Abgrenzung der vierseitigen und der zweiseitigen Beilen ?

Begonnen von agersoe, 10. November 2009, 20:50:47

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Der Wikinger

Hallo Steinfreunde  :-)

Da hätte ich mal eine Frage:

Kann man geographisch die Kulturen der vierseitigen und die der zweiseitigen Beilen einordnen ?
Anders gesagt, wo geht die "normalgrenze" für die nordischen markant ausgearbeiteten vierseitigen Beilen ?

Oft zeigt uns ja der RP und andere, die im Süden und Westen suchen die zweiseitigen Beilen wie hier:
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,25941.0.html
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,24578.0.html

Und im Norden gibt es die markant vierseitig ausgearbeiteten Beilen, wie hier:
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,39570.0.html
http://www.sucherforum.de/index.php/topic,14004.0.html

Ich weiss, dass es auch im Süden vierseitige gibt, und dass man auch im Norden zum Beginn des Neolithikums zweiseitige Beile gemacht hat.
Wo aber ist die geographische Grenze von Süd bis Nord, wo die vierseitigen am Gewöhnlichsten waren und damit der gewöhnlichste Fund auf den Siedlungen wird ?  :kopfkratz:

Hoffe, dass RP oder andere mich da aufklären können !  :super:

rolfpeter

Servus,

wenn ich es richtig interpretiere, bezeichnst Du als "zweiseitige Beile" solche, die einen ovalen Querschnitt haben und als "vierseitige" diejenigen mit rechteckigem Querschnitt.

Meine Antwort bitte ich als eine zu verstehen, die sehr vom "westlichen" neolithischen Kulturkreis geprägt ist, also NRW, Teile Hessens, Südwestdeutschland, südliche Niederlande, Nordwest-Frankreich. Das sind nämlich die Gegenden, die m.E. Einfluß auf das Jung- und Spätneolithikum meiner rheinischen Heimat hatten.

Für diese Gegend darf man wohl sagen, daß Feuersteinbeile mit ovalem Querschnitt eher in das Jungneolithikum (MK oder ähnliches), also eher die frühe Periode des betreffenden Zeitabschnitts einzuordnen sind. Zu der Zeit treten zwar auch Beilklingen mit leicht facettierten Längsseiten auf, das ist aber nicht die Regel. Die Beilklingen dieser Zeit sind auch immer verhältnismäßig spitznackig.
Im Spätneolithikum tauchen dann auch Beilklingen auf, die eher einen rechteckigen Querschnitt haben. Die Lateralseiten sind hier aber immer geschliffen, nicht wie bei den Beilen, wie sie aus Norddeutschland oder Dänemark bekannt sind, die ja häufig unbearbeitete oder nur leicht überschliffene Längsseiten haben.

Nicole Kegler-Graiewski hat über ein verwandtes Thema ihre Doktorarbeit geschrieben: "Beile - Äxte - Mahlsteine, über die Rohmaterialversorgung im Jung- und Spätneolithikum Nordhessens, Köln 2007". In der Arbeit setzt sie sich u.a. mit der Typisierung von Beilklingenformen auseinander und geht einen (für mich) neuen Weg. Sie beschreibt zuerst recht kritisch die Formenkunde, wie sie bislang von einigen Archäologen gepflegt wurde und erkennt sie als wenig zweckdienlich.
Sie führt den Begriff "Lateralkonvergenz" ein, der die Form der Aufsicht beschreibt: starke L. > spitznackiges Beil, schwache L. > rechteckiges Beil.
Weiterhin verbindet sie diese Merkmale mit der Querschnittsform: oval, rechteckig, gewölbt kantig usw.
Kurzum, sie kommt anhand der von ihr untersuchten Beile zu dem Ergebnis, daß Beile mit starker Lateralkonvergenz und ovalem Querschnitt eher jungneolithisch sind und solche mit schwacher Lateralkonvergenz und rechteckigem Querschnitt eher spätneolithisch.

Für das Rheinland gibt es nach meinem Wissen keine nennenswerte Literatur zum Spätneolithikum, deshalb ziehe ich immer Nordhessen heran.

Die Dissertation kann man sich z.B. bei dissonline.de herunterladen, das Thema geht von Seite 40 bis 58. Es schließt sich auch noch eine Formenkunde für Äxte an.

Die Beile mit rechteckigem Querschnitt aus Norddeutschland und Dänemark gehören ja wohl zur TBK. Das paßt dann zeitlich so Pi mal Daumen auch wieder ins rheinische Spätneolithikum.

Ist zwar alles sehr vereinfacht, ich meine aber den Kern der Sache beschrieben zu haben

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Zitat von: rolfpeter in 10. November 2009, 23:14:52
Servus,

wenn ich es richtig interpretiere, bezeichnst Du als "zweiseitige Beile" solche, die einen ovalen Querschnitt haben und als "vierseitige" diejenigen mit rechteckigem Querschnitt.


Ja, ganz genau.  :super:
Ich gehe hier von der Benennung bei uns aus, die aus einer rein technischen Sicht der Sache baut.
Der dänische Archäologe und Flintgerätherstellungsexperte, Bo Madsen, hat es mir mal vor Jahren erklärt.
Kurz gesagt geht es darum, dass die Ovalen (zweiseitigen) prozessuell mit Kernbeilen in Familie sind. Bei den frühen "vierseitigen" sind die beiden Seitenkanten beweislich durch einen Schliff erzeugt worden, so dass sie eigentlich zweiseitig hergestellt sind, aber mit geschliffenen Seitenkanten auftreten.
Die Rechteckigen repräsentieren dagegen eine "Evolution / Revolution" der Technik, da es eine ganz andere, verfeinerte und entwickeltere Technologie ist.
Die Beile mit ovalem Querschnitt werden bei uns in die ältere Trichterbecherkultur datiert, so um 3.900 - 3.400 v.Chr.
Danach gibt es (neben vereinzelten Scheibenbeilen/Dechselklingen und Kernbeilen) eigentlich nur Beile mit rechteckigem Querschnitt (in verschiedenen Typen wie dünnacken / dicknacken usw).
Diese Form hält sich bei uns im Norden bis zum Endneolithikum (um 2000 v.Chr.), wo man Beile mit ausgebogenen Schneiden machte, die eigentlich Nachahmungen der bekannten Beilklingen aus Kupfer und Bronze aus dem Süden waren.
Gleich wäre also die Tatsache, dass sowohl im Süden als im Norden die Ovalen die ältesten sind. Ich habe aber das Gefürhl, dass die Ovalen bei euch am häufigsten zu finden sind, bei uns ist das umgekehrt. Hier sind die Ovalen eher sehr selten, die rechteckigen sehr gewöhnlich.
Liege ich da falsch ?

Meine Frage ging also eher in Richtung: Wo sind die Beile mit ovalem Querschnitt am gewöhnlichsten? Wo die mit rechteckigem ?

- und kann man da eine geographische Grenze Nord / Süd ziehen ?

rolfpeter

Tja, würde mal sagen daß die Grenze sich mit der Verbreitung der TBK deckt. Also etwa eine Linie von der Rheinmündung genau nach Osten.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Wowwwwwwwwww und oooooopsie, poooooopsie!

Das wird ja schon richtig professionell; wer will da noch mithalten! Ich muss mich noch ein wenig einlesen, und dann werde ich mal etwas absondern.

Herzliche Grüsse an beide Protagonisten

KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Marienbad

Moin in die Runde  :winke:

in SH sind auch nur sehr wenige ovale Formen in den
Ausstellungen und Magazienen. (ähnlich wie in Dänemark)
Ich meine so etwa 5 % irgendwo gelesen zu haben :kopfkratz:

HG  Manfred

Der Wikinger


Ja, richtig Manfred !

Was auch bestätigt, dass die Siedlungen des Neolithikums sowohl nördlich als südlich der Ostsee, die ein und selbe Kultur und Kulturentwicklung gehören.  :super:

rolfpeter

Zitat von: Khamsin in 11. November 2009, 17:37:39
....und dann werde ich mal etwas absondern.

Da freue ich mich aber schon drauf! Mir fehlt nämlich immer noch die Erleuchtung zur ungelösten Spätneolithikumsproblematik in meiner kleinen linksrheinischen Welt.
Gut, daß Du mitmachst!

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

#8
Moin!

Bei aller gebotenen Zurückhaltung, aber das:
"Kurzum, sie kommt anhand der von ihr untersuchten Beile zu dem Ergebnis, daß Beile mit starker Lateralkonvergenz und ovalem Querschnitt eher jungneolithisch sind und solche mit schwacher Lateralkonvergenz und rechteckigem Querschnitt eher spätneolithisch"
war zumindest einigen auch schon länger klar!

Nun, zum hier angesprochenen Knackpunkt - einer Grenze zwischen den Beilklingenregionen - kann ich nur allgemein Folgendes feststellen:

Zur Terminologie

"Zweiseitige" Beilklingen mit "spitzovalem" Querschnitt = westische Form
Vierseitige mit rechtwinkeligem Querschnitt = nordische Form

Genau genommen sind die geschliffenen "zweiseitigen/tosidet" Beilklingen ebenfalls vierseitig (Petersen 1993, Seite 117, Abb. 177 oder Seite 103, Abb. 153)! Denn die ursprünglich scharfkantigen Längsseiten werden immer durch Schliff gebrochen, wobei notgedrungen längliche und unterschiedlich breite/schmale Facetten entstehen, die grundsätzlich im rechten Winkel zur Horizontalachse des Klingenkörpers orientiert sind.  
Nur in der ungeschliffenen Form - nordisch Planke - treten die Stücke wirklich zweiseitig auf (Petersen 1993, Seite 117, Abb. 178).

Eine nachvollziehbare Unterscheidung ergibt sich m.E. erst dann, wenn man nicht die äussere Erscheinung der (zugeschlagenen oder geschliffenen) Stücke berücksichtig, sondern die Methode der Zurichtung der Halb(fertig)fabrikate beider Beilklingenformen bei der Terminologie berücksichtigt. Man sollte also unterscheiden zwischen

1. zweiseitig zugerichteten und
2. vierseitig zugerichteten Exemplaren.

Das trifft in der Tat den Nerv, wenn man sich den Unterschied der Zurichtungsmethode von Planken/Halbfabrikaten anschaut, der nicht grösser sein könnte:

Bei 1. geschieht die Zurichtung in direkter harter und weicher Schlagtechnik (Petersen 1993, Seite 36, A+B), und der Rohling weist lediglich zwei gewölbte Seiten (Vorder- und Rückseite) auf, die an ihrer Kontaktstelle einen umlaufend spitzen Winkel besitzen!

Bei 2. geschieht die Zurichtung in direkter harter Schlagtechnik, wobei bereits in der initialen Phase dieses Stadiums darauf geachtet werden muss(!), dass vier deutlich voneinander letztlich rechtwinkelig abgesetzte Seiten entstehen. Aus naheliegenden Gründen wird zur endgültigen Formgebung dann die Punchtechnik eingesetzt (Petersen 1993, Seite 102, A-C).

Zur geographischen Verbreitung

Nordische Form: Dänemark, Südschweden und im nordeuropäischen Flachland. Damit ist gemeint: nördliche Niederlande, Norddeutschland und Polen. Diese Form taucht auch in England auf, wobei die exakte Herkunft der Funde freilich unklar ist!
Ausnahme: Spitznackige Beilklingen westischer Form treten in der frühen Trichterbecherkultur auf.
Westische Form: Westlich und südlich der o.g. Verbreitung.
Ausnahme: Im ganz späten Neolithikum in Bulgarien tritt die "nordische" Form auf.

Ich hoffe, das ist einigermassen nachvollziehbar. Im übrigen sollte man immer daran denken, dass - jedenfalls solche - Grenzen etwas Diffuses und alles andere als geradlinig sind!

HG KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

Der Wikinger


Vielen herzlichen Dank für die Erklärungen, Khamsin !  :super:

Ich kann es nicht lassen irgendwie daran zu denken, ob das Wissen und die Dogmen der Schule meiner Kindheit (alles kam vom Süden-Theorie) noch überdacht werden müsste ??  :kopfkratz:

rolfpeter

Servus,

danke für die ausführiche Erklärung.

Eine Frage hätte ich da doch noch.
In welche Kategorie steckt man denn die Beile mit rechteckigem Querschnitt, die im westischen Kulturkreis vorkommen. Ich denke da an Beilklingen, vornehmlich aus Lousberg-Flint, deren Ausgestaltung eigentlich keiner Tradition zu folgen scheint, sondern eher der Form des Rohlings.
So etwas z.B.:

Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Moin RP!

Mon cher, ich kann Deine Frage gut nachvollziehen. Bin aber gleichzeitig der Ansicht, dass wir uns dort auf ein Terrain begeben, dass sehr schmal ist, dafür aber rechts und links in uncharted depths nachgerade verschwindet. Mit anderen Worten: ich mache mich gerne zum bladerunner, wenn ich sage, dass man bei der Beantwortung Deiner Frage die natürlich Form vom Lousberg-Flint, also Platten mit verdammt rechten Winkeln, unbedingt berücksichtigen muss!

Nach meiner persönlichen Erfahrung sind auch diese Beilklingen solche vom westischen Typ, auch wenn es darunter - und nicht gerade selten! - solche gibt, bei denen die damaligen Hersteller eine natürliche Spaltfläche als Schmalseite belassen haben, die nur wenig überschliffen wurde.

Schau Dir doch bitte mal die nachgerade berühmte Beilklinge 7/14-9 an, an die J. Weiner seinerzeit während rd. 2,5 Jahren 75 Abtrennprodukte anpassen und so die ehemalige Ausgangsplatte in all ihren sechs Dimensionen rekonstruieren konnte.
Ich könnte mir doch denken, dass Du vom Autor eines dieser kleinen grünen Hefte vom Rhein. Verein zum Thema Lousberg bekommen hast, oder?

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"