Feierabendpremiumfund

Begonnen von osman.herberger, 07. April 2009, 20:08:20

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osman.herberger

Servus miteinander,

ich bin heute am frühen Abend nach der Arbeit noch einmal zu einem Acker, der sich zu einer neuen Fundstelle entwickelt. In den letzten zwei Wochen habe ich dort vereinzelt unverzierte, vermutlich vorgeschichtliche Keramik und Flintabschläge bzw. -absplisse aufgesammelt, alles nix besonderes, aber zumindest Siedlungsindizien. Die Fundstelle liegt auf einem Hügel, mit umfassendem Blick in alle Richtungen. Ungefähr 200-300 Meter entfernt im Wald liegen 24 Grabhügel, die im "Bayern-Viewer" als "vorgeschichtlich" bezeichnet werden.
Der Acker ist mittlerweile aussaatbereit hergerichtet, daher bin ich heute nur am Rand entlang marschiert und hab plötzlich einige Meter "landeinwärts" dieses Gerät liegen sehen. Ich bin in meiner neolithisch geprägten Fundgegend kleine, dünne Klingen gewöhnt, die mit Retuschen versehen zu verschiedenen Geräten verarbeitet wurden. So eine Riesenklinge habe ich hier noch nie gefunden, vor allem nicht so hoch und steil retuschiert.

Lange Rede, kurzer Sinn: Was ist das für ein Gerät ? Ist es älter als Neolithikum ?

Danke schon mal für Eure Hilfe !!

Liebe Grüße

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

CptAhab

Glückwunsch!
Für so einen Fund muß ich noch mein Leben laufen. <- Hemmungsloser Neid!
The world is full of crashing bores. - Mozer

Silex

"Außergewöhnlich" kann ich da nur raunen...
Was hast Du für eine Vermutung, Stefan? .
Ich denk mal "laut":
Neolithisch dürfte es mit ziemlicher Sicherheit sein.
Vorarbeit...glaub ich nicht weil es aussieht als ob damit schon gearbeitet wurde....meiner Meinung nach zum Kratzen und Schaben geeignet....aber gesehn hab ich sowas  im hiesigen Fundspektrum noch nicht....
Premium!!!

bis bald

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Marienbad

....super Stück :super:
könnte ein geschäfteter Kratzer gewesen sein !!!! :glotz:

osman.herberger

Servus Edi,

ich gehe auch davon aus, dass mit diesem Teil gekratzt bzw. geschabt wurde. Die Spuren ringsum schauen aus wie heftige Bearbeitungsspuren.
Man sieht es auf den Fotos vermutlich nicht: Das Gerät wird zum Proximalende hin immer dünner, daher wird es wohl geschäftet gewesen sein.

Mal ganz naiv gefragt: Was spricht gegen Mesolithikum bzw. was spricht für Neolithikum ?
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

Silex

Solche Brummer gibts hier bei uns nur im Neolithikum...und da sind sie selten genug, Stefan. Im Norden könnte das vielleicht mesolithisch sein- bei uns  gibt es nur das Neolithikum  als Ursprungszeit zu vermuten. Wenn derartig steil und flächig gearbeitet wurde, ohne Drang zur Waffenspitze, drängt sich mir diese Bestimmung auf.
Ich verfolge die Funde in Oberpfalz/Niederbayern schon ziemlich lange- aber ähnlicher Ausmaße und Verarbeitungstechnik kann ich mich nicht erinnern. Feuerschläger hatte ich auch schon angedacht- allein, mir fehlt die eindeutige Funktionskante.
Meiner Meinung nach ein besonderes Fundstück das nicht so leicht eine  Entsprechung in der Umgebung finden wird.
Vielleicht und wahrscheinlich  aber nicht für Frau Dr. G.R.
Und evtl. liege ich auch ganz falsch.
Man bekommt mit der Zeit nur so ein vages Gefühl....
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Kelten111

Hallo ich habe den verdacht es könnte eine sehr schöner und großer Sicheleinsatz!
Ein Sucherkollege hat auch so einen , der deinen sehr ähnlich sieht!
Bei ihm ist eine Seite die Retusche abgestumpft ( dort wurde es geschäftet)
die eine seite zum schneiden .
Auf den sicheleinsatz meines Sucherfreundes ist auch kein Sichelglanz erkennbar . :winke:

steinsucher

Hallo Stefan, hallo Forum,

das ist tatsächlich ein "Brummer". Ich denke mal, ich werde noch einige Blicke darauf werfen müssen. Aber Neolithikum sollte es wohl sein. Wenn nicht die vom Edi erwähnten Kratzspuren wären, würde ich von einer Vorarbeit ausgehen. Aber die sind nun mal da. Ich dachte da so an eine Dechsel-Vorarbeit. Die steilen Retuschen erinnern an die alten Michelsberger. Deren Spitzklingen waren ja auch nicht unbedingt zum Filet schneiden geeignet.

Super Teil. Beweist wieder, dass viel Wissen verloren gegangen ist.

Gruß aus Heinsberg,

Fritz.

neolithi

Könnten diese rundum "heftigen Arbeitsspuren" nicht auch auf den Gebrauch als Feuerschläger hinweisen?

Weiß da jemand Bescheid?

HG
neolithi

rolfpeter

Servus,

ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen und der Titel verspricht nicht zu viel!

Genau wie Fritz erinnert mich das Teil an eine Michelsberger Spitzklinge. Groß, bestes Material, steil retuschiert. Aber bei euch gibt es ja keine MK. Ich glaube nicht, daß es eine Vorarbeit ist, sondern ein neolithischer Klingenkratzer.

HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

osman.herberger

Die zuständige Archäologin hat das Teil heute als neolithisch eingestuft. Leider hat sie keine Angaben zur Funktion des Gerätes gemacht.
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

Marienbad

...hallo Stefan :winke:
wie kann die Archäologin die Zeit bestimmen, wenn sie nichts zum Fund ( deren Nutzung ) aussagt ??  :kopfkratz:

osman.herberger

Hallo Manfred,

sie ist in ihren Mails bisweilen etwas wortkarg. Ich hatte geschrieben, dass ich eine kratzenden Funktion vermute. Vielleicht hat sie mir nur stillschweigend zugestimmt...
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

Marienbad

wortkarg.... ich denke das sind nur wir ,,Nordlichter" :-D :winke:

Silex

Das ist Deinem Fund zwar nicht angemessen, Stefan!
Wenn Sie das Ding aber in der Hand hat werden alle Hebel in Bewegung gesetzt um diesen Sonderling (im positivsten Sinne für "unsere" Fundlandschaft) ins rechte Licht zu setzen.
Der E-Mail Service ist genial - und man weiß ja nie was vor Ort alles los ist. Das Ding hat vermutlich über 5000 Jahre in der Erde geschlummert. Wir warten gerne ein paar Monate auf profunde Grundlegung.
Bis bald
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

osman.herberger

Übrigens Rolfpeter, in Bayern gibt es vereinzelte Fundstellen der Michelsberger Kultur, sogar auch hier in meiner Nähe.
Interessanterweise befindet sich ca. 4-5 km von "meiner" Fundstelle eine Fundstelle der MK.

Also, wer weiß...
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

Khamsin

Moin!

"Die Wahrheit der Fotografie ist (bekanntlich) die Lüge". Was das mit dem Fund zu tun hat?

Nunja, wir sehen hier schöne Bilder eines schönen Stückes in schönen Perspektiven. In solchen Fällen ehrt das ja durchaus die Intention des Fotografen, ist aber für eventuell hilfreiche Schlüsse, die wir ja auf der Basis der Bilder zu machen geneigt sind, nicht selten wenig hilfreich!

Deshalb ist es - wie uns RPs Bilder immer wieder lehren - unbedingt ratsam, sich vor dem Fotografieren zu fragen, welche Ansichten des Fundes denn im Hinblick auf grösstmöglichen Informationstransport sinnvoll sind.

Ich liebe z.B. Ventralflächen, schätze aber gleichermassen orthogonale Ansichten der Dorsalfläche, und das möglichst aus derselben Entfernung, ok?
Dagegen sind Blicke in Schrägansicht, die durchaus pittoreske Eindrücke zu vermitteln vermögen, völlig obsolet, es sei denn, man will Strukturen im Rohmaterial zeigen!
I
mmer wieder gerne gesehen sind andererseits Seitenansicht, und zwar horizontal zur Ventralfläche. Das wäre übrigens im vorliegenden Falle m.E. besonders wichtig. Dann könnte man nämlich - hilfreich - das dem dicken halbrunden Ende gegenüberliegende Ende beurteilen...
Ach ja, nochmals zur Ventralfläche: Fällt Euch da nichts auf?

Na, warten wir mal die Seitenansicht(en) ab. RPs und Fritzs MK (oder ein vergleichbarer Zeithorizont) scheint mir unbedingt nahgeliegend. Spitzklinge und Kratzer o.ä. dagegen nicht.
Querschnitt ist halbrund bis trapezförmig, oder? Ist das Ding auch leicht in Längsrichtung gewölbt?

Bis bald und ein angenehmes Osterfest KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

osman.herberger

Hallo Khamsin,

herzlichen Dank für Deine gewohnt kompetenten Worte und Hinweise, welche mich zugegebenermaßen in einen Zustand der Verwirrnis versetzt haben, insbesondere der Wunsch nach einer "Seitenansicht, horizontal zur Ventralfläche". Sei´s drum, ich habe jetzt nochmal neue Fotos gemacht, in der Hoffnung, dass diese aussagekräftiger sind.

Seitenansicht 1: Dorsal oben, Distalende rechts
Seitenansicht 2: Dorsal oben, Distalende links
Seitenansicht 3: Ventral oben, Distalende links

Zu Deinen Fragen: Ja, ich würde mal sagen, der Querschnitt ist halbrund, und eine Wölbung in Längsrichtung sehe ich auch.

Und so möge ich Dir virtuell zurufen: Lass uns teilhaben an Deinen Gedanken bezüglich dieses Stückes !

Und so harre ich Deiner Antwort...

Liebe Grüße

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

steinsucher

Hallo Stefan, hallo Khamsin, hallo Forum.

Stefan, dein Fund ist und bleibt ein "Brummer". Ich versuche Khamsin's "Kritik" an den Fotos umzusetzen. Klar, er will ja, wie wir alle, auf Grund der Fotos versuchen das Teil zu beurteilen. Es gibt Bücher in unheimlich großen Formaten und mit tollen Fotos, die nicht in der Lage sind die einzelnen Stücke darzustellen. Das waren "Profis". Die machen es bunt, aber nicht besser.

RP's Fotos sind gut, nein "sehr gut". Und ich wage mal zu behaupten, er macht sie mit einer ganz normalen Ausrüstung. Kein Handy, aber eine Macro-Funktion.

Also, Spitzklinge (hey!) und Kratzer sind weg - jetzt geht das Grübeln los. An der Ventralfläche fällt mir vor allem auf, dass sie keine homogene Fläche ist. Das dem dicken halbrunden Ende gegenüberliegende Ende wurde durch zwei Retuschen reduziert. Warum? Das war ja der Punkt, der mich irritiert hat. Wenn man das Teil nun weiter bearbeitet, den halbrunden bis trapezförmigen Querschnitt berücksichtigt, noch etwas schärft (schleift) und dann noch die Wölbung in Längsrichtung sieht.......

Doch eine Vorarbeit Richtung Dechselklinge?

Die "echten" Dechselklingen aus Feuerstein, die RP und ich (und natürlich unser Altvater) kennen, lassen alles offen. Sie sind sehr fragil (Klinge) - oder auch robust.

Mein Großvater hätte gesagt: "Eck weit dat nich, for mi is dat en Stein."

Wir werden es erfahren, ein "Lieblingsstück".

Gruß aus Heinsberg,

Fritz.



steinsucher

Zitat Khamsin:
Zitat"Die Wahrheit der Fotografie ist (bekanntlich) die Lüge". Was das mit dem Fund zu tun hat?

Nunja, wir sehen hier schöne Bilder eines schönen Stückes in schönen Perspektiven. In solchen Fällen ehrt das ja durchaus die Intention des Fotografen, ist aber für eventuell hilfreiche Schlüsse, die wir ja auf der Basis der Bilder zu machen geneigt sind, nicht selten wenig hilfreich!

Deshalb ist es - wie uns RPs Bilder immer wieder lehren - unbedingt ratsam, sich vor dem Fotografieren zu fragen, welche Ansichten des Fundes denn im Hinblick auf grösstmöglichen Informationstransport sinnvoll sind.

Ich liebe z.B. Ventralflächen, schätze aber gleichermassen orthogonale Ansichten der Dorsalfläche, und das möglichst aus derselben Entfernung, ok?
Dagegen sind Blicke in Schrägansicht, die durchaus pittoreske Eindrücke zu vermitteln vermögen, völlig obsolet, es sei denn, man will Strukturen im Rohmaterial zeigen!
I
mmer wieder gerne gesehen sind andererseits Seitenansicht, und zwar horizontal zur Ventralfläche.


Hallo Forum, hallo Khamsin,

ich habe mir so einige Dinge noch einmal durch den Kopf ziehen lassen. Wir werden uns alle Mühe geben, aber wir bleiben wohl doch Amateure.

Fritz.


Khamsin

Moin!

Stefan, zuerst einmal ganz herzlichen Dank für die Spitzenbilder! Jetzt wird ein ehemals angefasstes Ende nicht mehr verdeckt. 

Und die ventralen "zwei Retuschen" von Fritz lösen sich (allerspätestens) jetzt (an jenem Ende) auf zu mindestens 2 grösseren, an deren Vorderrand sich wiederum mehrere kleine und noch stärker geneigte gesellen. Jetzt erkennt man auch noch besser, dass der Rest der Ventralfläche aus zwei gekappten grossen und in einer Ebene liegenden Negativen besteht  (Bild 1).
Auf Bild 2 erkennen wir einen schönen zungenförmigen Umriss und vor allem, dass beide Längsseiten nach rechts, d.h. Richtung "Kratzerkappe" konvergieren. Und am linken Ende erkennt man einen schmalen Abhub von der linken Kante auf die Oberseite in Längsrichtung; er verdünnt das Ende, ist doch spannend, oder?

Ganz besonders entlarvend sind m.E. schliesslich die Bilder 3-5. Und zwar im Hinblick auf die Stellung des der "Kratzerkappe" gegenüberliegenden Endes. Ich jedenfalls finde es merkwürdig, dass die Ventralfläche dort eindeutig schräg nach oben verläuft. Da dieser Verlauf dem Anschein nach nicht das Ergebnis einer modernen Beschädigung ist, muss er intentionell angelegt sein, und das will uns doch etwas sagen, oder?

Vor diesem Hintergrund spielt für mich das Ende mit der "Kratzerkappe" eine etwas perfide Rolle in dieser Aufführung, will es uns doch eine Funktion vorgaukeln - und das wahrlich nicht schlecht - die es nach meinem Dafürhalten letztlich nicht besass, nämlich die eines "Kratzers".

Wirft man nun ohne Not und totally relaxed einen Blick auf die Tafeln mit einigen Dechselklingen aus Feuersteingrundformen (Artikel J. Weiner aus dem Jahre 1999) und dort wieder auf die weniger schönen, dafür um so robusteren Exemplare, dann schliesse ich mich doch nur zu gerne den Worten unseres Fritz an:"Ich dachte da so an eine Dechsel-Vorarbeit." Dem ist von meiner Seite nichts mehr hinzuzufügen.

@Edi: Wohl das erste bayerische Teil dieser Art aus Hornstein, oder? Cham oder Schnurkeramik oder... Junge, Junge, erst so´n Ding aus Felsgestein von Dreimalkelten, jetzt eines aus Hornstein. Das Forum bietet immer wieder Spannendes!

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

steinsucher

Hallo Forum,

alles tamam, ich denke ich konnte alles nachvollziehen. Dank an Khamsin.

Stefan:  :super:

Gruß und "Frohe Ostern" aus Heinsberg/Rheinl.,

Fritz.

Der Wikinger

Hallo Steinzeitfreunde !  :-)

Ich habe in diesem Thread mit interesse mitgelesen, habe aber, wie eigentlich sonst nie, Probleme nachzuvollziehen, was uns der Khamsin belehrt !  :kopfkratz:

Vielleicht bin ich aber nur von meinen nordischen Typen zu sehr beeinflusst, und kann nicht erkennen, was hier illustriert wird.

Würde mich jemand bitte erklären, wie diese "Vorarbeit" in eine Dechselklinge verwandelt werden soll ? Wie wäre das Stück weiter zu verarbeiten sein ?  :kopfkratz:

:winke:

osman.herberger

Danke, Khamsin, für Deine erhellenden Ausführungen, welche für mich "auf dem Papier" logisch, schlüssig und nachvollziehbar erscheinen!
Ich muss aber zugeben, wenn ich als Laie dieses Stück in Händen halte, fehlt mir einfach der Erfahrungsschatz und vor allem die Vorstellungskraft, dass dieses Teil "auf dem Weg" zu einer Dechselklinge war. Sehr gerne würde mal die Tafeln aus dem Beitrag von J. Weiner sehen. Gibt es denn eine Möglichkeit, diese Tafeln (oder auch nur den entsprechenden Teil davon) hier zu zeigen ?
Dechselklingen gab es ja in flach-breiter und schmal-hoher Form. Bei meinem Fund ist das eine Ende (diese vermeintliche Kratzerkappe) schmal und hoch und das gegenüberliegende Ende ist flach und breit. Für eine flach-breite Dechselklinge erscheint mir die Breite von ca. 2 cm sehr gering. Zu einer schmal-hohen Dechselklinge passt wohl das flach gehaltene, schräg nach oben verlaufene Ende nicht, das alles verwirrt mich...

"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

Khamsin

Moin!

Jene Dechselklingen, von denen hier die Rede ist, haben mit den alt- und mittelneolithischen Dechselklingen nur das "Dechselprinzip" gemein. Ansonsten ist die Bandbreite der Formen von Dechselklingen aus Feuerstein- und Felsgesteingrundformen (also Abschlägen und Klingen) doch erheblich grösser.

Vor allem aber sind die Schneiden nur am Schneidensaum (na klar) und zusätzlich - und sehr unterschiedlich - im schneidennahen Bereich geschliffen, sonst aber - und sehr ökonomisch - völlig ungeschliffen. Dies jedenfalls ist der einzig ergologisch notwendige Schliff, was nicht heisst, dass es nicht auch hin und wieder "sonstigen Schliff" auf dem Körper geben kann. Dieser findet sich dann z.B. an den basalen Längskanten, häufig auf dem - wenn erhalten - Bulbus sowie bei eventuell ondulierendem Verlauf der Ventralfläche auf entsprechend höheren Partien des "ondes".

Diese Schliffzonen sind aber nicht beabsichtig, sondern entstehen beim Schleifen der Schneide. Lediglich das kantenbrechende Überleifen der Längskanten ist ebenfalls intentionell, war aber für die eigentliche Funktion auch nicht notwendig, sondern sollte offenbar die Schäftung der Klingen erleichtern/verbessern.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

osman.herberger

Hallo zusammen,

der aktuelle Stand zu diesem Fundstück:

Ich habe vor vier Wochen die Fotos an Herrn Tillmann vom Bayerischen Landesamt geschickt, mit der Bitte um eine Einschätzung. Leider habe ich bisher noch keine Antwort erhalten.
Vor einer Woche habe ich dann kurzerhand beschlossen, die Bilder auch an Jürgen Weiner zu schicken. Er hat mir ein paar Tage später geantwortet, dass es sich bei Größe, Form und einigen anderen Merkmalen durchaus um die Vorarbeit zu einer Dechselklinge handeln könnte. Allem Anschein nach fehlt der Schliff. Vergleichbare Exemplare aus Feuerstein/Hornstein wären ihm aus Bayern bisher nicht bekannt. Es wäre allerdings verwunderlich, wenn es diese besondere Geräteklasse nicht auch in Bayern gäbe. In der momentanen Situation spiegelt sich sicher lediglich die Forschungslage wider.

Soweit die Worte von Herrn Weiner. Wenn ich wieder Neuigkeiten habe, melde ich mich !

Liebe Grüße

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

osman.herberger

Servus miteinander,

wie ist es mit diesem besonderen Fundstück weiter gegangen?

Durch die Vermittlung von Rikke (Danke an dieser Stelle !!!!) hat es sich ergeben, dass sich Jürgen Weiner netterweise bereit erklärt hat, das Teil persönlich in Augenschein zu nehmen. Daher habe ich es vor ein paar Wochen fein säuberlichst verpackt auf die Reise zu ihm geschickt. Hier also zusammengefasst die Einschätzung von Jürgen Weiner:

Es handelt sich hier definitiv nicht um einen Kratzer. Gebrauchsspuren gibt es keine. Die Beschädigungen sind moderner Art. Am auffälligsten ist die an einem Ende schräg nach oben verlaufende Ventralfläche. Dieser Bereich wurde eindeutig intentionell angelegt. Es handelt sich hier wohl um eine Schneide.
Grundsätzlich könnte man bei dem Fundstück in Richtung eines Feuerschlagsteins denken, aber die vermeintliche Schneide und die fehlenden Gebrauchsspuren schließen dies wohl aus. Am ehesten muss man daher von einer Dechselklingen-Vorarbeit ausgehen. Warum dieses Halbfabrikat verworfen wurde, bleibt ein Geheimnis, evtl. war die Schneide zu kurz geraten. Schliff ist nicht erkennbar.
Wenn es eine Dechselklinge bzw. eine Vorarbeit dazu wäre, dann wäre sie die erste in Bayern aus Hornstein. Dass es diese Geräteform in Bayern auch aus Kieselgestein (Feuerstein, Hornstein, Kieselschiefer etc.) geben muss, daran darf kein Zweifel bestehen.
Zeitlich lässt sich das Teil zwischen Jung- und Endneolithikum einordnen, also evtl. Altheimer oder Chamer Kultur.

Soweit die Einschätzung von Herrn Weiner. Ich habe das Fundstück letzte Woche im zuständigen Landesamt abgegeben. Bin mal gespannt, zu welcher "Diagnose" die Experten dort kommen. Werde dann wieder berichten.

Bis dahin liebe Grüße an Euch

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

steinsucher

Hallo Stefan,

danke für die Info. Ist ein spannendes Teil und war beim Herrn Weiner sicher gut aufgehoben. Ich für meinen Teil habe es leider nie geschafft einen richtig regelmäßigen Kontakt zu ihm zu halten. Ich versuche mich da ständig zu verbessern. Es lag auch an meinem ehemaligen Beruf. Aber ich kann dir sagen, dass du bei ihm gut aufgehoben bist, wenn es um diese Gerätetype geht.

Irgendwann 1987 oder 1988 besuchte ich eine Ausstellung in Kehlheim. Dort gab es eine Broschüre mit dem Literaturhinweis auf den Bochumer Katalog "5000 Jahre Feuersteinbergbau". Da sein Name darin "verwickelt" war, habe ich mir den Mut genommen und ihn einfach angerufen, um nach einer Bezugsmöglichkeit zu fragen. Am Telefon schon ein Gefühl, dass einem den Druck nahm. Einige Zeit später war ich das erste Mal in Bonn im Landesmuseum (ich wohnte ja noch nicht so lange hier). Da kam mir die Idee "frag doch mal ob er im Haus ist". Er war. Er hatte auch sofort Zeit. Es war ein Supergespräch und dabei erwähnte er sein wohl damaliges Thema "Feuersteindechsel". 1986 hatte ich etwas gefunden, was mir da in den Sinn kam. Ich habe es ihm aufgemalt. Einige Tage später war er bei mir zu Hause.

Hier der Link: Meine Dechselklinge

Wir haben uns dann über die Jahre eigentlich selten getroffen. Ich bin wohl auch nicht der beste "Erbsenzähler" gewesen (möge man es mir verzeihen, ich zähle jetzt nach). Aber er hat selbst auf meine Kinder einen besonderen Eindruck gemacht, als sie ihn einmal bei seinen Vorführungen erleben durften. Meine Tochter ist heute selbst als Lehrerin tätig und behauptet, er habe ihr einen Weg gezeigt (Feuer machen - klar).

Wenn du mal in die Gegend kommst, Stefan, besuch ihn doch mal in Nideggen. Wenn er nicht gerade Franken oder Ömer ausgräbt, ist er bestimmt da. Und seine Einstufung des Teils als Vorarbeit zu einem Dechsel kann ich auch nur so sehen. Seine Erklärungen in diese Richtung haben ja auch irgendwie bei mir ein Muster im Hirn erzeugt. Ich habe ihm aber auch schon welche gezeigt, die er nicht so gesehen hat.

Warten wir mal deine lokalen Sachbearbeiter ab. Spannung pur.

Frohe Weihnacht und ein tolles neues Jahrzehnt.

Fritz.




osman.herberger

Lieber Fritz,

herzlichen Dank für Deine interessanten und warmherzigen Worte.
Ja, es war schon eine große Ehre und ein ebenso großes Vergnügen für mich, Jürgen Weiner am Apparat zu haben. Als Laie erstarrt man ja oft regelrecht vor Ehrfurcht, wenn man mit solchen Koryphäen zu tun hat. Bei ihm war das ganz anders, weil er nicht nur Experte, sondern vor allem auch Mensch ist.

Dein Fundstück kenne ich natürlich im Zusammenhang mit Herrn Weiners Artikel "Dechselklingen aus Feuersteingrundformen" aus dem Jahr 1999. Aber ich wusste nicht, dass Du der Finder bist. Sehr schön, auch mal die Fotos davon zu sehen!

Liebe vorweihnachtliche Grüße nach Heinsberg !

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)

osman.herberger

Servus zusammen,

ich erlaube mir, diesen Beitrag noch einmal nach oben zu schieben, da ich gestern das Fundstück vom zuständigen Landesamt wieder zurück erhalten habe. Die Einschätzung des Landesamtes lautet wie folgt:

"1 hochrückiger, dorsal flächig retuschierter Kratzer mit beidseitig
vollständiger Kantenretusche, Jurahornstein, wohl Endneolithikum/FBZ"

Ich würde mir als Laie grundsätzlich nie anmaßen, diese Einschätzung anzuzweifeln. Aber nachdem niemand geringerer als Jürgen Weiner dieses Fundstück persönlich in Händen gehalten und seine Ansprache dahingehend gelautet hat, dass es sich hierbei eben nicht um einen Kratzer handelt und zudem die Gebrauchsspuren fehlen, dann macht mich die Einschätzung des Landesamtes schon sehr stutzig...
Dem Fundstück liegt zwar eine Zeichnung bei, es wurde aber nur die dorsale Ansicht abgebildet. Die (gerade aber so interessante und entlarvende) Ventralseite wurde nicht gezeichnet.

Es geht mir nicht darum, mich bezüglich dieses Fundstückes in irgendeiner Weise wichtig machen, aber meine "Befürchtung" ist, es könnte sich bei dem Teil um einen für die bayerische Fundlandschaft wirklich besonderen Fund handeln, den aber von amtlicher Seite in Bayern niemand erkennt...
Daher werde ich, auch nach Empfehlung von Jürgen Weiner, versuchen, das Fundstück Herrn Andreas Tillmann vorzulegen, vermutlich DER Steinartefakte-Experte in Bayern.

So viel für heute...

Liebe Grüße

Stefan
"Was man liebt, das asphaltiert man doch nicht ständig !" (Gerhard Polt)