Zerbrochener Kernstein? (Kernfußklinge)

Begonnen von rolfpeter, 29. September 2005, 18:32:33

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rolfpeter

Hallo Freunde,

man findet zur Zeit nichts rechtes, es ist einfach zu trocken. Alles nur staubgrau. Trotzdem ist mir dieser Sonderling heute in die Tasche gewandert.

Material ist grauer Flint.
Größe ist 67*32*30 mm

Man erkennt dorsal ausgeprägte Negative. Ventral eine einzige gebogene Fläche. Malheur beim Abschlagen? Egge?

Könnte doch ein verhunzter Kern sein?
Was meint ihr?

Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Moin R.-P.!
Klasse Bilder! Lass mich mal raten: Die auf dem linken Bild nicht erkennbare konkave Fläche müsste glatt sein und Wallnerlinien von der unteren Spitze nach oben verlaufend aufweisen, folglich also eine Ventralfläche sein. Daraus folgte steintechno-logisch, dass an der unteren Spitze ´n Schlagflächenrest läge; folglich wäre das ganze Stück cum grano salis ´ne Klinge (trotz der divergierenden Längkanten!). Solche Formen sind bestens unter dem Namen Kernfussklinge bekannt. Ist ´n klassischer "Schlag-/Produktionsunfall" bei der Klingenherstellung. Winkel zwischen Schlagfläche und Abbaufläche stimmte nicht, so dass zwar eine Klinge abgetrennt wurde, die aber in ihrem Verlauf dann den Kernfuss schräg abgetrennt hat. Ergo: Lägest völlig richtig mit Deiner Ansprache! Klär uns doch bitte mal auf, ob meine Vermutungen stimmen.
Beste Grüsse
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Ja, die Fläche ist glatt. Die Wallnerlinien lassen sich gegen das Licht gesehen nur erahnen - obwohl meine Lampen mit Markenstrom betrieben werden!  Aber alles in allem sieht es so aus, wie Du vermutet hast. Die Schlagwellen auf den Dorsalnegativen haben allerdings nicht alle die gleiche Richtung. Vielleicht wurde ja mal rechts, mal links geschlagen.

Danke
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Khamsin

Moin R.-P.!
Fein, danke! Unterschiedlicher Verlauf von Dorsalflächennegativen ist selbst bei Klingenkernsteinen mit nur 1 (!) Schlagfläche nichts Ungewöhnliches. Natürlich darf man bei solchen Kernsteinen grundsätzlich einen gleichgerichteten Verlauf der Negative auf der Abbaufläche erwarten. Nicht selten gibt es jedoch gegenläufige Negative unterschiedlicher Länge, die sich aber in aller Regel am Distalende des Kernes, d.h. am Kernfuss finden. Das hängt mit bruchmechanischen Gegebenheiten zusammen, die sich letztlich auf drei Faktoren bei der Klingengewinnung reduzieren lassen: 1. Die Längswölbung der Abbaufläche, 2. deren Querwölbung und 3. den Winkel zwischen einer (oder zwei) Schlagfläche(n) zur Abbaufläche.
Grundsätzlich ist eine Klingenproduktion in allen Zeiten (!!!) nur möglich, wenn die Abbaufläche eine Längswölbung besitzt!
Und hier schliesst sich der Kreis zu den gegenläufigen Negativen. Sie sind nämlich nichts anderes als Zeugen der Reparatur, besser der Wiederherstellung bzw. Korrektur der Längswölbung durch den ehemaligen Steinschmied. Wenn man das weiss, dann ist alles ok.

Wenn nicht, dann führt das, und zwar gar nicht so selten, auch bei savvy Archäologen zur Ansprache solcher Stücke als STICHEL (im Text und bei den Zeichnungen), und wegen häufig mehrerer gegenläufiger Negative werden solche Stücke dann als MEHRSCHLAGSTICHEL angesprochen. Tritt immer wieder auch bei neolithischen Stücken auf, obwohl es im Neolithikum generell keine Stichel gibt!
Beste Grüsse und Dank für die Einstellung dieses interessanten Stückes, das mich wieder mal aus der Reserve gelockt hat!
 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"