Restaurierungsarbeiten am Turmhügel eines Wartturmes

Begonnen von sludsen, 15. Juni 2011, 15:08:26

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sludsen

Am Nordrand des örtlichen Waldes befinden sich auf ca. 2 km Länge die Reste einer (spät-) mittelalterlichen  Landwehranlage (wovon allerdings leider ca. 400 m durch eine Abraumkippe aus der Zeit des Mittellandkanalbaus überprägt sind). Die erhaltene Anlage ist ein Graben-Wall-System bestehend aus 3 Gräben und bis zu 4 Wällen.

Die Landwehr schützte eine Amtsgrenze, also eine Grenze zwischen zwei Gerichtsbezirken und diente in erster Linie der Strafvereitelung bzw.  –verfolgung. Die Grenze verlief zwischen dem Amt Meinersen, welches dem Herzog von Lüneburg unterstand, und dem ,,Gogericht an der Pisser", einem Halbgericht, dessen Vorsitz sich jährlich abwechselnd der Bischof von Hildesheim und der Herzog von Braunschweig teilten. Daher heißen die Gräben in alten Karten auch ,,Lüneburgischer Landgraben", ,,Hildesheimischer Landgraben" und ,,Braunschweigischer Landgraben", oder kurz: ,,Die drey Gräben".

Man weiß nicht genau, wie lang die Landwehr ursprünglich gewesen ist, geht aber von vielen Kilometern aus (mindestens die Strecke Peine – Wolfsburg!!). Allem Anschein nach wurde die Landwehr vom nahe gelegenen Peine aus mit Truppen bestellt und kontrolliert. Auch die Wasserversorgung der Gräben der Landwehr fand zum Teil in Peine statt. Bis heute hat sich am Ostrand Peines der Flurname ,,Schleusenteich(e)" als Straßenname erhalten. Diese Schleusenteiche finden sich auf ältesten Karten und waren einst mit dem Landwehrsystem verbunden.

Entlang der Landwehr standen in unregelmäßigen Abständen Warttürme und Rückzugs"burgen" für die Grenztruppen. Die Reste eines dieser Warttürme haben sich nahezu ungestört am westlichen Ende der Drei-Graben-Anlage im Wald erhalten. Den südlichen und den mittleren Graben durchbrechend befindet sich ca. 300m vor dem westlichen Ende ein ca. 17 x 20m großer, 180cm hoher Turmhügel welcher nach Süden durch einen Halsgraben mit vorgelagerten Wall geschützt ist. Ausgrabungen in den 60er Jahren durch ambitionierte Heimatforscher brachten Scherben mittelalterlicher Gefäßkeramik zu Tage und zudem Unmengen an Resten alter Dachziegel vom Typ ,,Mönch-Nonne". Leider wurden Funde und Befunde der Grabungen damals nicht ausgewertet, die Scherben sind zwar zum Teil noch vorhanden aber die Fundlage ist nicht mehr nachvollziehbar. Zudem wurden keine Pfostenlöcher oder Fundamente gefunden, man weiß also noch nicht einmal genau, ob es ein steinerner oder ein hölzerner Turm gewesen ist.

Dieser Turm trug den Namen ,,Lumpenburg".
Diese Bezeichnung lebt als Flurname bis in die heutige Zeit. Wie dieser Name zustande gekommen ist weiß man nicht. Anscheinend war die einheimische Bevölkerung nicht allzu gut auf die Besatzung des Turmes zu sprechen. Eine weitere Vermutung bezüglich der Namensherkunft ist, dass nach Aufgabe der Landwehr der Turm noch geraume Zeit bestand und sich in der Ruine fahrendes Volk und Obdachlose, sprich ,,Lumpen" zeitweise niedergelassen hatten. Nach einer Urkunde aus dem 16. Jahrhundert hieß der Turm ursprünglich ,,Labunkenburg", vielleicht ist Lumpenburg auch nur eine verballhornte Version dieses Namens.

Leider ist auch nicht bekannt, wann die Landwehr nebst Lumpenburg errichtet wurde. Die mittelalterliche Amtsgrenze folgt einem alten germanischen Gaugrenzverlauf, vermutlich bestand damals schon eine Art Grenzbefestigung. Die Drei-Graben-Anlage stammt aber mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dem Hochmittelalter (1. Hälfte 13. Jahrhundert) und wurde vermutlich 1406 und 1517/19 ausgebaut und renoviert. Nach der letzten Renovierung zur Zeit der Hildesheimer Stiftsfehde (1517-1519) war die Landwehr nicht mehr lange in Gebrauch, im 30-jährigen Krieg hatte sie keine Verwendung mehr.
Auf der ältesten Karte des Gebietes (von 1675) ist die Landwehr bereits lange aufgegeben und verfallen.
So lag sie am Rande der Feldmarken zwischen zwei Dörfern in einer Art Dornröschenschlaf.
1928 wurde beim Bau des Mittellandkanales wurde ein Teilstück der Graben-Wall-Anlage von ca. 400m durch eine Abraumkippe gedankenloserweise überlagert.

Bild1_1
Die Graben-Wall-Anlage im Winter.
Bild1_2
Die Landwehr auf einer Karte von 1675. Deutlich zu erkennen sind die drei Gräben. Zu diesem Zeitpunkt (1675) war die Anlage schon über 100 Jahre außer Funktion.
Bild1_3
Der Turmhügel des Wartturmes, im Volksmund ,,Lumpenburg" genannt. Auf Fotos leider nicht so einfach zu erkennen...
Bild1_4
...daher habe ich hier die Konturen einmal nachgezogen.
Bild1_5
Wartturm, sog. Walbecker Warte I von ca. 1377 im Helmstedter Wald. Von der ,,Lumpenburg" ist leider zu wenig erhalten geblieben. Es lässt sich nicht einmal feststellen, ob es sich um einen Steinturm oder eine Holz- oder Fachwerkkonstruktion handelte.

sludsen

Um 2000 herum dachte irgendjemand, das Plateau auf dem die Lumpenburg einst stand, sei ein guter Ort für eine ,,Butze". Also grub dieser Jemand ein großes Loch, bedeckte es mit Ästen und Laub und hatte so eine kleine Räuberhöhle für sich allein. Später kam ein weiterer Mensch auf die gleiche, glorreiche Idee und buddelte ein zweites, kleineres Loch. Wie so oft war auch hier die Nutzungsdauer der ,,Butzen" recht gering und bald waren die Dächer aus Reisig und Laub verrottet und die Verstecke von den Erbauern vergessen...

Durch den Regen erodierte der Waldboden um die Löcher und diese wuchsen und wuchsen bis sie schließlich 420x280x150cm und 230x190x75cm groß waren und somit eine ernste Bedrohung für den Fortbestand des Turmhügels der Lumpenburg darstellten. 2009 machte ich den zuständigen Archäologen (gleichzeitig ein Spezialist für Landwehren) auf die gefährdete Situation des Turmhügels aufmerksam. Der Archäologe stellte beim zuständigen Landesdenkmalamt in Hannover einen Antrag auf eine aufhebende Ausgrabung um letzte eventuell noch vorhandene Fund und Befunde zu retten. Dieses wurde leider aus Kostengründen abgelehnt. Wir bekamen allerdings die Erlaubnis, die Löcher sachgemäß zu verschließen. Selbstverständlich nur solange es kein Geld kostet...
Also planten wir eine Aktion zusammen mit dem hiesigen Heimatverein in dessen Vorstand ich tätig bin. Da es recht schwierig war, die Leute des Heimatvereines und den Archäologen, dem ja nur erlaubt war, umsonst bei der Aktion mitzuarbeiten, terminlich unter einen Hut zu bekommen, dauerte es anderthalb Jahre, bis die Restaurierungsaktion endlich stattfinden konnte.

Vergangenes (Pfingst-)Wochenende war es dann soweit, endlich!
Ich traf mich mit dem Archäologen vor Ort und und wir schaufelten 2 Tage lang was das Zeug hielt. Zunächst mussten die beiden Löcher so ausgebuddelt und gereinigt werden, dass nur noch die Kulturschicht vorhanden war. Anschließend wurden die Löcher fotografiert, mit Absperrband ausgelegt und wieder verfüllt um den Turmhügel für die kommenden Generationen zu bewahren.


Bild2_1
Ein Lageplan des Hügels aus den 60ern, nicht ganz exakt.
Bild2_2 – 2_5
Das größere Loch 1, 420x280x150cm. Sorry, das letzte Bild ist mit'm Handy gemacht, Akku von der Spiegelreflex war alle.
Bild2_6 – Bild 2_9
Das kleinere Loch, 230x190x75cm. Wie man auf dem letzten Bild deutlich sieht kann man nach unserer Aktion das ehemalige Loch bestenfalls noch erahnen. Spätestens im Herbst wird nichts mehr zu erkennen sein.

sludsen

Zwischendurch durfte ich mit meinem ACE250 den Aushub absondeln. Die Funde waren allerdings erwartungsgemäß sehr unspektakulär: ein Euro- und ein 10-Centstück, dazu zahlreiche verrottete Feuerzeuge, Unmengen moderne Nägel und ein Schälchen vom Fertiggericht eines Bundeswehr-EPa (Schweinefleisch mit grünen Bohnen und Kartoffeln... uärks!).
Ganz zu schweigen von den ganzen Aluresten von Chipstüten und Getränkedosen...

Beim Buddeln fanden wir im Aushub allerdings zahlreiche Scherben. In erster Linie handelte es sich um Scherben von Dachziegeln, anhand der Form und einiger Zapfenreste ließen sich die Ziegel eindeutig als sogenannte Mönch-Nonne-Ziegel identifizieren. Bei den wenigen Scherben von Gefäßkeramik handelte es sich ausnahmslos um graue Irdenware des 14. und 15. Jahrhunderts. Einige Randstücke deuten auf mehrpassige Gefäße/Krüge hin. Die Scherben von den Gefäßen waren allesamt auffallend dünnwandig (1-2mm).

Auf dem Grund des größeren Loches fanden wir schließlich größere Mengen an Holzkohle und verbranntem Holz. Der Archäologe vermutet, des ein Vorgängerbau des Wartturmes einst abgebrannt ist. An gleicher Stelle wurde dann Erde aufgeschüttet und verdichtet und wiederum ein Wartturm errichtet.
Derzeit kratzen wir das Geld für die C14-Analyse zusammen. Die Ergebnisse werde ich dann hier nochmal posten.

Alles in Allem war es eine sehr interessante und lohnende Aktion an dessen Ende mehr als nur die Rettung des 500 Jahre alten Turmhügels stand. Zukünftig soll auch eine kleine Grabungsaktion stattfinden, um einen stratigraphischen Querschnitt durch die Graben-Wall-Anlage zu bekommen. Vertreter der verantwortlichen Feldmarksinteressengesellschaften, bzw. der Fortgenossenschaft waren fasziniert von unserer Arbeit und unseren Funden und mussten für künftig folgende Aktionen nicht lange überzeugt werden.
Von künftigen Aktionen werde ich selbstredend hier berichten.

lg
der Slud



Bild3_1 – Bild3_2
Gefäßkeramik, sog. graue Irdenware des 14./15. Jahrhunderts. Interessant sind rechts die zwei Randstücke von Ausgüssen von Mehrpassgefäßen.
Bild3_3
Scherbenkonvolut des ersten, größeren Loches. Es kamen noch viele Scherben dazu.
Bild3_4
Steine, ebenfalls aus dem größeren Loch. Der rechte Stein ist weit über kopfgroß und wiegt über 20kg. Funktion und Zugehörigkeit zur ,,Lumpenburg" unbekannt.
Bild3_5
Große Dachziegelscherben aus einer früheren ,,Grabung". Es handelt sich im typische Mönch-Nonne-Ziegel.

Onem

Hallo Björn  :zwinker:

Klasse Beitrag  :super: :super: :super: !

Super Bilder  :super: !

Lg Onem
Sonden : , Fisher1236X2, XP GMP V4 und Garrett Pro Pointer

mc.leahcim

Hallo sludsen,
danke für die ausführliche Beschreibung und den geschichlichen diskurs. Anhand der tollen Bilder kann man sich das ganze auch besser vorstellen. Was mich wundert ist die Tatsache das da gleich 3 Gräben ausgehoben worden sind. Man oh man. Weiß man eigendlich wo da mal ein Übergang war. Da muss es doch eine bewachte Brücke gegeben haben. Dort würde eine Suche auch lohnen, da dort bestimmt einiges verloren ging.

Gruß

Michael
Gum biodh ràth le do thurus. = Möge deine Suche erfolgreich sein (Keltisch/Gälisch)
Die soziale Kälte hilft nicht die globale Erwärmung aufzuhalten!!

sludsen

Hi Chris, hi Michael,

danke Euch!  :winke:

@ Michael
Der Durchang ist bekannt dank alter Karten. Demnach gab es keinen Durchgang auf dem Teilstück das aus den drei Gräben besteht. Circa einen halben Kilometer östlich gab es einen Durchgang, das sogenannte Steinföhr. Leider verläuft da bis heute eine asphaltierte Straße, rechts und links mit breiten Gräben. Ich befürchte, dass von dem Durchgang viel durch die moderne Straße zerstört wurde...
Aber nachschauen werde ich da auf jeden Fall mal und vll auch eine NFG beantragen. Nur steht da grad Gerste, mal gucken, wann ich da mal ein weing Augensondeln kann^^

Gruß
Björn


sludsen

Hier noch einmal alle gemachten Funde nach der Reinigung und fotografiert vom Archäologen:

Grafschaft Mark

Ist der Eisenbolzen eventuell ein Achsnagel???

sludsen

Nein. Leider ist auf den Foto kein Maßstab abgebildet, für einen Achsnagel ist das Teil eindeutig zu kurz und zu dünn. Ich denke da in erster Linie an einen Nagel. Keine Ahnung, warum der Archäologe das als Bolzen benannt hat...  :kopfkratz:

Corax

Danke für den anschaulichen Beitrag und die Mühe, die Du Dir damit gemacht hast :super: