Was ist das?

Begonnen von stereocidaris, 02. Dezember 2011, 21:38:06

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stereocidaris

Hallo Leute,
hier mal ein Artefakt, bei dem ich mir nicht sicher bin, was es darstellt. Komplett beidseitig flächenretuschiert und evtl. für eine Schäftung zugearbeitet. "Mein" Archäologe stufte es als "vermutlich Sichel" ein. Was meint Ihr? Gefunden vor einigen Jahren bei Sassnitz/Rügen.
LG Stereocidaris

Der Wikinger

Nabend

Ich hätte gern ein Foto der anderen Seite und der beiden Enden gesehen.  :zwinker:

Der Wikinger


Vorläufig kann ich sagen, dass es mir sehr wie ein Feuerschlagstein aussieht.
Dieser Typ ist bei Peter Vang Petersen beschrieben.
Der Typ ist aus einem kassierten Sichel hergestellt, in sofern liegt also dein Archäologe richtig.
Datierung: Endneolithikum
Peter Vang Petersen, Flint fra Danmarks oldtid, abb. 252.

:winke:

thovalo

 :-)

Da gibt es nicht viel zu diskutieren!

Das ist ganz offensichtlich eine "geschulterte" Dolchklinge!
Wie kommt der Archäologe darauf das eine Sichel einen eigens abgesetzten Schäftungsdorn haben könnte?

Von einer Sichel und einem "Feuerschlagstein" sehe ich keine Spur,
da der Fundbeleg im Fall eines "Feuerschlagsteins" deutliche Verrundungen aufweisen müsste!   :glotz:


glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Der Wikinger

#4
Genau deshalb habe ich ja auch um Bilder der anderen Seite, und besonders der Enden gebeten.

Ich bemerke, dass der Fund aus dem Norden ist, und dort wäre dies keine Dolchklinge.
Dafür passt er aber genau in der von mir genannten Bestimmung.
Es handelt sich nicht um einen abgesetzten Schäftungsdorn, sondern um eine Zurichtung der Sichel um sie in ein Feuerschlagstein zu verwandeln.  

Übrigens beträgt die Länge wohl kaum mehr als 7 - 9 cm, und das wäre im Norden eine ungewöhlich kurze Dolchklinge !

Ich bin mir da nicht ganz sicher, ehe ich die "richtigen Spuren" auf dem Ende gesehen habe.

Ich werde mal weitere Fotos abwarten.  :winke:

stereocidaris

Hallo nochmal,
und danke für Eure Meinungen. Hier spiegelt sich nun genau meine Problematik bei der Einordnung des Stücks wider. Einerseits sagt der Kreisarchäologe "Sichel", und auch ein anderer Sammler, der sich recht gut auskannte meinte, es handele sich um eine Sichel, andererseits sieht es nach einer Bearbeitung für eine Schäftung aus. Feuerschläger wäre natürlich auch möglich, aber ich kann keine Spuren einer Verwendung als solchen erkennen. Das Stück ist übrigens 8,5 cm lang. Hier noch mehr Fotos.

stereocidaris


thovalo

Auf dem ersten Bild hat die schräge Ansicht den Eindruck einer Dolchklinge zusätzlich unterstützt!   :glotz:

Nach den neuen Bildern ist das allerdings immer noch kein "Feuerschlagstein" und wenn es eine zur Verwendung als "Feuerschlagstein" gezielt weiter zugearbeitete Sichel in offenbar bekannter "nordischer" Tradition ist, dann wurde die umgearbeitete Sichel, aufgrund der offensichtlich fehlenden charakteristischen "Nutzungsmerkmale", nicht (mehr) als solcher ("Feuerschlagstein") in Gebrauch genommen!

War vielleicht ein Weihnachtsgeschenk das den Empfänger nicht mehr erreicht hat?  :zwinker:


glG thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Ajo II

Die Fig. 252 (ildsten af fladehugget segl) nach Petersen (2008), umlaufend mit Retuschen verstärkt, kommt schon recht gut hin, wobei die ,,dolk/seglplanke" (Dolch/Sichel) Fig. 250 (bei Peterson ohne ,,Schäftungsdorn") auch recht gut passen könnte. Für Rügen sind die Vergleiche recht naheliegend. Nach Petersen sind bei den Feuerschlagsteinen im Verjüngungsbereich (basal) schlagspuren auszumachen.

Moonk

Hallo, das wird schon eine Sichel sein. Die wurden an einem Ende in einem etwas krummen Stock gesteckt (geschäftet).
Der Archäologe. hier beim Amt hat mir mal eine ähnliche Sichel gezeigt und ich fragte ihm warum bei einem Ende im Schneiden-bereich noch Kortex dran war. Er meinte das Stück wäre mit diesem Ende im Schaft gesteckt, deshalb hätte die Rinde da auch nicht gestört.
Ich habe auch irgendwo eine Zeichnung wie so eine geschäftete Sichel aussieht, nur finde ich das Bild auf die Schnelle nicht.

HG Moonk :winke:
Das Leben ist wie eine Hühnerleiter man kommt vor lauter ..... nicht weiter. HG Moonk

Steinkopf

Hallo in die Dolch- & Sichelrunde!

Zitat:
"Hallo, das wird schon eine Sichel sein. Die wurden an einem Ende in einem etwas krummen Stock gesteckt (geschäftet).
  Der Archäologe. hier beim Amt hat mir mal eine ähnliche Sichel gezeigt und ich fragte ihm warum bei einem Ende im   
  Schneiden-bereich noch Kortex dran war."

Zu dem oft anzutreffenden kleinen Cortex-Rest bei herausragenden großen Geräten wie Beilen, Sicheln und Dolchen
schreibt die niederländische Archäologin Annelou van Gijn in: Flint in Focus

"Not only the oversized axes often display such small piece of cortex, such is also the case with the Scandinavian daggers     
  and the sickles. This can be seen as some sort of signature, as there is no technological imperative not to remove these
  remnants of cortex"

Im Altmoränen-Bereich der Niederlande und Norddeutschlands mag dieser 'fesche' Cortex-Rest
eine Art Markenzeichen für Importflint gewesen sein, der die Hochwertigkeit herausstellte.

Ein interessanter Gedanke - warum soll der Markenfetischismus erst bei uns auftauchen!

Schöne Grüße

Jan



Wutach

Interessant ist der Gedanke durchaus! Und wer weiss, vielleicht stimmt es ja sogar. Vielleicht ist es aber auch total falsch. Vielleicht steht der Kortex für das feste Land und die Retuschen repräsentieren das Meer. Es dürfte der niederländischen Archäologin schwerfallen, auch nur ernsthafte Indizien für ihre Hypothese vorzulegen.

LG Marc.

Steinkopf

Hallo Marc!

Lass uns mal bitte seriös bleiben!

Es geht um keine globale Kosmologie der Deutschländer sondern um das Gebiet
der nördlichen Niederlande und ich schließe mal den westlichen Teil der Norddeutschen Tiefebene mit ein.

Es ist eine Altmoränen-Landschaft mit dem nur qualitativ schlechtem Flint der vorletzten Eiszeit.

Für größere und anspruchsvolle Geräte (Beile, Sichel, Dolche) musste der Rohstoff importiert werden.
(Ich habe zwei meiner dürftige Beilfunde aus dem hiesigen Material hier eingestellt,
die eindrucksvoll zeigen, wie mickrig die Geräte aus dem Rohstoff der Altmoränengebiete sind.)

Bei der Durchsicht von Funden (z. B. 40 fein gearbeitete Sichel vom Trendelbusch bei Oldenburg
abgebildet auf S. 212 und weiteren abgebildeten Funden) fällt auf, dass die meisterhaft gearbeiteten Stücke
tatsächlich mehrheitlich diesen Cortex-Rest tragen.
Bei der feinen Arbeit dieser Werkzeuge hätte es dem Flintschläger keine Mühe gemacht,
das Ende 'sauber' zu retuschieren.

Soweit die Beobachtung, die - für diese Region - belegbar ist!

Warum in dieser Region bei solchen 'Meisterwerken' aus importiertem Material ein kleiner Cortexrand bleibt,
ist eine zulässige Frage mit der die Autorin sich beschäftigt hat.

Der Gedanke, dass der Cortexrand absichtlich auf die Importqualität hinweist ist eine Interpretation die
die Situation dieser Region einbezieht. Es ist keine Globale Aussage für den 'Deutschen Sprachraum'.

Ich werde bei günstigen Lichtverhältnissen einige Fotos meines Fundes einstellen, die zu dieser These passen.

Schöne Grüße

Jan

StoneMan

Zitat von: Steinkopf in 05. Dezember 2011, 01:06:50
...
Es ist eine Altmoränen-Landschaft mit dem nur qualitativ schlechtem Flint der vorletzten Eiszeit.
..
Moin Jan,

heißt das, dass größere Teile des schlechten Flints in dieser Altmoränen-Landschaft,
oder gar grundsätzlich keinerlei Cortex aufweist?
Denn nur dann könnte man es ja als "Markenzeichen" sehen.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

Wutach

Hallo Jan,

ich hab es ja nicht böse gemeint mit meiner Antwort. Ich finde solche Ideen auch durchaus interessant. Ich könnte sicher selbst ein Buch füllen mit ähnlichen Gedanken, die verschiedene ungewöhnliche Tatbestände in der Archäologie betreffen. Und von einigen Dingen bin ich persönlich auch felsenfest überzeugt. Mir ist aber dennoch bewusst, das viele dieser Dinge niemals schlüssig bewiesen oder auch nur wirklich plausibel gemacht werden können. Es handelt sich deshalb am Ende lediglich um reine Spekulationen.

Natürlich sollte irgendein bestimmter Grund vorhanden sein, warum bei ansonsten sauber gearbeiteten Artefakten häufig so ein Kortex verbleibt. Wenn man dann sagt, das dies den Gedanke nahe legt, das dieses wohl nur vorsätzlich so gemacht worden sein kann, ist das eine begründete Annahme. Die Interpretation als Signatur geht aber noch einen Schritt weiter, und ist überhaupt nicht zwingend. Das wollte ich deutlich machen. Hier wählt die Autorin einfach eine von vielen denkbaren Möglichkeiten als Erklärung aus, die ihr persönlich vielleicht am ehesten behagt oder am wohlgefälligsten erscheint. Dabei ist es aber möglich, das ihr noch nicht mal alle denkbaren Erklärungen bewusst sind.

Wenn dann gesagt wird, eine niederländische Archäologin schreibt: "This can be seen as some sort of signature" erweckt das den Anschein einer wissenschaftlich seriösen Aussage. Und das ist es ganz sicher nicht. Es sei ja jedem, auch einer Archäologin, gestattet, mal ein wenig ins Blaue hinein zu spekulieren, wenn dies entsprechend gekennzeichnet wird. Auch und gerade in einem Forum wie diesem höre ich mir solche Gedanken immer sehr gerne an. Wissenschaftliche Thesen sind dies aber nicht.

LG Marc.

PS Im übrigen finde ich deine Ausführungen sehr aufschlussreich. Allein, das Du hier diese Auffälligkeiten benennst und deine persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen einbringst, ist sehr dankenswert und inspirierend.

Ajo II

Sorry, nochmal etwas zum Thema Sichel vs Dolch. Hier ein recht kurzer, sehr schön gearbeiteter Dolch (nach Petersen Fig. 209_D) mit basaler Verjüngung aus der Lüneburger Fundregion.

LG

Steinkopf

@ Jürgen
In Nordwestdeutschland liegt Geschiebeflint, der den Transport der Saaleeiszeit hinter sich hatte, bevor
Permafrost und Wiederauftauen der folgenden Warm- und Kaltzeiten das Gestein weiter zermürbten.

Das an der Oberfläche zugängliche Material ist durch viele Umformungen der Oberfläche und
durch Frost in aller Regel so minderwertig, dass es für die größeren Geräte des Neolithikums
und der Bronzezeit nicht zu gebrauchen ist.
Natürlich kann auch ein frostrissiges Stück noch Cortex haben - um Deine Frage zu beantworten.

Für Beil, Dolch und Sichel musste qualitativ geeigneter Flint importiert werden.
Die Tatsache, dass das saalezeitliche Geschiebe von der gleichen (baltischen) Flintart ist,
wie die importierten Geräte oder Planken, maskiert diesen Import.
Hochwertiges Material wurde ja sogar bergmännisch abgebaut
                                                                      (Hov in DK, Rijkholt in NL und andere Plätze).
und dürfte eine Handelsware gewesen sein.
Interessant ist es dann herauszufinden, ob nur Fertigprodukte 'exportiert' wurden oder ob
das Material als Planken für die 'Heimwerker' in die Fremde ging.

Vergleich: Ein Rheinländer erkennt die unterschiedlichen Importe an der Feuersteinart
und kann daraus die Beziehungen, Handelswege usw. feststellen.

Mir fallen im Nordwesten nur der rote Helgolandflint und die Klingendolche aus der Umgebung
von Le Grand Pressigny ein, die klar erkennbar aus dem baltischen Material herausragen.
Letztere wurden nur als Klingen in die Ferne gebracht.

@ Marc
Das Buch "Flint in Focus" trägt den Untertitel: Lithic Biographies in the Neolithic and Bronzeage.
Die Verfasserin A. van Gijn erarbeitet anhand von datierbaren Fundkomplexen in den Niederlanden
(und manchmal auch dem angrenzenden Emsland) das Auftauchen, die Verwendung anhand von Gebrauchsretuschen oder auch das völlige Fehlen von Gebrauchretuschen und den Verbleib von
Artefaktgruppen in den verschiedenen Phasen des Neolithikums und der Bronzezeit.
Sie bezieht eine große Anzahl von gut dokumentierten Fundplätzen ein.

Soviel von der Altmoräne!

Jan




stereocidaris

Hallo alle zusammen,
es hat sich ja hier eine interessante Diskussion entwickelt- sehr schön.
Bei dem von mir gezeigten Stück mag ich übrigens nicht an Dolch glauben, da es so gar nicht den klassischen Dolchformen entspricht, und da es vor allem auch nicht spitz ist, was doch für einen Dolch (also hauptsächlich Stichwaffe) zutreffen sollte.
Die geschäftete Sichel fand ich da schon überzeugender, auch wenn ich so etwas nicht von Bildern her kenne.
LG Stereo

Steinkopf

Hallo Stereo!

Ich wollte mich schon bei Dir entschuldigen weil ich mit meiner Altmoränenproblematik
eigentlich nichts in Deinem Thread eines Rügen-Dolches zu suchen habe und zu Deiner
Frage auch nichts beigetragen habe. Doch das kommt jetzt:

Ich hab mehrere Fragmente die beidseitig flächig bearbeitet wurden und nicht eindeutig
zuzuordnen sind. Für Sichel (eine eigene Gruppe von recht unterschiedlichen Typen)
würden Glanz und/oder eine gewisse Krümmung sprechen.
Da bei der Sichelherstellung auch Bruch entsteht, kann ein Flinthugger mit einer 'Sichel' im Kopf angefangen sein - und nach dem Malheur mit Dolch oder zuguterletzt Pfeilspitze aufgehört haben.
Auch total vergurkte Exemplare landen im Fundinventar.

Und da sind wir bei einer Tücke die hier im Forum auch lauert:
Zitat:  "... da es so gar nicht den klassischen Dolchformen entspricht."

Museen, Bücher und Typologien präsentieren (fast) nur die vollkommenen,
idealtypischen Exemplare. Die Geräte des Alltags sind jedoch nicht nur von
den Alpha-Tieren der Flinthuggerei angefertigt worden.
Gerade bei den Dolchen gibt es viele Kümmerformen zum Teil auch aus lokalem Material.
Schau Dir Ötzis 'Stummeldolch' an! Auch auf Rügen werden nicht alle Dolche
'wie aus der Typologie ausgesucht' ausgesehen haben.

Eine klare Zuordnung kann ich hier auch nicht liefern.

Schöne Grüße

Jan




Saxaloquuntur

@ steinkopf. An deinem letzten Beitrag ist was Wahres dran. saxaloquuntur.