2 Dechselklingen und ein Beil

Begonnen von rolfpeter, 20. Oktober 2007, 20:14:22

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rolfpeter

Servus Freunde,

die Sucherei ist zwar schwierig z.Zt. aber mit Glück und Steinspürhund findet man doch noch allerlei.

1. Eine flache Dechselklinge aus dem Leib- und Magenmaterial der hiesigen LBK-Menschen. Diese ist sogar noch recht gut erhalten, normalerweise sind die Kanten durch die weiche, weiße Patina am Basalt stärker verrundet.





2. Eine hohe Dechselklinge auch aus Basalt. Die stammt von einer Gegend, die für mich bis dato rein jungneolithisch geprägt war. Oder ist es möglich, daß solche Geräte wie das hier abgebildete auch jünger als mittelneolithisch sein könnten?





Als letztes eine arg bekloppte Beilklinge aus Felsgestein, die lag nur 20m von der hohen Dechselklinge entfernt und repräsentiert das Fundspektrum der Gegend besser: Jungneolithikum/MK.





Übrigens habe ich mir aus Velour-DcFix einen schwarzen Hintergrund gebastelt. Materialkosten um die 5 Euro. Sieht noch besser aus: Schwarze Fingernägel auf schwarzem Hintergrund!  :narr:



Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Mir bleibt da nur mein "Stereotyp":
Danke fürs Zeigen!
Wo gibts eigentlich Artefakte..... zur Zeit?
Bei dir wär Platz für mehr Sucher...dünkt mir...
Gratulation vom
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Der Wikinger


Wunderbare Funde, RP !!

Schicke "Fotofalle" !  :zwinker: :-D

LITHOS

Zitat von: agersoe in 23. Oktober 2007, 21:52:48
Schicke "Fotofalle" !  :zwinker: :-D

Hallo!
Kommt mir bekannt vor. Selbst gebaut? :zwinker:

rolfpeter


[/quote]

Hallo!
Kommt mir bekannt vor. Selbst gebaut? :zwinker:
[/quote]

Jau selbst gebaut. Velours-DCfix auf eine dünne Pappe kleben, oben und unten eine kleine Latte dran geklebt, an den 4 Ecken ein 2mm-Loch in die Latten und mit 2 Schweißdrähten kann man das Ding aufspannen, Bei Nichtgebrauch hängt es an der Wand - Minimal Art vom Feinsten!  :narr:
Kosten: 3€
Zeit < 1h

Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert


Khamsin

Yo RP!

Du schreibst "Leib- und Magenmaterial der hiesigen LBK-Menschen", womit der Basalt gemeint ist. In der Tat findet man keine LBK-Siedlung bei Euch da unten - wie auch in manchen anderen LBK-Regionen - auf der nicht Dechselklingen aus Basalt vorkommen. Basalt war als heimisches Material bestens bekannt, im Vergleich zu importiertem Material gewiss preiswerter und überdies problemlos zu bearbeiten. In diesem Sinne wäre er ein "Leib- und Magenmaterial".

Allerdings ist er auf dem rheinischen Löss doch weniger das "Leib- und Magenmaterial", wenn Du damit die Häufigkeit von Dechselklingen aus Basalt meinst.

Denn tatsächlich ist es bei Euch doch so, dass der importierte sog. Amphibolit bzw. Grünschiefer immer überwiegt. Hart auf dessen Fersen folgen dann aber schon Klingen aus Basalt sowie dem sog. Wetzschiefer als einheimische Rohmaterialien. Wetzschiefer war im übrigen noch einfacher zu beschaffen als Basalt, der ja doch erst in der Region von Bonn ansteht.

Gewiss, Basalt findet sich auch in Rheinschottern, und zwar nicht selten und auch in grösseren Brocken.
Allerdings hat bereits 1936 der Geologe Koch in der Veröffentlichung der Ausgrabungen auf dem LBK-Platz "Köln-Lindenthal" darauf hingewiesen, dass der von ihm untersuchte Basalt immer feinkristallin war, niemals von der groben Variante, die sich so häufig im Rheinkies findet! Deshalb gehen die Archäologen davon aus, dass die LBKler z.B. zum Bellerberg bei Godesberg pilgerten, um sich dort gezielt feinkristallines Material zu holen.
Wetzschiefer dagegen findet sich in den westlich der Rur überall aufgeschlossenen Maas-Schottern in grosser Zahl, guter Qualität, ausreichender Grösse und nicht zuletzt produktionsfreundlichen Formen.

Seltene Exoten sind bei Euch LBK-Dechselklingen aus "Phtanit d´Ottignies" (bei Waterloo) und vermutlich auch "Grès à micas d´Horion-Hozémont" unweit südlich von Lüttich, wobei letzteres Material nach meiner Kenntnis noch niemals aus rheinischen LBK-Inventaren berichtet wurde.
Das heisst allerdings nicht, dass Klingen daraus nicht gefunden worden wären; sie dürften schlicht nicht analysiert worden sein. Sollte dies zutreffen, dann wiese es immerhin darauf hin, dass solche Klingen äusserlich evtl. an die aus Wetzschiefer, vielleicht sogar an solche aus Basalt erinnern, weshalb sie diesen Gruppen zugeordnet worden wären.

Jedenfalls ist es schlicht nicht denkbar, dass Klingen aus "Grès à micas d´Horion-Hozémont" nicht ebenfalls, wenn auch nicht unbedingt zahlreich, ins Rheinland gekommen sind. Dies vor dem Hintergrund, dass es Funde aus "Phtanit d´Ottignies" ja bei Euch gibt. Dessen exklusives Vorkommen (ähnlich begrenzt wie der Lousberg) liegt allerdings rd. 30 km südöstlich von Brüssel und damit erheblich weiter entfernt als jenes von Horion-Hozémont!

Ebenfalls sehr selten sind schliesslich Dechselklingen aus Tonschiefer/Schieferton.

RP, danke für die Präsentation der Funde! Gerade die schmalhohe Dechselklinge aus Basalt hat es mir angetan und gibt mir zugleich sehr zu denken. Warum? Nun, dass Stück ist ein ganz besonderes Paradebeispiel für eine nachgeschliffene - und dabei kontinuierlich verkürzte - Dechselklinge. Und wenn man sich nun das Verhältnis der Restlänge einerseits zur rückgeschliffenen Schneidenpartie anderseits anschaut und zugleich berücksichtigt, dass das Stück den letzten Benutzungszustand repräsentiert, dann fragt man sich doch unwillkürlich, wie das Kerlchen geschäftet war.
Dies vor dem Hintergrund des Schäftungsvorschlages Deines Ampf in Verbindung mit seiner Hypothese, dass die schmalhohen Klingen solche für schwere/sehr schwere Holzarbeit waren...

Auf dieser Basis ergibt sich konsequent die Annahme, dass diese Klinge bis zum Ansatz der Schneidenfacette im Schaft gesessen haben muss, gerade mal rd. 5 cm tief! Da kommt man schon ins Grübeln.

Schala gaschle KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Servus Khamsin,

danke für die ausführliche Besprechung!

Vielleicht sind die glatten, glänzenden Dechselklingen aus Amphibolit schon von meinen Sammler-Vorfahren abgeräumt worden. Die unscheinbar matt-grauen Basaltgeräte sind auf dem Feld ungleich schwerer zu lokalisieren. Besonders die flachen sehen aus wie Allerweltssteine, von denen nur ein Buckelchen aus der Erde lugt. Also jeden verdächtigen Kei umdrehen...(Kei sagen die an der Holländischen Grenze zu Steinen, große Steine heißen dort Kuveie). Die Sprachgrenze ist die Rur. Auch ohne im Besitz eines Navigationsgerätes zu sein, kann man leicht erkennen, ob man westlich der Rur ist, indem man sich mit Eingeborenen unterhält. Die setzten nämlich die Pronomina anders ein als wir: Der Kölsche sagt: "jeff mir ens der Dexel", Der Aachener sagt: "jeff misch ens der Dexel" Alles klar?

Du hast ein gutes Augenmaß! Die schmalhohe Klinge ist 97 mm lang und der Punkt der größten Höhe liegt bei 48mm vom Heck. Von da aus wird es kontinuierlich dünner bis zum "Schneidenrest". Es werden also maximal 50mm der Klinge aus dem vermeintlichen Knieholm herausgeragt haben.

Solange mit dem Dechsel unverkantet in das Werkstück geschlagen wird, d.h. die Kraftwirkungslinien vom Widerlager im Holm bis zum Schäftungspunkt  die gleiche Richtung haben wie der Vektor vom Arbeitspunkt am Werkstück bis zur Schäftungsstelle, ist alles o.k. Wenn allerdings ungeschickt schräg gearbeitet wird, treten weniger (produktive) Längskräfte, dafür aber werkstoffzerstörende Querkräfte auf. Und wenn die zu groß werden, dann bricht entweder die Klinge oder die Schäftung geht auf. An einem idealen Stab kann man sowas rechnen, bei einem Dechsel, einem relativ komplizierten Kompositgerät mit von Muster zu Muster wechselnden Materialeigenschaften, hilft m.E. nur der Versuch. Auch bei Autos, die von vorne bis hinten durchgerechnet sind, deren Masseverteilung, Werkstoffeigenschaften usw. bekannt sind, wird immer noch ein Crashtest durchgeführt  :zwinker:

Mir ist aber nicht klar, und das wollte ich immer schon nachfragen, wie die Jungs die Klingen nachgeschärft haben. Mit der Dorsalseite könnte man ja über eine Schleifwanne streichen - aber was ist mit der Ventralseite? Wurde da quer zur Schneide geschliffen? Wie ging das wenn die Ventralseite einen Hohlschliff hatte? Ausschäften zum Nachschleifen kann ich mir eigentlich kaum vorstellen.
Fragen über Frage...

Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Boahhh, mi hauds umm. RP!
Ich les es nochmal. Du bist "eins" mit  Äxten und Dechseln
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

Salaam!

In der Tat, RP, das Problem des Nachschärfens von Beilklingen überhaupt ist zweifellos von grossem Interesse. In der Literatur findet sich dazu nach meiner Kenntnis kaum etwas (Ausnahme mal wieder: L. Fiedler, RA 19, 1979!).

Ginge man den Problemkomplex, also die Frage nach dem "Wie" hypothetisch und systematisch an, dann sähe das aus dem hohlen Bauch so aus:

I. Schleifmittel

- Zum Nachschleifen benötigt man Schleifsteine
- Sie lassen sich einteilen in
1. solche für den formgebenden Schliff der beidseits an die Schneide angrenzenden Schneidenfacette,
2. den schärfenden Schliff des sog. Schneidensaumes von rd. 2 mm Breite (Tiefe)

Für 1. benötigt man "passive" Schleifsteine (vulgo "Schleifwannen"),
Für 2. kann man sich aus Gründen der Handhabung handlicher, "aktiver" Abziehsteine bedienen

Frage: Welche Nachweise von 1. und 2. kennen wir aus dem Neolithikum?

a),b) Alt- und Mittelneolithikum: keine "klassischen" Schleifwannen! sog. Rillensteine, seltene Funde von Geröllen/Schleifplatten mit deutlichen Glanzspuren vom Schleifen,

c), d), e) Jung-, Spät- und Endneolithikum: "klasssische" Schleifwannen, und zwar
1. transportabel und
2. ortsfest (sog. polissoirs"), wie z.B. der berühmte aus Slenaken zwischen Aachen und Maastricht.
Wie das mit handlichen Schleifplatten etc. aussieht, kann ich im Moment nicht sagen.

Für die Frage des Nachschleifens von alt- und mittelneolithischen Dechselklingen kommt also hier nur a) und b) in Frage.

II.  Schäftung von alt- und mittelneolithischen Dechselklingen

Da es keine original erhaltenen Funde von Dechseln (dem Kompositgerät, bestehend aus Klinge, Schaft und Klingenbestigung) gibt, ist man auf
1. jüngerneolithische Originalfunde von Dechseln und
2. völkerkundliche Vorbilder angewiesen.

Auf dieser Basis erschlossene Schäftung alt- und mittelneolithischer Dechselklingen:

- Direkt in einem sog. Knieholm aus einer Astgabel, Sicherung durch Bindung! Verhältnis geschäfteter Abschnitt  zu ungeschäftetem, freiem, vorstehenden Abschnitt 50:50
 
- Keine Sicherung durch Klebung mittels Birkenpech!
- Keine indirekte Schäftung unter Verwendung eines Zwischenstückes z.B. aus Geweih!
- Keine direkte Steckschäftung in einem sog. Kolbenholm aus Holz!
 
Letzter Stand dazu:

- Weiner,J. & Pawlik,A., Neues zu einer alten Frage. Beobachtungen und Überlegungen zur Befestigung altneolithischer Dechselklingen und zur Rekonstruktion bandkeramsicher Querbeilholme. In: Von der Altsteinzeit über "Ötzi" bis zum Mittelalter. Ausgewählte Beiträge zur Experimentellen Archäologie in Europa von 1990-2003. Experimentelle Archäologie in Europa. Sonderband 1, 2005, 161-195. (Oldenburg).

sowie zur Forschungsgeschichte

Weiner,J., Die Dechsel – ein steinzeitliches Gerät. In: E. Keefer (Hrsg.) Lebendige Vergangenheit. Vom Archäologischen Experiment zur Zeitreise. Archäologie in Deutschland Sonderheft 2006, 30-31. (Stuttgart). 


Daraus ergibt sich zur Frage des Nachschärfens:

Klingen konnten theoretisch aus dem Schaft entnommen werden
Einwand: Völkerkundliche Beispiele aus Neuguinea zeigen, dass die Klingen durch Flecht(Binde-)schäftung aus naheliegenden Gründen sehr fest im Knieholm sitzen! Desselbe sollte für unsere Dechselklingen gelten.

- Direkte Beispiele für Nachschärfen völkerkundlicher symmetrischer Beilklingen, die dabei im Schaft sitzen aus Neuguinea!
- Indirekte Beispiele für jungneolithische symmetrische Beilklingen aus Felsgestein in Form von seitlich völlig durch Schleifen abgenutze Zwischenfutter aus Geweih aus schweizerischen Seeufersiedlungen!
Danach wurden die Zwischenfutter aus dem Parallelholm genommen, aber mit der noch darin sitzenden Beilklinge ohne Rücksicht auf die Abnutzung des Zwischenfutters nachgeschliffen!

Überlegungen

- Nachschleifen noch wenig benutzter Dechselklingen, die zu rd. 50% ihrer Gesamtlänge aus dem Schäftungsende ragen (schmalhohe und breitflache Klingen) problemlos möglich mit Beilklinge im Holm sitzend, da das distale Holm- und Bindungsende nicht mit dem Schleifstein in Berührung kommt und deshalb nicht in Mitleidenschaft gezogen wird.
Dabei wird Dechsel auf den Kopf gestellt, so dass schneidenwärtige Dorsalfläche auf "passivem" Schleifstein hin- und hergeführt werden kann. Wegen der charakteristischen Form des Knieholmes ist dies für die Ventralfläche nicht möglich. Praktikabel ist hier die Anwendung handlicher, "aktiver" Schleifsteine. Schärfen des Schneidensaumes immer mittels "aktiver" Abziehsteine. 

- Erst bei nahezu vollständig abgenutzten Dechselklingen, wie der hier gezeigten Basaltklinge vom Typ schmalhoch, ergeben sich Bedenken, ob solche Stücke noch im Holm steckend nachgeschliffen worden sind (gilt für beide Formtypen). Denn es kann m.E. kein Zweifel daran bestehen, dass bei dem relativ flachen Schleifwinkel (Bild 4) und der angenommenen Knieholm-Binde-Schäftung sowohl der Holm als auch die Bindung in Mitleidenschaft gezogen worden wären. Um jedenfalls einen funktional vernünftigen Schneidenwinkel zu erhalten, hat der Mensch bei dieser Klinge kräftig den Basalt abgeschliffen. Dazu bedurfte es auf jeden Fall eines "passiven" Schleifsteines. Schärfen des Schneidensaumes wie gehabt.

Fazit

Eine Lösung des geschilderten Problemes sähe ich nur dann, wenn man den momentan bei den Archäologen akzeptierten Versuch der Schäftungsrekonstruktion durch J. Weiner verwerfen würde. Und zwar zugunsten einer direkten Steckschäftung, ebenfalls in einem Knieholm, was durchaus möglich ist. Aber selbst dann würde das distale Holmende in Mitleidenschaft gezogen, analog zu den abgeschliffenen Wangen der  schweizerischen Zwischenfutter aus Geweih. Trotzdem würde der feste Sitz in einem Steckschaftloch nicht wesentlich geschwächt.

Das sind jedoch insofern müssige Gedanken, als J. Weiner sehr überzeugende Argumente in Form erhaltener und durch Gebrauchsspurenanalyse nachgewiesener Bindespuren auf mehreren Dechselklingen angeführt hat.

So kann man nur feststellen, dass die LBKler und Rössener offensichtlich Mittel und Wege kannten, ihre Dechselklingen nicht nur dauerhaft sicher im Schaft zu befestigen, sondern diese auch jederzeit wieder nachzuschärfen. Auch bei extrem verkürzten und eigentlich - nach unserem heutigen Eindruck - kaum noch sinnvoll zu verwendenden Klingen.

Schala gaschle KIS
























   






"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Servus,

so ähnlich hatte ich das auch vermutet.
Vielleicht sollt man auf den Siedlungsflächen doch mehr Augenschein auf "längliche Gerölle", "sonderbare Sandsteine", also "alles, was da nicht hingehört" legen. Es mag vielleicht Artefakte oder auch Geräte geben, die unsereins erst auf den 3. Blick als solche erkennt!
Danke für die interessante Überlegungen!

Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

RP, salaam!

Eine wichtige und dankenswerte Bemerkung Deinerseits! Lieber 100 mal zuviel, als 1 mal zuwenig gebückt!

My pleasure und schala gaschle KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"