Spitzklinge contra Spandolchklinge: nicht definierbar und nicht definiert

Begonnen von thovalo, 21. April 2010, 13:15:14

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thovalo

:winke:

Als Anregung zum Thema:


"SPITZKLINGE" contra "SPANDOLCHKLINGE"


Da spitz zulaufend lateral mehr oder weniger steil retuschierten Klingen auch im Rheinland eine Art "Leittypfunktion" zukommt und diese Stücke meist vollkommen unkritisch der "Michelsberger Kultur" zugeordnet werden, was selbst in der Fachliteratur nicht durchgehalten wird und auch nicht eingehalten werden kann, möchte ich an dieser Stelle mit entsprechender Literatur den Hinweis auf die Problematik geben.

"Spitzklingen" sind meist großformatig lang-gestreckte Klingen die bilateral ventral-dorsal zu einer Spitze hin zuretuschiert worden sind. Durch wiederholte Nachretuschierung verkürzte sich progressiv die Länge und verringerte sich die Breite.

Lutz Fiedler sieht zwischen Spitzklingen und Spandolchklingen ausdrücklich:

"einen eindeutigen morphologischen Zusammenhang". (Beiträge zur Urgeschichte des Rheinlandes III. 1997. Formen und Techniken neolithischer Steingeräte aus dem Rheinland. S. 111)

Dabei ist er nicht in der Lage eine klare abgrenzende Definition zu finden sondern umschreibt:

"nur sind letztere" (Spandolchklingen) "MANCHMAL flacher retuschiert ODER teilweise überschliffen".

Diese ist KEINE fachlich und sachlich klare Definition, weil sie keine allgemein gültigen Kriterien findet nach denen eine Abgrenzung der beiden scheinbaren "Artefakttypen" (die demzufolge keine eigenständigen Typen sind!) möglich ist.


Joachim Hahn (Erkennen und bestimmen von Stein- und Knochenartefakten. Verlag Archaeologica Venatoria. Tübingen. 1991) zu Spitzklingen:

"Eine Besonderheit des Neolithikums sind SPITZKLINGEN die infolge vorhandener Schäftungen eindeutig als Dolche anzusprechen sind. Sie werden als SPANDOLCHE bezeichnet. Daneben existieren auch beidflächig retuschierte Dolche." (S. 273)

Das bedeutet nach Hahn ausdrücklich, dass allein hoch optimale Erhaltungsbedingungen darüber entscheiden, ob "Spitzklingen" in Bezug auf ihre funktionale Schäftung als "Spandolchklingen" angesprochen werden können. Spitzklingen ohne Schäftung bleiben daher und zwar vollkommen unabhängig von kulturellen Zusammehängen und der Zeitstellung "SPITZKLINGEN"!

(Wer also davon ausgeht, dass "Spitzklingen" in der Regel geschäftet waren, spricht nach Hahn ausdrücklich immer von ursprünglichen "Spandolchklingen" die in der facharchäologischen und kulturellen Zuordnung immer jünger als MK datieren!)

Bei Hahn S.275 Abbildung: Spandolch aus VINELZ der, ohne zufällig erhaltener Schäftung, nach seiner eigenen ausdrücklichen Definition, eine "SPITZKLINGE" wäre!  :zwinker:


rolfpeter hatte in einem jüngeren Beitrag auf die Problematik der Ansprache aufmerksam gemacht.

http://www.sucherforum.de/index.php/topic,41510.0.html

Zitat rolfpeter: "Der von Dir gezeigte "Spandolch" nennt sich in meinen Aufsammlungen Spitzklinge, ein typisches Gerät MK-zeitlicher Inventare! Andeutungsweise vorhandene Schäftungskerben ändern da überhaupt nichts dran. Geschäftet waren die Dinger wohl alle. Auf der von mir abgesammelten Fläche habe ich übrigens mehr als 25 eindeutige Vertreter der Spezies gefunden, zähle ich die lateral retuschierten Proximalbruchstücke großer Rijckholt-Klingen hinzu, dann wären es weit über 40 Stücke."

"Spitzklingen" sind offensichtlich zumindest "bis" einschließlich der Schnurkeramik ein dominanter Artefakttyp.

http://www.uni-bamberg.de/ufga/leistungen_organistationsebene_universitaet/forschung/projekte_und_ausgrabungen/projekt_oberfranken_im_3_jts_v_chr/ausgrabung_wattendorf/

Es ist eine vorsichtige Anregung insbesondere auch gegenüber Facharchäologen und deren "Vorstellungen" und "Konstrukten" auf kritischer Distanz zu bleiben. Spitzklingen wurden zweifelsfrei im Facharchäologisch publizierten Bestand noch bis zum Ende des Neolithikums AUCH als Spandolchklingen verwendet. Und hohe Stückzahlen finden sich z.B. auch in Charavinnes!

http://aimebocquet.perso.sfr.fr/chaouvima9.htm


Vielleicht ist es eher noch so zu sehen, dass dort wo viele "Spitzklingen" auftreten eher NICHT mit der "Michelsberger Kultur" zu rechnen ist! :zwinker:



Bilder 1-4

Zeichnungen von zwei als "Spandolchklingen" geschäfteten "Spitzklingen" aus "Baigneurs à Charavines" (Isére/Frankreich) ca. 2.600 v. Chr. (Vergleichsdatierung: "Endneoltihkum" im Rheinland).


und zum Vergleich zwei Fundbelege von einem Großfundareal am Niederrhein

eine "Spitzklinge" mit Schäftungskerben und abgerundeter Schäftungszunge und eine zur Spitze hin flach zuretuschierte "Spitzklinge" die sich bis auf die fehlende Schäftung in Nichts von "Spandolchklingen" unterscheidet.

Der schlankere Umriss der französischen Vergleichsstücke ist das Ergebnis mehrfach erfolgter Nachschärfungen.


                "Spitzklinge" ist daher ausdrückich nicht = Michelsberger Kultur


Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

Noch zu Lüning:

48. BERICHT DER RÖMISCH-GERMANISCHEN KOMISSION 1967. De Gryter & Co. Berlin. 1968

         "Die Michelsberger Kultur. Ihre Funde in zeitlicher und räumlicher Gliederung"


Aus den riesigen Fundkomplexen und Fundgebiet bringt er lediglich 12 (!) Spitzklingen und verweist 8 Mal auf verschiedenen Kataloge.

:-) Vom eponymen Fundort auf dem "Michelsberg" bei Untergrombach stammt lediglich eine einzige Spitzklinge aus Grube 26. Ein aufgrund des hohen Alters der Grabung auch nur relativ sicherer Befundzusammenhang!

:-) Im von von ihm schon als "fundreich" bezeichneten Inventar von "Niedenstein" liegen fünf Belege von Spitzklingen aus Oberflächenaufsammlungen, also ohne Befundzusammenhang, vor. (5 von überhaupt nur  12 konkret angeführten Spitzklingen in seiner Arbeit).

:-) Dann hat er weit überwiegend Oberflächenfunde von Artefakten von über viele Kulturhorizonte hinweg besiedelten Plätzen publiziert und eher mal spontan Fundmaterial zugeordnet das in sein Konzept vom lithischen Inventar der MK gepasst hat. (z.B. Urmitz, wo gar nichts klar ist, da die Masse der über einhundert Jahre hinweg zusammen getragenen Artefakte Oberflächenfundbelege sind!)

Und interessant die Frage, ob seine beiden Untergruppen tatsächlich typlologisch begründete Untergruppen sind oder nicht eher etwas damit zu tun haben, dass breite und lange Klingengrundformen zumeist technologisch bedingt einen seitlichen Knick aufweisen.

Das ist mehr als nur "ein bißchen" wenig Fleisch auf den Knochen!  :zwinker:



Ich weiss jetzt noch nicht WER überhaupt Spitzklingen als DEN charakteristischen Fundtyp der MK herausgestellt und zugeordnet hat!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

rolfpeter

Servus Thomas, servus Forum,

ich hab's halt so gelernt mit Michelsberg und den Spitzklingen und den großen Abschlagkratzern mit steiler Stirn und den spitznackigen Beilklingen mit ovalem Querschnitt.  :-D

Die Diskussion über die Zuordnung jung- bis spätneolithischer Inventare von Oberflächenaufsammlungen ist ja auch nicht nur hier im Forum Thema, die Fachwelt ist sich auch ausgesprochen unsicher und ich glaube, daß Geräte, die vor 5 oder 10 Jahren eindeutig in die MK gestellt wurden, heute eher in der 712-er Kiste landen würden.
B. Höhn schrieb in ihren Ausführungen zu Koslar 10 und Inden 9 jedenfalls von "Michelsberger Spitzklingen" (RA43, erschienen 1997).

Ich bin ja bestimmt nicht engstirnig und habe es auch schon zig-mal geschrieben: wir befinden uns für die fragliche Zeit im Rheinland im reinsten Wissens-Vakuum. Für MK gibt es nicht mal eine Handvoll gesicherter Fundstellen. Die bedeutendsten, eben Ko10 und In9 sind auch keine richtigen Knaller, erbringen zusammengerechnet gerade mal 500 Geräte:

Koslar 10: 339 Feuersteingeräte, davon 6 Spitzklingen,
Inden 9: 172 Feuersteingeräte, davon 7 Spitzklingen.

ABER: diese Steine sind ergraben und können ganz offensichtlich der MK zugeschrieben werden.

Für das Spätneolithikum gibt es hier keinen einzigen gegrabenen Fundplatz!

Ich habe eine bedeutende Fundstelle mit großen Klingen und steilen Abschlagkratzern, überwiegend Rijkckholt-Flint. Diese Stelle datiere ich in die MK. Warum? Spinnerei? Tradition? Keine Ahnung! Beweise hab ich keine, der Tulpenbecher fehlt noch. Und hätte ich den Tulpenbecher, dann wäre das auch kein Beweis, sind halt Oberflächenfunde.
Alle übrigen ähnlichen Stellen, bei denen in gewisser Menge auch andere Flint-Varietäten vorkommen, datiere ich nach 712, also Jung- bis Spätneolithikum. Warum? s.o.
Stellen, an denen der Anteil von Lousberg-, Valkenburg- und Simpelveld-Flint überwiegt, datiere ich nach 713, also Spätneolithikum.
Außer den Laufzeiten der Bergwerke habe ich nichts an der Hand. Ein paar grobe, quarzgemagerte Wandstücke übelster Qualität helfen mir nicht weiter.

Sollte sich ein wirklich schlüssiger Beweis finden, ein "hot gun" finden, der eine Umdatierung sinnvoll macht, no prob...click, click, click ist umdatiert. Geht bei 'ner Datenbank ganz easy. Bin da ganz emotionslos.

Ich folge Deinen Einschätzungen meist gerne und zustimmend. Aber Dein Fundplatz ist letztendlich auch nur eine Aufsammlung von Artefakten, die irgendwie auf dem Erdboden rumliegen. Nicht mehr und nicht weniger! Und einen Nachweis dafür, daß die Stelle erst ab 3000 v. Chr. mit Steinen berieselt wurde, ja den hast Du auch noch nicht erbracht.

Die Archäologie ist eben keine exakte Wissenschaft! Wie sagen die Bergleute immer: "vor der Hacke ist dunkel"!

In diesem Sinne

:winke:
RP







Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo

 :friede:

Von meinem Sammlesurium aus Oberflächenbegehungen lässt sich gar nichts ableiten!
Doch der Horizont ist ganz offensichtlich deutlich weiter gespannt als vorgegeben!

Was Bärbel Höhn angeht, bietet sie in ihrer Arbeit zu Koslar 10 gleichfalls bemerkenswerte und fragwürdige Rückschlüsse:

So datiert sie Beilklingen aus Valkenburg- und Vorarbeiten von Beilklingen aus Lousbergfeuerstein in die frühe (!) Michelsberger Kultur...........

(Studien zu neolithischen Besiedlung der Aldenhovener Platte und ihrer Umgebung: Köln. 1997. Zu den Beilklingen aus den genannten Feuersteinvarietäten mit dann folgenden rein spekulativen Rückschlüssen: S. 446ff)

Sie beruft sich immer wieder auf die "mündl. Mitt." von..... (so z.B. S.447 die angebliche Zuordnung einiger Scherben, die "eindeutig Michelsberger Machart" sind zu einem Grubeninhalt (Grube 310) aus dem die beiden "Beilplanken" aus Lousbergfeuerstein stammen.....).

Freundliche mündliche Mitteilungen als Grundlage einer facharchäologischen Arbeit an exakt so einem sensiblen Punkt halte ich für dünnstes Eis!    :zwinker:

Irgendwas scheint da grundsätzlich nicht ganz rund zu sein!  :glotz:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo

 :friede:

Nachdem immer mehr Spitzklingen in den Fundkomplexen hier auftreten, hatte ich mich die Tage intensiv mit der Literatur dazu auseinander gesetzt und war selber erstaunt, dass es die immer wieder benannte direkte bzw. weitgehende bis unbedingte Beziehung zur MK gar nicht gibt.

(Dabei hatte ich mich an Deinen Komentar erinnert. In der Literatur und im Internet findet sich immer wieder die Schlussfolgerung, dass es sich um jungneolithische Artefakte handeln "wird" oder "handelt")


Auch Bärbel Höhn finde ich in ihren Arbeiten zumindest zu hinterfragen!

Zu Koslar 10 trifft sie in Bezug auf Beilklingen aus Valkenburg- und Lousbergfeuerstein bemerkenswerte Rückschlüsse:

Sie datiert Beilklingen aus Valkenburg- und Vorarbeiten von Beilklingen aus Lousbergfeuerstein in die frühe (!) Michelsberger Kultur........... Das wäre die erste Hälfte des 5. Jahrtausends.

(Studien zu neolithischen Besiedlung der Aldenhovener Platte und ihrer Umgebung: Köln. 1997. S. 446ff)

Sie beruft sich in Bezug auf die Befundzusammenhänge immer wieder auf die "mündl. Mitt. von"..... so z.B. S.447 auf die angebliche Zuordnung einiger Scherben, die "eindeutig Michelsberger Machart" sind zu einem Grubeninhalt (Grube 310) aus dem die beiden "Beilplanken" aus Lousbergfeuerstein stammen..... sollen.

Freundliche mündliche Mitteilungen als Grundlage einer facharchäologischen Arbeit an exakt so einem sensiblen und schon zur Publikationszeit kritisch hinterfragten Punkt!    :zwinker:

Und sicher: aus Oberflächenfundaufsammlungen ergeben sich keine klaren Rückschlüsse. Das sehe ich genau so!


LG   :-)
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

steinsucher

Sorry Folks,

da kann ich leider nicht mithalten.  :besorgt:

Für mich war es immer ein Hobby.

Der Steinsucher.

rolfpeter

Zitat von: steinsucher in 23. April 2010, 00:13:49
Sorry Folks,

Für mich war es immer ein Hobby.

Für mich auch, lieber Fritz!

Aber das Jung- und Spätneolithikum ist bei uns hier eine wirklich spannende Zeit, zu deren Erforschung auch Hobbyisten wie wir noch beitragen können. Deshalb befasse ich mich so intensiv damit.

Hier ist noch ein Link für "Hardcore-Spätneolithiker". Es handelt sich um einen Beitrag aus "Les industries lithiques taillées des IVe et IIIe millénaires en Europe occidentale. Actes du colloque international, Toulouse 7-9 avril 2005". Vanmonfort et. al. schreiben über das späte Neolithikum Belgiens. Ist für einen Schmalspurfranzosen wie mich leider etwas kompliziert zu lesen, das Blättern im Pons lohnt aber.

Interessante 14C-Diagramme zu MK, SOM und Stein, ausführliches Kapitel zur Beil- und Klingenproduktion in den belgischen Feuersteinrevieren.
"LES INDUSTRIES LITHIQUES TAILLÉES DES IVe ET IIIe
MILLÉNAIRES DANS LES BASSINS DE L'ESCAUT
ET DE LA MEUSE (BELGIQUE)"
http://biblio.ugent.be/input/download?func=downloadFile&fileOId=783473&recordOId=783458

Hobbyarchäologen aller Länder, vereinigt euch!
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

thovalo


Lieber rolfpeter,

vielen Dank für den Hinweis auf den link und Deine ruhige und offene Reaktionsweise als Mensch und Moderator!   :super:



@ steinsucher

sorry, für die mögliche Irritation! Natürlich ist das ein Hobby, doch hier ist das wirklich schon bald ein Krimi mit engagierten Beteiligten auf allen Ebenen. Das führt gelgentlich auch zur intensiven Auseinandersetzung mit bestimmten Themen. Und da bei diesem Thema zumindest hier so viele "Räume" offen geblieben und ungeklärt sind, entstanden selbst in der Fachliteratur deutliche "Schieflagen" und macht es so spannend und den Austausch gelegentlich auch etwas speziell und intensiv!

Ich hoffe das bringt neben dem intensiven Austausch idealer weise auch Zuwachs an Informationen......, denn je offener und breiter gestreut umso mehr findet sich in der Übersicht zusammen!  :-)

Vielleicht erleben wir ja noch eine Klärung wo und wie die Menschen in der Zeit zwischen 3.400 bis 2.800 v. Chr. im "Transitraum" Niederrhein gelebt haben!

Bislang hat es zwar anerkannt Siedlungen und den Feuersteinabbau auf dem Lousberg gegeben, jedoch ohne konkret zuzuordnende Hinterlassenschaften. Und wenn das nicht spannend ist........ :zwinker:

GLG  :winke:


UNITAS!
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

steinsucher

Zitat von: thovalo in 23. April 2010, 10:25:51

@ steinsucher

sorry, für die mögliche Irritation! Natürlich ist das ein Hobby, doch hier ist das wirklich schon bald ein Krimi mit engagierten Beteiligten auf allen Ebenen. Das führt gelgentlich auch zur intensiven Auseinandersetzung mit bestimmten Themen. Und da bei diesem Thema zumindest hier so viele "Räume" offen geblieben und ungeklärt sind, entstanden selbst in der Fachliteratur deutliche "Schieflagen" und macht es so spannend und den Austausch gelegentlich auch etwas speziell und intensiv!


Hallo nochmal,

klar handelt es sich hier um ein spannendes Feld. Ich wollte auch nur sagen, dass ich mich in der Intensität nicht an der Diskussion beteiligen kann. Erstens fehlt mir dazu das Grundlagenwissen. Zweitens die Zeit. Vor sechs Jahren bin ich in den Ruhestand versetzt worden. Fast gleichzeitig hat man meine Zukunftspläne ausgebremst in dem man mein Haus in eine Pflegestation umwandeln wollte. Ist fast gelungen, die Pflegefälle sind umgezogen, die Klapsmühle geblieben. Deshalb habe ich jetzt andere Schwerpunkte. Deshalb kann ich auch nicht mithalten und mich weiter bilden.

Ich verfolge das hier mit viel Interesse. Es kommen vielleicht mal normale Zeiten zurück.

Viel Spaß weiterhin,

der Steinsucher.



thovalo

Dann nehmen wir Dich eben mit auf unseren Pfaden!   :zwinker:

GLG  thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Khamsin

Salaam!

Zitat thovalo: ""Spitzklinge" ist daher ausdrücklich nicht = Michelsberger Kultur".

Lieber thovalo, lieber Literaturfreund im Geiste, mutig, mutig!

Dem halten wir gegenüber:

Zitat Rolf Peter: "Koslar 10: 339 Feuersteingeräte, davon 6 Spitzklingen,
Inden 9: 172 Feuersteingeräte, davon 7 Spitzklingen.
ABER: diese Steine sind ergraben und können ganz offensichtlich der MK zugeschrieben werden." (Hervorhebungen KIS).

Allein damit ist die obige Aussage von thovalo nicht haltbar.

Und dass ein Begriff wie "Spitzklinge" oder "Spandolchklinge" "nicht definierbar" sein soll, widerspricht jeglicher Erfahrung, gibt es doch nichts anthropogenes, was nicht ebenfalls von Menschen definierbar wäre!

Verweilen wir aber zuerst ein wenig bei diesen Begriffen und lassen ihren ganzen monumentalen Eindruck auf uns wirken. Es handelt sich - wie könnte es anders sein - um typische archäologische Begriffe, die nicht einen Deut hinter jenen nachgerade schon peinlichen Begriffen wie "Schuhleistenkeil, Flachhacke, Breitkeil" u.ä.m. stehen. Dies sind die begrifflichen Hypotheken, die uns die frühen Archäologen - übrigens immer im besten Willen - hinterlassen haben.
Für das weitere Verständnis wichtig ist, dass es sich bei dem Begriff "Spitzklinge" um einen morphologischen, beim Begriff "Spandolchklinge" hingegen um einen technologischen handelt. Dieser Unterschied ist natürlich den Verantwortlichen völlig schnurz und piepe!

Betrachten wir den Begriff "Spitzklinge" etwas näher und fragen uns, was der Createur des Begriffes wohl gemeint haben könnte. Na klar, eine Klinge, die nicht etwa natürlich spitz zuläuft, sondern die an einem Ende zu einer Spitze - lateral und durch Retuschierung - zugerichtet ist. Bei jenem Ende handelt es sich - a priori!!! - regelhaft um das Distalende. Dies würde für alle Klingen jeglicher Zeitstellung gelten. Wir bewegen uns aber im Neolithikum, und somit betrifft das alle entsprechend zugerichteten neolithischen Klingen.

Folglich resultiert das in der Ansprache solcher Stücke wie Nr. 1 auf Tafel 66 in:

R. Kuper et al., Der Bandkeramische Siedlungsplatz Langweiler 9, Gemeinde Aldenhoven, Kreis Düren. Beiträge zur Neolithischen Besiedlung der Altendhovener Platte II, Rheinische Ausgrabungen 18, Teil II (Bonn 1977).

Bei dem erwähnten Stück handelt es sich um einen klingenförmigen Abschlag, der zu recht von J. Weiner als Dechselklinge aus einer Feuersteingrundform entlarvt wurde. Das ist ein wunderschönes Beispiel dafür, wie sich Archäologen ins Knie schiessen können. Thovalo, schau doch einmal bei:

Weiner,J., Neolithische Dechselklingen aus Feuersteingrundformen? Anmerkungen zu einem kaum beachteten, einzigartigen Gerätetyp. In: E. Cziesla, T. Kersting & S,. Pratsch (Hrsg.) Den Bogen spannen... (Festschr. für Bernhard Gramsch zum 65. Geburtstag). Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 20, 2, 353-372 (Weissbach).

Wir meinen aber Michelsbergzeitliche "Spitzklingen", die wir hiermit wie folgt definieren:

Gerät aus einer Grossklinge, häufig aus Rijckholt-Flint, mit ventral-dorsaler Retuschierung zumindest des distalen Klingenabschnittes zu einer lang ausgezogenen Spitze. Die Basis kann kratzerkappenförmig ventral-dorsal zugerichtet, Schäftungshilfen in Form von gegenständigen Kerben können vorhanden sein.

Hahn (1993) 273 hat das ähnlich definiert. Übrigens, thovalo, bei Deinem Zitat dieser Arbeit scheint Dir entgangen zu sein, dass es sich um die zweite Auflage aus dem Jahr 1993 handelt, nicht aber um die Originalausgabe aus dem Jahre 1991 handelt. Denn in jener (1991) findet sich auf Seite 273 die Beschreibung der Geschoßspitzen mit gegabelter Basis (Knochen/Geweih/Elfenbein)!

Was nun die "Spandolchklingen" generell betrifft, lass uns das Ganze abkürzen mit folgender Feststellung:

Alle aus Grossklingen/klingenförmigen Abschlägen angefertigten "Spandolche" sind Spitzklingen, aber nicht alle Spitzklingen sind Spandolche!

Klar entsteht die Frage: Was ist ein Spandolch? Vgl. hierzu allgemein:

K. Stegen, Der Spandolch in der nordwestdeutschen Einzelgrabkultur. Hammaburg 8, 1952, 161-166. Zitat Stegen: "Ich ziehe die Benennung Spandolch vor, da einmal ihre dolchartige Form, zum anderen aber ihre Anfertigung aus einem mehr oder weniger großen Feuersteinspan in diesem Namen zum Ausdruck kommen" (ebd. 161).

Halten wir ansonsten den Ball flach und stellen fest, dass der Begriff aus zwei Teilbegriffen zusammengesetzt ist, "Span" und "Dolch". Unter Span verstanden die frühen Archäologen - wie gesehen - eine Klinge, das soll genügen. Dolch ist zwar selbsterklärend, aber wir wollen doch auf eine weitere Arbeit von J. Weiner verweisen, der hierzu folgendes zu entnehmen ist:

"Die landläufige Bezeichnung Dolch ist - wie zahlreiche andere Bezeichnungen steinzeitlicher Artefakte - forschungsgeschichtlich bedingt, grundsätzlich jedoch irreführend. Ein Dolch ist eine Waffe, und zwar eine Stoßwaffe. Die Verwendung dieser Bezeichnung für bestimmte urgeschichtliche (Feuerstein-)Artefakte impliziert also deren ehemaligen Einsatz als Stoßwaffen, obwohl ihre urpsrüngliche Zweckbestimmung letztlich unbekannt ist; vgl. J. Filip, Dolch. In: Enzyklppädisches Handb. Ur.- u. Frühgeschi. Europas 1 (1966) 294f. Und so stellt die Mehrzahl der Dolche, die ungeschäftet auf uns gekommen sind, strenggenommen nur einen Teil des ehemaligen Gerätes dar und ist somit als Dolchklkingen zu bezeichnen..." (Weiner,J., Zwei endneolithische geschulterte Dolchklingen aus dem Rheinland. Boinner Jahrb. 197, 1997, 124-146).

Tatsächlich waren das - wie Gebrauchsspurenanalysen ergeben haben - Allzweckmesser.
Zusammenfassend ergibt sich, dass es sich bei den Michelbergzeitlichen sog. Spitzklingen - da aus Grossklingen hergestellt - um Spandolchklingen handelt, genauso wie bei den spät- oder endneolithschen  Spandolchen aus "geschulterten" Grundformen oder den Spandolchen aus Grand-Pressigny-Flint. Interessanterweise werden Letztere nicht als Spitzklingen bezeichnet - obwohl sie selbstverständlich definitionsgemäss darunter fallen!

HG KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

thovalo

Jetzt klingelt mir der Kopf!

Danke für die umfassende Darstellung!  :winke:

Stimmt, Zitat war aus der zweiten Auflage!!!!!! Hab beide hier liegen!


Und unter dem Strich bleibt es dann dabei:

eine Spitzklinge, oder mehrere "Spitzklingen" begründen noch nicht quasi "automatisch" die Annhame eines Fundplatzes der "Michelsberger Kultur", da diese Gerätschaften über Kulturerscheinungen hinweg hergestellte und verwendete UNIVERSALGERÄTSCHAFTEN sind!  :kopfkratz:

Diese Feststellung ist ja von der Frage des Definitionsfrage "Spitz-" contra "Spandolchklinge" unabhängig!


LG  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.