Klingenkern und Klingenfragment

Begonnen von Danske, 10. Oktober 2024, 23:20:03

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Danske

Guten Abend,

vom LBK-Acker in der rheinhessischen Toscana konnte ich einen unipolaren, konischen Klingenkern und ein mediales Klingenfragment auflesen.

Ich bin kein Flinknapper und kann daher nicht beurteilen, ob ein Abbau einer weiteren Klinge von dem Kern möglich wäre. Daher bin ich mir nicht sicher, ob es sich um einen Vollkern oder einen Restkern handelt.

Die Anhaftungen an dem Klingenfragment konnte ich durch Einlegen in 5-prozentige Zitronensäure über einen Zeitraum von 3 Stunden lösen.

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Danske

Hier das Klingenfragment, Länge 45 mm, Breite 20 mm,
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

hargo

#2
Betr. Klifra:
1002 + 1070.jpg = dorsal
1004.jpg = ventral

Erst auf den zweiten Blick zu erkennen auf 1072 die Anhaftungen, die du beseitigt hast.

mfg

RockandRole

Moin vom bayerischen Nizza  :winke:

das mit der Beurteilung ob Voll- oder Restern liegt wohl im Auge des Betrachters. Je nachdem, was man so gebraucht hat und wie die Skills waren, so ging man mit dem Stück um.

Bei uns heißt es, Anhaftungen deuten auf ein kürzliches Ausspflügen aus der originalen Lage hin. Diese verschwinden dann mit der Zeit im Pflughorizont.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Danske

Ja, 1070 und 1072 zeigen Dorsal- und Ventralseite vor der Reinigung, 1002 und 1004 danach. Hätte ich dazuschreiben sollen, sorry.

LG...
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Danske

Moin Daniel,

es ist schwierig zu beurteilen, was im Auge des Betrachters liegt. Hatte mal irgendwo gelesen, ich glaube bei Jürgen Weiner, dass ein Klingenkern dann als Restkern bezeichnet wird, wenn keine weitere Klingenerzeugung mehr möglich ist.

Was meinst du mit "die Anhaftungen verschwinden im Pflughorizont"? :kopfkratz:
Es handelte sich hier um eine Karbonatkruste, die mechanisch nicht oder wahrscheinlich nur mittels Skalpell und Beschädigung der Oberfläche zu entfernen war.

LG Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

RockandRole

Moin Holger,

diese Kruste sollte nur in Originallage bestehen bleiben. Ist der Fund einmal ausgepflügt, soll sie innerhalb weniger? Jahre dann verschwinden. So hab ich das mal gesagt bekommen. Sie ist also ein Indikator für kürzliches Auspflügen einer Originallage  :winke:

PS: Ein guter Steinschläger bekommt immer noch eine Klinge mehr ab wie ein nicht so guter  :zwinker:

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Steinkopf

Moin Holger,

einen Kern der akkkurate Abschlagbahnen zeigt hast Du da gefunden.
Daniel hat schon hat den Anspruch des Steinschlägers erwähnt.

LG
Jan


hargo

#8
Zitat von: Danske in 11. Oktober 2024, 09:03:54...Hatte mal irgendwo gelesen, ich glaube bei Jürgen Weiner, dass ein Klingenkern dann als Restkern bezeichnet wird, wenn keine weitere Klingenerzeugung mehr möglich ist.

...

Restkern:
Weitgehend vollständiger Kern, von dem aus diversen Gründen keine Grundformen mehr abgetrennt worden sind.

laut Weiner April / 2012

mfg

StoneMan

Moin,

@ Holger, was bitte meinst Du mit "Anhaftungen"?

@ Daniel, was bitte meinst Du mit "Kruste"?

Meint ihr beide dasselbe, also die Cortex (Kortex)?

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

hargo

Zitat von: StoneMan in 11. Oktober 2024, 23:50:15...

@ Holger, was bitte meinst Du mit "Anhaftungen"?

@ Daniel, was bitte meinst Du mit "Kruste"?

Meint ihr beide dasselbe, also die Cortex (Kortex)?

...

Bei "Anhaftung" setze ich auch ein Fragezeichen.
Kenne ich so nicht.
Was, wie immer, nichts heißen muß.

mfg

RockandRole

Schönen guten Morgen Jürgen,

mit Kruste meine ich diese Anhaftungen  :winke:


Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

StoneMan

Zitat von: RockandRole in 12. Oktober 2024, 07:31:54mit Kruste meine ich diese Anhaftungen  :winke:

Moin,

fragt sich jetzt, was Holger damit meint.  :winke:  :winke:

Worüber ich mich wundere, bzw. ich noch nie gehört habe, dass jemand Artefakte zum Säubern
in 5-prozentige Zitronensäure legt.

Ist das eine normale, fachliche Vorgehensweise?
Ich kenne das nur bei Fossilien.

Bei Artefakten hätte ich bedenken, dass dabei Merkmale verschwinden, die wichtig sind.
Beispiele dafür, Residuum von Politur durch Holz bzw. Knochen oder gar mikroskopische Rückstände
der Handhabung, vom (schmutzigen) Finger des Bearbeiters.

Das Reinigen von Artefakten mit Isopropylalkohol ist schonender und entfernt nur rezente Verschmutzungen.
Gebrauchspolitur / Sichelglanz wird davon nicht angegriffen.

Ob denn Zitronensäure unbedenklich ist, entzieht sich meiner Kenntnis.

Gruß

Jürgen
Was könnte wichtiger sein als das Wissen? fragt der Verstand.
Das Gefühl und mit dem Herzen zu sehen, antwortet die Seele.
Antoine de Saint-Exupéry

RockandRole

Servus Jürgen,

ich lasse sie bei mir definitiv drauf, sind sie doch selten und sehr wichtig.

Weil bei mir so ziemlich alles eingemessen ist, kann man dann bei dieser Stelle davon ausgehen, dass man dort evtl. noch Laufhorizonte bspw. des Neandertaler findet. Eine ziemlich wertvolle Information für eine Grabung.

Wir hatten auf anderer Stelle nicht so viel Glück. Da lag aber auch nichts entsprechendes vor.

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Danske

Hallo zusammen,

hätte gar nicht gedacht, dass die Sache mit den "Anhaftungen" so Wellen schlägt.

Ich hatte ja bereits geschrieben, dass es sich dabei um eine Karbonatkruste (besser: Carbonatkruste) handelt. Hätte vielleicht Kalkkruste als sekundäre Ausfällung von Carbonaten schreiben sollen. Einige meiner Fundstücke weisen solche Carbonatkrusten auf. Das liegt vielleicht auch an der Zusammensetzung des Bodens. Die Fundstelle ist Teil des ehemaligen Mainzer Beckens, einer Tertiärsenke mit kalkigen, mergeligen und sandigen Ablagerungen. Diese Ablagerungen sind von Löss bedeckt. Durch Erosion und landwirtschaftliche Tätigkeit gelangen des öfteren Kalkbrocken an die Oberfläche.

Diese Krusten haben nichts mit der Cortex zu tun. Sie sind sehr hart und haften fest an den Gesteinen an. Es mag sein, dass sie sich nach ein paar Jahren nach dem Hochpflügen ab- oder auflösen, allerdings bezweifle ich das.

Da ich jedenfalls nicht so lange warten wollte und eine Entfernung der Kruste mit einem Skalpell scheiterte, habe ich nun dieses Klingenfragment in die Zitronensäurelösung gelegt und konnte sehen, wie sich die Kruste sanft sprudelnd darin auflöste. Nach etwa 3 Stunden war die Kruste beseitigt.

In gleicher Weise bin ich mit einer kleinen Dechselklinge aus AHS verfahren, wobei ich hier vorsichtiger war und das Zitronensäurebad an einem kleinen, vollständig verkrusteten AHS-Bruchstück getestet hatte. Die Miniaturdechselklinge, mein bisher schönster Fund von dem Platz, zeige ich demnächst.

Ob die Verfahrensweise mit der Zitronensäurelösung wissenschaftlich in Ordnung ist, kann ich nicht beurteilen. Vielleicht sollte man die Anhaftungen an den Fundstücken lassen, mich haben sie aber gestört. Eine Veränderung an der Oberfläche der Stücke konnte ich nach der Reinigung nicht feststellen. Dem Amt hatte ich die Stücke im ursprünglichen und später im gereinigten Zustand gezeigt. Von dort kamen keine Beanstandungen, auch nicht zur Art und Weise der Reinigung.

Vor der Prozedur hatte ich Lutz Fiedler die Stücke gezeigt und ihn um Rat gebeten. Er war es auch, der die Anhaftungen als Karbonatkruste bezeichnete. Er meinte, eine Zitronensäurelösung sollte gehen, da nur das Carbonat angegriffen würde. Allerdings schlug er besser eine Reinigung mit einer anorganischen Säure, am besten Salzsäure, vor, um mögliche farbliche Beeinträchtigungen zu vermeiden. Mir war das allerdings nicht geheuer, daher griff ich zur Zitronensäure.

@ Daniel: Warum sind diese Carbonatkrusten auf den Artefakten sehr wichtig? :kopfkratz: Und selten sind die, zumindest bei mir, nicht wirklich.

Liebe Grüße
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

Danske

Moin Jürgen,

danke für den Tipp mit dem Isopropylalkohol zum Reinigen der Artefakte. Werde ich mal ausprobieren.

LG
Holger :winke:
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.

RockandRole

Hey Holger,

bei mir sind sie aus den oben genannten Gründen wichtig. Meist gibts an den Fundstellen fast keine Bodenauflage mehr, Grundgestein wird aufgepflügt. Laufhorizonte des Neandertaler wurden in Unterfranken noch nie nachgewiesen. Mit so einer Anhaftungen könnte es aber gehen, wenn man an den Fundpunkten gräbt :winke:

Liebe Grüße Daniel
gefährliches Drittelwissen

Danske

Zitat von: hargo in 11. Oktober 2024, 23:29:33Restkern:
Weitgehend vollständiger Kern, von dem aus diversen Gründen keine Grundformen mehr abgetrennt worden sind.

laut Weiner April / 2012

mfg

Hallo Hargo,

danke für die Information.

Habe nochmal im Floss nachgeschaut. In seiner Ausarbeitung "Klingenerzeugung im Neolithikum" unterscheidet Jürgen Weiner zwischen noch abbauwürdigen Vollkernen und nicht mehr abbauwürdigen Restkernen.

Weiter schreibt er: "Freilich sind neolithische Klingenkerne bekannt, deren Abbaufläche keine nennens-
werte konvexe Wölbung mehr erkennen lassen; bezeichnenderweise handelt es sich dabei aber
um ausgebeutete und verworfene Kerne (Restkerne). Andererseits liegen zahlreiche
eindeutige Restkerne mit idiomorpher Abbauflächenwölbung vor, die eine weitere
erfolgreiche Klingengewinnung erlaubt hätten. Zweifellos handelt es sich hierbei um
Exemplare, deren Länge die Gewinnung eines angestrebten Zielproduktes bestimm-
ter Form und Länge nicht mehr zuließen. Der Abbauwinkel an neolithischen Klingen-
kernen liegt in der Regel bei < 90º".

In "Altsteinzeit von A-Z" schreibt Lutz Fiedler: "Vollständig abgebaute Kerne werden als Restkerne bezeichnet."

Letztlich wird es, wie Daniel schon geschrieben hat, weitgehend im Auge des Betrachters, und ich meine hier in erster Linie den steinzeitlichen Flintschläger, gelegen haben, ob ein Kern weiterhin abbauwürdig war oder nicht.

LG
Holger
Et nunc reges intelligite, erudimini, qui judicatis terram.