niederrheinische Wuchtbrumme mit Gefolge

Begonnen von wühlmaus, 20. Mai 2007, 04:55:32

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wühlmaus

Hi allerseits  :winke:

draußen zwitschern bereits die Vögel und die Sonne geht gleich auf. Noch hab ich das Board für mich allein ...

RP's süßes Beilchen (http://www.sucherforum.de/index.php/topic,24578.0.html) hatte mich an einen Fundplatz von mir erinnert, den ich damals in Heimdalls Hallen schon mal vorgestellt hatte ... aber noch nicht hier ...  :idee:

Der Platz selbst ist eine bekannte Altfundstelle, die ich seit etwa 20 Jahren in unregelmäßigen Abständen besuche und ebensolange kaum begreifen kann ...
Offiziell ist sie glockenbecherzeitlich datiert ... könnte aber gut MK Material beinhalten ... und scheint ein altpaläolithisches Geheimnis zu bergen ...

hier mal ein Gesamtfoto:

wühlmaus

Das interessante beginnt damit, dass sich pro Suchgang eigentlich immer nur eine geringe Menge Funde zeigt ... aber dabei ist bei jeder 2.-3. Begehung ein Sahnestückchen dabei ...

Erstmal die üblichen Verdächtigen, das Ratpack, dass sich bei mir auf jeder Fundstelle tummelt:
Abschläge, Kerntrümmer und unverzierte, vorgeschichtliche Wandscherben

wühlmaus

Jetzt das Beilchen.  :smoke:

Eine niederrheinische Flint Wuchtbrumme. 17,5cm lang und 6,5cm breit an der Schneide.

Gefunden Ende der Achtziger und bis dato wohl mein schönster steinzeitlicher Fund ...  :cool1:

wühlmaus

... und weil es so schön ist, noch ein paar Bilder:

wühlmaus

Hier noch 2 Bruchstücke von Klingen mit halbrundem Kratzerende im Größenvergleich.

Der kleinere Kratzer ist sehr filigran, fast flächig retuschiert (ich weiß meine Fotos sind zum  :heul:)

wühlmaus

Der große, schwarze Klingenkratzer ist rundum retuschiert:

wühlmaus


wühlmaus

... und noch ein - leider gebrochener  :heul: - Daumennagelkratzer aus lokalem Flint:

wühlmaus

Weiter geht es mit einem ebenfalls rundum retuschierten Klingenbruchstück ... vielleicht eine nicht ganz so spitz geratene Spitzklinge? - das spitzere Ende ist auf jedenfall intentional bearbeitet worden:

wühlmaus

noch ein paar Ansichten des gleichen Stücks:

wühlmaus

Jetzt mal mein neuster Coup von dieser Stelle  :smoke:

letzte Woche konnte ich dort meine erste, richtige Spitzklinge finden  :jump:

wühlmaus

na ja, nicht unbedingt eine ebenmäßige Schönheit ... aber hier noch ein paar Details:

wühlmaus

So und jetzt noch was Keramik ...  :engel:

hier ein Ufo, dass ich beim besten Willen nicht zuordnen kann:

Augenscheinlich vorgeschichtliche Keramik, läßt sich mit dem Finger ritzen ... aber die Form?

Ein Fragment eines Tonröhrchens

wühlmaus

... und hier - klein aber fein - das verzierte Fragment eines Glockenbechers - bislang mein einziges!

wühlmaus

Last but not least ... zwei paläolithische Verdachtsfälle ...
eine Spitze und ein dick weiß patinierter Abschlag ...

wühlmaus

... zuerst hatte ich das Gerät für eine stark verrollte und kreiseleggenmalträtierte, neolithische Spitzklinge gehalten

wühlmaus

... aber das passte irgendwie hinten und vorne nicht ...

Hier mal ein Bild des dickeren Endes, der retuschierten Seite und der breiten, unretuschierten Seite

wühlmaus

... die Diskussion auf Heimdall ging bei dem Stück in Richtung Paläolithikum, bei unserer örtlichen Bodendenkmalpflege wurde diese Vermutung geteilt.
Bis jetzt hab ich es aber nur geschafft per Email mit einem auf die Altsteinzeit spezialisierten Archäologen Kontakt auf zu nehmen, von den Bildern her tippte er auf Altpaläolithikum ... Meldung beim LDA steht noch aus ...

So und jetzt ist es hell draußen und ich geh ins Bett ...

Ich hoffe das Schauen hat Euch Spaß gemacht

:gn
Gerd

Khamsin

Salaam!

Die Beilklinge ist - erst recht in dieser Grösse und Erhaltung - natürlich exquisit; lieber alle 1000 Jahre einmal ein solches Stück finden, als jede Woche einen Haufen "Schrott"! Wobei natürlich klar sein muss, dass der "Schrott" auch wichtig ist. Also am liebsten jede Woche beides. Aber da spielt der grosse Kulissenschieber allem Anschein nach nicht mit. Khismet...

Das Rohmaterial der Beilklinge ist keinesfalls rheinisch, südniederländisch oder belgisch. Ich habe da eine Vorstellung, aber warten wir erstmal ab, was RP dazu sagt. Maus, was meinst Du denn?
Alles in allem ein sehr interessanter Platz, der unbedingt weiter beobachtet werden sollte.

Beste Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

steinadler

 :prost:ja wirklicht top stücke ...... gefallen mir !!!!

mfg
petersen
ich glaube an gott , aber keine bestimmte religion !

schaut mal rein : http://yggdrasil-online.de/cms/

wühlmaus

Hi Khamsin  :winke:

... Du erwichst mich bei meinen nicht gemachten französisch Hausaufgaben ...  :engel:
In der Tat war es so, dass bei der damaligen Vorlage beim zuständigen Amt für Bodendenkmalpflege - vor schlappen 20 Jahren - als Rohmaterial für die Beilklinge Rijckholtflint vermutet wurde. Ob der gute Weiner das Stück in den Händen hielt, weiß ich aber heute nicht mehr ... :heul:  :engel:

Ich hatte das Beil ja schon in Heimdalls Hallen gezeigt. Damals hattest Du auch schon den Verdacht geäußert, dass das Stück aus dem üblichen Rohmaterial unserer Breiten ausscheert und das die Herkunft eher im französischen Raum zu suchen ist. Ich erinnere mich noch an das Schlagwort "Silex Rubané" ... allerdings bin ich ein lausiger Französisch-Schüler ... selbst intensivstes googeln hat mich hier nicht weitergebracht ...  :platt: :engel:

:winke:
Gerd

rolfpeter

#21
Servus Freunde,
das ist ja wirklich eine Wuchtbrumme  :irre: Ich würde sagen, es handelt sich um die Mutter aller Beilklingen! Neidlose Gratulation!
Die Idee mit Silex Rubané ist nicht schlecht. Das Material nennt sich heutzutage "Silex de Rhomigny Lhery", nach dem Ort des Vorkommens in der Champagne. Ich selbst habe leider kein Belegstück, habe aber ein Foto von einer Klinge aus besagtem Material. Am komenden Freitag besuche ich einen Sammler, der wohl Fundstücke aus Rhomigny-Lhery Feuerstein besitzt, dann kann ich näheres sagen.
Hier ist das Foto der Klinge:



Allerdings habe ich im mittelfranzösischen Grand Pressigny, im dortigen Museum eine Beilklinge gesehen, die auch eine solch "wolkige" Maserung hat, die ist wohl aus einer Variante des dortigen, auch sehr weit verhandelten Flint hergestellt. Grand Pressigny-Flint gibt es auch in Varianten bis ins braun-bläuliche hinein.
Hier das entspechende Bild:



Die Klinge liegt übrigens auf einem Polierstein - auch Silex. In der Eingangshalle des Museums ist ein solcher Polissoir ausgestellt, groß wie ein halber VW-Käfer.

Oder es ist eben bräunlich patinierter Rijckholt-Flint, glaub ich aber weniger.
Nordischen Flint kenn ich nur von Bildern, sag ich nix zu.

Alles wirklich sehr schöne Artefakte!
Hier ist noch ein Link zu den Fotos eins französischen Sammlers aus den Departement Yonne. Gehst Du dort zu den Beilen (Haches), findest Du wunderschön zonierte Silexklingen.
http://minosetfred.blog4ever.com/blog/index-15703.html

Hier ein dort "geklautes" Foto aus verdächtigem Material:


und noch ein französische Link, das virtuelle Museum der fleißigen französischen Steinesammler:
http://www.archeo.fr.tc/
und ein weiterer von einem französischen Sucherforum, hier die nichtmetallischen Funde; Die Franzmänner sind ja auch nicht ohne!
http://www.la-detection.com/dp/nometal.htm
:


Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

wühlmaus

Hi RP  :winke:

Danke für die Links! Ich klick mich gerade durch, allerdings ohne Französischkenntnisse ist das eher wie ein Blindflug durch böhmische Epochenwälder bei mir ...  :irre:  :engel:
http://minosetfred.blog4ever.com/blog/lesphotos-15703-10026.html scheint schon recht Nahe zu kommen ...

Es wird wohl noch einiges an Zeit brauchen, bis ich unsere lithischen Rohmaterialien begreife ... bis jetzt bin ich da noch im staunenden Stadium des Erstklässlers, der gerade mal seine Maaseier und das kleine Einmaleins der Frostsprünge beherrscht ...  :zwinker:

"Silex de Rhomigny Lhery" hatte ich auch per Suchmaschine gefunden ... leider war der Text frankophon ...  :heul:

:winke:
Gerd

Silex

Superfunde , wühlmaus! Und Superlinks
Zu dem Keramikröllchen wollte ich nur anmerken dass solche (Fast)Randscherben mit dieser Biegung bei uns von der Vorgeschichte bis zum Frühmittelalter durchaus noch im Geläufigkeitsbereich  liegen.
Das alte Trumm wurde von den Fachleuten nicht eindeutig bestimmt???
Ich hoffe da tut sich noch was.....auf dem Acker ...oder bei der Recherche... oder beim richtigen  Archäologen. Am Besten alles  zusammen.
Bis bald

Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

wühlmaus

Hi Edi  :winke:

ZitatZu dem Keramikröllchen wollte ich nur anmerken dass solche (Fast)Randscherben mit dieser Biegung bei uns von der Vorgeschichte bis zum Frühmittelalter durchaus noch im Geläufigkeitsbereich  liegen.
Das tun sie bei uns ja auch ... nur bei diesem Teil ist eben nur der "Knick" zu sehen, aber keine "Gefäßwölbung" ... ist ein bißchen vertrackt mit Worten zu beschreiben ... Es macht tatsächlich den Eindruck eines Röhrchens ... kann natürlich auch daran liegen, dass Aufbaukeramik eben nicht exakt kreisrund ist  :irre: ... und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr gebe ich Dir Recht ...

:winke:
Gerd

Khamsin

Salaam!

Yep, kann es wundern, dass uns der umtriebige RP nicht nur mit seinen Funden, sondern auch immer einmal wieder mit vorzüglichen Hinweisen zeigt, "wo Bartel den Most holt". Alle Achtung und verbindlichen Dank! Da kommt man schon in mancherlei Hinsicht ins sehr positive Grübeln...

@Gerd: OK, wie dem auch sei, vor "schlappen 20 Jahren" ging es beim damals gerade selbständigen, d.h. als ehemalige Abteilung des RLMB ausgegliederten neuen Rheinischen Amt für Bodendenkmalpflege munter her. Alles wurde neustrukturiert, es gab einen kommissarischen Leiter, und der "gute Weiner" war damals Abteilungsleiter und hatte kaum genug Zeit, um sich um Steinarterfakte zu kümmern. Was seinerzeit "zum Amt" kam, landete tradtionell nach wie vor im RLMB, und die Steinzeit war da von zwei Männern abgedeckt. Dazu gehörte RPs heutiger "Ampf" aber nicht!

Ich würde Dein Konvolut der zuständigen Aussenstelle des RAB melden, m.E. müsste das in Deinem Falle Overath sein, oder? Soviel man hört gibt es eine gute Zusammenarbeit zwischen J. Gechter-Jones und J. Weiner, so dass bei Rohmaterialfragen Letzterer im Zweifel von Ersterer kontaktiert würde.

Wie auch immer Du Dich entscheiden magst, steht aber für mich eines fest: Selbst vor "schlappen 20 Jahren" hätte J. Weiner das Material Deiner Beilklinge nicht als Rijckholt-Flint ansprechen können. Dafür ist er zu sehr durch die "Kölner Mühle" konditioniert worden!

Beste Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

wühlmaus

Hi Khamsin  :winke:

... tja was soll ich dazu noch sagen?

Die Stelle stand eh wegen dem Paläolithikum-Verdachtsfall auf meiner Melde-Agenda...  :hacker:
Das Beil bekommt dann in meinem Bericht auf jedenfall nochmal einen Extra Vermerk wegen dem Rohmaterial!

Mannomann, mir schwirrt im Moment vor lauter Springerei zwischen den Epochen mächtig der Schädel ...
Da bin ich heilfroh, dass ich Euch hier habe!

:winke:
Gerd





dappeler

Hi wühlmaus,
wirklich ein erstaunlicher Fund!
Was hat es denn bitte mit den Scherben unten links neben der "Wuchtbrumme" auf sich, die sehen so klein und unscheinbar aus :-)
Lassen die sich bestimmen, so klein wie die sind?
dappeler
Eins bist du dem Leben schuldig, kämpfe oder trags mit Ruh -
Bist du Amboss, sei geduldig, bist du  Hammer schlage zu!

wühlmaus

Hallo dappeler  :winke:

bis auf die verzierte Becherscherbe (becher.jpg), die man sehr präzise in die Zeit der endneolithischen Glockenbecherkultur datieren kann, lassen sich die restlichen Scherben nur vage als vorgeschichtlich bestimmen.

Mit vorgeschichtlichen, unverzierten Wandscherben verhält es sich im Grunde genauso, wie mit einfachen Abschlägen und Kernresten:
Ihre primäre Aussagekraft beschränkt sich darauf Siedlungsanzeiger zu sein. In zweiter Linie kann man mit ihrer Hilfe die Ausbreitung des Fundplatzes annähernd nachvollziehen ...
Für eine genauere zeitliche Bestimmung eines Fundortes taugen sie eigentlich nicht ...  :heul:
(Es sei denn man hilft mit einer teuren, naturwissenschaftlichen Keramik-Analyse nach - siehe zB. hier: http://www.sucherforum.de/index.php/topic,20694.msg128222.html#msg128222 )

Der Grund dafür liegt in den über mehrere Jahrtausende hinweg gleichbleibenden Herstellungsverfahren. Verwendet wurden lokal anstehende Tone für den sogenannten Grubenbrand ( siehe als Beispiel: http://www.sucherforum.de/index.php/topic,19777.0.html ), da sich die Luftzufuhr bei diesem Verfahren nur schwer regeln läßt schwankt die Farbpallette von vorgeschichtlicher Keramik zwischen Rottönen (viel Sauerstoff) über Braun- und Grautöne bishin zu Schwarz (wenig Sauerstoff). Zudem ist das Gros der vorgeschichtlichen Töpferwaren handgeformte Aufbaukeramik ( http://www.ausgraeberei.de/woerterbuch/index.html?Infodeu/wulsttechnik.html ), sodass das äußere Erscheinungsbild von unverzierten Wandscherben über alle Epochen hinweg fast uniform ist ...

:winke:
Gerd