Klinge mit 'Schlagunfall' - fracture en nacelle

Begonnen von Steinkopf, 22. November 2014, 21:47:37

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Steinkopf

Eine zunächst unauffällige Klinge mit der typischen Patina uns Verwitterung
vom Kattegat zeigt auf ihrer Ventralseite eine Besonderheit: Beim Schlag löste sich noch ein weiteres dünnes Teil.

Dieses gleichzeitig abgespungene Teil lag leider nicht daneben.

LG

Jan

StoneMan

Moin,

sehr ungewöhnlich  :glotz:  gut, so etwas mal zu sehen.

Es handelt sich ja im ´weitesten´ Sinne um eine Art Schlagnarbe, denn das abgesprungene Teil ist ja
am basalen Ende mit dem Schlag abgeflogen.

Oder ist etwa der Bruchverlauf... :kopfkratz:


Danke fürs Zeigen.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

thovalo

#2


Das ist ein massiv ausgeprägtes und besonderes Schlagmerkmal.

Der Schlagunfall hat allerdings kein klassisch ausgeprägtes "segment en nacelle" ergeben.
Bereits der Bulbus liegt nicht auf der Ebene der weiter führenden Ventralfläche sondern weiter zurück.
Das Ergebnis der ("Fehl")Übertragung des Schlages durch einen ungünstig ausgeführten Schlagwinkel ergab sich schon vorher.
Vielleicht gibst Du uns noch ein Foto in der direkten Seitenansicht (wie auf der Publikation Unten) mit auf den Weg.

Super anschaulich Alles zum Thema hier:
(absolut mustergültig ist das grandiose experimentell hergestellte Beispiel von SILEX auf der ersten Seite.
Der Originalfund von serimus macht die gemeinten Merkmale ebenso deutlich
)

http://www.archaeoforum.de/viewtopic.php?f=43&t=5108&sid=d41432ed855544f0fbe63a71cdffdd2d


Bei Harald Floss gibt es die entsprechende Darstellung! (s. Unten)
Zu Schlagtechniken: Floss S. 12 ff


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Steinkopf

Hallo Thomas, Hallo Jürgen

da habt Ihr recht - so idealtypisch wie in der Zeichnung von Bordes,
die in vielen Publikationen übernommen wurde, so auch bei Floss (Steinartefakte, S. 369)
ist dieses Exemplar nicht.

Aber auch die Beispiele im 'archaeoforum' bewegen um dieses Ideal herum.

Bei der hier vorgestellten Klinge ist der Absatz zur Schlagfläche hin nicht so deutlich.
Es sind drei Wellen zu erkennen.
Zumindest auf der einen Seite/Kante ist ein Stück der eigentlichen Ventralfläche, die dann unterhalb des
herausgelösten Stückes weitergeht, klar vorhanden.

Vielleicht werde ich im Winter noch einmal genauer nachschauen.
Im Augenblick ist dies mein einziges Beispiel.

LG

Jan

rolfpeter

Servus,

könnte es sich nicht um ein besonders deutlich ausgeprägtes Schlagmerkmal vom Typ "esquillement du bulbe" handeln? Wurde von J. Pelegrin im Jahr 2000 zum ersten mal beschrieben.
Das Merkmal entsteht bei direktem Abbau mit einem weichen Schlagstein. Bei einer normalen Schlagnarbe, wie sie z.B. bei Abbau mittels Geweihschlegel auftreten kann, fliegt das Scheibchen ja immer in einem gewissen Abstand vom Schlagflächenrest weg, nie direkt an der Kante von Schlag- und Ventralfläche. Das esquillement du bulbe setzt im Gegensatz dazu direkt an der Schlagfläche an, geht immer genau in Richtung des Schlages und kann weit in die Ventralfläche hineinragen. Die "normale" Schlagnarbe kann auch schräg zur Schlagrichtung verlaufen.

Du bist doch in Schleswig-Holstein aktiv. Lege das Teil doch mal Dr. Mara Weber (Zentrum für Baltische und Skandinavische Archäologie, Schleswig) vor. Von der habe ich neulich einen Vortrag über genau diese Form von Schlagmerkmalen gesehen.

:winke:
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Steinkopf

#5
Vielen Dank für den Hinweis RP!

Diesen Terminus habe ich mir erst einmal ergoogelt.
Beispiele unter:       http://www.uni-koeln.de/fast/pdf/places/rietberg5_leder.pdf

Dieses Phänomen habe ich bisher als 'kollabierte Schlagfläche' bezeichnet gefunden.

Hier zerspringt die Schlagfläche - es löst sich eine Klinge (Abschlag etc) wobei gleichzeitig der Schlagbuckel abspringt.
Klinge ohne die klassischen Merkmale Schlagflächenrest und Schlagbuckel.

Zusammengefasst kann man beim esquillement bu bulbe (abgesplitterter Bulbus) feststellen, dass beim direkten 'weichen' Schlag
die Schlagfläche eine kritische zu kleine Größe erreichen kann.
Der Impakt löst einen Span, er zersplittert gleichzeitig dessen Schlagfläche und schlägt den Bulbus der Ventralseite in Schlagrichtung ab.

Dies hab ich mehrfach bei rezenten Flintschlägern beobachtet und daraufhin meine Klingensammlung daraufhin gesichtet.
Einige Bilder dieses 'esquillement du bulbe' hab ich angehängt.

Bei dem eingangs vorgestellten Stück ist jedoch ein Schlagflächenrest erhalten.
Nach 'esquillement du bulbe' (abgesplitterter Bulbus) wie auf den Beispielen im Link der Uni Köln, sieht es mir nicht aus.

Schöne Grüße

Jan




StoneMan

Zitat von: StoneMan in 22. November 2014, 23:54:28
...
Oder ist etwa der Bruchverlauf... :kopfkratz:
...

Moin,

beide, Thomas und Rolf Peter, beschreiben das sehr gut  :super: was ich mit meiner
oben zitierten Anmerkung meinte.

Danke - nun werde ich mehr auf diese ungewönhlichen Schlagmerkmale /-unfälle achten.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

thovalo

Zitat von: Steinkopf in 24. November 2014, 19:41:24
Hallo Thomas, Hallo Jürgen

da habt Ihr recht - so idealtypisch wie in der Zeichnung von Bordes,
die in vielen Publikationen übernommen wurde, so auch bei Floss (Steinartefakte, S. 369)
ist dieses Exemplar nicht.

Aber auch die Beispiele im 'archaeoforum' bewegen um dieses Ideal herum.




Es sind dennoch deutlich und markante Beispiele für Variationen des Phänomens der fracture en nacelle!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.