Pfeilspitze mit Frage an die hochverehrte Zunft der Steinschmiede

Begonnen von rolfpeter, 29. März 2008, 17:58:29

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

rolfpeter

Servus Freunde,

Das ist eine MK-Pfeilspitze von heute. Sie ist von beiden Seiten flächenretuschiert und hat eine Besonderheit. Auf der Dorsalseite sind kurz vor dem Distalende 2 Retuschen steckengeblieben. Naja, ein kleiner Schönheitsfehler, kann wohl mal vorkommen.
Frage: hätte man die Kante nicht mit dem Retuschierstab wegdrücken können oder geht das aus irgendwelchen gebirgsmechanischen Gründen nicht?









Herzliche Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Der Wikinger

Hallo RP

Aus meiner Erfahrung kann ich nur sagen, dass solche Fehler genau das ist, was man befürchtet.
Wenn "der Abschlag" / die Flächenretusche so stecken bleibt, und nicht überläuft, wie erwünscht, ist es sogar sehr schwierig da den richtigen Winkel zu bekommen um das retten zu können.
Der Flint wird sozusagen abgeriegelt für weitere Flächenretuschen.
Die einzige Möglichkeit wäre, nochmals "von aussen" zu retuschieren, wobei das Gerät dann deutlich schmaler würde. (..und dabei vielleicht "zerstört")
Deshalb sieht man oft, dass man solche kleine Fehler gelassen, und akzeptiert hat, um das Teil nicht ganz zu demolieren.

Auf alle Fälle ein sehr schönes Stück !

:winke:

Khamsin

#2
Moin und Salaam!

Zuerst einmal: Ein in jeder Hinsicht scharfes Teil, dem wir unsere Anerkennung nicht verhehlen wollen, die sich auch auf den Finder bezieht!

Tja, was mag sich der Steinschmied damals gedacht haben? So´n Schieeeeet! Das wars dann aber auch.

Sog. step fractures wie diese, können dem grössten Meister passieren, kein Wenn und Aber. Die Stoppwirkung dieses tödlichen Projektilkopfes war dadurch selbstverständlich keinesfalls herabgesetzt.

Mittels eines kupfernen Druckstabes - Kupfer ist für die MK nachgewiesen - wäre es evtuell möglich gewesen, das Plateau zumindest zu reduzieren (Knochen ist zu spröde für die anzunehmende Aufsatzfläche, Geweih zu weich). Allerdings lässt besonders das 3. Bild sehr gut erkennen, dass der Plateau-Anteil recht gross ist.
Unbeschadet der benötigten grossen kinetischen (aber natürlich extrem verlangsamten!) Energie, die überdies bei der Übertragung auf ein solch kleines Objekt während der Handhabung alles andere als leicht ist, hat der Steinschmied vor allen Dingen wohl gewusst, dass er eventuell ein sog. outre passée, d.h. einen "overshot", riskieren würde. Konkret heisst das, dass möglicherweise viel mehr an Masse entfernt worden wäre, als unserem Freund lieb gewesen wäre.

Denn solche "Unfallformen" (accidents de taille, knapping accidents) haben es leider an sich, dass sie weitgehend unkontrolliert verlaufen und dabei die gegenüberliegende Kante bös deformieren können! Im Extremfalle hätte es sogar die gesamte Distalpartie weghauen können, wodurch die Länge reduziert worden wäre. Und das ist wirklich schlecht und hätte eventuell sogar dazu geführt, dass das schöne Stück hätte verworfen werden müssen.

Dazu gibt es übrigens hochinteressante Aufsätze von J. Tixier und seinem Mädel, Marie-Louise Inizan, schon aus den 70er-80ern am Beispiel vorderorientalischer Pfeilspitzen!

Also hat unser Freund das schöne Stück so gelassen und sich selbst gleichermassen gelassen zur Hausbar begeben und einen Martinicocktail produziert, gerührt, nicht geschüttelt, versteht sich!

Es gibt übrigens zum Thema "Reparatur" von hinge/step fractures einen äusserst lesenswerten Artikel von Louis Eloy, einem technologisch hochinteressierten und erfahrenen Belgier aus den 70ern in der Zeitschrift "Les Chercheurs de la Wallonie". Dabei geht es um Beobachtungen an Grossklingenkernen jungneolithischer Zeitstellung, und es ist schon faszinierend, zu welch bemerkenswerten Erkenntnissen Louis da kommt.
Da gibt es etwa einen Kern, auf dessen Abbaufläche einige Zentimeter unterhalb der Abbaukante eine sehr markante hinge fracture erkennbar ist. Eigentlich sollte man annehmen, dass der Klingenschmied nun kleinbeigab. Weit gefehlt, wie uns Louis zeigt. Denn die Höhe (Dicke) der hinge war so gross, dass sie es erlaubte, dort, wie auf eine klassische "Schlagfläche", ein Zwischenstück, einen sog. punch, aufzusetzen und - wie das resultierende von dort distale Klingennegativ lehrt - erfolgreich eine weitere Klinge bis zum Kernfuss abzutrennen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Aber dieses Thema - geschätzte Freunde - ist auch wieder eine andere Baustelle.

Beste Grüsse KIS
   
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Herzlichen Dank, somit bin ich der Weisheit wieder 3 mm näher gekommen.
HG
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert