Eine Hypothese zu einem Stück Wetzschiefer

Begonnen von rolfpeter, 11. April 2008, 20:14:45

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rolfpeter

Servus Freunde,

diese kleine Wetzschiefer-Platte stammt von einer LBK-Siedlungsstelle. Vermutlich hätte ich sie gar nicht aufgelesen, wenn mir die auffällige Geometrie nicht ins Auge gesprungen wäre. Die beiden Breitseiten des 13mm dicken Steines sind fast planparallel und bis auf die typischen Schieferungsmuster eben. Sowohl auf der Dorsal- als auch auf der Ventralseite sieht man deutliche geradlinige "Kratzer". Beim Reinigen dachte ich: "der Pflug hat eine Ecke abgebrochen und man kann noch die Pflugspur erkennen". Doch weit gefehlt, die Kratzer markieren natürliche Sprungflächen, vielleicht dünne Adern eines anderen Minerals. Es gibt Schiefer, bei dem neben der Schieferung eine Schichtung besteht. Einen solchen Stein haben wir hier. Die Schichtung steht senkrecht zur Schieferung. Wenn man sich die Kopfseiten des Steines näher betrachtet, erkennt man auch dort die durchlaufenden Adern der Sprungfläche. Die Kopfseiten sind übrigens relativ glatt, hier ist die ursprüngliche Oberfläche des Gerölls aus dem die Platte herausgearbeitet wurde.
Nun zu meiner Hypothese.
Ich behaupte, daß unsere Vorfahren so gut mit den Materialeigenschaften eines ihrer wichtigsten Rohstoffe vertraut waren, daß sie sich genau solche Gerölle heraussuchten, um mit möglichst wenig Arbeit ein Gerät herstellen zu können. Ich vermute, bei dem Stein handelt es sich um eine Vorarbeit zu einer breit-flachen Dechselklinge. Es ist wäre nicht nötig, aufwendige Säge- und Pickarbeit durchzuführen. Die Grundform entsteht durch grobes Behauen, der nächste Arbeitsschritt ist bereits der Schliff. Ohne es selbst jemals ausprobiert zu haben, behaupte ich, daß aus diesem Stein in einer Stunde eine erstklassige, geschliffene Dechselklinge hergestellt werden kann.
Wenn ich jetzt "garmse", bitte verzeiht mir. Aber wir sind ja unter uns, da darf man auch mal eine gewagte Hypothese aufstellen.









Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Wenn man damals solche Lagerstätten aufspüren konnte  (da müssen schon regelrechte Prospektoren unterwegs gewesen sein...Bergfachleute... mit profundem Wissen und richtigem Sondierungs- und Abbauwerkzeug) um werkzeugadäquate Platten herauszulösen ...wenn diese dann auch noch ortsfremd auf einer  nachweislich neolithischen Fundstelle aufgelesen werden konnten...  dann wird der fundierte   Sucher  und werden die Forschenden mit dieser Theorie wahrscheinlich  einen entscheidenden Schritt weitergekommen sein.
Seit es Werkzeuge gibt war die Optimierung der Eigenschaften ein Hauptanliegen der paläolithischen Gesellschaften.
Das  agrarisch geprägte Neolithikum  wird wohl zuerst   -entscheidend- den ZEITFAKTOR mit ins Kalkül  miteinbezogen haben.
Zeit war immer wichtig.....aber wenn man ernten und besitzen muss dann hat es doch eine andere Qualität...und dies unterstreicht für meine Begriffe  so eine Theorie....wie Deine, RP!
Unsere Zeit gebiert solche Gestalten wie uns . Die sich solchen Themen widmen können dürfen.
Für mich ist das Neolithikum die  personifizierte  Vertreibung aus dem Paradies. Die Scham...der Besitz...der Zaun....die soziale Differenzierung... und so weiter...vielleicht wars aber gar nicht so....Deine Auffindungen und Theorien aber sind vielleicht ein kleiner Ansatz um zu verstehen....
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

rolfpeter

Es hat ja damals Bergbau auf Lagerstätten von Amphibolit gegeben, das ist klar.
Hier liegt der Fall anders. Die Platte ist aus einem Geröll hergestellt. Es wäre doch möglich, daß die Burschen zur Rur oder einem anderen Aufschluß gegangen sind und dort die geeigneten Gerölle herausgesucht und vorgerichtet haben. Die Platten sind dann zum Weiler getragen und zum Endprodukt weiterverarbeitet worden.
Ich bin darauf gekommen, weil mir schon mehrfach plattige Wetzschieferstücke auf LBK-Stellen aufgefallen sind.
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

queque


Ich glaube, was die Vertreibung aus dem Paradies angeht, liegt Silex vollkommen richtig. Ein Zeugnis dafür ist momentan im Neanderthalmuseum Mettmann zu sehen: Das Massaker von Talheim bei Heilbronn: Ein LBK-Massengrab, liederlich verscharrte Leichname, ich glaube 34 Personen jeden Alters, alle samt Opfer massiver Gewalteinwirkung. Mein Söhnchen (9 Jahre) hat große und erschrockene Augen gemacht, zumal es einige einprägsame Animationen gab. Die Motive kennt man natürlich nicht, aber Neid und Rache sind schon sehr plausibel.
Hinter diese Zeit können wir kaum zurück - aber träumen von ihr. Sucherei und Sammelei hat bei aller Wissenschaftlichkeit ja immer auch einen Hauch von Eskapismus.
Gruß
Bastl

Der Wikinger

Hallo Leute !  :-)

Ich glaube, man sieht klarer, wenn man Gedanken über Religion von den Überlegungen fern hält !!  :belehr:


Khamsin

Salaam Jungs!

Überlegungen dieser Art liegen nahe, und es wundert mich kein Jota, dass sie hier vorgetragen werden.

Beispielhaft ist RPs Gedankenkette, die der Hypothese unterliegt; ich will sie hier nach meinem Verständnis aufdröseln:

Grundgedanke: Jeder Stein auf den Lösshochflächen kommt da nicht natürlich vor, sondern ist vom Menschen dorthin verbracht worden.

Schluss 1: Es ist nicht nur "ein Stein", sondern wg. des für seine Nutzung in der Rheinischen LBK bestens bekannten Materiales "Wetzschiefer", eben ein ganz besonders auffallendes Gestein.

Schluss 2: Wetzschiefer wurde in der R-LBK als Ersatzmaterial für die Herstellung von Dechselklingen benutzt. Es gibt schmalhohe und breitflache Dechselklingen (Typ 1).

Schluss 3: Nach Dicke, Umriss und Position der Schieferung zur hypothetischen Schneide besitzt der Fund bereits die natürlich vorgegebene Form einer breitflachen Dechselklinge.

Hypothese: Das Rohstück könnte mit wenig Arbeit in eine Typ-1 Dechselklinge zugerichtet werden.

Eindrucksvoll und absolut nachvollziehbar!

Im nächsten Schritt muss die Hypothese getestet werden.

Um es kurz zu machen: Obwohl ich das nur marginal überblicke, wurde m.E. Wetzschiefer, wenn nicht auschliesslich, so doch in allererster Linie, zur Herstellung von Typ 2 Dechselklingen benutzt. Das dürfte mit der Materialqualität, d.h. den von RP ja auch für seinen Fund beschriebenen Quarzadern zusammenhängen, die das Gestein leider schwächen. D.h., es spricht einiges dafür, dass die Hypothese nicht zutrifft.

Sucht man nach anderen funktionalen Erklärungsmöglichkeiten, dann stösst man an etwas abgelegener Stelle auf einen grundlegenden Artikel von RPs Ampf zur "Technologie bandkeramischer Dechselklingen aus Felsgestein und Knochen". Arch. Austriaca 80, 1996, 115-156. Und dort findet sich abgebildet eine langschmale Wetzschieferplatte geringer Dicke, die als Schleifstein genutzt worden ist und aus dem LBK-Brunnen von Kückhoven stammt. Von Umriss und Dicke erinnert RPs Fund fatal an ein solches Stücki.
Deshalb ist keinesfalls auszuschliessen, dass er als Schleifstein geplant war, aber - mangels entsprechender Spuren - offensichtlich nicht so benutzt worden ist. Dies mag an dem Bruch und der damit in der Grösse beeinträchtigen potentiellen Schleiffläche liegen.

Im übrigen würde ich das Stück nach meinen terminologischen Vorstellungen nicht als "Vorarbeit" bezeichnen, auch wenn bei seiner Gewinnung aus einem Geröll Arbeit investiert worden ist. In diesem Falle das Aufspalten des Gerölls. Spuren davon sind m.E. an dem Fund nicht erkennbar. Nach eigener Erfahrung kann ich jedoch sagen, dass dickere Wetzschiefergerölle nicht selten durch mehrfaches seitliches Anschlagen entlang natürlicher Sprungflächen zerlegt werden können.
Von einer Vorarbeit würde ich erst sprechen, wenn Schlagnegative, Säge- oder Schleifspuren erkennbar wären. In seinem Zustand würde ich den Fund als "natürliches Ausgangsstück" oder "Vorform" ansprechen.

Schliesslich halte ich RPs Hypothese für keinesfalls gewagt oder "weit aus dem Fenster gehängt". Tatsächlich helfen uns gerade solche Gedankenspiele weiter, regen uns zu Auseinandersetzungen an, sind - mit anderen Worten - kreativ!

Dass die Schotterspuren der Oberflächengewässer für die LBKler wichtige Rohmaterialressourcen waren, steht ausser Zweifel. In der entwickelten und späten LBK bedurfte es dazu keiner Prospektoren, denn die Vorkommen waren ja seit Jahrunderten bestens bekannt. Lediglich zur Zeit der Landnahme gegen 5300 BC musste man im Rheinland prospektorisch tätig sein, kannte man doch die Umwelt und deren Angebot noch nicht. Aber diese Phase wird m.E. sehr, sehr schnell beendet gewesen sein.

Herzliche Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"