Mesolithisches

Begonnen von rolfpeter, 26. Februar 2007, 21:07:03

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rolfpeter

Servus Freunde,

bin gerade dabei, meine Sammlung neu zu ordnen und dabei nimmt man ja jeden Stein in die Hand.
Dieses Teil hier lief bis heute als Klinge. Ist es ja auch in gewisser Weise, aber in Wirklichkeit scheint es ein Korrekturabschlag vom Lamellenkern zu sein. Die Bulbusnegative am Distalende sind mir jetzt erst aufgefallen.
Liege ich richtig mit meiner Vermutung?
Wenn ja, werden die Korrekturabschläge immer "von unten" gemacht?

Ihr werdet es bestimmt wissen!



Die Bulbusnegative:



Und eine Seitenansicht:



Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Salaam!
Richtig erkannt, das Ergebnis einer Korrektur, letztlich auch eine Klinge. Grund?: Auf der Dorsalfläche sind zwei sog. Treppenbrüche erkennbar. Die verhinderten offensichtlich einen weiteren erfolgreichen Klingen-/Lamellenabbau. Lösung: Flugs diesen Teil der sog. Abbaufläche vom Kernfuss aus in die entgegengesetzte Richtung abgetrennt. Damit war zwar ein Teil der für jede erfolgreiche Klingenproduktion notwendigen Querwölbung an der Abbaufläche verloren, zugleich waren aber zwei potentielle Leitgrate für weitere Klingenabttrennung in Form der Längskanten des an der Abbaufläche entstandenen Negatives hergestellt.

Und nein, Korrekturen wurden nicht generell "von unten" vorgenommen! Es kam immer darauf an, was man herstellte. Daraus folgt, dass es bei allen Arbeitsabläufen (sog. chaine opératoire) immer einmal zu sog. Schlagunfällen kam, sei es durch Fehler im Material, sei es durch schlichtes handwerkliches Versehen oder Unvermögen. Konsequent heisst das, dass es Korrekturen bei der Herstellung von allen sog. Kerngeräten (Faustkeile, Beilklingen aller Formen und aus allen Gesteinsarten, sog. Kerndolchen) sowie von sog. Grundformen (Abschlägen, vor allem aber Lamellen und Klingen) nachweislich gibt.
Die besten Beispiele liefert die Klingenproduktion, da diese relativ komplex ist. Der wichtigste Grund für Korrekturen am Kernstein ist die unverzichtbare Forderung nach einer jeweils erforderlichen Quer- und Längswölbung der Abbaufläche. Das gilt für alle Kernsteinformen des JP vom Aurignacien bis zum - und besonders dort  - Magdalénien (längste nachgewiesene Klingen mit 60 cm von Etiolles/F), den mesolithischen Winzlingen genauso wie für LBK und MN Klingenkerne, selbstredend für die wunderbaren MK-Kerne bis schliesslich zu den unglaublichen "livre de beurres" aus Flint von Le Grand Pressigny/F sowie - und das sollte man nicht vergessen - zu den mesoamerikanischen Klingenkernen des 15. und 16. Jh. AD aus Obsidian. Ooops, vergessen habe ich noch die chalkolithischen Klingenkerne des Varna-Horizontes (Bulgarien), die Klingen bis zu 50 cm Länge geliefert haben oder die levantinischen ("Middle East") PPN Kerne mit zwei Schlagflächen...
Bei Treppenbrüchen auf den Abbauflächen hilft fast immer nur eine Korrektur aus Richtung Kernfuss. Aber es gibt auch Beispiele für seitliche Korrekturen in solchen Fällen.
Sehr wichtig sind schliesslich auch die LBK-typischen sog. Kernscheiben. Sie sind nichts anderes als eine notgedrungene Korrektur einer nicht weiter nutzbaren Schlagfläche.

Eine skurrile und einzigartige Korrektur eines Treppenbruches an einem LBK-Klingenkern wurde vor vielen Jahren von Louis Eloy aus Belgien berichtet. Dort war der Treppenbruch derart dick, d.h. die Entfernung zwischen dem Negativ der teilweise erfolgreich abgetrennten Klinge und der höchsten, äusseren Stelle des nicht weiter abgetrennten, noch am Kern sitzenden Teiles rd. 1 cm gross, so dass der Steinschmied einfach sein Geweihzwischenstück auf die "Stufe" aufsetzte und erfolgreich den restlichen Teil als Klinge abgetrennt hat. Und so ergaben sich am Kernstein in einer Abtrennrichtung zwei hintereinander liegende Negative, jedes mit Bulbuseinwölbung, ein oberes von der Abbaukante bis zur Stufe, und ein unteres von der Stufe bis zum Kernfuss!
Dieses Beispiel war seinerzeit insofern unglaublich wichtig, als dadurch die Zwischenstücktechnik (Punch-) indirekt nachgewiesen worden ist. Denn es war natürlich völlig unmöglich, mit direkt hartem Schlag auf die kleine Fläche der Stufe die untere Klinge erfolgreich abzutrennen. Ja, es gab damals Leute, die der Ansicht waren, man habe LBK-Klingen in direkter harter Schlagtechnik gewonnen.

Beste Grüsse KIS


   
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Danke für den sehr informativen Beitrag, immer wieder mitreißend!
Hier habe ich noch eine Klinge, die auch aus einem "verunglückten" Kern geschlagen wurde. Allerdings nichts mesolithisches, sondern MK. In der Mitte kann man die Treppe erkennen. Bei der Klingenbahn u.l. meine ich auch ein Bulbusnegativ zu erkennen. Das Stück war sicherlich trotz der Mißbildung einst eine veritable Klinge, die Ausbrüche an der rechten Seite sind rezent und auch der distale Abbruch ist modern.



Beste Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Silex

Vielen Dank für´s Schauen- und Lernenlassen
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Khamsin

Salaam!

Naklar, kann es wundern, dass RP aus seinem Fundus hier noch weiter etwas beitragen kann?
Tendenziell entspricht diese Klinge ja bestens dem früher beschriebenen Thema.

Weiterhin Finderglück und beste Grüsse KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"