Herstellung von Flintensteinen in der Eckernförder Bucht

Begonnen von Vulle, 09. März 2016, 12:25:20

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Vulle

Hallo,
ich bin dabei, eine sehr umfangreiche Privatsammlung von Strandfunden durchzusehen und bin dabei auf Hinterlassenschaften der Flintensteinherstellung gestoßen, und zwar von den Abschlag-Flintensteinen ("Wedges") älteren Typs. Grob registriert habe ich bisher ca. 5000 Artfakte, die zu 95% Abfälle der Flintensteinherstellung sein dürften (natürlich ist auch ein bisschen abgerolltes Neolithikum und Spätmesolithikum dabei). Sie stammen von einem ca. 12 km langen Strandabschnitt der Eckernförder Bucht (Ostsee) und sind zum allergrößten Teil stark (bis an die Unkenntlichkeitsgrenze) abgerollt. Mindestens ein Flintensteinhauer ist hier für 1741 bezeugt. Hier ein Beispiel eines kaum abgerollten "Abschlag-Kerns":

Wer sich näher informieren möchte, kann folgenden Link zu vorläufigen Abbildungen nutzen: (PDF). Einige Stücke (aus Überprüfungs-Aufsammlungen) sind mit Silberbronze eingefärbt, die sind "normal" abgerollt. Die übrigen aus der Sammlung sind ausgesuchte, besser erhaltene Stücke.
Flintensteine liegen dort nicht, denn vermutlich hat der oder die Steinschläger die abgetrennten Abschläge zur Weiterverarbeitung mit nach Hause genommen. Die Produkte dürften so ausgesehen haben wie Steinkopf sie in seinem Strandfund vorgestellt hatte. Meine Frage an Steinkopf: wieviele Steine sind es, und wieviele davon lassen an ihrer Dorsalfläche Reste der Ventralfläche des Ausgangsabschlages erkennen? Könnte man auch mal erfahren, woher sie Steine stammen, jedenfalls ungefähr? Gernne auch an meine Mailadresse h.v.arnold(at)t-online.de. Keine Sorge, ich werde dort nicht nachsuchen!
Gruß, Vulle

insurgent

Die sehen aber sehr nach "Steilküsten" Funden aus.  :smoke:
Meine Bodenfunde werden gemeldet

Vulle

#2
Klar, das Rohmaterial dürfte an der Steilküste gewonnen und zur Vermeidung überschüssigen Transportgewichts gleich zerlegt worden sein. Das üppig vorkommend Rohmaterial reizte übrigens offenbar auch zum üppigen, unwirtschaftlich erscheinenden Verbrauch. Nun sind die Abfallstücke bis werweiss wohin verdriftet und dementsprechend abgerollt. Leider sind die (vermutlich am Haus des/der Flintensteinhauers) gefundenen Weiterverabeitungs-Abfallplätze noch nicht gefunden, dafür sind die Chancen auch schlecht. So etwas ähnliches müsste eigentlich auch bei Stevns Klint in Seeland zu finden sein, wenn es dort überhaupt noch vor lauter Abrollung erkennbar ist.
Im übrigen zugleich eine Warnung an diejenigen, die "primitive" Abschlagtechnik gerne für altpaläolithisch halten.

Steinkopf

#3
Moin Vulle,

das sind ja interessante Bilder von den Produktionsabfällen der Flintensteine aus SH.
Diese Kategorie habe ich bisher noch nirgends gesehen.
Die beiden Abschläge, die von dem eingestellten Kern gewonnen wurden, sind ja wohl bikonvex.
Einzelne 'Kerne', von denen bikonvex Abschläge gewonnen wurden, habe ich bisher mit der
Vorstufe für besondere Pfeilschneiden  in Verbindung gebracht (PVP Nr. 115).

Die Fundstücke von der Tannisbucht habe ich mir noch einmal auf dorsale Merkmale hin
angesehen. Es sind sowohl facettierte als auch glatte Dorsalpartien dabei.

Eine kleine Auswahl habe als Foto angehängt. Die beiden oberen Reihen mit facettiertem Rücken,
die beiden unteren Reihen glatt.

LG

Jan

RockandRole

Hallo in die Runde  :winke:

Das ist wirklich ein hochinteressantes Thema. Da ist ja bisher einiges zusammengekommen. Ich blicke aber jetzt noch nicht so ganz durch  :kopfkratz: gibt es da eine Vorgeschichte und evtl einen Beitrag dazu?
Wie wurden diese Steine denn genutzt? Hauptsächlich zivil oder auch militärisch? Wurde hier auch versucht eine Art Maunfaktur aufzubauen? Wie lange wurde denn dort produziert? Sind denn alle Steine unbenutzt?

puuuuuuhh so viele Fragen  :-D

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Steinkopf

#5
Hallo Daniel,

hier sind einige Links zur (Vor-)Geschichte des Fundortes und der Fundsituation:

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,64229.0.html

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,59071.0.html

Über Produktion und Verteilung gibt es sicherlich historische Aufzeichnungen.
Für die meisten Regionen in Deutschland sind wohl die aus französischem Material hergestellten Stücke
von Bedeutung.

Die hier bei Hirtshals DK gefundenen Stücke sind aus baltischem Flint und nicht wie die französischem
aus Klingen gearbeitet, sondern aus diesen Abschlägen.

Da der Fundort geologisch aus einer durch Srömung gebildeten sandigen Halbinsel (Skagens Odde von Hirtshals bis Skagen)
besteht, kommt dort Flint kaum und nur als kleine Steinchen vor.
Eine Produktion am Fundplatz ist unwahrscheinlich.
Es kann wohl davon ausgegangen werden, dass hier ein Fass oder eine Truhe in einem Schiffswrack viele
Jahre im Sand verborgen war, bis es die Ladung freigab, die dann mit Wind und Wellen an den Strand gelangte.
Die Steine sind unbenutzt.

LG

Jan

steinwanderer

Moin Jan, moin Vulle,
dank erst einmal an Vulle für den Hinweis zu einer der Produktionsstätten.
Einen schönen Dank an Jan für die Flintensteinpräsentation. Da gleicht einer dem anderen.
Aber wie sehen diese nach häufigem gebrauch aus.
Ich habe nämlich ähnliche Stücke auf die ich mir so gar keinen Reim drauf machen kann.
Rundherum retuschiert aber  passen so gar nicht in die Steinzeit.
Gruß Klaus

Lewer duad üs Slav

Vulle

#7
Hallo,
@ Steinkopf/Jan: ich habe hier einen besonders auffälliges Stück abgebildet, von dem nur "Janusabschläge" abgetrennt wurden. Häufig wurde auch mehrfach nachgeschlagen, so dass auf den Rückseiten der Abschläge kaum oder keine Ventralflächen des Ursprungsabschlages mehr vorhanden sind. Bei den gezeigten fertigen Flintensteinen scheint beides vorzukommen. Ich will natürlich nicht sagen, dass DIESE Flintensteine in der Eckernförder Bucht gefertigt wurden, kann es aber auch nicht ganz ausschließen. Im Bereich des Kattegats und der westlichen Ostsee kommen dafür viele Stellen in Frage.
@ Steinwanderer: die gezeigten Flintentsteine wurden offenbar noch nie gebraucht. Beim Gebrauch können die je nach Gebrauchslänge ziemlich abnudeln. Steine mit allseitigen Spuren dürften aber eher zu den Feuerzeugen gehören, die bis zur Erfindung der Zündhölzer in jedem Haushalt zu finden waren. Auch dafür wurden Steine verwendet, die urprünglich als Flintensteine dienten, oder sie wurden gesondert gefertigt bzw. unter Flintensteinen als minderwertig ausgelesen, da sie nicht so normiert sein mussten wie diese.
@RockandRole: Das will ich noch herausbekommen. Der einzige Flintensteinhauer, der bisher bekannt ist, ist dort für 1741 bezeugt, und zwar als schwer krank. Es mag mehr gegeben haben, dafür muss ich zunächst in den Kirchenbüchern forschen in der Hoffnung, dass ein gründlicher Pastor auch mal eine Berufsbezeichnung zugefügt hat. Eine richtige Manufaktur wäre sicher archivalisch bekannt, eher ein Zubrot für arme Leute.
Gruß von der Nordsee, Vulle

RockandRole

Guten Morgen

Ok, super. Jetzt glaube ich, dass ich es begriffen habe. Das ist natürlich ein schöne Geschichte mit dem Wrack und auch die Bilder sind schon was für die Geo  :zwinker:
Jetzt begreife ich auch, das Jans Funde eigentlich gar nichts mit der Produktion in der Eckförder Bucht zu tun haben. Natürlich bis auf die Morphologie.
Gibt es denn einen Nachweis aus der EB eine vollständigen Exemplares oder kann man die nicht mit den Funden von Jan auseinander halten (gleiches Rohmaterial??) Könnte das deutsche Material (wenn es denn unterschiedliche sind) denn auch militärisch genutzt worden sein, oder hält das nur wenigen Schüssen stand?

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Steinkopf

#9
Hallo Daniel,

ein direkter Zusammenhang zwischen der Funde von der Eckernförder Bucht und dem Strandfund der Tannisbucht
ist kaum anzunehmen. Es geht lediglich um die gleiche standardisierte Handelsware. Während die gut erhaltenen
Flintensteine gut erkennbar sind und auch in Fundberichten auftauchen, sind die Abfälle fast nur an prominenten
Fundstellen erkannt und erfasst worden. Da sind solche Sammlungen schon eine interessante Quelle.

Der in den Kreideformationen anstehende Flint wurde durch die Gletschertransporte mehrerer Eiszeiten zusammen mit Gestein
aus N, S, FIN  bis an den Rand der Mittelgebirgegeschoben. Es wird als 'Baltischer Flint' bezeichnet und lässt sich
keiner ehemaligen Lagerstätte mehr zurechnen (unter Spezialisten mag es sehr selten Ausnahmen davon geben).

Diese 'Flintensteine' sind natürlich auch militärisch genutzt worden. Es gab sogar Exportverbote für diese Rüstungsgüter.


LG

Jan

Vulle

Jans umfassender Antwort möchte ich noch eines hinzufügen: Zwei Arten der Sammelbezeichnung Baltischer Flint fehlen (im Gegensatz zu urgeschichtlichen Funden) sowohl unter den Flintensteinen wie auch unter den angenommenen Herstellungsabfällen: der graue, zementartige Danflint wie auch der stark mit Bryozoen durchsetzte Flint. Beide Arten waren offenbar für die Verwendung als Flintensteine ungeeignet. Im übrigen ist es mit der Nationalitätenbezeichnung "deutsch" für die südliche Eckernförder Bucht für das 18. Jahrhundert schwierig, da es zeitweise zum Herzogtum Holstein gehörte, zeitweise aber auch zu Dänemark (Herzogtum Schleswig) bzw. von dort beansprucht wurde. Nicht umsonst heißt die Landschaft noch heute "Dänischer Wohld", auch wenn dort immer Deutsch gesprochen wurde.
Im übrigen hat es sich um die ältere Methode, Flintensteine herzustellen, gehandelt. Im Laufe des 18. Jh. wurde in Frankreich die Klingentechnik wiederentdeckt, die eine viel effizientere und verlustärmere und damit auch billigere Produktion von Flintensteinen ermöglichte. Später wurde diese Technik auch in England angewendet. Das gilt auch für die allermeisten Bodenfunde. Für Dänemark z. B. heißt es aber, dass dort die Flintensteine immer (in der alten Art) als Abschläge hergestellt wurden; die Produktion dort dürfte aber irgendwann in den Jahrzehnten um 1800 zum Erliegen gekommen sein.

RockandRole

Guten Morgen

Danke für die beiden ausführlichen Antworten  :-) Da hab ich ja wieder einiges dazu gelernt.
Könnten man dann in der Eckernförder Bucht eine dänische Produktion vermuten oder ist das etwas komplizierter, wegen den fehlenden Eintragungen?

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende Daniel

gefährliches Drittelwissen

Vulle

Ich vermute, dass es dem armen Schlucker namens Thies Jaar ziemlich egal war, an wen er seine Flintensteine los wurde. Ob es zu der Zeit und in der Region seitens der Obrigkeit Ausfuhrverbote oder Lieferbestimmungen gab, ist noch zu erforschen. Gruß, Vulle