichsstücke vorhanden sind, denn häufig scheinen solche Abwandlungen/Varianten spitzer Klingengerätschaften mit gerundet retuschierten Gegenende aus größeren Klingengrundformen nicht vorzukommen.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo




Qualitätsvoller Rijckholtfeuerstein der dunklen Varietät

Länge 9.8 cm (kein Längenverlust an den Enden)

Besonderheiten: Laterale Verrundung, Reste von überretuschierten Lackglanz, eine schwächere Glanzbildung über die sonstigen Bereiche von der Spitze bis etwa zur Mitte des Artefaktes und markantere einbuchtende Negative im Lateralverlauf zur Spitze hin, die keine späteren Beschädigungen darstellen.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



:-)


Hier die Gegenüberstellung der zwei aktuell vorliegenden Stücke. Möglicherweise befinden sich noch weitere Belegstücke in der inzwischen an das Bonner Landesmuseum abgegebenen Sammlung vom Gesamtfundgelände., wobei bei gebrochenen und nicht mehr angepassten Klingen ja nicht mehr entschieden werden kann ob es zwei Kombienden gegeben hat.

Der Fundbeleg besteht aus der grau gemaserten Variante des Rijckholtfeuersteins ist 8.4 cm lang.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Furchenhäschen

Hallo Thomas,
eine beachtliche Länge in Anbetracht der modernen Landwirtschaft die doch heutzutage alles und jeden Stein und eine jede Scherbe liebend gerne zerkleinert.
Die Größe, Breite und Ausführung im direkten Vergleich zum "Zwilling" sieht ja schon fast aus wie aus dem Werkzeugkatalog eines Baumarktes.
Ein schöner Fund und gut erläutert!

Grüße Peter  :winke:

thovalo

Zitat von: Furchenhäschen in 04. November 2018, 17:13:32
Hallo Thomas,
eine beachtliche Länge in Anbetracht der modernen Landwirtschaft die doch heutzutage alles und jeden Stein und eine jede Scherbe liebend gerne zerkleinert.
Die Größe, Breite und Ausführung im direkten Vergleich zum "Zwilling" sieht ja schon fast aus wie aus dem Werkzeugkatalog eines Baumarktes.
Ein schöner Fund und gut erläutert!

Grüße Peter  :winke:



Ich denke da wurden zumindest zwei Klingen zu einer speziellen Tätigkeit in eine bewährte Form gebracht. Zwar ist das ein individuelles Tun aber angepasst an den Bedarf einer besonderen und uns leider (noch ?) nicht bekannten Tätigkeit.


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinsucher

Zitat von: thovalo in 04. November 2018, 14:02:31
Es wäre klasse wenn noch irgendwo Vergleichsstücke vorhanden sind, denn häufig scheinen solche Abwandlungen/Varianten spitzer Klingengerätschaften mit gerundet retuschierten Gegenende aus größeren Klingengrundformen nicht vorzukommen.
lG Thomas  :winke:

Hallo Thomas, zu später Stunde. Ich habe da wohl zwei Kandidaten, die zu deiner Einstufung passen werden. Fundjahr 1986 und 1987. Daher noch nicht vom Zerkleinerungswahn betroffen. Ich mache morgen die Bilder. Ich bin mir sicher, die sind hier im Forum, aber ich weiss nicht mehr wann das war.

Die markante Kratzerkappe haben beide. Da beide auch identisch beim Feuersteintyp sind - dunkler Rijckholt - und wie neu aussahen, bin ich bis heute davon ausgegangen es wären Grabbeigaben. Sie stammen aus dem Bereich Teveren (Geilenkirchen) aus einem ausgesprochen sandigen Bereich. Ackerboden (Braunerde) war da nicht, erst in höheren Bereichen.

Du erzählst immer wieder von dem "rechtsrheinischen Fundort". Dieser Bereich bei Teveren ist irgendwie nie richtig in den Blickpunkt geraten. Wohl auch meine Schuld. Ich habe lange gesucht so bis 1990. Dann kamen meine Auslandseinsätze und auch das Ende. Aber ich habe das Gefühl, dass da eine Ähnlichkeit besteht (Lousberg, Michelsberg, jünger?).
Meine Dechselklinge aus Rijckholt-Feuerstein lag nur 200 Meter entfernt im damaligen Heidegebiet.

Ich mach morgen mal hoffentlich aussagende Fotos,

bis dann, Fritz.

Danske

Hallo Thomas,

danke für's Zeigen und die ausführliche Darstellung und Beschreibung. :Danke2: Wirklich interessante Fundbelege. Das waren wohl Multi-Tools des Neolithikums, ein Gerät zum Schaben, Kratzen und Bohren. Allerdings hätte ich eine Laterale nicht retuschiert, um eine Schneide zu erhalten. Mit einem Vergleichsstück kann ich leider nicht dienen.

LG
Holger
Das Leben ist die Summe all unserer Entscheidungen

Steinsucher

Hallo Thomas, halle Forum, hier die versprochenen Fotos.

Auf den Bildern mit der Dreiergruppe habe ich das hellere Teil dabei gelassen, weil es unmittelbar bei den beiden Kandidaten lag. Die Vergleichsstücke sind also die dunkleren Teile. Beide haben geringe moderne Beschädigungen. Die sollte man erkennen können, da sie tatsächlich Sörungen im Kantenverlauf sind. Wenn nicht, markiere ich sie auch gerne.

Die Reflektionen täuschen nicht, die Teile wirken tatsächlich ziemlich speckig. Sie könnten vom selben Kernstein stammen.

Hoffe es passt,

Fritz.



thovalo



Hallo Fritz!  :winke:


Die scheinen kleiner und weniger stringent gestreckt azu sein aber deutlich ähnlich ausgeführt!  :glotz:

Sehr spannend und vielen Dank!  :super:
Sehen wir uns am Samstag in Bonn?

Ich bringe die beiden Stücke mit!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.