Bohrer - aber welcher Typ?

Begonnen von StoneMan, 09. November 2010, 18:15:54

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StoneMan

Ich hatte ihn "drüben" wegen seiner Form und vor allem der 20mm Dicke als Kernbohrer angesprochen.
Allerdings mit einem Fragezeichen versehen.

Da dümpelte er so vor sich hin, bis Manfred kam...  :kopfkratz:

Gemäß dem Motto, "...blöde Fragen gibt es nicht, nur Blöde fragen nicht",
stelle ich mir/euch jetzt folgende Fragen:


  • Darf ein Kerngerät "Rinde" aufweisen? (= Manfreds Frage)
Wir sprechen schließlich nicht von einem Kern "Nucleus", im dem Sinne, dass beim
Abbau von Klingen ein Restkern verblieben ist.
  • Ist es ein Abschlagbohrer, weil er Kortex aufweist?
  • Wenn ein Abschlagbohrer keine Rinde mehr aufweist, ist es dann ein Kernbohrer?
  • Woher kommt der Begriff "Kernbohrer", wie er hier im Index verwendet wird?

Immerhin habe ich einmal ein PDF ergoogelt, in dem der Begriff verwendet wird, ansonsten ist er recht rar,
wenn ich mal von den Ebäh&Co-Seiten absehe, wo Steinzeit verscherbelt wird.



Maße: 99 mm lang, 39 mm breit, 20 mm dick.
Die eingezogene Spitze ist ca. 35 mm lang. Der Querschnitt der Arbeitsspitze ist ein fast gleichschenkliges Dreieck.
Der lange Schenkel (Ventralseite) 14 mm breit, die Höhe 10 mm.

Fundort: Ulvshale Møn/DK

Die ersten beiden Bilder zeigen schön die Unterschiede der Retuschen.
Einmal an der leicht ramponierten Arbeitsspitze, an der die seitlichen Retuschen vom Bohren malträtiert wurden,
und weiter unten, wo keine Bohr-Arbeit (oder wenig) statt fand, ist die Retusche klarer ausgebildet.

Groot

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

steinwanderer

Moin Jürgen,
so leid es mir tut kann ich dein Stück nicht zu den Bohrern zählen. Denn Dein Stück weist nicht die für Bohrer typische doppelseitige Retuschierung der Spitze auf. Die Bohrer auf meinem Bild, von links nach rechts gesehen: 1.Kernbohrer, 2.u.3. Abschlagbohrer und 4. Klingenbohrer zeigen Sie ganz gut. Der Kernbohrer weist sogar dreifache Retusche auf. Hiermit komme ich zu der Schlußfolgerung, daß ein Kernbohrer nur als solcher zu bezeichnen ist wenn er mindestens dreiseitig retuschiert wurde.
Gruß Steinwanderer
Lewer duad üs Slav

StoneMan

Zitat von: steinwanderer in 09. November 2010, 21:31:19
Moin Jürgen,
so leid es mir tut kann ich dein Stück nicht zu den Bohrern zählen. Denn Dein Stück weist nicht die für Bohrer typische doppelseitige Retuschierung der Spitze auf. Die Bohrer auf meinem Bild, von links nach rechts gesehen: 1.Kernbohrer, 2.u.3. Abschlagbohrer und 4. Klingenbohrer zeigen Sie ganz gut. Der Kernbohrer weist sogar dreifache Retusche auf. Hiermit komme ich zu der Schlußfolgerung, daß ein Kernbohrer nur als solcher zu bezeichnen ist wenn er mindestens dreiseitig retuschiert wurde.
Gruß Steinwanderer
Nicht schlecht Herr Specht  :-D

Es braucht Dir nicht leid tun, egal was es ist, es/er ist wunderbar.

Nun möchte ich aber von Dir erstens wissen, was es denn wohl ist, wenn es was ist?
Zweitens, ob ich da bei Deinem Kernbohrer Kortex sehe?
Drittens, worauf Deine Schlußfolgerung der dreifach-Retusche bei Kernbohren und (vorläufig) viertens,
Deine Kenntnis, dass andere Bohrer typischerweise doppelseitige Retuschierung aufweisen müssen, basiert.

Und das Ganze, nicht weil ich es nicht glaube, allein ich suche Quellen.

Groot

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

steinwanderer

Moin Jürgen,
alle von mir gefundenen Kernbohrer weisen Kortex auf und sind mindesten dreifach retuschiert.Ich bezeichne nur etwas als Bohrer, wenn es mindestens zweifach Retusche aufweist. An sonsten bezeichne ich es als Spitzgerät.
Gruß Steinwanderer
Lewer duad üs Slav

StoneMan

Zitat von: steinwanderer in 10. November 2010, 12:02:53
Moin Jürgen,
alle von mir gefundenen Kernbohrer weisen Kortex auf und sind mindesten dreifach retuschiert.Ich bezeichne nur etwas als Bohrer, wenn es mindestens zweifach Retusche aufweist. An sonsten bezeichne ich es als Spitzgerät.
Gruß Steinwanderer
OK - also eigene Interpretation/Typologie oder ggf. dänische Fachliteratur? Dann komme ich damit klar.

Groot

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
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Antoine de Saint-Exupéry

woodl

Hallo Steinwanderer!

Hoffentlich war das den Kernbohrer-Herstellern auch über alle Kulturkreise so bekannt ( Dreiseitig retuschiert) ?

Werkzeuge änderten sich, aber die Funktion  blieb gleich!
Gruß woodl

Der Wikinger

#6
Moin in die Runde  :-)

Erstmals vorweg: Der Ausdruck Kernbohrer stammt sicherlich aus der nordischen (dänischen) Typologie.

Die Bezeichnung hat nichts mit dem Ausdruck Kern in der Bedeutung Abbaukern / Klingenkern zu tun (kann es in seltenen Fällen aber sein).

Kern ist hier so zu verstehen, dass das Gerät aus einem "geschlossenen" Flintstein (ursprünglich) mit Cortex auf allen Seiten hergestellt ist.
Man unterscheidet den verschiedenen Typen so, dass ein Bohrer aus einem Abschlag (darunter Scheibenbohrer) eine Ventralseite mit einer flachen Abbaufläche über die ganze (oder fast ganze) Fläche aufweisen muss.
Ein Kernbohrer dagegen hat diese "flache Fläche" nicht. Er ist auf beiden Seiten mit Abschlägen von den Seiten versehen. Auf der einen oder beiden Seiten können Cortex-reste sein, müssen es aber nicht unbedingt haben.

Das hier gezeigte Gerät passt also zu keinen der beiden Definitionen.

Sehr oft gibt es solche Geräte, die irgendwie nicht reinpassen, das macht sie aber nicht weniger interessant.
In Dänemark haben wir noch eine Bezeichnung für kleine Bohrer, die aus kleinen zufälligen Produktionsresten hergestellt sind.
Sie werden (spånbor) ~ Spanbohrer genannt.

Das hier gezeigte Gerät ist kein eindeutiger Bohrer, und es ist auf alle Fälle aus einem zufälligen "Abschlag" / Produktionsrest hergestellt.
Hier ist kein "bewusster" Abschlag gemacht worden. Das sieht man, weil keine homogene Ventralseite zu erkennen ist. Auf der anderen Seite gibt es die Merkmale des Kernbohrers auch nicht.

Das bringt mich zu der Konklusion, dass man diskutieren kann, ob es hier ein Bohrer oder ein "Spitzgerät" ist.

Zuletzt zu der Diskussion über die Retuschierungen.
Es gibt tatsächlich Bohrer, die nur auf der einen Seite "bewusste", von Menschenhand gemachten, Zurichtungsretuschierungen haben, aber man kann natürlich sicherer sein, wenn man zwei oder gar drei Seiten mit Retusche sehen kann.
Man muss aber auch bedenken, dass das was oft auf dreieckigen Spitzen von Kernbohrern als drei Seiten mit Retusche aussieht, stattdessen von dem Gebrauch "hergestellt" ist. Im Bohrprozess werden sozusagen die Kanten "retuschiert" (kleine Aussplisse springen ab) durch das Bohren in harten Objekten wie Knochen oder Geweih.

:winke:  

PS: Jürgen, deine Fotos sind einfach traumhaft schön und illustrativ !!  :super:

StoneMan

Zitat von: Der Wikinger in 15. November 2010, 23:04:48
...
PS: Jürgen, deine Fotos sind einfach traumhaft schön und illustrativ !!  :super:
Danke Steen, die Blumen bekommst Du ebenso für Deine ausführliche Einschätzung  :Danke2:

Alles was Du sagst, deckt sich mit meinen eigenen Erfahrungen aus Dänemark und dem, was ich in
vielen Jahren bei anderen Sammlern in DK gesehen habe.  :super:

Und wenn die Merkmale nicht wie in den Büchern sind, dann muss man, so wie Du, auch mal mehr als nur mit den Augen sehen  :super:


Mange Tak Steen.

Jürgen


Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Der Wikinger


Man bedankt sich für den schönen Blumenstrauss !!  :super: :-D

Viele Jahre des Suchens und Sammelns hat mich gelehrt, dass es unendliche Typen von Geräten gibt, die zu den schönen Bildern und Zeichnungen in den Büchern einfach nicht passen.
Umso interessanter wird dadurch das Hobby.  :glotz:
Ab und zu werden ja auch von Amateuren neue Gerätetypen entdeckt, sehr zum Erstaunen (und Verzweifeln) der Facharchäologen und Steinzeitspezialisten.
Sie müssen manchmal erkennen, dass dadurch ihre Bücher und wissenschaftliche Abhandlungen veraltet werden, und editiert oder sogar neu geschreiben werden müssen.
...und das ist ja immer ein bisschen lästig und zeitraubend !  :narr:

:winke: