Die deutschen Kanonen von Hanstholm

Begonnen von Hanseat, 10. März 2006, 10:18:50

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Hanseat

Nachfolgend ein Artikel meines Vaters, der aktuell in einer Tageszeitung erscheinen wird.
Wer also mal Urlaub in Dänemark macht und wen es interessiert, kann ja auch dort mal vorbeischauen.
Viel Spaß beim Lesen
Grüße Hanseat

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Die deutschen Kanonen von Hanstholm
Utl.: Einst Nordeuropas größte Festung

Eine 110 Tonnen schwere und 19 Meter lange deutsche Kanone aus dem II Weltkrieg ist die neueste Attraktion im Bunkermuseum von Hanstholm in Nordjütland. Nur knappe sechs Autostunden von Hamburg entfernt...

Mit dem Dänen Jens Andersen stehen wir in einer modernen, in die Dünenlandschaft hineingebauten Ausstellungshalle. Durch große Panoramascheiben fällt der Blick hinaus aufs Meer: Das Skagerrak, die berühmt-berüchtigte Wasserstrasse zwischen Nord- und Ostsee. "Während der deutschen Besetzung Dänemarks wurde hier zwischen 1941 und 1944 die größte Festung Nordeuropas errichtet", sagt Andersen." Sie sollte die Durchfahrt britischer Kriegsschiffe durch die Meerenge verhindern, und vor allem den deutschen Nachschub nach Norwegen sichern. Zugleich war die Festung Teil des Atlantikwalls, der sich vom Nordkap bis zur spanisch-französischen Grenze zog, "

Andersen ist Leiter des Bunkermuseums, das im Jahr 2002 in die erhaltenen Teile der ehemaligen unterirdischen Anlagen integriert wurde. Seine Dissertation hat er über den dänischen Teil des Atlantikwalls geschrieben. So weiß er über die jetzt vor dem Museum aufgestellte Riesenkanone besser Bescheid als manch einer der Soldaten, die solche Geschütze im Krieg bedient haben.

Für einen Laien sind die Dimensionen und technischen Daten der Kanone atemberaubend. Die "normale" Schussweite betrug 42 Kilometer - mit 800 Kg schweren Granaten. Das entspricht dem Gewicht eines "VW-Käfers" Baujahr 1966/67. Zehn Prozent der Granate waren Sprengstoff. Ihre Flugzeit bis zum Aufschlag betrug etwas über zwei Minuten. Leichtere Granaten von 495 Kg konnten 55 km weit geschleudert werden. Die unglaubliche Schussfolge pro Geschütz: alle 60 bis 90 Sekunden "rummste es" mit ohrenbetäubendem Knall.

Doch das Skagerrak ist in der Höhe von Hanstholm etwa 120 km weit. Also wurden auch am anderen Ufer, im norwegischen Kristiansand, weitere Kanonen aufgestellt. So lag nur eine 10 km breite Wasserstrasse außerhalb der Geschützreichweite. Die Planung für die Sperrung der Meerenge fand schon vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Dänemark statt, der am 9. April 1940 begann. Bereits einen Tag später traf ein Erkundungsstab aus Kiel in Jütland ein. Er sollte geeignete Stellen für Küstenbatterien finden. Andersen: "Unter anderem fiel die Wahl auch auf die mehrere Kilometer lange Dünenerhebung Hanstholm. Erste Bauarbeiten begannen bereits am 12. April - zunächst für ein Provisorium mit vier ausrangierten 17 cm-Geschützen der Kriegsmarine. Der Name dieser Batteriestellung lautete "Schill".

Am 14. April begann der Transport der Geschütze aus dem Marinearsenal Tollerort in Hamburg (heute Containerterminal). Die Artilleristen kamen aus Kiel. Am 27. April meldete man die Batterien als "bedingt schussbereit". Doch die Reichweite der Geschütze betrug lediglich 20 km. Am 21 September 1940 beauftragte Hitler deshalb das Oberkommando der Kriegsmarine, schnellstens einen Plan für den Einsatz von 38-cm und 40,6 cm -Geschützen an strategischen Punkten der Ost- und Nordseeküste auszuarbeiten. Danach sollte (neben Kristiansand) auch Hansthom eine Batterie mit vier 38-cm Kanonen erhalten.

Während wir in die wenige Meter entfernte Museums-Bunkeranlage gehen, erklärt Andersen : "Im November 1940 begannen hier die Bauarbeiten für die vier Batterie-Bunker. Jeder war gasdicht und hatte eine Grundfläche von 3000 qm. Wegen seiner Größe musste er in acht selbstständigen Sektionen gebaut werden. Die Grab- und Betonierungsarbeiten (die vier Bunker wurde gewissermaßen "parallel" gebaut) dauerten vier Monate. Pro Bunker wurden, rund 6560 Kubikmeter Eisenbeton verbaut." Danach folgte die Montage der verschiedenen Ausrüstungen, die weitere zwei Monate dauerte."
Im April kamen vom Bahnhof Thisted die ersten beiden Kanonenrohre. Sie wurden auf 24-rädrigen Blockwagen über eine mit Betonplatten verstärkte Landstraße transportiert.

"Der Bau dieser 38-cm. Batterie 'Hanstholm II' war zugleich das Startsignal zum Ausbau von Bunkeranlagen, die sie schützen sollten", sagt Andersen. Die 800 Menschen der Fischersiedlung Hansted, wie sie damals noch hieß, wurden evakuiert. Danach war der Bezirk rein deutsch. Auf 9 qkm errichtete man Flakbatterien sowie insgesamt 900 kleinere und größere Bunker. Zur Bewaffnung gehörten selbst einige schwache 3,7 cm Panzerabwehrkanonen (PAK), von den Soldaten spöttisch Panzer-Anklopfgerät genannt. 60.000 Minen aller Typen wurden am Strand und um die Festung herum verlegt. Ein Krankenhaus und andere Versorgungseinrichtungen entstanden. Schließlich waren in den ober- und unterirdischen Gebäuden rund 3.000 Mann stationiert. Weniger bekannt: die meisten Bauarbeiten wurden mit Zustimmung der dänischen Regierung von dänischen Firmen mit dänischen Arbeitern ausgeführt. Andersen: "Man erhoffte sich auf diese Weise, die Beschäftigung in Dänemark zu sichern und gleichzeitig deutsche Unternehmen und deutsche Arbeiter von Dänemark fernzuhalten." Bezahlt wurden die Befestigungsbauten - allerdings unfreiwillig - vom dänischen Steuerzahler.

Nur wenige Schritte, und wir stehen mit Andersen in einem blitzsauberen Tunnel der Anlage für eines der 38-cm Geschütze. Über uns "nur" zwei Meter Beton, darüber der Dünensand. "Man rechnete damals nicht mit schweren Bombardements, wie sie später im Krieg üblich wurden", sagt Andersen. An der Tunnelwand hängt als Ausstellungsstück ein zehn Meter langer, hölzerner Ladestock. "Damit wurden die Granaten und die Treibsätze von Hand in das Kanonenrohr geschoben", erklärt der Museumsfachmann. "14 kräftige Männer waren dazu nötig."

Unwillkürlich beschleicht einen das Gefühl, als sei die Anlage gerade erst verlassen worden. Der Munitionszug im Tunnel ist auch heute noch in Betrieb. Doch statt Granaten befördert die kleine Feldbahn auf einem ein Kilometer langen, unterirdischen Rundkurs in regelmäßigen Abständen Museumsbesucher zu einem der sechs ehemaligen großen Munitionsbunker im Hinterland. An den verschiedenen Türen stehen noch die alten deutschen Beschriftungen: "Munitionsraum", "Baderaum", "Bereitschaftsraum". Oder auch die Warnung: "Bei Beschuss Außenwände nicht berühren, Lebensgefahr!" ("weil dann die Wände zittern", erklärt Andersen. ) In den Schlafräumen stehen bis zu 15 Pritschen, im Waschraum 10 Becken, über denen noch die Spiegel hängen. Eine Zentralheizung hielt die Räume warm, es gab eine eigene Stromversorgung sowie fließend Kalt- und Warmwasser. 600 Mann Besatzung hatte "Hansholm II", davon pro Geschütz 90 Mann Bedienungspersonal. "Für damalige Verhältnisse war der Bunker geradezu luxuriös" meint Andersen. "Jeder Mann hatte doppelt so viel Platz wie in anderen Bunkeranlagen des Atlantikwalls."

Im Mai 1941 waren die Bauarbeiten so weit fortgeschritten, dass die zwei ersten 540 Tonnen schweren Geschütztürme und Kanonen mit Hilfe eines Portalkrans montiert und eingeschossen werden konnten. Die ersten Schüsse aus den beiden anderen Kanonen erfolgten im August 1941. Ursprünglich waren diese 38-cm Kanonen, Modell 1934, für Schlachtschiffe der "Bismarck"-Klasse konstruiert worden. Es waren also Schiffsgeschütze, die nun an Land standen. Ihre Türme hatten allerdings nur eine 5 cm dicke Panzerung, im Gegensatz zu der 36 cm-Panzerung von Schiffsgeschützen des gleichen Typs.

Die Türme wurden in der Mitte der jeweiligen Bunkeranlage montiert. Mit 24 schweren Bolzen wurden sie dort auf einem Betonsockel festgespannt, der im Zentrum einer kreisrunden, sogenannten Kesselbettung stand. Heute findet man dort eine Gartenbank, auf der sich Besucher ausruhen oder auch mal sonnen. "Wegen der guten Akustik haben wir hier auch mal Henry Millers Hexenjagd aufgeführt. "

In einem norwegischen schwarz-weiss-Film, aufgenommen nach dem Krieg in Kristiansand, kann man heute miterleben, was sich früher in und um die Kesselbettung abspielte. Im Munitionsmagazin an der Nordseite befanden sich vier große Munitionsräume mit Platz für insgesamt 160 Granaten und Ladungen. Einige davon liegen noch an Ort und Stelle - als Ausstellungsstücke. Die Ladungen waren Messingkartuschen, die mit der für die benötigte Schussweite berechneten Pulvermenge gefüllt wurden. Die Werte dazu lieferte eine Art mechanischer Computer. Er verarbeitete dabei die von Feuerleitstände in und um Hanstholm gelieferten Informationen, berücksichtigte Windstärke und Windrichtung, die Feuchtigkeit des Pulvers usw. usw.

Das Pulver wurde in großen Säcken angeliefert. War eine Ladung gefüllt, so wurde sie mit dem Geschoss durch eine Stahlschleuse in die Kesselbettung geschoben. Dort brachte sie ein Munitionswagen zu einem Flaschenzug. Geschoss und Ladung wurden von Hand hochgezogen, und mit dem Ladestock nacheinander ins Kanonenrohr geschoben "wie bei einem Hinterlader". Beim Salvenschiessen konnten die vier Kanonen von "Hanstholm II" alle fünf Minuten mehr als 12 Schuss abgeben.

Dennoch: Abgesehen von den astronomischen Baukosten offenbart sich in Hanstholm der ganze Irrwitz solcher und ähnlicher Anlagen des II. Weltkriegs. Die S.K.C./34 Geschütze galten schon bei ihrer Aufstellung als veraltet, beruhte doch ihre Grundkonzeption auf der Technik aus dem I. Weltkrieg. Eine Bomberstaffel wäre billiger gewesen. Wegen der langen Flugzeit jeder Granate wäre ein bewegtes Ziel längst woanders als bei ihrem Abschuss. Da die Streuung der Granaten etwa 700 m zu beiden Seiten des Zielpunktes betrug, ließ nur Sperrfeuer auf Treffer hoffen - oder seine abschreckende Wirkung. Andersen: " 55 km Schussweite waren ohnehin nicht effektiv. Effektiv waren 25 bis 30 km, etwa die Entfernung des Horizonts. Zudem nahmen Reichweite und Treffsicherheit mit zunehmender Abnutzung der Kanonenrohre spürbar ab.. "

Tatsächlich kamen die Kanonen von Hanstholm nie zum echten Einsatz, und die Festung wurde nie von den Engländern angegriffen, weder von See aus noch aus der Luft. Ein Graffiti in einem Wachschuppen bei Stenbjerg von 1943 bezeugt: "Wir warten auf den Feind - vergebens - die ganze Zeit lang "... So erinnert sich auch ein Erwin Dunser über das Leben im Bunker: " Man konnte in Ruhe schlafen... Hier war es ruhig und warm. : "
Für einige Soldaten war die Langeweile an der dänischen "Schlagsahnefront" sogar derart unerträglich, dass sie sich freiwillig zu West- oder Ostfront meldeten. Auf diese Weise verlor die in Jütland stationierte 416. Infanterie-Division im Jahr 1943 ungefähr 500 Soldaten an andere Einheiten. Einige "Abwechslung" brachten die regelmäßig abgehaltenen Schießübungen. Um dabei die eigentlichen Rohre der Riesengeschütze nicht zu strapazieren, (die inwendige Fütterung musste nach etwa 290 Schuss ausgewechselt werden) wurden in diese kleinere Übungsrohre eingesetzt und 12,5 cm Granaten verfeuert. ..

Einige der ehemaligen Mannschaftsräume sind heute mit Schaukästen versehen. Fotos, Dokumente, Lebensmittelkarten, ein Exemplar der Soldatenzeitschrift "Signal", eine blaue "Einlasskarte für die Marine-Sporthalle Henstedt, 1. Veranstaltung", Diese eigens errichtete Sporthalle war ein Ziegelbau von 1400 qm, mit einem Kino für 1200 Plätze, einer Kegelbahn, einer Konditorei, einer Bierstube und einem Kasino. Auf der getippten Speisekarte steht u.a. zu lesen: "1 Dry Gin 1 Mark, das Doppelglas 2 Mark ; Sahnetorte 50 Pfennig ; 1 Portion Russische Eier RM 1.50, 1 Hauptgericht mit Suppe und Nachgericht 3.30 RM" . Der "Dry Gin" und die "Russischen Eier" waren gewissermaßen die einzige Feindberührung...

Ihre Freizeit vertrieben sich die Bunkerbestazungen an der Westküste, also auch in Hanstholm u.a. mit Wettbewerben für den "schönsten Bunkereingang". Über einem war eine komplette Berglandschaft en miniature mit Wasserfall und Wassermühle errichtet. Regelmäßig gab es Tourneen von Musik- und Varietétrupps. Fußballplätze wurden angelegt , manchmal spielten deutsche Soldaten auch gegen örtliche, dänische Fußballmannschaften. Wieder Edwin Dunser: "Das Dorf war klein damals. Es gab hier wohl das Kro und ein per zwei Cafés, wo man sich sonntags aufhalten konnte. Und sonst war man hier natürlich praktisch von der Welt abgeschnitten".

Die vier Geschütze von Hanstholm standen dort bis 1951. Die dänische Regierung wollte sie dann zum Öresund bringen, sah wegen der hohen Kosten aber davon ab. So wurden sie verschrottet. Die 38-cm Kanone, die seit wenigen Wochen vor dem Bunkermuseum steht, war ursprünglich für die Umrüstung des Schlachtschiffs "Gneisenau" gedacht. Als die "Gneisenau" beschädigt wurde, begann man 1944 eine Batterie bei Oxby zu bauen. Sie wurde jedoch nicht fertig. So langen bei Kriegsende die dafür vorgesehenen vier Geschützrohre bei Esbjerg auf einem Bahnhof. Drei wurden eingeschmolzen, eines wurde 1947 ins Zeughausmuseum in Kopenhagen gebracht. "Wir haben sehr darum gekämpft, es hierher zu bekommen - wo es auf Grund der Geschichte von Hanstholm eigentlich hingehört."
ENDE ARTIKEL

Infos:
Museumscenter Hanstholm
7730 Hanstholm
Tel.: 0045 9796 1736
www.museumscenterhanstholm.dk

Literatur:
Jens Andersen
Der Atlantikwall - von Agger bis Bulbjerg
ISBN 87-89834-29-1

RonnyNisz

Toller Artikel - bin schon mal in dem Museum gewesen, auch in seinem Pendant auf norwegischer Seite. Beides sehr liebevoll gemacht, Schwergewicht liegt eher bei den Lebensbedingungen der Soldaten als auf dem rein militärischen, was ich sehr sympathisch finde. Bunkeranlagen gibt es ja überall an der dänischen Küste, aber südlich von Hanstholm bis über Klitmöller hinaus  besonders viele, wg der strategischen Bedeutung. Viele stehen inzwischen halb im Wasser, man kann sie z.T. begehen. Einige wurden meist vergeblich oder unvollständig gesprengt. Der Strand gibt übrigens netten Bernstein und Feuersteinfossilien her.

Gruß von Ronny
Jeder Steinbruch ist meine Heimat

Hanseat

Hallo RonnyNisz,
vielen Dank für Deine Nachricht. Werde Dein Lob zum Artikel an meinen Vater weitergeben. Wahrscheinlich wird der Artikel im HH-Abendblatt erscheinen. Bei meinem nächsten Besuch in Dänemark werde auch ich der Anlage einmal einen Besuch abstatten.
Viele Grüße  :winke:
Hanseat