Beilklinge, spitz zugerichtet

Begonnen von rolfpeter, 17. November 2005, 19:51:01

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rolfpeter

Servus ihr Steinschmätzer,

diese kleine Beilklinge ist wohl kurz nach ihrer Inbetriebnahme zerbrochen. Die Schneide ist, bis auf kleinere rezente Macken, unbeschädigt, man sieht keine Gebrauchsspuren. Der vorgeschichtliche User der Hardware wollte das Teilchen nicht wegschmeißen und hat was anderes, ebenfalls brauchbares daraus hergestellt. Er hat das verbliebene Nackenstück spitz zugerichtet. Die Spitze (Nacken) ist ein wenig zerrüttet. Es gibt auch noch andere Gebrauchsspuren: Auf dem linken Bild, ungefähr bei 2:30 Uhr ist ein deutlicher Glanz - nicht auf der geschliffenen Oberfläche, sondern auf einen herausgeschlagenen Negativ, sichtbar. Könnte natürlich auch Wurzelglanz (oder wie hieß das nochmal?) sein.
Das Stück ist recht klein: 60*38*20 mm
Das Material ist Rijckholt-Flint.

Was ist das , wozu diente es, war es in seiner letztendlichen Verwendung noch ein Beil?
Wie immer - Fragen über Fragen.

Danke schonmal

Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert

Rambo

Ich finde die Größe nicht abnormal, ist eben ein kleines aber sehr schönes  Beilchen.
Gruß Rambo
Willst du der Väter Taten kennen
folge ihrem Erdensein,
lern das Gute zu erkennen
und das Schlechte still verzeihn

Der Wikinger

Hallo rolfpeter

Ich glaube, deine Analyse ist ganz richtig.

Ich habe selbst in meiner Sammlung einige völlig vergleichbare Stücke.
Ein geschliffenes Beil ist gebrochen und dann mit der Verarbeitungstechnik des Scheibenbeils nochmals brauchbar gemacht worden.
....eben ein Beilchen für die feinere Arbeit.

MfG agersoe

Khamsin

Moin Jungs!

Für manche mag es sich ja skurril anlesen: Aber solche Beilklingen sind wesentlich interessanter - und deshalb mitnehmenswerter - als die "schönen" ganzen. Oh, damit ich nicht falsch verstanden werde: "Schöne" (was immer das auch bedeuten mag!) und ganze Stücke lässt man natürlich nicht liegen. Aber was sagen sie uns? Eben in aller Regel nichts anderes, als dass es sich um eine vollständige Beilklinge handelt, von der wir wissen, dass sie einmal in einem Holm geschäftet war und zur Holzbearbeitung gedient hat; nicht weniger, aber auch nicht mehr! Ganz anders das vorliegende Stück!

Agersoe hat´s - gewürzt mit etwas nordischer Terminologie - auf den Punkt gebracht! Und Harm Paulsen - der ganz Grosse unter Deutschlands modernen Steinschmieden - hat einen an dieser Stelle zu erwähnenden Artikel zum "Recyceln von Steingeräten" geschrieben. Liest man also das Stück in diesem Sinne - das nur als Kontrapunkt zu solch verqueren Titeln wie "Steingeräte erzählen", was selbstredend völliger Quatsch ist, aber notorisch gerne von den Archäologen als "griffiger" Titel benutzt wird - dann blättert sich etwas vor uns auf, was ich seit geraumer Zeit als "Paläoverhalten" bezeichne!
Zugegebenermassen, die blosse Existenz eines jeden Artefaktes zeugt von Paläoverhalten der ehemaligen Menschen! Aber am vorliegenden Stück geht m.E. die Aussagekraft der Spuren über das geläufige Mass hinaus.
Ein Beispiel: Klopfer bestehen in der LBK und im Mittelneolithikum nachgerade exklusiv aus recycelten Klingenkernsteinen. Auch hier wird ein besonderes Paläoverhalten les-/erkennbar. Der grosse Unterschied zwischen Klopfern und RP´s Stück ist jedoch, dass bei den Klopfern die Klingenkerne in eine völlig neue Funktion überführt werden, während RP´s Stück nach wir vor in seiner ureigensten Funktion als spanabhebendes Gerät - denn nichts anderes sind Beilklingen jeder Art! - weiterverwendet werden soll!

Dies aber eröffnet grosse Interpretationsräume vor dem Hintergrund, dass jungneolithische Beilklingen dieser Art selbstredend eine gewisse Länge nicht unterschreiten durften, um noch sinnvoll geschäftet werden zu können, um damit zu arbeiten. Die nackenwärtige Zurichtung des vorliegenden Stückes lässt nur den einen Schluss zu, dass es nochmals geschäftet werden sollte. Aber: Konnte man dann damit noch bestimmte Holzarbeiten durchführen, die vorher (mit dem vollständigen geschäfteten Stück) möglich waren? Was hat den Eigentümer des Stückes zu dieser Entscheidung veranlasst? Besass er nur dieses eine Stück und war somit nachgerade gezwungen, das Bruchstück zu überarbeiten? War sein Verhalten also durch ökonomische Gründe diktiert oder, mit anderen Worten, war das ein armer Mann?

Natürlich werden wir niemals eine Antwort auf solche Fragen erhalten. Aber das ist doch die eigentliche Quintessenz der Arbeit der Archäologen: Zu versuchen, Antworten auf allfälliges Paläoverhalten zu finden. Und dafür sind auch solche Mutmassungen - die ich sonst nicht selten für problematisch halte - mehr als legitim, ja nachgerade geboten!
Beste Grüsse   
 
"For an impossible situation - choose a crazy remedy!"

rolfpeter

Dann darf ich mich recht herzlich für eure Befunde bedanken!

Grüße
RP
Der Irrtum strömt, die Wahrheit sickert