Zwei Retuscheure eines spätpaläolithisch bis mesolithischen Fundplatzes

Begonnen von thovalo, 21. Mai 2015, 22:05:42

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thovalo

  

     :-)


Am rechten Niederrhein gab es insbesondere im Übergang zum Ruhrgebiet lange Zeit eine derbe Fundlücke in Bezug auf spätpaläolithische und mesolithisches Fundstellen.

Die Region ist entweder dicht bewaldet oder dicht besiedelt und galt lange Zeit als fundleer der fundarm. In 24 Jahren konnte ich drei Fundplätze ausmachen.

Einen direkt bei mir Zuhause "hinterm Haus" auf einer glazialen Dünenbildung mit der gesicherte Datierung von
der Federmesserkultur bis zum späteren Mesolithikum.

Der zweite Platz liegt nahe des Rheinlaufs gleichfalls auf glazialen Dünenbildungen und überlieferte bislang von mehreren Fundstellen insbesondere Trapezmikrolithen, demnach insbesondere Fundmaterial aus der Zeit des späteren Mesolithikums. Doch liegen von dort auch Hinweise auf ältere Aufenthalte mit vor, die noch genauer eingeschätzt werden müssen.

Der dritte Fundplatz liegt auf einer wahrscheinlich gleichfalls noch glazial datierenden Dünenbildung und ist räumlich klar begrenzt. Ich bin dort nach der ersten Entdeckung vor mehr als 15 Jahren kaum eimal in günstiger Begehungssituation hin gekommen. Diesmal konnte ich in meinem Urlaub zweimal raus und habe mir die anstrengende Begehung jeweils stundenlang angetan. Es handelt sich um einen Fundplatz mit einem starken Anteil weiss patinierter und wohl noch glazial überprägter Artefakte. Verwendet wurden glazial stark überprägte Stücke "baltischen" Feuersteins und in einem geringen Anteil auch in den Flusschottern des Rheinlaufs abgelagerter Maaseifeuerstein. Der Platz ist nicht zusätzlich mit Artefakten eines neolithischen Aufenthaltes überprägt.

Das Fundaufkommen ist nicht gerade massiv verdichtet, aber die systematische Begehung erbringt immer wieder Artefakte. Darunter befand sich ein bereits eingereichtes vollständiges "Rückenmesser" und auch aktuell ein leider gebrochener rückenretuschierter und dick weiss patinierter Mikrolith bei dem es sich ebenfalls um das Fragment eines Rückenmessers handeln kann.



Im Verlauf der Begehungen fanden sich inmitten der Fundverteilung auch zwei Retuscheure die jeweils noch Merkmale einer zusätzlichen Funktion aufweisen. Felsgesteinartefakte treten in solchen Fundaufkommen selten zutage und kaum einmal so unbeschadet wie hier. Vermutlich sind sie aktuell erst aus ihren Einlagerungszusammenhängen gelöst worden. Gerade der bruchempfindliche flache Retuscheur aus Tonschiefer ist bis auf die Schramme von einem Zug über einen anderen Stein unbeschadet davon gekommen.



Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Das Quarzitgeröll mit der weitesten Abmessung von 6 cm ist im Bereich der auskragenden Ecke als Klopfstein verwendet worden. Möglicherweise diente dieses Geröll auch der Lösung von Abschlägen von den mit aufgelesenen Restkernsteinen.

Deutlich ist die schlagend/klopfend benutzte Stelle durch den Abtrag der natürlich überprägten Außenfläche des Steines zu erkennen  :glotz:


In dieser Verwendung und in der Nutzung einer vorstehenden Ecke ist dieser spätpaläolithische oder mesolithische Klopfstein mit einem Fundbeleg vom Fundplatz auf dem Dünenzug hinter unserem Haus vergleichbar.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Die Retuschiernarben finden sich dann entlang der Wölbung der gerundeten Partie des Gerölls. Die Narben überlagerten sich teils so dicht, dass auch hier an einer Stelle die natürlichen Oberfläche ganz abgetragen worden ist.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo




Der zweite Retuscheur mißt 7.1 cm Länge und besteht aus einem flachen Tonschiefergeröll und überliefert an beiden Längsseiten zwei sich direkt gegenüber liegende Narbenfelder.

Auch hier wurden sie im Bereich einer Ecke so verdichtet, dass die natürliche Oberfläche ganz abgetragen worden ist.


Eine solche effiziente und in diesen beiden Fällen gesicherte doppelte Verwendung von Felsgesteingerätschaften, dokumentiert durch unterschiedliche Gebrauchsmerkmale, war durchaus üblich und entsprach dem rationalen Nutzungsverhalten der Mitglieder von Jäger- und Sammlergesellschaften.

Ich kann für mich selber feststellen, dass es viel ausmacht reichlich Erfahrungen bei der Beobachtung von Steinartefakten im Verlauf der Untersuchung und Begehung von neolithischen Fundplätzen zu haben. Bei mesolithischen und spätpaläolithischen Plätzen sind die Sammler fast ausschließlich auf Silices fixiert und überlaufen sicher immer wieder diese, in vieler Hinsicht hoch interessanten Felsgesteine mit Gebrauchsspuren, die solche Fundinventare ja letztendlich erst vervollständigen!


lG Thomas  :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo




Der Retuscheur aus Tonschiefer weist dazu noch an seinem flachen Schmalende zwei schräg gegeneinander gestellte Schliffflächen auf.
Auf beiden sind noch tiefe Schliffriefen zu erkennen. Damit ist weder ein Feinschliff noch eine Politur ausgeführt worden. Eindeutig handelt es sich nicht um einen formenden Schliff mit dem Ziel das Geröll in eine bestimmte Form zu bringen.

Irgendein gröberes Material ist damit in eine Richtung ziehend intensiv und aktiv geführt bearbeitet worden.  :glotz:

Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Einige der Kern(ch)e(n) ..........    :glotz:


Bei den Kernen und auch bei den Abschlägen bislang nur der direkte harte Schlag und kein erkennbares "System".
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo




Es kommen häufiger Mikrokratzer vor ......  der dritte (in den drei letzten Bildern) besteht aus Maaseifeuerstein.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Proximalteil eines rezent gebrochenen rückenretuschierten Mikrolithen, vermutlich Teil eines Rückenmessers.
Die Bruchstelle lässt die Dicke der weißen Patinierung erkennen.
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo



Ein kräftiger Stichel
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

Nanoflitter

Schöne Sachen, vor allem die Kleinteile und Kerne! :super: Den Klopfstein, den Stichel und den oberen Retuscheur find ich allerdings sehr gewagt angesprochen :glotz:
Gruss....

thovalo

Zitat von: Nanoflitter in 22. Mai 2015, 12:17:18
Schöne Sachen, vor allem die Kleinteile und Kerne! :super: Den Klopfstein, den Stichel und den oberen Retuscheur find ich allerdings sehr gewagt angesprochen :glotz:
Gruss....



Der "Klopfstein und der obere Retuscheur" ist ein und dasselbe Quarzitgeröll.
Die Ansprachen der hier im Original vorliegenden beiden Stücke ist zweifelsfrei.

Die Zweifel machen allerdings deutlich, warum so etwas Entscheidendes in aller Regel übersehen wird!


lG Thomas   :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

thovalo


     :-)


Der Beleg eines anderen mesolithischen Klopfsteins aus Quarzit mit markant abgearbeiteten Schlagbereich aus einem Fundinventar aus endpaläolithisch und mesolithisch datierenden Aufenthalten eines einige Kilometer entfernt gelegenen Dünenzuges.  

Auf der gezeigten Seite des Steins auf dem ersten Bild handelt es sich nicht um Retuschiernarben sondern um eine natürlich ausgebildete Unregelmäßigkeit im Gestein.

An diesem Schlagstein ist der Nutzungsbereich durch die markant ausgeprägte unterschiedliche Färbung und veränderte Linienführung optisch deutlich abgesetzt  


lG Thomas    :winke:
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

teabone

Hallo Thomas,

ist schon eindeutig, gute und aussagekräftige Fotos

LG Augustin
Such- und Fundgebiet: Weinviertel, Nö.

Nanoflitter

Bei dem zuletzt gezeigtem gehe ich mit. :super: Die ersten beiden hast du in der Hand...  :winke:
Gruss...

thovalo



Es ist immer was besonderes für sich Dinge über Bilder zu vermitteln und sich Dinge über Bilder zu erschliessen!  :glotz:


glG Euch Beiden und ein schönes und ggf. fundfreudiges Wochenende!


lG Thomas
Darin besteht der Fortschritt der Welt, daß jede ältere Generation von der Jugend behauptet, sie tauge nichts mehr.

hargo

Im Detail nicht immer überzeugend, aber ,,overall" zustimmend : )

mfg