glockenbecherzeitliche Stelle

Begonnen von wühlmaus, 21. Dezember 2006, 00:27:30

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wühlmaus

Hi

hab mich am letzten Freitag, Samstag und Sonntag in steinzeitliche Gefilde begeben und mir einen Acker angeschaut, der in einer Publikation vom Anfang der 80'er als glockenbecherzeitliche Fundstelle veröffentlicht wurde (datiert durch den Fund einer Armschutzplatte). 
Freitags brauchte ich etwa 2 Stunden um so etwas wie einen Streungsanfang zu finden. Sowohl Koordinaten, wie auch Einzeichnung auf der Topokarte wichen um etwa 70m vom eigentlichen Streungsbeginn ab.  :wuetend:
Samstags brauchte ich dann etwa 3-4 Stunden um mir selber ein Bild von der wirklichen Ausdehnung der Streuung zu machen ...  :cool1: und Sonntags nochmal so lange, damit ich sie auch einigermaßen genau abgegangen bin  :-D

Was soll ich sagen ... für ca. 10 Stunden war das Ergebnis eher mager. Aber der Acker war auch nach der Rübenernte noch nicht umgepflügt ... Außerdem war es schweinekalt und windig ... Montags und Dienstags konnte man mich vergessen ... Rückenschmerzen ohne Ende ...

Hier mal die "Ausbeute":

3 Kerne
7 Abschläge
6 Absplisse



wühlmaus

Ein Miniabspliss von einer Flintbeilschneide und zwei Klingenfragmente ...

wühlmaus

Als einziges einigermaßen vollständiges Werkzeug fand sich dieser Winzling von Klinge:

wühlmaus

#3
und last but not least die obligatorischen unverzierten Wandscherben + Hüttenlehm. Man solls kaum glauben, aber gerade die Scherben haben mich besonders gefreut. Basis für die Alt-Publikation waren nämlich die Funde von 2 Privatsammlern, die scheinbar auschließlich Steinwerkzeuge sammelten. Bis jetzt war kein Fitzelchen Keramik von diesem Platz bekannt. 

wühlmaus

Was soll ich sagen? Trotz der unspektakulären Fundquote und meinen beleidigten Bandscheiben hat es einen Heidenspass gemacht ...

Nach dem Pflügen wird man mich garantiert dort nochmal sehen ...

:gn

das Wühlmäusle

Khamsin

Salaam, Mäusle!

Also, diese Stelle ist nun wirklich mal was ganz Besonderes. Solltest Du die Zeit und die Nerven finden, dann sammel da unbedingt weiter. Und ich stimme Dir nur zu gerne zu: Die Keramik ist es! Egal wie die aussieht und erhalten ist!

Mit allen guten Wünschen für weiteres Finderglück
und herzlichen Grüssen an den linken Niederrhein

KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

wühlmaus

@ Khamsin

Was das angeht hab ich Nerven wie Drahtseile ...   :cool1:

Ich bin im Moment dabei meine eigenen Funde mit den Stellen dieser Publikation zu vergleichen. Ist auf jedenfall spannend!!!

Gibt noch eine andere "Becherzeitliche Stelle" unter meinen Fittichen. Die wurde nicht in dem dicken grünen Buch mit den lustigen Steinbruchabfällen veröffentlicht. Erster Entdecker war wohl ein Herr Giertz. Meinereiner ist aber irgendwann einmal selbst darauf gekommen ... Diese Stelle werd ich mir in den nächsten Tagen auch nochmal zu Gemüte führen ...

wenn was kommt seht ihr es dann hier ...

ciao
das Wühlmäusle

Silex

Servus Wühlmaus,
Endlich abgenudelte bis zur  Unkenntlichkeit entstellte Keramik- das Los jedes Sammlers- .....Ich bin direkt erschrocken - es könnte ein (undatierbares)
Tagesfundbild von mancher  meiner Fundstellen sein......
Ähnliche hab ich auch im Fundus- aber keiner traut sich drüber- ist ja auch logisch-
Ich möchte die Dinger mal in der Hand haben....die Wandscherbe rechts oben schaut nach Bronzezeit aus  (nachdem was mir die Archäologen erzählt haben)- aber ich würde  dabei absolut nichts darauf verwetten. Aber Du hast die Büchse schon mal weiter aufgetan die diese Fundstelle  seit fernen Äonen umweht. Und natürlich würde mich interessieren wie die Fachleute diese Wandscherben einschätzen----- ich freu mich drauf
Es ist zwar archäologisch gesehen ein Graus aber ein kommender Ackervorgang wird Dir  in den hellrot- dunkelbraunen Ausschürfungen Gewissheit bringen- was verloren ist .
Und als ich noch jung war ging ich bei Starkwind und mit kurzer Jacke bei 2 Grädern mit Sohn auf den Acker.
Er musste mich anschließend ins Auto falten und es dauerte sehr lange bis ich wieder annähernd ein menschenähnliches Wesen war.


Halt uns auf dem Laufenden
Danke
Edi
Die Hoffnung trübt das Urteil, aber sie stärkt die Ausdauer.

Loenne

Hallo Wühlmaus,

herzlichen Glückwunsch!

Das sieht ja so ähnlich aus wie mein "Haufen" vom letzten Wochenende.

Statements zu den Funden überlasse ich aber lieber den Leuten, die etwas davon verstehen.

Mit weihnachtlichen Grüßen
Loenne
Mundus vult decipi, ergo decipiatur
www.scheibenknopf.de                

Khamsin

Salaam!

@Mäusle: Jetzt hast Du mich aber neugierig gemacht. Was ist das denn für ein "dickes grünes Buch mit lustigen Steinbruchabfällen"? Man kann ja nicht alles kennen.
Beste Grüsse
KIS
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

wühlmaus

Hi Khamsin

ich meine J. Brandt, Archäologische Funde und Denkmäler des Rheinlandes, Bd. 4, 1982

Es ist das etwa 400 Seiten starke Ergebnis der archäologischen Landesaufnahme der steinzeitlichen Fundstellen im Kreis Neuss. Da die eigentliche Feldarbeit etwa 10 Jahre vor der Publikation abgeschloßen wurde, spiegelt das Buch also etwa den bekannten Bestand von allerspätestens 1975 wieder.
Sozusagen das lithische Urkataster meiner Heimat!  :-D

Ein bedeutender Teil dieses Buches ist Quarzitfunden vom Liedberg gewidmet (insgesamt 27 Din A 4 Tafeln mit Zeichnungen von Faustkeilen, Nasenschabern und sonstigen Zinken) .  Die in dieser Publikation als paläolithisch vorgestellten Funde sind mitlerweile alle als Steinbruchschrott, röm. Bautrümmer bzw Geofakte "enttarnt" (siehe Jürgen Thissen, Das Mittelpaläolithikum vom Liedberg, Bonner Jahrbücher 193, 1993). Ich hatte mal das Vergnügen kurz mit Hr. Thissen über die ganze Geschichte zu reden. Er meinte, bei der Nachbearbeitung des Fundstoffes von 1990 hätte sich sehr schnell rausgestellt, das viele der Fundzeichnungen schlichtweg "geschönt" waren und ein Privatsammler sogar soweit ging und einen angeblichen Quarzitfaustkeil, den er zur Begutachtung vorlegte, mit dunkeler Schucreme nachpatiniert hat, um frische Brüche zu kaschieren. (Steht alles inkl. Kriminaltechnischem Bericht in dem Jahrbuch Artikel. )
Da Liedberger Quarzit ein sehr beliebtes Baumaterial unserer lokalen Römer war, werde ich auf jeder röm Trümmerstelle unserer Gegend an die ganze Geschichte erinnert.... Ein hervoragendes Material für Pseudo-Artefakte.  :irre:  :narr:

Dieses unrühmliche Kapitel schmälert aber mitnichten den Wert des "dicken grünen Buches"!!! Ich habs mir erst vor zwei Wochen nachbestellt (mein erstes Exemplar ging vor etwa 15 Jahren verloren) und es hat sich bereits in der kurzen Zeit für mein heutiges Suchgebiet als eine unschätzbare Bereicherung erwiesen. Die Fundortangaben sind zwar generell etwas ungenau (siehe oben), aber was solls? Ich will ja kein Hopper von bekannter Stelle zu bekannter Stelle sein, sondern die Veröffentlichung so nutzen, dass ich nicht mehr im "luftleeren Raum" suche ...

ciao
das Wühlmäusle

Khamsin

Salaam Maus!

Na klar, mit etwas mehr Denken hätte ich eigentlich auch drauf kommen können. Herzlichen Dank für den Hinweis!

Für die Forschungsgeschichte im Rheinland ist der Artikel von Jürgen T. ausgesprochen wichtig. Dass die Klöpse überhaupt in das Buch Eingang gefunden haben, hat einen klaren Grund:
Die Autorin Johanna Brandt war seinerzeit geschieden von K.-H. Brandt, der später in Bremen tätig war (Diss. über Äxte und Beile mit einer gnadenlosen Klassifizierung, die uns heute noch nachhängt). Jedenfalls musste seine geschiedene Frau Geld verdienen, um sich und die putzigen Kleinen über die Runde zu kriegen. Das wiederum blieb dem damaligen Direktor des Inst. UFG Köln nicht verborgen, und so hat H. Schwabedissen eingefädelt, dass Frau Brandt dieses Buch als Auftragsarbeit geschrieben hat.

Nun fügte es sich, dass Schwabedissen seinerzeit schon mit Alfred Rust im Norden sowie mit Itermann im Rheinland zwei Jungs kannte, die im höheren Alter abgelutschte Klöpse, "Nasenschaber" und verwandten Krampf (Rust am weissen Kliff in meiner Heimat Sylt, Itermann in den "Weber-Kiesgruben" in der Tevener Heide) sammelten und mit "Teddy" Schwabedissen diskutierten.
Jedenfalls war Letzterer mit zunehmendem Alter auch ein Verfechter "ältestpaläolithischer Artefakte", darunter auch Stücke vom Liedberg.
Schwabedissen ermöglichte also J. Brandt die Auftragsarbeit, allerdings unter der Voraussetzung, dass sie auch die unsäglichen Klöpse vom Liedberg entsprechend behandeln würde...

Mäusle, sollte also nochmal jemand was Entsprechendes zu den Liedbergoida behaupten, antworte doch einfach mit folgendem Sprichwort aus dem unerschöpflichen Schatz der arabischen Welt:

"Il Kelb embah ul kemel maschi!".

Das gilt übrigens nicht nur für diese Situation, sondern lässt sich immer einmal wieder mit Gewinn anwenden! Ach so, was das heisst?

"Der Hund bellt, aber das Kamel schreitet unbekümmert weiter!".

Beste Grüsse KIS     
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

wühlmaus

Hi Khamsin

mit dem Hintergrundwissen wird mir einiges klarer ...
Vor einiger Zeit hatte ich ein längeres Gespräch mit einem Uralt-Oberflächensammler, der auch mit vielen Funden am Material dieses Buches beteiligt war. Der meinte auch "der armen Frau Brandt, der haben se damals jaanz übel mitjespielt ... "

An dem Namen Schwabedissen ist die Karawane glaub ich schon meilenweit vorbeimarschiert ...

... aber oft, wenn ich mich auf meinen Drahtesel schwinge und es wieder in die Felder geht, muß ich an Rusts legendäre Fahrradtour in die Türkei denken ... wenn da heute bei einer solchen Aktion nicht hunderte von Jahren Knast auf mich warten würden, wäre ich geneigt es ihm gleich zu tun - so ungefähr wie in dem Udo Jürgens Song "Ich war noch niemals in New York" (oder wars Paris? auf jedenfall mit abgewetzten Jeans in San Francisco ... usw.) Aber wem erzähl ich das?

Salaam an den Wüstensohn

ciao
das Wühlmäusle

Khamsin

Aleiküm salaam, Maus!

Ja, wenn man das bedenkt, was Rust da 1930 gemacht hat, unglaublich heutzutage! Und der hat die Türkei nicht nur erreicht, sondern hat sie halb durchquert und ist dann nach Süden abgebogen, bis er schliesslich im heutigen Syrien ankam. Dort wurde er krank, kam ins Hospital und genoss während seiner Genesung den immer gleichen Blick aus dem Fenster auf eine Höhle, die ihn dann nicht mehr loslassen sollte. Das war (und ist) die berühmte site von Yabrud (weiter mit Google bzw. Wikipedia).
Vor diesem Hintergrund muss doch die Ralley Paris(?)-Peking mit Werksteams von MB verblassen.

Leider hinderte das aber die Natur nicht daran, dass sich im Laufe der Jahre, vor allem der späten, die Rustsche Nase immer mehr zusetzte.
Und so sah dieser sich gezwungen, auf die Suche nach "Nasenschabern" zu gehen. Und man weiss ja, nicht zuletzt durch agersoe, "Wer suchet, der findet"... 

Beste Grüsse KIS 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"