Aufsammlung aller Projektile eines ca. 1.000 qm Grundfläche umfassenden Platzes

Begonnen von thovalo, 12. November 2011, 14:39:01

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thovalo

 :-)

Diese Projektilbelege fanden sich in einem Zeitraum von jetzt genau 8 Jahren Begehungszeit auf einem insgesamt enorm fundreichen Platz auf ca. 1.000 qm Grundfläche.

Der Platz befindet sich im Bereich der Aue des rechten Niederrheins auf einer mit weiter Sicht auf den Flusslauf nach Westen ausgerichteten Geländekante.

Die älteste datierbare Keramik des Platzes gehört der "Bischheimer" Kultur an, gefolgt von Gefäßbelegen der "Michelsberger" Kultur.
Da die Keramik des späten Neolithikums im Rhein-Maasgebiet vollkommen unspezifisch ist, bleibt der weitere Verlauf der Besiedlung des Platzes trotz einem deutlichen Fundniederschlag von weiteren unverzierten und oft stark mit Quarzfraktur gemagerten Keramikresten unklar.

Die in der Basis schiefe und nur randlich retuschierte Pfeilspitze aus heller beigefarbigen Feuerstein mit weisslichen Punkten oben rechts ist aus einem Sicheleinsatz der "Bischheimer" Kultur angefertigt worden. Für diese Zeit ist innerhalb der "Niederrheinischen Bucht" die Verwendung dieser als "Rullenfeuerstein" identifizierbaren Silexvarietät charakteristisch.
Wie der bevorzugte Materialgebrauch im Bereich des "Niederrheinischen Tieflandes" ausgesehen hat, ist überhaupt noch nicht geklärt.
Dieser Platz ist der erste und bislang einzige Fundpunkt dieser Kultur in dieser geographischen Region.

Die Trapezformen der "Pfeilschneiden" gehören auf dem Platz, bis vielleicht auf eines der Stücke mit einer seitlich einseitig sehr weit hausgezogenen Schneidenkante, der Zeitphase des späten Neolithikums (3.500- ca. 2.800 v. Chr.) an, die provisorisch dem Kulturhorizont "SOM-Stein-Vlaardingen-Wartberg" zugeordnet wird.

Rechts unten findet sich unter den Pfeilspitzen auf dem ersten und zweiten Bild ein gestielt und geflügeltes Projektil in der Machart der späten Becherkulturen innerhalb der Rhein-Maasregion, die den Zeitrahmen der Projektileinsätze aus Stein chronologisch abschliesst.

glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

 :-)

Zwei mögliche mesolithische bis frühest neolithische Projektilformen des Platzes aus der oben gezeigten Aufsammlung.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinkopf

Hallo Thomas!

Da hast Du eine beeindruckende Dokumentation präsentiert.

Das sind von diesem Fundplatz mehr neolithische Spitzen

als ich in 20 Jahren überhaupt auflesen konnte - darf ich

neidlos anfügen.

Die vielen Formen werde ich mir noch genauer ansehen.

Danke für das Einstellen!

Jan

excalibur

Hallo Thomas,

sagenhaft. Ich bin erstaunt wie vielfältig die unterschiedlichen Formen sind, die alle dem gleichen Zweck gedient haben.

Für mich eine neue Erkenntniß! Danke für das Zeigen! Bitte weiter so, das ist für mich, als Laie, die einzigste Möglichkeit

mehr über diese Werkzeuge zu erfahren. Bilder sagen für mich manchmal mehr aus als tausend Worte!

Gruß

Excalibur

thovalo

Zitat von: excalibur in 12. November 2011, 23:12:03
Hallo Thomas,

sagenhaft. Ich bin erstaunt wie vielfältig die unterschiedlichen Formen sind, die alle dem gleichen Zweck gedient haben.

Für mich eine neue Erkenntniß! Danke für das Zeigen! Bitte weiter so, das ist für mich, als Laie, die einzigste Möglichkeit

mehr über diese Werkzeuge zu erfahren. Bilder sagen für mich manchmal mehr aus als tausend Worte!

Gruß

Excalibur


Gestern hatte ich noch Austausch über nicht publizierte Projektilfunde aus der Niederrheinischen Bucht, wonach auch bemerkenswert kleinformatige Pfeilspitzen, wie die zweite von rechts ganz Oben, in "Michelsberger" Fundinventaren auftreten.

Zur Jagd auf Feldhamster und Spitzmäuse ..... ?  :-D


Das unbeschädigte Projektil Oben rechts (Rullenfeuerstein) datiert sicher in die "Bischheimer Kultur" (Keramikbelege vorhanden), die die Siedlungsaktivitäten auf dem Platz eingeleitet hat. Nach Lünings Publikation zu Schernau kann auch das bereits flächig retuschierte gedrungene Projektil (Rullenfeuerstein) links Unten der "Bischheimer Kultur" zugeordnet werden.

Das geflügelte und gestielte Projektil aus "nordischen" Feuerstein Unten rechts entspricht charakteristischen Grabbeigaben der "Glockenbecherkultur". Zu diesem Projektil passt zumindest noch eine "Dolchklinge" aus Rijkholtfeuerstein vom selben Fundpunkt.

Der Rest der Pfeilspitzen passt zum Inventar der "Michelsberger Kultur" (Keramikbelege vorhanden) die chronologisch unmittelbar auf die "Bischheimer Kultur" folgte.

Pfeilschneiden sollen nach Arora zwar in Befunden seiner "Bischheimer" Grabung bei Jüchen-Garzweiler mit aufgetreten sein doch gelten die Befundzusammenhänge immer noch nicht als gesichert. Der Bezug von Pfeilschneiden zu "Bischheim" ist nirgendwo sonst nachzuvollziehen
(z.B. nur Pfeilspitzen aber keine Pfeilschneiden in Befunden der Grabung Schernau). In sofern sind die Pfeilschneiden, dem aktuellen und abgesicherten Forschungsstand in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Nord-Westdeutschland und Westfalen folgend, dem späten Neolithikum anzuschliessen.

Das bedeutet eine über die Projektile zu erschließende kulturell lückenlose Siedlungsabfolge von "Bischheim" - "Michelsberg" - "SOM-Stein-Vlaardingen-Wartberg" über den Zeitraum von  ca. 4.400 - 2.800 v. Chr. hinweg.

Spätere neolithische Aufenthalte auf diesem Platz scheinen nur noch sporadisch gewesen zu sein.


glG thomas  :winke:



PS: ein schöner link und ein eindrucksvolles "Schaufenster" nicht nur zu Projektilformen aus Belgien (Wallonie/Brabant)

http://www.archeobase.be/musee-virtuel-prehistoire-archeobase.html
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

@thovalo,
Hallo, hast du die Pfeilspitzen ein gemessen (wenigstens mit GPS)? um daraus auch einen Datensatz zu schaffen, beispielsweise um die Beantwortung der Frage zu ermöglichen, inwieweit die Fundverteilung mit den weiteren Funden (Keramik, etc, ebenfalls ein gemessen?) korreliert? Ist der gesamte Fundplatz in den verschiedenen Zeithorizonten so "durchmischt", dass dies nichts bringt, oder erscheint es retrospektiv sinnvoll?
Kritiker von Aufsammlungen und Sammlungen allegmein wollen ja behaupten, dass Oberflächenfunde (ungeachtet der langen Zeiträume unüberschaubarer Bearbeitung der Oberflächen durch die Landwirtschaft) immer noch eine Regelhaftigkeit der Verteilung an der Oberfläche erkennen lassen, die ich in Frage stelle. In diesem Zusammenhang plädiere ich für die Rettung der Objekte ( die bei einigen deiner Beispiele auch schon ein bisschen spät erfolgen musste) in unbeschädigtem Zustand vor der Erfassung von für mich nicht wirklich nachvollziehbarem Kontext. ( Als Beispiel hört man immer wieder das Zauberwort von Nitrat-Analysen) Wir wissen ja zudem, dass die Wissenschaft und die reine Denkmalpflege sich da auch nicht grün sind. Letztlich nagt der Denkmalschutz am Selbstverständnis der Forschung und an der des Suchers und Sammlers, hat also den überwiegenden Schützer als Kritiker, der am liebsten über alles Gras und Wald wachsen sieht. Neueste Denkmalgesetze verankern auch schon die wirtschaftlichen Interessen (Schleswig Holstein CDU-FDP) und in Ungarn ( 234 zu 90 Stimmen des Parlaments) eine 30 Tagesfrist innerhalb der die Archäologen Zeit haben ihren Interessen nach zu kommen. Das gilt auch für jetzt laufende Grabungen. Da ist es sogar möglich, dass Audi ein Werk in einem Schutzgebiet errichten kann. Sind wir als Retter der quasi letzten Impressionen eines Altsiedelplatzes (noch) verkannt und angesichts neuer Entwicklungen unserer Zeit vielleicht auch voraus? Wo bist du da verortet?
Ich will ein Beispiel geben: Auf einem Fundplatz, der erkennbar auch eine große Bedeutung als Schlagplatz für die regionale Verbreitung von Rohmaterial gewesen sein muss, sammelte ich ca. 11 Jahre regelmäßig ab. Eines Tages kam der Bagger und auf dieser Stelle steht jetzt eine Lagerhalle mit Fotovoltaik. Hier wird nie wieder etwas ausgegraben!- 500 qm verloren! Da steh ich nun, mit meinen teilweise einzeln ein gemessenen und umfassend abgesammelten Funden und damit mit dem ganzen Zeugnis, dass noch davon übrig ist.

Schönes, breit gefächertes "Pfeilspitzenensemble". Die Chronologie des Fundortes erschließt sich ja auch aus Keramikfunden. Ansonsten sind Pfeilspitzen oft datierungs-resistent, zumal sie wie hier nicht stratifiziert sind. Dass sie dafür geschaffen wurden um weite Strecken zurück zu legen, macht die Sache auch nicht immer einfacher. Lässt sich eine Fundstelle gut eingrenzen kann das eigentlich nur heißen immer alles mit zu nehmen. Vielleicht steht morgen schon ne Halle drauf.Saxaloquuntur.
uups, dein letzter Beitrag hat sich mit meinem gekreuzt.

thovalo

 :-)

Ich habe während meines Studiums an einem Projekt der Bodendenkmalpflege in Köln teilgenommen.

Im Bereich des Kölner Ortsteils "Widdersdorf" habe ich alle zugewiesenen relevanten Fundstellen (ab "Rössener" Kultur bis zu einem spätantiken "burgus") punktuell eingemessen, andere Geländepartien wurde nur nach Fundflächen kartiert.

Die Überprüfung der punktuelle Einmessung und Dokumentation durch die nachfolgenden Flächengrabungen ergab eine enorme Verschwendung von Zeit und keine fundierten facharchäologischen oder befundrelevanten Informationen.

Der spezielle Fundplatz hier am Rhein, von dem die ganzen Projektile und tausende andere Artefakte stammen, ist "durchmischt", also bereits bis in die "Bischheimer" Befundschichten hinein angegriffen.

Es gibt aber in meiner Wahrnehmung bestimmte Oberflächenbereiche auf denen sich z.B. Projektile oder insbesondere als Kratzer retuschierte
und gebrauchte Grundformen aus Silex hoch konzentrieren. Die Gesamtgrundfläche ist gegenüber dem Massenfundaufkommen jedoch so klein, das sich bei einer ja in der Regel NICHT mal auf einen sondern nur auf fünf oder mehr Meter (un)genauen GPS-Fundeinmessung von Oberflächenfunden kein klares Bild einer Fundverteilung ergeben kann. Ich bin sogar offiziell dazu aufgefordert worden die punktuellen Einmessungen sein zu lassen, weil sie nix an neuen Infos beitragen können. Ist ja auch logisch ......  wieso soll der Oberflächenfundteppich irgendwas zum Untergrund aussagen, außer ... das dort Befunde liegen die reichlich materielle Hinterlassenschaften her geben ... wie die dreidimensional gelagert WAREN .... kann zumindest in diesem Fall Niemand mehr erschliessen.

Auf diesem einen Platz ist die Wahrnehmung nach vielen hundert Stunden Prospektion viel wichtiger: die Masse der Funde schöpft sich aus einer Grundfläche von wenigen hundert Quadratmetern auf der Scheitelhöhe des Feldareals und offensichtlich ist das eigentliche Siedlungszentrum bereits von der längs verlaufenden Siedlung platt gemacht worden.

Im mittleren Neolithikum sind riesige Gruben mit bis zu 30 Metern Länge bekannt. Entweder liegt hier so ein großer Befund oder eine hohe und verdichtete Anzahl kleinerer Befunde als Befundkomplex vor, die bzw. der ja längst schon im Pflughorizont quer und in die Breite gezogen wird. Zumindest vor 8 Jahren hätte da ein direkter Einsatz die Urgeschichte des Neolithikums zumindest für das Rheinland enorm bereichert.

Dann der entscheidende Punkt: die Außenstelle beim LVR verfügt über keinen Urgeschichtler mehr. Die sind blind wie Hühner und picken nur noch ihre provinzialrömischen Körner, die kennen sie, das können sie. Dieses Futter erhält den Arbeitsplatz und fördert die ganz persönlich verfolgte professionelle Karriere. Leider sind Facharchäologen in den Fachämtern heute kaum noch leidenschaftlich für ihr Metier entbrannt, sondern viel eher für sich und ihr berufliches Überleben.

Freie Zeit oder deutlicher formuliert: FREIZEIT, materielle Unabhängigkeit und eine sehr flache bis keine Hierarchie ermöglicht in unserer minutiös getakteten Effizenzzeit erst die freie Leidenschaft für ein Arbeitsfeld.

Sonst ist das Fundareal am Rhein zwar inzwischen auch national und international vielen prominenten Urgeschichtlern bekannt, z.B. durch den Fund des Belegs einer naturwissenschaftlich der Herkunft nach nach Ligurien/Genua verorteten Prunkbeilklinge aus Jadeit, durch den ersten jemals im Rheinland gefundenen Beleg einer Geröllkeule, durch mehr als eintausend Belege von Silices mit Schliffresten, durch Funddebelege von Dechselklinge aus Silexgrundformen usw., aber im eigenen Lande gilt der Platz gar nichts, weil es keine Fachleute dafür mehr gibt.

............. aber das ist ja inzwischen schon ein "altes L(e)i(e)d"


glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

Das ist eine klare Aussage und auch nach vollziehbare Einstellung. Es verhilft mir jedenfalls unterstützend als Sicherheit für meine eigene Argumentation über die Sinnhaftigkeit/Sinnlosigkeit solcher Einmessungen. Einzelfunde, die herausragend sind, messe ich nach wie vor mit dem guten, alten Metermaß ein. Im Amt wird das anders gesehen. Es ist jedenfalls schwer etwas zu tun, dessen Sinn sich mir nicht erschließt. Nicht ganz das Thema deines schönen Beitrages, aber ein solch großer Fundkomplex bot sich mir für die mich "quälende Frage" an. Nix für ungut.  saxaloquuntur.

thovalo

Zitat von: Saxaloquuntur in 13. November 2011, 13:38:25
Das ist eine klare Aussage und auch nach vollziehbare Einstellung. Es verhilft mir jedenfalls unterstützend als Sicherheit für meine eigene Argumentation über die Sinnhaftigkeit/Sinnlosigkeit solcher Einmessungen. Einzelfunde, die herausragend sind, messe ich nach wie vor mit dem guten, alten Metermaß ein. Im Amt wird das anders gesehen. Es ist jedenfalls schwer etwas zu tun, dessen Sinn sich mir nicht erschließt. Nicht ganz das Thema deines schönen Beitrages, aber ein solch großer Fundkomplex bot sich mir für die mich "quälende Frage" an. Nix für ungut.  saxaloquuntur.

Einzelfunde von Bedeutung messe ich auch genau ein, um den "Standort" innerhalb des Gesamtsiedlungskomplexes von 70 Hektar Grundfläche  zu kennzeichnen. Das macht Sinn für überregionale Zusammenfassungen spezieller Fundgruppen.

glG thomas  :winke:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Zwerg

Hi Thomas  :winke:

Da hast du aber eine schöne Kollektion an Pfeilspitzen. Von allem etwas dabei.  :-)  my dear mister singing club  :-D  (Mein Lieber Herr Gesangs Verein)
Ich bin echt neidisch und hoffe, dass ich bald auch meine erste Pfeilspitze finde :-)

Gruß Bettina

thovalo

Irgendwie ist das ein allgemeines Phänomen ........ es dauert meist sehr lange bis zur ersten ........
und dann ist der Bann gebrochen!

Wobei sie auf diesem Siedlungsareal ungewöhnlich häufig aufzufinden sind, weil hier anscheinend auch lange Zeit gelebt und intensiv gejagt worden ist!

glG thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rattleschneck

Zunächst einmal staune ich über die Vielfalt der vorgestellten Projektile. Bisher habe ich nur wenige gefunden und ich denke, wenn ich mir die teilweise vorgestellten "Winzlinge" anschaue, würde ich die glatt übersehen.
Der Beitrag und die sich anschließende Diskussion ist Spitzenklasse!


Saxaloquuntur

sorry, PC-Probleme :heul:

thovalo

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Saxaloquuntur

sorry, war ein PC-Problem.Sax. Alles im Lot.Saxaloquuntur.